Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2010, Az. 10 AZR 649/09

10. Senat | REWIS RS 2010, 1312

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit der Urlaubsabgeltung - keine Verschiebung des Ruhenszeitraums bei Zahlung von Krankengeld


Leitsatz

Hat der Arbeitnehmer wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen, ruht sein Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 143 Abs. 2 SGB III auch dann bereits ab dem Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn er Krankengeld nach § 44 SGB V bezieht. Der Ruhenszeitraum verschiebt sich nicht auf die Zeit nach Beendigung der Erkrankung.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Juni 2009 - 9 [X.]/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. August 2008 - 9 [X.] 739/08 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger wegen der Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber der [X.] ([X.]) einen Bereicherungsausgleich zu leisten hat.

2

Zwischen den Parteien bestand bis zum 31. Dezember 2005 ein Arbeitsverhältnis. Die Beklagte war von Mitte 2005 bis zum 31. März 2006 arbeitsunfähig erkrankt und bezog Krankengeld. Nach Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit erhielt sie Arbeitslosengeld, im [X.]raum vom 1. April bis zum 15. Mai 2006 insgesamt 2.121,30 Euro. Die [X.] unterrichtete den Kläger mit Schreiben vom 27. April 2006 über die Zahlung des Arbeitslosengelds und einen damit verbundenen Forderungsübergang.

3

Die Beklagte nahm den Kläger auf Zahlung von Urlaubsabgeltung in Anspruch. Durch Urteil des [X.] vom 17. Juli 2007 wurde der Kläger zur Abgeltung von 28 Urlaubstagen aus dem [X.] in Höhe von 6.254,08 Euro verurteilt. Der von der [X.] angezeigte Forderungsübergang wurde von den Parteien in den Prozess nicht eingeführt. Der Kläger kehrte den ausgeurteilten Betrag an die Beklagte aus.

4

Nachfolgend machte die [X.] gegenüber dem Kläger unter Hinweis auf den Forderungsübergang einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe des in der [X.] vom 1. April bis zum 15. Mai 2006 gezahlten Arbeitslosengelds geltend. Der Kläger zahlte daraufhin im Dezember 2007 an die [X.] 2.121,30 Euro.

5

Mit der Klage begehrt der Kläger die Erstattung des Betrags durch die Beklagte. Diese sei ungerechtfertigt bereichert, weil sie durch seine Leistung von einer ihr gegenüber der [X.] obliegenden Verbindlichkeit befreit worden sei.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.121,30 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15. Dezember 2007 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, dem geltend gemachten Anspruch stehe die materielle Rechtskraft des [X.] entgegen. Zudem sei sie nicht bereichert. Da sie während des [X.] nach § 143 Abs. 2 SGB III kein Arbeitslosengeld, sondern Krankengeld erhalten habe, sei ihr Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht auf die [X.] übergegangen.

8

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

9

I. Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht entsprochen. Der Kläger hat gegen die [X.]eklagte keinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 [X.]G[X.].

1. Die Klage ist zulässig. Ihr steht nicht der Einwand der materiellen Rechtskraft des [X.] zwischen den Parteien nach § 322 ZPO entgegen.

a) Die materielle Rechtskraft eines Urteils führt in einem späteren Prozess dann zur Unzulässigkeit einer neuen Klage, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird ([X.] 19. August 2010 - 8 [X.]/09 - Rn. 32, [X.] 2010, 1443; [X.] 16. Januar 2008 - [X.]/05 - Rn. 22, NJW 2008, 1227). Die [X.] verhindert, das durch rechtskräftiges Urteil [X.] mit der [X.]egründung zurückzufordern, der Rechtsstreit sei unrichtig entschieden worden und in Wahrheit werde nichts geschuldet.

b) Der Kläger begehrt nicht die teilweise Rückzahlung der Urlaubsabgeltung, die der [X.] durch rechtskräftiges Urteil des [X.] vom 17. Juli 2007 zugesprochen wurde. Der Kläger stützt seine Klage vielmehr auf die von ihm nach Rechtskraft des [X.] im Dezember 2007 erbrachte Leistung an die [X.]. Er habe dadurch eine Verbindlichkeit der [X.] erfüllt, die infolgedessen ohne rechtlichen Grund auf seine Kosten bereichert und deshalb zur Erstattung des geleisteten [X.]etrags verpflichtet sei. Der Kläger macht damit einen anderen Streitgegenstand geltend, den er auf neue, nach Schluss der mündlichen Verhandlung des [X.] entstandene Tatsachen stützt. Über diesen Streitgegenstand hat das [X.] nicht entschieden.

2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat bereits deshalb keinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 [X.]G[X.] gegen die [X.]eklagte, weil diese durch die Zahlung des [X.] an die [X.] nicht von einer ihr gegenüber der [X.] obliegenden Verbindlichkeit befreit wurde. Eine solche Verbindlichkeit bestand nicht. Die [X.]eklagte hatte sowohl einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld wie auch auf Zahlung der vollen Urlaubsabgeltung.

a) Nach § 143 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die [X.], wenn der Arbeitslose wegen [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen hat. Ein Übergang des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung auf die [X.] gemäß § 115 Abs. 1 SG[X.] X findet dann statt, wenn der Arbeitslose während des [X.] nach § 143 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] III erhält (Gleichwohlgewährung). Der Forderungsübergang wird zeitlich durch den [X.] und der Höhe nach durch das in diesem [X.]raum gezahlte Arbeitslosengeld begrenzt (vgl. [X.] 28. April 1983 - 2 [X.] - zu II 4 a der Gründe, [X.] § 117 Nr. 3 = EzA [X.] § 117 Nr. 3; [X.] in [X.]/SG[X.] III Stand Juli 2010 § 143 SG[X.] III Rn. 61).

Gemäß § 143 Abs. 2 Satz 2 SG[X.] III beginnt der [X.] mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses, mithin mit dem ersten Tag, der auf das Ende des Arbeitsverhältnisses folgt. Der [X.] läuft kalendermäßig ab ([X.]SG 7. Februar 2002 - [X.] 7 AL 28/01 R - zu 2 der Gründe; 2. November 2000 - [X.] 11 AL 25/00 R - zu 1.1 der Gründe, [X.]uW 2001, 351; vgl. [X.] in [X.] § 143 SG[X.] III Rn. 49). Er endet deshalb mit dem Ende des letzten (fiktiven) Urlaubstags.

b) Während des [X.]s gemäß § 143 Abs. 2 SG[X.] III hat die [X.]eklagte kein Arbeitslosengeld, sondern Krankengeld bezogen. Ihr Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 2005. Der [X.] begann gemäß § 143 Abs. 2 Satz 2 SG[X.] III am 1. Januar 2006. Die [X.]eklagte bezog bis zum 31. März ausschließlich Krankengeld (§ 44 SG[X.] V) und erst ab dem 1. April 2006 Arbeitslosengeld. Zu diesem [X.]punkt war der sich aus der Abgeltung von 28 Urlaubstagen errechnende [X.] abgelaufen. Durch die Zahlung des Arbeitslosengelds ab 1. April 2006 wurde deshalb kein Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1 SG[X.] X, § 143 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] III bewirkt.

c) Eine Verschiebung des [X.]s auf die [X.] nach [X.]eendigung der Erkrankung erfolgt im Rahmen von § 143 Abs. 2 SG[X.] III nicht (LSG [X.]erlin-[X.]randenburg 30. März 2010 - L 18 AL 212/09 NZ[X.] - zu II der Gründe; [X.] in [X.] § 143 SG[X.] III Rn. 49; vgl. [X.] in [X.] SG[X.] III Stand September 2010 § 143 Rn. 96). Dies sieht § 143 Abs. 2 Satz 2 SG[X.] III nicht vor. Die Norm enthält nach Wortlaut, Systematik und Zweck eine eindeutige und abschließende Regelung.

aa) § 143 Abs. 2 Satz 2 SG[X.] III bestimmt seinem Wortlaut nach zweifelsfrei, an welchem Tag der [X.] beginnt. Er sieht eine Verschiebung dieses [X.]raums bei Zahlung von Krankengeld nicht vor. Systematisch wird dies dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber in § 143a Abs. 1 Satz 5 SG[X.] III ausdrücklich einen Fall der Verlängerung des [X.]s bei Erhalt einer oder Anspruch auf eine Urlaubsabgeltung geregelt hat. Auch nach dem Zweck der Norm ist ein anderes Verständnis nicht geboten. Die Vorschrift dient einerseits der Existenzsicherung und will andererseits Doppelleistungen von Arbeitslosengeld und Arbeits- bzw. Urlaubsvergütung ausschließen ([X.] in [X.] § 143 SG[X.] III Rn. 3). Im Verhältnis zur [X.] liegt eine Doppelleistung aber nicht vor, wenn kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Im Verhältnis zur Krankenkasse bewirkt eine für die [X.] nach [X.]eendigung des [X.]eschäftigungsverhältnisses gewährte Urlaubsabgeltung nicht das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld nach § 44 SG[X.] V ([X.]SG 30. Mai 2006 - [X.] 4-2500 § 49 Nr. 4). Gegen eine Verschiebung des [X.]s spricht schließlich, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach neuerer Rechtsprechung des [X.]undesarbeitsgerichts regelmäßig mit der [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht und nicht mehr von einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abhängig ist (24. März 2009 - 9 [X.] - [X.]E 130, 119). Der [X.] kann deshalb nur im unmittelbaren [X.] an die [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen.

bb) Der [X.] stand der Anspruch auf Abgeltung ihres Urlaubs in vollem Umfang zu, da es zu keinem Forderungsübergang auf die [X.] gekommen ist. Sie ist nicht durch Leistung des [X.] an die [X.] von einer eigenen Verbindlichkeit befreit und damit ungerechtfertigt bereichert worden.

II. [X.] folgt aus § 91 ZPO.

        

    Mikosch    

        

    [X.]    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    Rudolph    

        

    Großmann    

                 

Meta

10 AZR 649/09

17.11.2010

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Halle (Saale), 22. August 2008, Az: 9 Ca 739/08, Urteil

§ 812 Abs 1 S 1 Alt 2 BGB, § 143 Abs 2 S 1 SGB 3, § 143 Abs 3 S 1 SGB 3, § 143 Abs 2 S 2 SGB 3, § 115 Abs 1 SGB 10, § 44 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2010, Az. 10 AZR 649/09 (REWIS RS 2010, 1312)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1312

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 11 AL 4/15 R (Bundessozialgericht)

Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs - Urlaubsabgeltung - Grenzgänger - Auszahlung dänischen Feriengeldes nach Beendigung der Beschäftigung …


L 10 AL 93/17 (LSG München)

Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Erhalts einer Urlaubabgeltung


B 1 KR 68/12 R (Bundessozialgericht)

(Krankenversicherung - Arbeitslosigkeit - Arbeitsunfähigkeit - Auffangversicherung - nachgehender Versicherungsschutz - Änderung der Verhältnisse - …


S 15 KR 2273/19 (SG München)

Arbeitslosengeld, Krankengeld, Krankenversicherung, Versicherungspflicht, Leistungen, Bescheid, Schadensersatzanspruch, Sperrzeit, Arbeitsentgelt, Versicherungsschutz, Ruhen, Abfindung, Anspruch, Leistungsbezug, Anspruch …


S 10 AL 157/16 (SG Bayreuth)

Urlaubsabgeltung lässt Arbeitslosengeldanspruch ruhen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.