Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.01.2015, Az. I B 42/13

1. Senat | REWIS RS 2015, 17493

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Gegenstand

Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Grundstücksbewertung


Leitsatz

1. NV: Die Zuziehung eines Sachverständigen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.

2. NV: Ist die Bewertung eines Grundstücks streitig, so ist das FG in der Regel gehalten, gemäß § 81 Abs. 1 FGO das Gutachten eines unabhängigen vereidigten Sachverständigen einzuholen. Hiervon kann es nur dann absehen, wenn es ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt und diese in den Entscheidungsgründen darlegt.

3. NV: Ein Gutachten, das das FA im Verwaltungsverfahren eingeholt hat, ist im finanzgerichtlichen Verfahren als Privatgutachten zu behandeln.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 16. Januar 2013  1 K 2537/09 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) ist eine 1979 gegründete GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Herstellung und Montage von … ist. Gesellschafter sind die Eheleute A (zu 75 %) und [X.] (zu 25 %). [X.]eide waren zugleich Geschäftsführer.

2

[X.] erwarb die Klägerin von [X.] ein von ihr als Werksgrundstück genutztes Grundstück zum Preis von [X.]. Der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) gelangte im [X.] an eine im Rahmen der [X.]etriebsprüfung am 8. November 2007 erstellte (geänderte) [X.]ewertung durch den [X.]ausachverständigen der Finanzverwaltung zu der Annahme, dass der Ertragswert des Grundstückes 557.000 € betragen habe und daher in Höhe der Differenz von [X.] eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) anzunehmen sei. Er erließ entsprechend geänderte [X.] und Gewerbesteuermessbetragsbescheide, die die Klägerin unter Hinweis auf ein Gutachten des Gutachters C vom 29. Oktober 2007 (Ertragswert von 767.000 €) erfolglos mit dem Einspruch anfocht.

3

Das Finanzgericht (FG) [X.] ging im Urteil vom 16. Januar 2013  1 K 2537/09 von einem maßgebenden Grundstückswert in Höhe von 625.000 € und einer vGA in Höhe von [X.] aus und gab der Klage teilweise statt, ohne die Revision zuzulassen.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit der [X.]eschwerde und rügt u.a. eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung.

5

Das [X.] beantragt die Zurückweisung der [X.]eschwerde als unbegründet.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist zulässig und begründet. Sie führt wegen einer ordnungsgemäß gerügten [X.] (§ 76 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das [X.] (§ 116 Abs. 6 [X.]O). Das [X.] hat ermessensfehlerhaft davon abgesehen, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

7

1. [X.] ist zulässig. Sie genügt den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O) schon deshalb, weil das [X.] selbst erläutert hat, weshalb es den Beweis nicht erhoben hat (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2012 I B 8/12, [X.], 703). Die Klägerin hat auch ihre schriftsätzlichen Beweisanträge --ausweislich des [X.] in der mündlichen Verhandlung nach Stellung der [X.] nochmals wiederholt, weshalb ihr [X.] auch nicht gemäß § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 Satz 1 [X.]O verloren gegangen ist (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 26. November 2008 IX B 122/08, [X.], 600).

8

2. Die Rüge ist auch begründet. Nach der --bei der Prüfung eines Verfahrensmangels maßgeblichen-- Rechtsauffassung des [X.] war für die Annahme einer vGA im Streitfall maßgeblich, mit welchem Wert das von der Klägerin erworbene Grundstück im Rahmen des Ertragswertverfahrens anzusetzen war. Das [X.] hätte wegen der zwischen den Beteiligten umstrittenen Bewertung --insbesondere hinsichtlich der wirtschaftlichen (Rest-)Nutzungsdauer nach Lage der Dinge ein Sachverständigengutachten einholen müssen.

9

a) Während das [X.] die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hat es die nötige Sachkunde selbst, braucht es einen Sachverständigen nicht hinzuziehen ([X.] vom 21. Dezember 2011 VIII B 88/11, [X.], 600; vom 3. Mai 2001 III B 52/00, [X.], 1419). Das dem [X.] bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholende Sachverständigengutachten nach § 82 [X.]O i.V.m. §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann [X.] ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung gutachtlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen ([X.] in [X.], 600; in [X.], 1419). Das ist gemäß § 81 Abs. 1 [X.]O regelmäßig der Fall, wenn die Bewertung eines Grundstückes streitig ist. Hiervon absehen kann das [X.] nur dann, wenn es ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt und diese in den Entscheidungsgründen darlegt ([X.] in [X.], 600; in [X.], 1419, jeweils m.w.N.).

b) Vor diesem Hintergrund beruht die Ablehnung eines Sachverständigenbeweises im Streitfall auf einem Ermessensfehler.

aa) Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert gemäß § 82 [X.]O i.V.m. § 403 ZPO eine hinreichende Konkretisierung sowohl des [X.] als auch der zu beweisenden Tatsachen. Dies ist im Rahmen der vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Finanzgerichtsordnung dahin zu verstehen, dass eine summarische Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte ausreicht, aber auch erforderlich ist ([X.]-Beschluss vom 25. Juli 2006 IV B 116/04, [X.]/NV 2006, 2270; vgl. auch Senatsbeschluss vom 10. Juni 2010 I B 194/09, [X.]/NV 2010, 1823).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin, die vor dem [X.] insbesondere im Einzelnen dargelegt hat, warum aus ihrer Sicht in der in Rede stehenden Spanne einer wirtschaftlichen Nutzungsdauer von 40 bis 60 Jahren der obere "Rand" angemessen erscheine, und sich hierbei auch mit der entgegenstehenden Auffassung des [X.] und dessen Wertermittlung auseinandergesetzt hat. Auch hat sie "Beweisanträge" formuliert, die bereits aus sich heraus, aber umso mehr vor dem Hintergrund des bisherigen Verfahrensverlaufes, ersichtlich darauf hinausliefen, dass die Klägerin unter anderem, aber insbesondere aufgrund einer 60-jährigen Nutzungsdauer einen höheren Ertragswert für zutreffend erachtete.

bb) Das [X.] hätte dem Beweisantrag entsprechen müssen, da es nicht selbst ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und offenbar nicht über eine notwendig eigene Sachkunde zur Wertermittlung eines gewerblichen Grundstücks verfügte.

aaa) Zum einen verkennt das [X.], indem es die "Beweisanträge" jeweils isoliert ablehnt, offenkundig den zwischen den "Anträgen" bestehenden Zusammenhang und deren dargelegte Zielrichtung. Zum anderen trifft es im Zusammenhang mit der Grundstücksbewertung nicht zu, dass die mit dem ersten Beweisantrag vorgetragene Behauptung, die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer der aufstehenden Gebäude betrage 60 Jahre, als Schlussfolgerung dem ([X.] nicht zugänglich sei. Das [X.] lässt auch nicht erkennen, aus welchen Gründen es davon ausgeht, die als wahr unterstellten Ausstattungsmerkmale könnten im Streitfall keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer und auf seine vorherige Einschätzung, es handele sich um eine gewerblich genutzte "Standardhalle", haben.

bbb) Das [X.] konnte auch nicht deshalb von einer Beweiserhebung absehen, weil ihm im Klageverfahren hierzu "[X.]" vorgelegt wurden --namentlich das von Klägerseite beigebrachte Gutachten [X.] und vom Bausachverständigen der Finanzverwaltung aus dem [X.]. Ein "[X.]" kann das [X.] seiner Entscheidung nur dann zugrunde legen, wenn keiner der Beteiligten substantiierte Einwendungen gegen die Richtigkeit erhebt (vgl. [X.]-Urteil vom 4. März 1993 IV R 33/92, [X.]/NV 1993, 739; [X.] in [X.], 600; in [X.], 1419). Dies hatte die Klägerin indessen seit dem Einspruchsverfahren getan. Es war dem [X.] daher nicht ermessensfehlerfrei möglich, die für streitentscheidend erachteten Abweichungen zwischen den Beteiligtenpositionen hinsichtlich der wirtschaftlichen Nutzungsdauer ohne Weiteres zugunsten der Annahme des Bausachverständigen der Finanzverwaltung aufzulösen, ohne nähere Ausführungen zur eigenen Sachkunde zu machen.

Hieran ändert es nichts, wenn --wie das [X.] ausführt-- das klägerische Gutachten nichts zur wirtschaftlichen Nutzungsdauer ausgeführt, sondern lediglich Tabellen über die technische Nutzungsdauer zugrunde gelegt hätte. Denn ungeachtet dessen bliebe die Frage der zutreffenden wirtschaftlichen Restnutzungsdauer, zumal angesichts des Beweisantritts der Klägerin, aufklärungsbedürftig. Die Notwendigkeit zur Feststellung eines Grundstückswertes entfällt auch nicht dadurch, dass die Klägerin zu der bei Vertragsschluss erfolgten Bemessung des Kaufpreises in Höhe von [X.] keine für das [X.] nachvollziehbaren Angaben machen konnte.

ccc) Das [X.] konnte auch nicht aufgrund seiner weiteren Erwägungen von einer Beweiserhebung absehen. Es führt nichts dazu aus, auf der Grundlage welcher eigenen ([X.] und Erwägungen es das streitbefangene Gebäude als "gewerblich genutzte Standardhalle" eingeordnet und sich die wirtschaftliche Nutzungsdauer von 40 Jahren zwingend aus den zugrunde gelegten und für maßgeblich erachteten "[X.]" ergab; letztlich folgt das [X.] auch damit lediglich der Einschätzung des Bausachverständigen der Finanzverwaltung. Immerhin bestand zwischen den Beteiligten auch in Bezug auf die Beurteilung der Ausstattungsmerkmale Streit.

Die Vorinstanz legt ferner nicht näher dar, aus welchen Gründen "ständig wechselnde Produktionsmechanismen", "gestiegene betriebstechnische Anforderungen" und "emissionsschutzrechtliche Bedingungen" in Bezug auf den konkreten Betrieb der Klägerin im Streitfall von Bedeutung sind und woraus sich diesbezügliche Erkenntnisse speisen. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass es sich --ungeachtet mangelnder Einschlägigkeit für die [X.] bei den vom [X.] herangezogenen sog. "[X.]" lediglich um Vermutungssätze handelt (vgl. [X.]-Urteil vom 28. Oktober 2008 IX R 16/08, [X.], 899), aufgrund derer im Streitfall jedenfalls nicht von einer Beweiserhebung abgesehen werden konnte.

2. Der Senat hält es für sachgerecht, das angefochtene Urteil gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die weiteren von der Klägerin vorgebrachten Zulassungsgründe gegeben sind.

3. Das Verfahren ist durch den Tod des bisherigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin kraft Gesetzes (§ 244 Abs. 1 ZPO, §§ 155, 62 Abs. 4 Satz 1 [X.]O) unterbrochen. Der Beschluss kann ungeachtet dessen ergehen, da ein neu zu bestellender vor dem [X.] vertretungsbefugter Prozessbevollmächtigter nichts Entscheidungserhebliches mehr bewirken könnte. Er wird der Klägerin selbst zugestellt (vgl. dazu [X.]-Beschluss vom 21. November 2002 VII B 58/02, [X.]/NV 2003, 485).

4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem [X.] übertragen (§ 143 Abs. 2 [X.]O).

Meta

I B 42/13

07.01.2015

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 16. Januar 2013, Az: 1 K 2537/09, Urteil

§ 76 FGO, § 81 FGO, § 115 Abs 3 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 403 ZPO, § 404 ZPO, § 412 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.01.2015, Az. I B 42/13 (REWIS RS 2015, 17493)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17493

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