Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.11.2010, Az. III R 23/10

3. Senat | REWIS RS 2010, 1033

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Gegenstand

Kein Abzug von Beiträgen zur VBL-Pflichtversicherung im Rahmen der Grenzbetragsprüfung


Leitsatz

NV: Beiträge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes zur tarifvertraglich vorgesehenen VBL-Pflichtversicherung sind bei der Grenzbetragsprüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht von dessen Einkünften und Bezügen abzuziehen .

Tatbestand

1

I. Die 1984 geborene Tochter (T) des [X.] und Revisionsbeklagten (Kläger) befand sich von September 2002 bis Juni 2005 in einer Ausbildung bei der [X.]. Ihr Berufsausbildungsvertrag verweist in seinem § 2 auf den Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Nachwuchskräfte der [X.] (Tarifvertrag) und ergänzende Tarifverträge. Von ihrem Entgelt werden aufgrund Tarifvertrags, dessen Geltung der Ausbildungsvertrag vorsieht, Arbeitnehmerbeiträge zur [X.] ([X.]) einbehalten.

2

Im Streitjahr 2004 bezog die Tochter eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 10.894 €. Die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) beliefen sich auf 2.280,46 € und die vom Arbeitgeber einbehaltenen und abgeführten Beiträge zur [X.] auf insgesamt 156,86 €. Zu den Werbungskosten für das Kalenderjahr 2004 machte der Kläger keine Angaben.

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des [X.] auf Gewährung von Kindergeld ab, weil die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Kalenderjahr 2004 mehr als 7.680 € betragen hätten. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Familienkasse führte aus, die Beiträge zur [X.] könnten nicht abgezogen werden, so dass nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und des [X.] ein zu berücksichtigendes Einkommen von 7.693,54 € verbleibe.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt. Es entschied, beim Arbeitnehmeranteil zur [X.] als nicht gesetzlicher Pflichtversicherung handele es sich für den Arbeitnehmer um unvermeidbare Aufwendungen, die den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung vergleichbar und bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes mindernd zu berücksichtigen seien.

5

Die Familienkasse rügt die unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

6

Die Familienkasse beantragt, das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Einkünfte um die [X.] zu mindern sind (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09, [X.], 142).

9

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat.

2. Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 29. Mai 2008 [X.]/06, [X.], 1664). Nach dem Beschluss des [X.] ([X.]) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 ([X.]E 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der "tradierten steuerlichen [X.]erminologie" abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.

3. Nach Auffassung des [X.] verstößt jedoch die Berücksichtigung der --einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzurechnenden-- Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den [X.] nur wegen der als Einkünfte behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den [X.] nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte [X.] wie die [X.] nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Offen bleiben könne, "in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden" sei. Jedenfalls seien diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen [X.] "von Gesetzes" wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stünden und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten, nicht als Einkünfte anzusetzen. Daher ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche [X.]eile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen.

4. Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Senat durch Urteil vom 26. September 2007 [X.]/07 ([X.], 112, [X.], 738) entschieden, dass die Beiträge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes zu privaten Rentenversicherungen bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge nicht von den Einkünften abzuziehen seien. Bei den Beiträgen zu privaten Rentenversicherungen eines gesetzlich rentenversicherten Kindes handele es sich nicht um unvermeidbare Aufwendungen, weil sie nicht der aktuellen Existenzsicherung des Kindes, sondern einer über das staatliche Mindestmaß hinausgehenden Versorgung für künftige Zeiten dienten.

5. Beiträge zur [X.] mindern daher, wie der Senat bereits mit Urteil in [X.], 142 entschieden hat, die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ebenfalls nicht, wenn das Kind --wie im [X.] in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist. Die Einbeziehung der [X.]sbeiträge in die Bemessungsgröße für den [X.] (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Eine gesetzliche Versicherungspflicht bei der [X.] bzw. eine gesetzliche Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen zur sog. [X.] besteht nicht. Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann. Nicht entscheidend ist, ob die fraglichen Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind (Senatsurteil vom 16. November 2006 [X.], [X.], 69, [X.], 527).

Im Streitfall beruhen der Abschluss der Versicherung und damit auch die Entrichtung der Beiträge nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung. Vielmehr verweist der Ausbildungsvertrag der [X.]ochter des [X.] auf tarifvertragliche Vorschriften, aus denen sich die Versicherungspflicht ergibt. Durch die Bezugnahme in einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrag auf tarifliche Regelungen werden diese zum Inhalt des Ausbildungsvertrags. Wenn danach Anteile der Einkünfte und Bezüge als Versicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt werden, beruht dies auf [X.]arifvereinbarungen, die im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt werden und die sich die [X.]ochter zurechnen lassen muss.

b) Das [X.] hat die Versicherungsbeiträge zur [X.] zu Unrecht als unvermeidbare (zwangsläufige) Aufwendungen eingestuft. [X.] in diesem Sinne sind nur Aufwendungen für einen existenziell notwendigen Versicherungsschutz, der zur Absicherung gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens dient (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 2006 [X.], [X.], 225, [X.], 530).

Die [X.] ist eine gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzliche Absicherung. Ihre Leistungen bestehen nach § 25 der [X.]-Satzung in der Zahlung von Betriebsrenten (Alters-, [X.] und Hinterbliebenenrente). Die [X.] deckt also im Grundsatz dieselben Risiken ab wie die gesetzliche Rentenversicherung.

Auch nach den zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen sind Eltern, deren Kinder sich in Ausbildung befinden, nicht verpflichtet, die Kosten für die Alters-, [X.] und [X.] zu zahlen. Eine solche über das gesetzliche Maß hinausgehende Vorsorge gehört nicht zum Lebensbedarf des Kindes i.S. des § 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. [X.]/E.Hammermann, [X.], 12. Aufl., § 1610 Rz 8 f.; MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl., § 1610 Rz 71; [X.]/[X.]/[X.] (2000), § 1610 Rz 154).

c) Nur durch die Einbeziehung der [X.] in die Bemessungsgröße für den [X.] (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) wird eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbare Ungleichbehandlung mit den Fällen vermieden, in denen sich das Kind in Berufsausbildung befindet, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist und sich --unabhängig von einer tarifvertraglichen [X.] zusätzlich privat gegen dieselben Risiken versichert, wie sie die [X.] abdeckt. Die Beiträge zu einer solchen privaten Rentenversicherung sind bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den [X.] überschreiten, nicht abziehbar (Senatsurteil in [X.], 112, [X.], 738). Wenn für die Abziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen im Ergebnis allein der Inhalt des betreffenden [X.]arifvertrags maßgeblich wäre, würden Eltern ungerechtfertigt benachteiligt, deren Kinder ohne eine entsprechende tarifvertragliche Vorschrift eine private Altersvorsorge treffen.

6. Da das [X.] von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) überstiegen die Einkünfte und Bezüge der [X.], die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet waren, den maßgeblichen [X.] von 7.680 €. Ihr Bruttoarbeitslohn von 10.894 € war um den [X.] gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG von 920 € zu mindern. Abzüglich des Arbeitnehmeranteils zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 2.280,46 € beliefen sich die Einkünfte und Bezüge der [X.] damit auf insgesamt 7.693,54 €.

Meta

III R 23/10

25.11.2010

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 18. März 2010, Az: 4 K 1343/06, Urteil

§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.11.2010, Az. III R 23/10 (REWIS RS 2010, 1033)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1033

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 167/02

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