Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.03.2016, Az. 10 C 4/15

10. Senat | REWIS RS 2016, 13983

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Gegenstand

Allgemeine Handlungsfreiheit; Aufgabenüberschreitung; Austritt; Dachverband; DIHK; Gesamtinteresse; Industrie- und Handelskammer; Kompetenz; Pflichtmitglied; Verhältnismäßigkeit


Leitsatz

1. Die Industrie- und Handelskammern dürfen sich zur gemeinschaftlichen Wahrnehmung des Gesamtinteresses ihrer Kammerzugehörigen auf überregionaler Ebene zu einem privatrechtlich organisierten Dachverband zusammenschließen, die Aufgabe der Gesamtinteressenwahrnehmung jedoch nicht an diesen delegieren. Auch bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung durch den Dachverband bleibt jede Kammer für die Wahrung ihrer Kompetenzgrenzen aus § 1 Abs. 1 IHKG verantwortlich.

2. Dem Pflichtmitglied einer Kammer steht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband zu, wenn dieser Aufgaben wahrnimmt, die außerhalb der gesetzlichen Kompetenzen der Kammer liegen. Dazu genügt, dass die faktische Tätigkeit des Verbandes den Rahmen der Kammerkompetenzen überschreitet, sofern die Überschreitung sich nicht als für die Verbandspraxis untypischer Einzelfall ("Ausreißer") darstellt, sondern die konkrete Gefahr einer erneuten Betätigung jenseits der Kammerkompetenzen besteht.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Unternehmen zur Planung und Errichtung von Windenergieanlagen, ist kraft Gesetzes Mitglied der beklagten Industrie- und Handelskammer und begehrt deren Verurteilung zum Austritt aus dem [X.] ([X.]). Dieser verfolgt als privatrechtlich organisierter Dachverband der [X.] Industrie- und Handelskammern nach § 1 Abs. 1 seiner Satzung unter anderem den Zweck, in [X.] das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft im Bereich des [X.] betreffenden Fragen einen gemeinsamen Standpunkt der Industrie- und Handelskammern auf [X.] gegenüber der Politik, der Verwaltung, den Gerichten und der Öffentlichkeit zu vertreten. § 1 Abs. 3 der Satzung stellt klar, dass die Behandlung allgemeinpolitischer, insbesondere parteipolitischer Fragen nicht zur Zuständigkeit des [X.] gehört.

2

Mit Schreiben vom 9. Februar 2007 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihren Austritt aus dem [X.] zu erklären. Die Beklagte dürfe sich nur im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben betätigen und keinen Vereinigungen angehören, die jenseits dieses Aufgabenbereichs tätig seien. Der [X.] habe sich in einer Presseerklärung vom 10. Januar 2007 und in weiteren Veröffentlichungen allgemeinpolitisch zur Klimapolitik geäußert. Dabei habe er sich einseitig gegen die weitere Erhöhung des Marktanteils von erneuerbaren Energien, gegen den Ausstieg aus der Kernenergie und gegen die Umsetzung des [X.] gewandt. Damit habe er seine satzungsgemäßen Aufgaben und die Kompetenzen seiner [X.] überschritten. Der Klägerin stehe als Pflichtmitglied der Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Abwehr von [X.] zu. Daraus ergebe sich der geltend gemachte Anspruch auf Austritt der Beklagten aus dem [X.].

3

Die Beklagte lehnte einen Austritt mit Schreiben vom 28. Februar 2007 ab. Die Stellungnahmen des [X.] zur Energiepolitik gingen nicht über den Aufgabenkreis der [X.] hinaus. Wenn bei der Ermittlung des Gesamtinteresses kein vollständiger Interessenausgleich möglich sei, dürfe auch eine Position vertreten werden, die den Interessen einer bestimmten Mitgliedergruppe zuwiderlaufe. Den Veröffentlichungen lägen [X.] der Vollversammlung des [X.] oder seines Vorstandes zugrunde. Im Übrigen sei der [X.] als Privatrechtssubjekt nicht an Verfassungsrecht gebunden. Selbst bei satzungswidrigem Handeln des [X.] könne die Klägerin ihren Austritt nicht verlangen, sondern nur, dass sie selbst ihren Aufgabenkreis nicht überschreite und ihre Mitgliedschaftsrechte im Dachverband wahrnehme, um Satzungsverstößen entgegenzutreten.

4

Am 6. Juli 2007 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie begehrt, die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem [X.] zu erklären und es zu unterlassen, die beanstandeten Äußerungen zu wiederholen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Mai 2009 abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung nur hinsichtlich des Antrags auf Verurteilung zum Austritt aus dem Dachverband zugelassen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin weitere ihres Erachtens unzulässige Äußerungen des [X.] und seiner (damaligen) Präsidenten vorgelegt, die unter anderem bildungs-, steuer- und rentenpolitische Fragen, den Hochwasserschutz und die Situation in der [X.] nach dem Tod des ehemaligen Staatspräsidenten [X.] betreffen.

5

Mit Urteil vom 16. Mai 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin könne zwar geltend machen, als Pflichtmitglied der Beklagten durch eine Überschreitung der [X.] in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt zu sein. In der Sache stehe ihr der geltend gemachte [X.] jedoch nicht zu. Wirtschafts- und berufsständische Kammern dürften sich zu privatrechtlichen Dachorganisationen zusammenschließen. Im Beitritt zum [X.] liege auch keine unzulässige Aufgabendelegation. Die satzungsgemäßen Tätigkeiten und Zwecke des [X.] hielten sich im Rahmen der [X.]. § 1 Abs. 1 seiner Satzung verlagere die den Kammern gesetzlich aufgegebene Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft in zulässiger Weise von [X.] des Kammerbezirks auf die [X.], ohne den Kammern ihre Selbständigkeit oder ihr Initiativrecht zu nehmen oder sie in unzulässiger Weise an Beschlüsse des [X.] zu binden. Ob eine tatsächliche Überschreitung der satzungsgemäßen Aufgaben des [X.] zu einem Anspruch der Pflichtmitglieder der [X.] auf Austritt ihrer Kammer aus dem Dachverband führen könne, müsse nicht abschließend geklärt werden. Dafür spreche, dass die Möglichkeiten eines [X.]s, die Kammer zum Einschreiten gegen die Aufgabenüberschreitung des [X.] anzuhalten, regelmäßig begrenzt und nicht immer ausreichend effektiv seien. Eine gerichtliche Verpflichtung der Kammer zum Austritt aus dem Dachverband komme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch nur als äußerstes Mittel in Betracht. Vorrangig müsse das [X.] seine Kammer darauf in Anspruch nehmen, im Dachverband auf eine Beachtung des [X.] hinzuwirken. Erst wenn ein solches, gegebenenfalls gerichtlich zu [X.] Vorgehen fehlgeschlagen oder nachhaltig ohne Erfolg geblieben sei, könne ein [X.] bestehen. Dafür gebe es hier keine begründeten Anhaltspunkte. [X.] werde darauf hingewiesen, dass für Inhalt und Form der Äußerungen des [X.] zwar mittelbar die gleichen Regeln gälten wie für die Äußerungen seiner [X.]. Die im Berufungsverfahren umstrittenen Äußerungen erwiesen sich danach aber voraussichtlich als im Wesentlichen unbedenklich.

6

Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Beklagte dürfe nur einem Verband angehören, dessen Aufgaben satzungsrechtlich auf die [X.] beschränkt seien und der sich auch tatsächlich nur in diesem Rahmen betätige. Äußerungen des [X.] dürften nur Sachverhalte betreffen, die sich konkret auf die gewerbliche Wirtschaft im Bezirk der jeweiligen Mitgliedskammer auswirkten. Außerdem sei das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft nach § 1 Abs. 1 IHKG allein durch die Vollversammlungen der [X.] zu ermitteln. [X.] der Dachverband seine Aufgaben und die Grenzen der [X.] nachhaltig, verletze dies die Pflichtmitglieder der ihm angehörenden Kammern in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Trete die Kammer den Aufgabenüberschreitungen des [X.] nicht entgegen oder verteidige sie diese sogar, sei effektiver Grundrechtsschutz nur durch einen Anspruch der [X.]er auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband zu erreichen.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2009 und das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2014 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem [X.] zu erklären.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, eine Aufgabenüberschreitung des [X.] stelle die Zulässigkeit der Mitgliedschaft einer Kammer nicht in Frage. So wenig ein [X.] aus einer kompetenzwidrig handelnden Kammer austreten könne, so wenig begründe eine Aufgabenüberschreitung des [X.] einen Anspruch auf Austritt der Kammer. Einen solchen Anspruch zuzuerkennen, widerspreche dem Selbstverwaltungsrecht der Kammer und dem freien Mandat der Mitglieder der Vollversammlung des [X.]. Allenfalls bei eindeutigen, nachhaltigen, besonders schwerwiegenden strukturellen Kompetenzverstößen und deren drohender Wiederholung könne ein [X.] als äußerstes Mittel in Betracht kommen. Davon könne bei einzelnen Fehlbeurteilungen der Grenzen zulässiger Aufgabenwahrnehmung keine Rede sein. An die tatrichterliche Annahme, die übrigen Stellungnahmen des [X.] seien nach Form und Inhalt zulässig, sei das Revisionsgericht gebunden. Ein Vorbehalt der Zustimmung der Vollversammlungen der [X.], der zur Handlungsunfähigkeit des [X.] führe, lasse sich rechtlich nicht begründen.

Der Vertreter des [X.] beim [X.] unterstützt die Revision, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf einer unrichtigen Anwendung von Art. 2 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern ([X.]) in der im [X.] [X.], [X.]. 701-1 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 254 der Verordnung vom 31. August 2015 ([X.] I S. 1474) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Da seine Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung zulassen, war das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

1. Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin als Pflichtmitglied der beklagten Kammer gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG das Recht zusteht, [X.] ihrer Kammer abzuwehren (dazu unten a). Daraus folgert es zutreffend, dass der Klägerin ein Anspruch auf Beendigung der Mitgliedschaft der [X.] in einem privatrechtlich organisierten Dachverband zustehen kann, wenn dieser sich außerhalb des Rahmens der [X.] betätigt (dazu unten b). Entgegen dem angegriffenen Urteil kommt ein [X.] in solchen Fällen aber nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur als ultima ratio in Betracht. Er setzt insbesondere keine vorrangige Inanspruchnahme der Kammer voraus und verlangt auch nicht, dass ein Vorgehen gegen diese mit dem Ziel, den Dachverband intern zur Wahrung der [X.] seiner [X.] anhalten zu lassen, gescheitert oder ohne nachhaltigen Erfolg geblieben ist. Vielmehr besteht ein [X.] schon dann, wenn es sich bei der Aufgabenüberschreitung nicht um einen atypischen "Ausreißer" handelt, sondern die konkrete Gefahr erneuter Betätigung jenseits der Kammerkompetenz besteht (dazu unten c).

a) Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG gibt dem Grundrechtsträger das Recht zur Abwehr "unnötiger" Zwangsverbände. Die Begründung und die Ausgestaltung der [X.]chaft in einem solchen Verband müssen durch formelles Gesetz gedeckt und verhältnismäßig sein. Das gilt auch für die [X.]chaft in der Industrie- und Handelskammer.

Nach § 1 Abs. 1 [X.] ist den Kammern die verfassungsrechtlich legitime Aufgabe übertragen, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Als Berater der Behörden sollen sie den Sachverstand und die Interessen der Kammermitglieder gebündelt, strukturiert und ausgewogen in [X.] des Staates einbringen. Darüber hinaus entlasten sie den Staat durch eine dezentrale, partizipative Erfüllung von Aufgaben im Bereich der Wirtschaftsverwaltung. Die Kombination beider Aufgabenzuweisungen rechtfertigt die Inanspruchnahme der Pflichtmitglieder zur Sicherung einer dem Gesamtinteresse und dem Gemeinwohl verpflichteten, repräsentativen Selbstverwaltungstätigkeit, die sich von einer reinen, auch privatrechtlich und auf freiwilliger Basis zu organisierenden Interessenvertretung unterscheidet ([X.], [X.] vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002, 335 <336 f.>). Überschreitet die Kammer die ihr verfassungskonform zugewiesenen Kompetenzen, greift sie ohne gesetzliche Grundlage in die allgemeine Handlungsfreiheit ihrer Pflichtmitglieder ein. Diesen gibt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht, [X.] der Kammer abzuwehren, und zwar unabhängig davon, ob sie durch die Kompetenzüberschreitung einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder faktischen Nachteil erleiden ([X.], [X.] vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002, 335 <337>; BVerwG, Urteile vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <72> und vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - NVwZ-RR 2010, 882 Rn. 21).

b) Die Bindung der Kammern an die gesetzlichen Kompetenzzuweisungen und -grenzen gilt uneingeschränkt auch dann, wenn sie sich für die gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung eines privatrechtlich organisierten [X.] bedienen. Zwar werden die Aufgaben eines solchen Verbandes selbst - im Unterschied zu denen seiner [X.] - nicht durch § 1 Abs. 1 [X.] geregelt und begrenzt. Die an die Kompetenzregelung gebundenen Kammern dürfen sich aber an dem Verband nur beteiligen, wenn dessen Tätigkeit sich im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen hält.

Das den Kammern gesetzlich verliehene Selbstverwaltungsrecht (§§ 1, 4 [X.]) gestattet es ihnen, zur gemeinsamen Wahrnehmung des [X.] ihrer Mitglieder einen privatrechtlich organisierten Dachverband zu gründen und sich an einem solchen Verband zu beteiligen, wenn die Rechtsgrenzen der Kammertätigkeit gewahrt bleiben. § 10 [X.] steht dem nicht entgegen. Er ermächtigt zur Kooperation bei der Erfüllung von [X.], ohne einen privatrechtlichen Zusammenschluss zur Wahrnehmung anderer Aufgaben zu hindern. Ein solcher Zusammenschluss erweitert allerdings nicht die Kompetenzen der einzelnen [X.]. Diese dürfen auch gemeinschaftlich keine anderen als die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen. Sie dürfen dem Dachverband mangels gesetzlicher Ermächtigung zur [X.] keine eigenen Aufgaben übertragen. Vielmehr bleiben sie selbst für die Aufgabenerledigung zuständig und dafür verantwortlich, dass die Verbandstätigkeit die Grenzen der Kammerkompetenz wahrt.

Für die Tätigkeit eines Verbandes mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <72>) gilt das ebenso wie für einen nicht rechtsfähigen Verband (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - NVwZ-RR 2010, 882, Rn. 21). Die Kammern können sich ihrer grundrechtlichen Bindung an Art. 2 Abs. 1 GG und ihrer gesetzlichen Bindung an die Kompetenzregelung des § 1 Abs. 1 [X.] auch dann nicht durch einen Zusammenschluss entledigen, wenn dieser rechtlich verselbständigt ist. Sie dürfen sich daher nicht an einer juristischen Person des Privatrechts beteiligen, die satzungsgemäß Aufgaben jenseits der [X.] wahrnimmt. Ebenso wenig dürfen sie einem Verband angehören, der sich trotz [X.] satzungsrechtlicher Aufgabenzuweisung jenseits des Kompetenzrahmens der Kammern betätigt. In diesem Fall läge ein faktischer Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Pflichtmitglieder der dem Verband angehörenden Kammern vor, der mangels gesetzlicher Grundlage verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt wäre. Für die Beurteilung, ob die Tätigkeit eines Zusammenschlusses noch von der Kompetenz seiner [X.] gedeckt wird, ist daher nicht allein auf die satzungsrechtlichen Aufgaben des Verbandes, sondern auch auf dessen faktisches Handeln abzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 1981 - 5 C 56.79 - BVerwGE 64, 298 <307> und vom 10. Juni 1986 - 1 C 9.86 - NJW 1987, 337; [X.], Urteil vom 5. März 1974 - OVG Bf. [X.] 9/72 - [X.]. [X.] 1974, 181 <183 f.>; [X.], Urteil vom 13. Dezember 1978 - [X.]/77 - [X.] 1979, 113 <114>; [X.], Urteil vom 9. Dezember 1999 - 8 A 395/97 - NWVBl. 2000, 425 <428 f.>; [X.], Beschluss vom 15. Januar 2004 - 8 [X.]/03 - NVwZ-RR 2004, 348 <351>; [X.], Urteil vom 29. Juli 2004 - 11 UE 4505/98 - juris Rn. 25; [X.]-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 7 B 4.05 - [X.] Bln. 27, 372 <381 f.>).

c) Betätigt sich der Dachverband in einer Weise, die faktisch seine Aufgaben und zugleich den Kompetenzrahmen seiner [X.] überschreitet, ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Anspruch jedes Kammermitglieds auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband, wenn die kompetenzwidrige Tätigkeit sich nicht als atypischer "Ausreißer" darstellt, sondern die konkrete Gefahr erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns besteht. Wie jeder grundrechtliche Unterlassungsanspruch setzt der [X.] nur voraus, dass dem Betroffenen konkret eine rechtswidrige Beeinträchtigung seines Grundrechts droht (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 <77 f.> und vom 20. November 2014 - 3 C 27.13 - [X.] 418.32 [X.] Rn. 11, je m.w.N.). Dazu genügt die konkrete Wahrscheinlichkeit einer künftigen, den Rahmen der Kammerkompetenz überschreitenden Tätigkeit des [X.].

Aus der Rechtsprechung des [X.] ergibt sich nichts anderes. Dieser misst die Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft in einem Dachverband ebenfalls an den [X.] der [X.]. Er verneint lediglich einen [X.] bei faktischen [X.] in Einzelfällen, denen durch verbandsinterne Kontrolle zu begegnen ist ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 1995 - [X.] - NJW 1996, 1899 f.). Damit schließt er einen [X.] in anderen Fällen, in denen eine verbandsintern nicht zu bannende Wiederholungsgefahr besteht, nicht aus.

Ein Anspruch des Kammermitglieds auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Anspruch des Kammermitglieds auf den Austritt aus der Kammer selbst ausgeschlossen ist (so [X.], Urteil vom 23. Dezember 1992 - 11 A 10144/92 - [X.] 1993, 289 <290>). Die [X.]chaft in der Kammer, aus der sich das Fehlen eines Austrittsrechts ergibt, ist gesetzlich geregelt und in diesem Umfang verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Einer gesetzwidrigen Ausdehnung der Inanspruchnahme des [X.] durch eine unzulässige Aufgabenanmaßung, die durch Zugehörigkeit einer Kammer zu einem Dachverband vermittelt wird, der sich außerhalb des Aufgabenbereichs der Kammer betätigt, fehlt diese Rechtfertigung. Der von der [X.] gezogene Vergleich zum Fehlen eines Anspruchs der Gemeindebürger auf Ausscheiden ihrer Gemeinde aus einem rechtswidrigen Zweckverband überzeugt ebenfalls nicht. Art. 2 Abs. 1 GG vermittelt zwar den Pflichtmitgliedern gesetzlich errichteter Zwangskörperschaften, nicht jedoch den Bürgern der verfassungsrechtlich als Hoheitsträger anerkannten Kommunen einen Anspruch auf kompetenzgemäßes Handeln ihrer Körperschaft (BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <72>).

Der Auffassung des Berufungsurteils, der [X.] des Kammermitglieds aus Art. 2 Abs. 1 GG werde durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt und könne erst entstehen, wenn die Kammer erfolglos zum Einschreiten gegen den Dachverband angehalten worden sei, vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen. Das grundrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot ist nicht einschlägig, weil die Kammer sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben aus § 1 Abs. 1 [X.] nicht auf eigene Grundrechte berufen kann. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts stehen nach Art. 19 Abs. 3 GG bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben grundsätzlich keine Grundrechte zu. Etwas anderes gilt nur, wenn sie - wie etwa die Universitäten oder die Rundfunkanstalten - ausnahmsweise unmittelbar dem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet sind ([X.], Beschluss vom 9. April 1975 - 2 BvR 879/73 - [X.]E 39, 302 <312 f.> m.w.N.; [X.] vom 31. Januar 2008 - 1 BvR 2156/02, 1 BvR 2206/02 - [X.]K 13, 276 f.). Das ist hier nicht der Fall. Die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern nach § 1 Abs. 1 [X.] dient nicht der gemeinsamen Grundrechtsausübung ihrer Mitglieder, sondern der Entlastung der staatlichen Behörden durch sachkundige Politikberatung und die dezentralisierte Wahrnehmung von Aufgaben der Wirtschaftsförderung. Als dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts können die Kammern nicht zugleich Grundrechtsverpflichtete und Grundrechtsträger sein. Die Befugnis der Kammern, die Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 1 Abs. 1 [X.] zu organisieren, ist gegenüber den Kammermitgliedern auch nicht durch ein grundrechtsunabhängig herzuleitendes, rechtsstaatliches Verhältnismäßigkeitsprinzip geschützt. Sie besteht nur aufgrund gesetzlicher Kompetenzzuweisung und nur in deren Rahmen. Der rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann die [X.] nicht relativieren, weil deren Beachtung ebenfalls ein Element der Rechtsstaatlichkeit ist (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 1978 - [X.]/77 - [X.] 1979, 113 <115>).

Unabhängig davon wäre das von der Vorinstanz für vorrangig gehaltene Vorgehen gegen die Kammer mit dem Ziel, diese zum verbandsinternen Vorgehen gegen [X.] des [X.] anzuhalten, wegen der Rechtsstellung der [X.] im Verband ungeeignet, einen effektiven Grundrechtsschutz der Kammermitglieder zu gewährleisten. Die Verbandssatzung gibt der einzelnen Mitgliedskammer kein Initiativrecht in der Vollversammlung, geschweige denn ein Vetorecht gegen [X.]. Ohne mehrheitliche Unterstützung in der Vollversammlung könnte die Mitgliedskammer deshalb nur formlos - und absehbar fruchtlos - gegen [X.] protestieren. [X.] besteht ebenfalls kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des einzelnen Verbandsmitglieds auf Unterlassen satzungswidriger Tätigkeiten des Verbandes (vgl. [X.], Urteil vom 25. Februar 1982 - [X.] - NJW 1982, 1703 <1706>; [X.], Urteil vom 6. Februar 1997 - 2-23 O 374/96 - NJW-RR 1998, 396; [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 7. Aufl. 2015, § 38 Rn. 27, 30 f.; vgl. Rn. 7 zur Ablehnung einer actio pro socio), jedenfalls solange die Satzung des [X.] nicht begründet.

Ein [X.] ist auch nicht erst bei andauernden, beharrlichen und schwerwiegenden [X.] des [X.] anzuerkennen (vgl. [X.], Urteil vom 5. März 1974 - OVG Bf. [X.] 9/72 - [X.]. [X.] 1974, 181 <184>; [X.], Urteil vom 9. Dezember 1999 - 8 A 395/97 - NWVBl. 2000, 425 <428 f.>; [X.], Urteil vom 29. Juli 2004 - 11 UE 4505/98 - juris Rn. 27; [X.]-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 7 B 4.05 - [X.] Bln. 27, 372 <381 f.>). Der grundrechtliche Schutz der Kammermitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG bewahrt vor jeder rechtswidrigen Inanspruchnahme und nicht nur vor qualifizierten Rechtsverstößen. Solche Rechtsverstöße sind auch nicht erforderlich, um die den [X.] auslösende Wiederholungsgefahr zu begründen. Die konkrete Wahrscheinlichkeit künftiger [X.] kann sich nicht allein aus ständigen und schwerwiegenden Kompetenzverletzungen ergeben, sondern ebenso aus schlichten [X.], die über vereinzelte, für die Verbandspraxis atypische "Ausreißer" hinausgehen. Eine Wiederholungsgefahr ist auch nicht nur zu bejahen, wenn künftig eine völlig gleichartige Aufgabenüberschreitung droht, da der effektive Grundrechtsschutz sonst durch ständiges Variieren der [X.] zu vereiteln wäre. Maßgeblich ist allein, ob mit einer erneuten Missachtung der [X.] zu rechnen ist oder ob davon ausgegangen werden kann, dass weitere Verstöße unterbleiben, etwa weil sie verbandsintern zuverlässig verhindert werden.

Dies erfordert eine tatrichterliche Prognose, die sämtliche Indizien für und gegen die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Grundrechtsverletzung in Betracht zieht. Als Indizien für das Drohen eines erneuten Kompetenzverstoßes kommen mehrfache oder gar häufige Missachtungen der [X.] in Betracht, ebenso der Mangel an Einsicht in vergangene [X.] und die Weigerung, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Überschreitungen zu treffen. Gegen eine Wiederholungsgefahr spricht hingegen, wenn der Dachverband die Kritik an einer Aufgabenüberschreitung konstruktiv aufgenommen, sich davon distanziert und geeignete Vorkehrungen gegen einen erneuten Kompetenzverstoß getroffen hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Verband den [X.] und deren Pflichtmitgliedern die Möglichkeit eröffnet, künftige Überschreitungen der [X.] wirksam zu unterbinden. Davon kann beispielsweise ausgegangen werden, wenn die Verbandssatzung den einzelnen Pflichtmitgliedern der [X.] ein Recht zur Klage gegen den Verband auf Unterlassen von (weiteren) Überschreitungen der Kammerkompetenz einräumt. Gegen eine Wiederholungsgefahr kann auch die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle im Verband sprechen, wenn diese einen wirksamen, effektiven Schutz vor einer Verbandstätigkeit jenseits der [X.] gewährleistet, der von jedem Pflichtmitglied einer Mitgliedskammer verbandsintern sowie notfalls gerichtlich durchsetzbar ist. Insoweit dürfte es nicht ausreichen, wenn die Ombudsstelle [X.] nur nachträglich beanstanden, künftige aber nicht verhindern kann, oder wenn ihr Tätigwerden nicht von den Mitgliedern der [X.] durchgesetzt werden kann. Soll die Ombudsstelle einen effektiven Grundrechtsschutz verwirklichen, muss sie hierauf verpflichtet sowie mit zweckentsprechenden, umfassenden Informations-, Teilnahme-, Anhörungs-, und Beanstandungsrechten gegenüber allen Verbandsorganen einschließlich des Vorstands ausgestattet sein und über ein Klagerecht gegen [X.] verfügen.

2. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, an die der Senat mangels Verfahrensrügen nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, besteht ein Austrittsrecht der Klägerin nicht schon unter dem Gesichtspunkt unzulässiger [X.] oder wegen die [X.] [X.] satzungsrechtlicher Aufgabenzuweisungen an den [X.].

a) Eine [X.] hat nicht stattgefunden. Die Beklagte und die übrigen [X.] des [X.] sind weiterhin für alle den Kammern gesetzlich übertragenen Aufgaben zuständig. Sie bedienen sich des [X.] nur zur gemeinschaftlichen Erfüllung der Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen jeweils zugehörigen Gewerbetreibenden in Angelegenheiten, die mehr als einen Kammerbezirk betreffen, gegenüber nationalen und supranationalen Stellen wahrzunehmen. Das ergibt sich aus § 1 der [X.]-Satzung. Das Berufungsgericht hat diese irrevisible Bestimmung ohne Verstoß gegen [X.] Recht dahin verstanden, dass nicht die Zuständigkeit für die Gesamtinteressenwahrnehmung auf den Dachverband verlagert wird, sondern dieser nur bestimmte Tätigkeiten zur Erfüllung dieser Aufgabe seiner [X.] übernimmt. Die Kammern bedienen sich danach zur Wahrnehmung des [X.] ihrer jeweiligen Mitglieder in Fragen, die mehr als einen Kammerbezirk betreffen, des [X.] als eines "Erfüllungsgehilfen", der die regional ermittelten Gesamtinteressen in der Vollversammlung seiner [X.] (§ 6 ff. der [X.]-Satzung) und dem repräsentativ zusammengesetzten Vorstand (§ 9 Abs. 2 und 3 der [X.]-Satzung) auf [X.] bündelt und strukturiert, gemeinsame Standpunkte zusammenfasst und durch seinen Präsidenten (§ 13 der [X.]-Satzung) gegenüber den politischen Akteuren auf [X.] vertritt. Aus der satzungsrechtlichen Bindung der [X.] an bestimmte mit [X.] gefasste Beschlüsse der Vollversammlung des Verbandes (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 2 der [X.]-Satzung) folgt ebenfalls keine unzulässige Delegation. Nach der revisionsrechtlich fehlerfreien berufungsgerichtlichen Auslegung dieser Bestimmung wird damit nur eine verbandsinterne Bindung normiert, die sich nicht auf [X.] der Kammer - etwa in ihrer Aufgabenwahrnehmung gegenüber [X.] - erstreckt und darüber hinaus nach § 3 Abs. 5 Satz 3 der [X.]-Satzung durch abweichenden Beschluss der Mitgliedskammer zu beseitigen ist.

b) Der [X.] hat seiner Satzung zufolge auch keine Aufgaben wahrzunehmen, die den Rahmen der Kompetenzen seiner [X.] überschreiten.

aa) Nach § 1 Abs. 1 [X.] haben die Industrie- und Handelskammern das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten oder Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten. Die Beschränkung auf die Wahrnehmung des [X.] der Pflichtmitglieder des jeweiligen Kammerbezirks schließt Äußerungen gegenüber nationalen und supranationalen Stellen nicht aus, da die Interessen der Kammerzugehörigen auch durch deren Entscheidungen und nicht nur durch regionale Sachverhalte betroffen werden können.

§ 1 Abs. 1 [X.] erlaubt den Kammern allerdings nur Äußerungen zu Sachverhalten, die spezifische Auswirkungen auf die Wirtschaft im jeweiligen Kammerbezirk haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 23 ff., 30 f.). Dagegen genügt nicht, dass die Folgen einer politischen Entscheidung in irgendeiner weiteren Weise auch die Wirtschaft berühren oder dass die Gewerbetreibenden im Kammerbezirk davon ebenso betroffen sind wie Andere (BVerwG, Urteile vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <74 f.> und vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 24, 30 ff.). Der erforderliche spezifische Wirtschaftsbezug muss sich aus der Äußerung selbst, ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 31). Er muss umso genauer dargelegt werden, je weniger offenkundig er ist. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen fällt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 5 [X.] nicht in die Zuständigkeit der Kammern. Diese Interessenvertretung ist Gegenstand der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger sowie der grundrechtlich geschützten Tätigkeit freiwilliger Vereinigungen wie etwa der freien Wohlfahrtsverbände und der Tarifpartner.

Aus § 1 Abs. 1 [X.] ergeben sich auch Vorgaben für die Art und Weise der Gesamtinteressenwahrnehmung. Aus der Verpflichtung, die Interessen der Kammermitglieder und der verschiedenen Branchen und Betriebe abzuwägen und auszugleichen, folgt die Pflicht, das Gesamtinteresse innerhalb der jeweiligen Kammer grundsätzlich im Prozess repräsentativer Willensbildung durch die Vollversammlung zu ermitteln und dabei die satzungsrechtlichen Verfahrensregeln zu beachten (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.]; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 34 f.). Die Aufgabe, die Behörden durch die Darstellung des [X.] in Vorschlägen, Gutachten oder Berichten zu unterstützen und zu beraten, verlangt von den Kammern, bei allen Äußerungen Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung zu wahren. [X.] überspitzte Äußerungen oder Stellungnahmen, die auf eine emotionalisierte Konfliktaustragung zielen, sind unzulässig. Äußerungen zu besonders umstrittenen Themen müssen die nach § 1 Abs. 1 [X.] erforderliche Abwägung erkennen lassen. Bei Mehrheitsentscheidungen sind gegebenenfalls beachtliche [X.] darzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 32 f.). Dazu zählen nicht nur Minderheitsauffassungen, die von einem beachtlichen Teil der Stimmen vertreten werden, sondern auch Positionen partikulärer Wirtschaftsstrukturen, etwa einer Gruppe von Branchen, von regionalen Wirtschaftszweigen oder von Betrieben einer bestimmten Größenordnung.

bb) [X.] an den [X.] halten sich innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens. Das ergibt sich aus der näheren Auslegung der Satzungsbestimmungen, die das Revisionsgericht vornehmen darf, weil das Berufungsgericht keine solche, nach § 137 Abs. 2 VwGO bindende Auslegung vorgenommen hat.

§ 1 der [X.]-Satzung übernimmt mit dem Rechtsbegriff des [X.] (§ 1 Abs. 1 [X.]) die durch diesen gezogenen, soeben dargestellten Grenzen zulässiger Interessenwahrnehmung. Das schließt das Verbot einer Vertretung sozialpolitischer oder arbeitsrechtlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 5 [X.] mit ein, da diese Vorschrift das nach § 1 Abs. 1 [X.] wahrzunehmende Gesamtinteresse einschränkend konkretisiert. § 1 Abs. 3 der Satzung, der mit der allgemein- und insbesondere parteipolitischen Betätigung nur bestimmte, thematisch eindeutig kompetenzwidrige Tätigkeiten verbietet, ist danach nicht als abschließende Regelung, sondern nur als Bekräftigung bestimmter Grenzen zulässiger Betätigung zu verstehen. § 1 Abs. 1 der Satzung übernimmt mit dem Begriff des [X.] auch die daraus abzuleitenden Anforderungen an die Art und Weise der Gesamtinteressenwahrnehmung einschließlich der Verpflichtung zu Objektivität, Sachlichkeit und Zurückhaltung sowie zur Darstellung beachtlicher [X.]. Der systematische Zusammenhang mit den Regelungen zur repräsentativen Willensbildung des [X.] und der Richtlinienkompetenz seiner Vollversammlung (§ 6 Abs. 2, § 9 Abs. 1 der Satzung) bestätigt, dass sich die Interessenvertretung durch den Verband auf die gemeinschaftliche Wahrnehmung des [X.] der Zugehörigen der [X.] im Sinne des § 1 Abs. 1 [X.] beschränken soll.

3. Ob die weitere Mitgliedschaft der [X.] im [X.] kompetenz- und damit grundrechtswidrig ist, weil der Verband seine Aufgaben faktisch in einer Weise überschritten hat, die auf die konkrete Gefahr erneuter Betätigung jenseits der [X.] schließen lässt, ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht abschließend zu entscheiden. Zwar ergibt sich daraus, dass die Äußerungen des [X.] in der Vergangenheit mehrfach und keineswegs nur in isolierten, für die Verbandspraxis atypischen Ausnahmefällen ("Ausreißern") die gesetzliche Kammerkompetenz zur Gesamtinteressenwahrnehmung überschritten haben. Die Beurteilung der Wiederholungsgefahr erfordert aber eine Prognose, die das Berufungsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht vorgenommen hat und die das Revisionsgericht mangels hinlänglicher Feststellungen zu den maßgeblichen Indizien nicht selbst vornehmen kann.

a) Von den im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden, bis zum Abschluss der Berufungsinstanz in das Verfahren eingeführten Äußerungen des [X.] gehen viele thematisch über die gesetzlichen Grenzen der Kompetenz zur Gesamtinteressenwahrnehmung hinaus. Die bildungspolitische Forderung nach der Einführung von Studiengebühren, die Äußerungen zur Hochschulfinanzierung und die Kritik am föderalen Bildungssystem ([X.]-Positionspapier vom Februar 2005; Newsletter aus der [X.] von März bis August 2013) waren mangels Darlegung eines Wirtschaftsbezugs thematisch ebenso unzulässig wie die Äußerungen zum Hochwasserschutz (Newsletter vom Juli 2013), die keine über die Betroffenheit aller Anlieger hinausgehende wirtschaftsspezifische Betroffenheit deutlich machten. Dagegen war das Befürworten von Ganztagsschulen und von dualen Studiengängen (Newsletter vom März und August 2013) von der Kammerkompetenz gedeckt. Die konkreten Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft ergaben sich im ersten Fall aus dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Integration beider Elternteile in das Erwerbsleben und im zweiten aus der Erwähnung von Vorteilen der praxisbezogenen Hochschulausbildung für die mittelständische Wirtschaft.

Als kompetenzwidrige allgemeinpolitische Aussagen stellen sich demgegenüber die Äußerungen des damaligen Präsidenten des [X.] zum außenpolitischen Auftreten der Bundeskanzlerin und zur Ratsamkeit eines [X.] ([X.] vom 18. Juni 2007) dar. Interviews, die mit dem Präsidenten des [X.] in dieser Eigenschaft geführt werden, sind dem Verband als eigene Äußerungen zuzurechnen. Inwieweit eine Zurechnung ausscheidet, wenn einzelne Äußerungen im Kontext eines solchen Interviews ausdrücklich als private Meinungskundgabe gekennzeichnet werden, ist hier nicht zu entscheiden, weil kein solcher Fall vorliegt.

Die Stellungnahmen gegen die Einführung des Mindestlohns in [X.], gegen die sogenannte Mütterrente, die Sozialagenda und die Herabsetzung des regulären Renteneintrittsalters auf die Vollendung des 63. Lebensjahres ([X.] vom 11. Juni 2013) waren ungeachtet ihres Bezugs zur Wirtschaft in den Kammerbezirken nicht mehr von der Kammerkompetenz gedeckt, weil sie sich als unzulässige Wahrnehmung arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Interessen im Sinne des § 1 Abs. 5 [X.] darstellen. Entgegen der Auffassung der [X.] ist auch eine - von ihr so bezeichnete - mittelbare Vertretung dieser Interessen durch die Kammern gesetzlich ausgeschlossen.

Um unzulässige allgemeinpolitische Stellungnahmen handelte es sich darüber hinaus bei den Äußerungen zur wirtschaftlichen und innenpolitischen Situation der [X.] ([X.], "International Aktuell" 07/2013 vom 6. Dezember 2013). Weder aus ihrem Inhalt noch aus ihrer Begründung oder dem textlichen Zusammenhang ergeben sich konkrete Auswirkungen der kommentierten Sachverhalte auf die Wirtschaft in den Bezirken mehrerer [X.] des [X.]. Überdies widersprachen diese Äußerungen dem Gebot der Objektivität sowie der Verpflichtung zu Sachlichkeit und Zurückhaltung, soweit sie der [X.] eine "Bildungsmisere" attestierten und deren Verwaltung als "Investitionshemmnis" bezeichneten.

Von den Aussagen zur Steuer- und zur Energiepolitik sind diejenigen, die mit konkreten Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft in den [X.] - wie etwa der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen - begründet wurden, thematisch nicht zu beanstanden. Allerdings missachteten einige dieser Aussagen das Gebot der Objektivität und Sachlichkeit. Das gilt etwa für die Kommentierung einer steuerpolitischen Forderung als "der reine Wahnsinn" ([X.] vom 11. Juni 2013) sowie für die Gleichsetzung des Klimaschutzes mit einer Minderung der Lebensqualität, illustriert durch die polemische Frage, ob wir wieder mit 34 PS über die [X.] nach [X.] fahren wollten ([X.] vom 8. Juli 2007).

Wegen ihrer Einseitigkeit unzulässig waren schließlich die Forderungen, die sich gegen den Ausstieg aus der Kernenergie richteten, ohne die in den Kammerbezirken vertretenen Gegenauffassungen darzustellen und eine Abwägung der widerstreitenden Positionen erkennen zu lassen. Da die Frage, welche Mischung von Energieträgern eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Energieversorgung gewährleisten kann, in der Öffentlichkeit und auch in der Wirtschaft höchst umstritten ist, dürfen die Kammern ihre [X.] dazu nicht apodiktisch mitteilen, sondern müssen zugleich die Minderheitsauffassung(en) offenlegen und die zur [X.] führende Abwägung der verschiedenen Positionen erkennbar machen. Das gilt auch für die gemeinschaftliche Gesamtinteressenwahrnehmung durch den Dachverband.

Weitere Verstöße gegen § 1 Abs. 1 [X.] folgen nicht schon daraus, dass der [X.] nicht vor jeder Äußerung eine Zustimmung der Vollversammlungen sämtlicher [X.] eingeholt hat. Die Vorschrift verlangt zwar, das von der Mitgliedskammer zu vertretende Gesamtinteresse grundsätzlich in der Vollversammlung der Kammer zu ermitteln. Sie schließt jedoch nicht aus, dass die Kammer dieses Interesse zwecks Erarbeitung und Vertretung gemeinsamer Standpunkte in den Willensbildungsprozess eines kompetenzkonform gegründeten [X.] mit einbringt und dessen Zusammenfassung der Kammerstandpunkte ohne - erneute - Abstimmung in der eigenen Vollversammlung mitträgt.

b) Ob die konkrete Gefahr erneuten die [X.] überschreitenden Handelns des [X.] besteht, kann nur aufgrund einer Würdigung sämtlicher in Betracht kommender Indizien für und gegen das Bestehen einer solchen Wiederholungsgefahr entschieden werden. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ermöglichen dies nicht. Zwar ergeben sich aus ihnen, wie gezeigt, diverse Missachtungen des Verbots allgemeinpolitischer Aussagen und mehrere Verstöße gegen die Pflicht zu Objektivität, Sachlichkeit und Zurückhaltung sowie einige einseitige Stellungnahmen. Es fehlen aber Feststellungen zu den Reaktionen des [X.] - und nicht nur der [X.] - auf die Kritik an seinen Äußerungen. Insbesondere ist bislang nicht geklärt, ob und gegebenenfalls wie verbandsintern ein wirksamer und effektiver, für die Pflichtmitglieder der Kammern verfügbarer Schutz gegen solche grundrechtswidrigen [X.] gewährleistet wird. Aus dem Fehlen ausdrücklicher Satzungsregelungen dazu und dem Fehlen entsprechender berufungsgerichtlicher Feststellungen kann noch nicht auf das tatsächliche Fehlen eines ausreichenden Schutzes geschlossen werden, da das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keinen Anlass hatte, entsprechende Ermittlungen unter Berücksichtigung der oben dargelegten Anforderungen an den erforderlichen Schutzstandard anzustellen.

Meta

10 C 4/15

23.03.2016

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. Mai 2014, Az: 16 A 1499/09, Urteil

§ 1 Abs 1 IHKG, § 1 Abs 5 IHKG, § 10 IHKG, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.03.2016, Az. 10 C 4/15 (REWIS RS 2016, 13983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13983

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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