Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2010, Az. III R 63/09

3. Senat | REWIS RS 2010, 5760

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Gegenstand

(Kein Abzug von Beiträgen zur VBL-Pflichtversicherung im Rahmen der Grenzbetragsprüfung bei gesetzlicher Rentenversicherung des Kindes - Einzelfallbezogene Prüfung der Notwendigkeit verfassungskonform einschränkender Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG)


Leitsatz

NV: Beiträge des Kindes zur tarifvertraglich vorgesehenen VBL-Pflichtversicherung sind bei der Grenzbetragsprüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht von dessen Einkünften und/oder Bezügen abzuziehen, wenn das Kind gesetzlich rentenversichert ist .

Tatbestand

1

I. Der im Jahr 1984 geborene [X.] ([X.]) des [X.] und Revisionsbeklagten (Kläger) absolvierte im gesamten [X.]treitjahr 2005 eine Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten Informatik. In diesem Jahr erzielte [X.] einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 11.128,33 €. Der Arbeitnehmeranteil zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag belief sich auf 2.410,70 €.

2

Der Arbeitgeber führte für [X.] Beiträge in Höhe von 156,83 € an die [X.] und der Länder ([X.]) für die Pflichtversicherung [X.]klassik ab. Diese Pflichtversicherung ist für Beschäftigte von Arbeitgebern, die --wie der Arbeitgeber des [X.]-- eine Beteiligungsvereinbarung mit der [X.] abgeschlossen haben, tarifvertraglich vorgeschrieben. § 3 des Ausbildungsvertrags des [X.] vom 22. Juli 2003 sieht vor, dass sich das Berufsausbildungsverhältnis (auch) nach den Vorschriften des Manteltarifvertrags für Auszubildende vom 6. Dezember 1974 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen richtet.

3

Mit Bescheid vom 13. März 2007 lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) den Antrag des [X.] auf Kindergeld für [X.] ab, weil nach ihren Berechnungen die Einkünfte und Bezüge des [X.] im [X.] den maßgeblichen Grenzbetrag überstiegen. Der Einspruch war erfolglos.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage durch Urteil vom 28. August 2009  5 K 1568/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 61) statt und verpflichtete die Familienkasse, an den Kläger für das Kalenderjahr 2005 Kindergeld in Höhe von 1.848 € zu zahlen. Zur Begründung führte es aus, die Einkünfte und Bezüge des [X.] lägen für das [X.] unter dem maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 €. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des [X.] ([X.]) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 ([X.]E 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) seien die Beiträge zur [X.] von den Einkünften abzusetzen. Diese Beiträge seien den Beiträgen zur gesetzlichen [X.]ozialversicherung vergleichbar. Für [X.] handele es sich um eine Pflichtversicherung, auch wenn die Pflicht zur Beitragszahlung an die [X.] nicht gesetzlich geregelt sei. Es bestehe eine tarifvertragliche Versicherungspflicht, da sein Arbeitgeber der [X.] durch Beteiligungsvereinbarung beigetreten sei. [X.] könne sich der Pflicht zur Beitragszahlung nicht durch eigene Willensentscheidung entziehen. Die [X.]-Beiträge seien für ihn nicht verfügbar gewesen.

5

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das [X.]treitjahr 2005 geltenden Fassung (E[X.]tG).

6

[X.]ie beantragt, das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Er trägt vor, das [X.] habe die Abziehbarkeit der [X.]-Beiträge zu Recht bejaht. Hilfsweise bringt er vor, auch die Zweitwohnungsteuer in Höhe von 192 € und die Lohnsteuer in Höhe von 43 € seien abziehbar. Durch den Zweitwohnsitz am Ausbildungsort habe [X.] vermieden, dass über den [X.] von 920 € hinaus Werbungskosten entstanden seien. Der Kläger wendet sich außerdem gegen die Ausgestaltung des Grenzbetrags als Freigrenze ("Fallbeilwirkung").

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der [X.]ache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge die Einkünfte um die [X.] zu mindern sind.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG besteht für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat.

2. Der Begriff der Einkünfte i.[X.]. von § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG entspricht dem in § 2 Abs. 2 E[X.]tG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]enatsurteil vom 29. Mai 2008 [X.]/06, [X.], 1664). Nach dem Beschluss des [X.] in [X.]E 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der "tradierten steuerlichen Terminologie" abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.

3. Nach Auffassung des [X.] verstößt jedoch die Berücksichtigung der --einkommensteuerrechtlich den [X.]onderausgaben zuzurechnenden-- [X.]ozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den [X.] nur wegen der als Einkünfte behandelten [X.]ozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den [X.] nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG Einkünfte [X.] wie die [X.] nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Offen bleiben könne, "in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden" sei. Jedenfalls seien diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen [X.] "von Gesetzes wegen" dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stünden und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten, nicht als Einkünfte anzusetzen. Es ist daher jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Einkünfte i.[X.]. des § 2 Abs. 2 E[X.]tG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen.

4. Entsprechend diesen Grundsätzen hat der [X.]enat durch Urteil vom 26. [X.]eptember 2007 [X.]/07 ([X.], 112, [X.], 738) entschieden, dass die Beiträge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes zu privaten Rentenversicherungen bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge nicht von den Einkünften abzuziehen seien. Bei den Beiträgen zu privaten Rentenversicherungen eines gesetzlich rentenversicherten Kindes handele es sich nicht um unvermeidbare Aufwendungen, weil sie nicht der aktuellen Existenzsicherung des Kindes, sondern einer über das staatliche Mindestmaß hinausgehenden Versorgung für künftige Zeiten dienen.

5. Die Beiträge zur [X.] mindern die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG ebenfalls nicht, wenn das Kind --wie im [X.] in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist. Die Einbeziehung der [X.]sbeiträge in die Bemessungsgröße für den [X.] (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG) verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Eine gesetzliche Versicherungspflicht bei der [X.] bzw. eine gesetzliche Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen zur [X.] besteht nicht. Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann. Nicht entscheidend ist, ob die fraglichen Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind ([X.]enatsurteil vom 16. November 2006 [X.], [X.], 69, [X.], 527).

Im [X.]treitfall beruhen der Abschluss der Versicherung und damit auch die Entrichtung der Beiträge nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung. Vielmehr verweist der Ausbildungsvertrag des [X.] auf tarifvertragliche Vorschriften, aus denen sich die Versicherungspflicht ergibt. Durch die Bezugnahme in einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrag auf tarifliche Regelungen werden diese zum Inhalt des Ausbildungsvertrags (vgl. [X.]/[X.], § 3 TVG Rz 32). Wenn danach Anteile der Einkünfte und Bezüge als Versicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt werden, beruht dies auf Tarifvereinbarungen, die im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt werden und die sich [X.] zurechnen lassen muss.

b) Das [X.] hat die Versicherungsbeiträge zur [X.] zu Unrecht als unvermeidbare (zwangsläufige) Aufwendungen eingestuft. [X.] in diesem [X.]inne sind nur Aufwendungen für einen existenziell notwendigen Versicherungsschutz, der zur Absicherung gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens dient (vgl. [X.]enatsurteil vom 14. Dezember 2006 [X.], [X.], 225, [X.], 530).

Die [X.] ist eine gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzliche Absicherung. Ihre Leistungen bestehen nach § 25 der [X.]-[X.]atzung in der Zahlung von Betriebsrenten (Alters-, [X.] und Hinterbliebenenrente). Die [X.] deckt im Grundsatz dieselben Risiken ab wie die gesetzliche Rentenversicherung.

Auch nach den zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen sind Eltern, deren Kinder sich in Ausbildung befinden, nicht verpflichtet, die Kosten für die Alters-, [X.] und [X.] zu zahlen. Eine solche über das gesetzliche Maß hinausgehende Vorsorge gehört nicht zum Lebensbedarf des Kindes i.[X.]. des § 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. [X.]/E.Hammermann, [X.], 12. Aufl., § 1610 Rz 8 f.; MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl., § 1610 Rz 71; [X.]/[X.]/[X.] (2000), § 1610 Rz 154).

c) Nur durch die Einbeziehung der [X.] in die Bemessungsgröße für den [X.] (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG) wird eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbare Ungleichbehandlung mit den Fällen vermieden, in denen sich das Kind in Berufsausbildung befindet, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist und sich --unabhängig von einer tarifvertraglichen [X.] zusätzlich privat gegen dieselben Risiken versichert, wie sie die [X.] abdeckt. Die Beiträge zu einer solchen privaten Rentenversicherung sind bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den [X.] überschreiten, nicht abziehbar ([X.]enatsurteil in [X.], 112, [X.], 738). Wenn für die Abziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen im Ergebnis allein der Inhalt des betreffenden Tarifvertrags maßgeblich wäre, würden Eltern ungerechtfertigt benachteiligt, deren Kinder ohne eine entsprechende tarifvertragliche Vorschrift eine private Altersvorsorge treffen.

6. Da das [X.] von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben.

Die [X.]ache ist nicht spruchreif. Der [X.]enat kann nicht abschließend beurteilen, ob die Einkünfte und Bezüge des [X.] den nach § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € überschreiten.

Bei einem Abzug des [X.] nach § 9a [X.]atz 1 Nr. 1 Buchst. a E[X.]tG in Höhe von 920 € und des Arbeitnehmeranteils zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 2.410,70 € von dem Bruttoarbeitslohn des [X.] in Höhe von 11.128,33 € ergibt sich ein Betrag von 7.797,63 €.

Das [X.] hat bisher jedoch keine ausreichenden Feststellungen zur Höhe der Werbungskosten des [X.] getroffen. [X.] bezog als Auszubildender Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.[X.]. von § 19 Abs. 1 E[X.]tG und unterhielt eine Zweitwohnung am Ausbildungsort, für die eine Zweitwohnungsteuer in Höhe von 192 € anfiel. Dabei handelte es sich nach dem klägerischen Vortrag um 10 % der Nettokaltmiete. Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes hat das [X.] keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob im [X.]treitfall die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i.[X.]. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 E[X.]tG vorlagen. Diese Feststellungen sind nun nachzuholen.

Meta

III R 63/09

17.06.2010

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 28. August 2009, Az: 5 K 1568/07, Urteil

§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG, § 2 Abs 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2010, Az. III R 63/09 (REWIS RS 2010, 5760)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5760

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