Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.02.2018, Az. 5 B 13/17 D

5. Senat | REWIS RS 2018, 13650

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Faktische Aussetzung eines Parallelverfahrens und überlange Verfahrensdauer


Gründe

1

[X.]ie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. [X.]ie Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung zuzulassen.

3

Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. [X.]as [X.]arlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung besteht. [X.]ie [X.]eschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 Nr. 26 S. 14). [X.]ie [X.]egründungspflicht verlangt, dass sich die [X.]eschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 4. April 2012 - 5 [X.] - juris Rn. 2 m.w.N.). Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des [X.] (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 12. Januar 2017 - 5 [X.] 75.16 - juris Rn. 4 m.w.N.). Gemessen daran erweist sich die [X.]eschwerde als erfolglos.

4

a) [X.]ie Revision ist nicht zur [X.]eantwortung der von den Klägern aufgeworfenen Frage zuzulassen:

"In welchem Umfang kann die Nichtförderung eines Verfahrens mit dem Warten auf eine Entscheidung im Parallelverfahren - auch ohne förmliche Aussetzung oder [...] Ruhensbeschluss - vom Gericht gedeckt sein und in welchem Umfang hat das Gericht dies den Verfahrensbeteiligten zu erkennen zu geben [...]".

5

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es hinsichtlich des Merkmals der "unangemessenen [X.]auer" eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG bei Zugrundelegung einer objektivierenden [X.]etrachtungsweise vertretbar ist, wenn das Ausgangsgericht das bei ihm anhängige Verfahren mit [X.]lick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, zeitweise "faktisch", d.h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO aussetzt. [X.]ementsprechend kann etwa die mit der [X.]earbeitung oder Förderung eines Leitverfahrens korrespondierende [X.] der faktischen Aussetzung bei der [X.]ewertung der angemessenen [X.]auer des parallel anhängigen Ausgangsverfahrens nicht zu Lasten des Staates gehen (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 [X.] - juris Rn. 155 m.w.N. und [X.]eschluss vom 2. Mai 2017 - 5 [X.] 75.15 [X.] - juris Rn. 8). Es kann dahinstehen, ob die hier in Rede stehende Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung schon deshalb nicht den [X.]arlegungsanforderungen genügt, weil sich die [X.]eschwerde mit dieser Rechtsprechung nicht auseinandersetzt. Jedenfalls ist mit der Frage eine allgemeine [X.]edeutung nicht ausreichend dargetan. Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats steht fest, dass im Fall einer vertretbaren faktischen Aussetzung des Ausgangsverfahrens die [X.] der [X.]earbeitung oder Förderung eines "Leitverfahrens" bei der [X.]eurteilung der angemessenen [X.]auer des Ausgangsverfahrens nicht zu berücksichtigen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalles und deshalb der grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Soweit die hier interessierende Frage den "Umfang der Nichtförderung" anspricht, bezieht sie sich aber im [X.] auf solche Umstände des Einzelfalles. Einer Frage ist nicht schon dadurch allgemeine [X.]edeutung beizumessen, dass ein den konkreten Einzelfall betreffender tatsächlicher Umstand in allgemeine Klageform gekleidet wird (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 13. Oktober 2016 - 5 [X.] 15.16 - juris Rn. 5 m.w.N.).

6

Eine grundsätzliche [X.]edeutung ist auch insoweit nicht ausreichend dargelegt, als die Kläger geklärt wissen möchten "in welchem Umfang" das Gericht den Verfahrensbeteiligten "zu erkennen zu geben" hat, dass das Verfahren mit [X.]lick auf eine noch ausstehende Entscheidung in einem Parallelverfahren nicht gefördert werde. [X.]er zitierten Rechtsprechung des Senats ist zu entnehmen, dass für die Nichtberücksichtigung der [X.]auer der unterlassenen Förderung eines mit [X.]lick auf ein "Leitverfahren" faktisch ausgesetzten Verfahrens eine objektivierende [X.]etrachtungsweise zugrunde zu legen ist. [X.]araus folgt hinsichtlich des [X.] auch, dass für das Entschädigungsgericht erkennbar sein muss, dass das Verfahren wegen eines [X.] vorerst nicht gefördert wurde. Klärungsbedarf besteht insoweit also nicht.

7

[X.]ie Frage rechtfertigt auch deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil die Kläger sich nicht mit den insoweit einschlägigen Erwägungen des [X.] in ihrer Gesamtheit auseinandersetzen. [X.]ie Vorinstanz hat die Nichtförderung des Verfahrens in dem [X.]raum von 30. April 2008 bis 25. Januar 2010 "auch vor dem Hintergrund" als gerechtfertigt angesehen, dass die Kläger ihre Klage erst nach 18 Monaten und erst auf gerichtliche [X.]etreibensaufforderung begründeten und dass "hinzukommt", dass durch eine spezifische Förderung des klägerischen Verfahrens kein [X.]gewinn entstehen konnte. Zu diesen Erwägungen verhält sich die [X.]eschwerde nicht.

8

b) Auch die Frage,

"Rechtfertigt die Nichtweiterverfolgung eines gestellten Akteneinsichtsgesuches und die Inaussichtstellung eines erneuten Akteneinsichtsgesuches die Nichtförderung des Verfahrens",

verhilft der [X.]eschwerde nicht zum Erfolg.

9

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass bei [X.]erücksichtigung des den Ausgangsgerichten bei der Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums die aus [X.] und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener [X.] zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 [X.] - [X.]VerwGE 156, 229 Rn. 135 m.w.N.). [X.]ie hier in Rede stehende Frage bezieht sich auf den bei der [X.]ewertung der Angemessenheit nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch einzustellenden Gesichtspunkt des "Verhaltens der Verfahrensbeteiligten". Soweit das Oberverwaltungsgericht in der Ankündigung eines [X.] einen sachlichen Grund für die unterbliebene Förderung des Verfahrens gesehen hat, ist dies das Ergebnis der [X.]ewertung eines den Einzelfall betreffenden Umstandes. Mithin bezieht sich die darauf gerichtete Frage im [X.] ebenfalls auf eine einzelfallbezogene Würdigung und vermag eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache nicht zu begründen.

[X.]ie Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision auch deshalb nicht, weil ihre [X.]egründung in den in [X.]ezug genommenen Erwägungen des angefochtenen Urteils keine Stütze findet. Entgegen der Auffassung der Kläger hat die Vorinstanz im vorliegenden Zusammenhang nicht angenommen, die Kläger hätten einer - nicht bestehenden (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 [X.] - [X.] 300 § 198 GVG Nr. 4 Rn. 37) - Pflicht zuwidergehandelt, aktiv (durch Aufforderungen) darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener [X.] zu einem Abschluss bringt. Sie hat vielmehr aus dem Umstand, dass die Kläger einen in Aussicht gestellten erneuten [X.] nicht gestellt bzw. nicht mitgeteilt haben, auf ihn zu verzichten, einen einzelfallbezogenen Schluss gezogen.

c) Schließlich ist die Revision auch nicht wegen der Frage zuzulassen:

"Kann und wenn ja, in welchem Umfang bzw. Ausmaß kann die Verfahrensführung im Rahmen des [X.] entscheidungserheblich für die Frage sein, ob die Wiedergutmachung auf andere Weise entsprechend § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist".

[X.]en mit der Frage in [X.]ezug genommenen Erwägungen in dem angefochtenen Urteil ([X.]) ist deutlich zu entnehmen, dass das Gericht mit zwei selbstständig tragenden [X.]egründungen angenommen hat, eine Entschädigung scheide nach § 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 GVG aus, weil die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen sei, ausreiche. Es hat darauf abgestellt, dass die Kläger das Entschädigungsverfahren erst mehr als drei Jahre nach Abschluss des Ausgangsverfahrens wieder aufgenommen hätten. [X.]arüber hinaus und ebenfalls eigenständig tragend hat es angenommen, die Feststellung reiche auch wegen der "dilatorischen Verfahrensführung der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren" aus. [X.]ei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 13. Oktober 2016 - 5 [X.] 15.16 - juris Rn. 8 m.w.N.). [X.]iese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. [X.]ie hier in Rede stehende Frage wendet sich allein gegen die zuerst genannte [X.]egründung, während [X.] gegen die andere selbstständig tragende [X.]egründung nicht erhoben werden.

2. [X.]ie Revision ist auch nicht wegen [X.]ivergenz zuzulassen.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende [X.]ivergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. [X.]as Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran ist die [X.]eschwerde nicht ausreichend begründet.

[X.]ie Kläger sind der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht sei in mehrfacher Hinsicht insbesondere von dem in dem Urteil des [X.] vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 [X.] - enthaltenen abstrakten Rechtssatz abgewichen, Verfahrensbeteiligte sind grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener [X.] zum Abschluss bringt und ihnen kann mangels einer derartigen Pflicht eine diesbezügliche Passivität bei der im Rahmen der Ermittlung der angemessenen [X.]auer eines Gerichtsverfahrens erforderlichen Prüfung, ob die Verfahrensbeteiligten durch ihr Verhalten eine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt haben, nicht angelastet werden ([X.]VerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 [X.] - NJW 2016, 3464 Rn. 21). Ein davon abweichender abstrakter Rechtssatz ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. [X.]ie Kläger beanstanden in der Sache, dass das Oberverwaltungsgericht dem zitierten Rechtssatz des [X.] nicht Rechnung getragen habe. [X.]amit kann eine auf [X.]ivergenz gestützte Rüge hingegen nicht erfolgreich begründet werden.

4. Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

5. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. [X.]ie Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Meta

5 B 13/17 D

20.02.2018

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 22. März 2017, Az: 2 P-EK 537/16, Urteil

§ 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 1 S 2 GVG, § 198 Abs 4 S 1 GVG, § 94 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.02.2018, Az. 5 B 13/17 D (REWIS RS 2018, 13650)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13650

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