Bundesfinanzhof, Beschluss vom 31.08.2011, Az. VII B 59/11

7. Senat | REWIS RS 2011, 3647

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zuständigkeit der Finanzgerichte für die Überprüfung von Insolvenzanträgen der Finanzbehörden


Leitsatz

1. NV: Der vom FA gestellte Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners stellt schlichtes hoheitliches Handeln dar, dessen Überprüfung dem FG und nicht dem Insolvenzgericht obliegt.

2. NV: Aufgrund der Besonderheiten des Steuerrechtsverhältnisses ergibt sich ein Rechtsschutzbedürfnis an einer finanzgerichtlichen Überprüfung.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), die ihre Geschäfte in der Rechtsform einer GmbH betreibt, hat erhebliche Steuerrückstände, weshalb der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) versuchte, seine Ansprüche durch Vollstreckungsmaßnahmen zu befriedigen. Nachdem diese erfolglos blieben, stellte das [X.] am 20. August 2008 beim Amtsgericht (AG) X den Antrag, die Antragstellerin wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister zu löschen. Am 20. Januar 2011 stellte das [X.] zudem beim [X.] den Antrag, über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren zu eröffnen.

2

Dem Antrag der Antragstellerin, das [X.] im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Insolvenzantrag zurückzunehmen, gab das Finanzgericht ([X.]) statt. Zur Begründung führte es aus, dass die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht habe. Zwar seien im Streitfall die Voraussetzungen für einen Insolvenzantrag erfüllt, jedoch habe das [X.] ermessensfehlerhaft gehandelt, weil es den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt habe, obwohl es davon überzeugt gewesen sei, dass der Antrag mangels Masse abgelehnt werden würde. In seinem Schreiben an das [X.] vom 2. Februar 2011 habe das [X.] ausführlich dargelegt, es habe bislang keinen Insolvenzantrag gestellt, weil die Antragstellerin über kein die Kosten des Verfahrens deckendes Vermögen verfüge. Es gehe hinsichtlich des nunmehr gestellten Antrags davon aus, dieser werde mangels Masse abgelehnt.

3

Mit seiner Beschwerde, der das [X.] nicht abgeholfen hat, macht das [X.] geltend, der auf § 114 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) gestützte Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unzulässig. Da die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel vor dem Insolvenzgericht erreichen könne, fehle ihr für ein Verfahren vor dem [X.] das Rechtsschutzbedürfnis. [X.] könnten naturgemäß sachnäher durch das Insolvenzgericht geprüft werden, so dass ein finanzgerichtlicher Rechtsschutz nicht notwendig sei. Auch das [X.] Hamburg habe in einem vergleichbaren Fall das Rechtsschutzinteresse verneint (Beschluss des [X.] Hamburg vom 15. November 2010  3 V 168/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 475). Gegen diese Entscheidung sei eine Beschwerde beim [X.] ([X.]) anhängig.

Entscheidungsgründe

4

II. 1. Die Beschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht das Rechtsschutzinteresse für eine finanzgerichtliche Entscheidung bejaht. Zutreffend hat es darüber hinaus den Insolvenzantrag des [X.] als unzulässig erachtet, weil das [X.] bei Antragstellung davon ausging, dass der Antrag mangels Masse abgelehnt werde.

5

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerschuldners schlichtes hoheitliches Handeln dar, für dessen Überprüfung das [X.] und nicht das Insolvenzgericht zuständig ist (Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2007 [X.]/06, [X.], 1270, und vom 11. Dezember 1990 [X.]/90, [X.] 1991, 787, m.w.N.). Das Rechtsschutzbedürfnis für ein solches finanzgerichtliches Verfahren besteht solange, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des [X.] mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse rechtskräftig abgelehnt hat.

6

b) Der sich aus den Bestimmungen der Insolvenzordnung ergebende Prüfauftrag an die Insolvenzgerichte ist nicht deckungsgleich mit demjenigen der [X.] an die Finanzgerichte nach § 102 [X.]O i.V.m. den Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung. Im Rahmen seiner Ermessensausübung hat das [X.] die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis ergebenden Besonderheiten umfassend zu würdigen, woraus sich das Rechtsschutzbedürfnis an einer finanzgerichtlichen Überprüfung eines vom [X.] gestellten Insolvenzantrags ergibt. So hat das [X.] im Rahmen seiner Prüfung z.B. die Erfolgsaussichten eines noch offenen Erlass- oder Stundungsantrags, die Änderung eines Grundlagenbescheids, die bisherige Mitwirkung des [X.] oder die Aussicht auf eine ratenweise Tilgung der Abgabenrückstände in den Blick zu nehmen (vgl. im Einzelnen Senatsbeschluss vom 25. Februar 2011 [X.]/10, [X.] 2011, 1017, mit dem die Beschwerde gegen die vom [X.] in Bezug genommene Entscheidung des [X.] Hamburg als unbegründet zurückgewiesen wurde).

7

2. Soweit das [X.] die Antragstellung des [X.] als ermessensfehlerhaft angesehen hat, ist die Entscheidung nicht zu beanstanden. Wie das [X.] ausgeführt hat, ging das [X.] aufgrund entsprechender Erkenntnisse von der Vermögenslosigkeit der Antragstellerin aus. Es rechnete damit, der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde mangels Masse abgewiesen. Gegen diese Feststellungen hat das [X.] keine Einwendungen erhoben. Bei einer solchen Sachlage erweist sich die Stellung des Insolvenzantrags nach ständiger Rechtsprechung des [X.] als ermessensfehlerhaft (Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2007 [X.]/06, [X.], 1270; vom 12. Dezember 2005 [X.]/04, [X.] 2006, 900, und vom 12. Dezember 2003 [X.]/01, [X.] 2004, 464).

Meta

VII B 59/11

31.08.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 4. März 2011, Az: 15 V 53/11, Beschluss

§ 114 Abs 1 FGO, § 102 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 31.08.2011, Az. VII B 59/11 (REWIS RS 2011, 3647)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3647

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII B 226/10 (Bundesfinanzhof)

Zur einstweiligen Anordnung auf Rücknahme eines Insolvenzantrags


VII B 224/10 (Bundesfinanzhof)

Zulässigkeit eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei nicht eingehaltener Ratenzahlungsvereinbarung


VII B 36/13 (Bundesfinanzhof)

NZB bei Entscheidungen wegen Einstellung der Zwangsvollstreckung


AN 11 E 15.01794 (VG Ansbach)

Einstweiliger Rechtsschutz vor dem VG gegen von öffentlich-rechtlicher Körperschaft gestellten Insolvenzantrag wegen Ermessensfehler


7 V 1728/18 (FG München)

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.