Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2010, Az. III R 59/09

3. Senat | REWIS RS 2010, 5810

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Gegenstand

Kindergeld: Kein Abzug von Beiträgen zur VBL-Pflichtversicherung im Rahmen der Grenzbetragsprüfung bei gesetzlicher Rentenversicherung des Kindes


Leitsatz

Beiträge des Kindes zur tarifvertraglich vorgesehenen VBL-Pflichtversicherung sind bei der Grenzbetragsprüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht von dessen Einkünften und/oder Bezügen abzuziehen, wenn das Kind gesetzlich rentenversichert ist .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog für ihre im Jahr 1983 geborene [X.]ochter ([X.]) Kindergeld. [X.] wurde im Streitzeitraum Januar 2005 bis einschließlich September 2005 zur operationstechnischen Assistentin ausgebildet. Danach war [X.] bis zum Jahresende arbeitslos.

2

[X.] erzielte im Zeitraum Januar bis September 2005 einen Bruttoarbeitslohn von 8.498,79 € sowie steuerfreie Zuschläge für Sonntags-/Nachtarbeit von 30,72 €. Der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag belief sich auf 1.775,42 €. Der Arbeitgeber führte für [X.] Beiträge in Höhe von 116,20 € an die [X.] und der Länder ([X.]) für die Pflichtversicherung [X.]klassik ab. Diese Pflichtversicherung ist für Beschäftigte von Arbeitgebern, die --wie der Arbeitgeber der [X.]-- eine Beteiligungsvereinbarung mit der [X.] abgeschlossen haben, tarifvertraglich vorgeschrieben. § 3 des Ausbildungsvertrags der [X.] vom 23. August 2002 sieht vor, dass für das Ausbildungsverhältnis sinngemäß die Bestimmungen des [X.]arifvertrags zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Krankenpflegeschüler(innen) vom 3. April 1987 in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden sind.

3

Mit Bescheid vom 25. April 2006 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für [X.] ab Januar 2005 auf. Nach der Berechnung der Familienkasse überstiegen die Einkünfte und Bezüge der [X.] den maßgeblichen anteiligen Grenzbetrag. Der Einspruch war erfolglos.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage durch Urteil vom 30. Juli 2009  13 K 1831/09 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1957) statt und hob den Bescheid vom 25. April 2006 sowie die Einspruchsentscheidung auf. Zur Begründung führte es aus, die Einkünfte und Bezüge der [X.] lägen für die Monate Januar bis September 2005 unter dem maßgeblichen anteiligen Grenzbetrag von 5.760 €. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des [X.] ([X.]) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 ([X.]E 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) seien die Beiträge zur [X.] von den Einkünften abzusetzen. Diese Beiträge seien den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung vergleichbar, auch wenn die Pflicht zur Beitragszahlung an die [X.] nicht gesetzlich geregelt sei, sondern sich aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit tarifvertraglichen Vorschriften ergebe. Für [X.] handele es sich um eine Pflichtversicherung. Der Pflicht zur Beitragszahlung könne sie sich durch eigene Willensentscheidung nicht entziehen. Die [X.]-Beiträge seien für sie unvermeidbare, zwangsläufige Aufwendungen, die zur Bestreitung des Existenzminimums nicht zur Verfügung gestanden hätten. Die Ungleichbehandlung, die durch die Abziehbarkeit der [X.]-Beiträge im Vergleich zur Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu einer privaten Rentenversicherung entstehe, sei dadurch gerechtfertigt, dass die [X.]-Beiträge nicht aus Einkünften des Kindes geleistet würden, die zuvor in seinen [X.] gelangt seien und grundsätzlich zur Bestreitung des Unterhalts zur Verfügung gestanden hätten.

5

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

6

Sie beantragt, das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge die Einkünfte um die [X.] zu mindern sind.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat. Dieser Grenzbetrag ermäßigt sich nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG für jeden Kalendermonat um 1/12, in dem --wie im Streitfall in den Monaten von Oktober bis Dezember 2005-- die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG an keinem [X.]ag vorliegen (Kürzungsmonate). Danach belief sich der maßgebliche anteilige Grenzbetrag im Streitfall auf 5.760 €.

2. Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 29. Mai 2008 [X.]/06, [X.], 1664). Nach dem Beschluss des [X.] in [X.]E 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der "tradierten steuerlichen [X.]erminologie" abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.

3. Nach Auffassung des [X.] verstößt jedoch die Berücksichtigung der --einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzurechnenden-- Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den [X.] nur wegen der als Einkünfte behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den [X.] nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte [X.] wie die [X.] nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Offen bleiben könne, "in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden" sei. Jedenfalls seien diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen [X.] "von Gesetzes" wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stünden und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten, nicht als Einkünfte anzusetzen. Es ist daher jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche [X.]eile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen.

4. Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Senat durch Urteil vom 26. September 2007 [X.]/07 ([X.], 112, [X.], 738) entschieden, dass die Beiträge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes zu privaten Rentenversicherungen bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge nicht von den Einkünften abzuziehen seien. Bei den Beiträgen zu privaten Rentenversicherungen eines gesetzlich rentenversicherten Kindes handele es sich nicht um unvermeidbare Aufwendungen, weil sie nicht der aktuellen Existenzsicherung des Kindes, sondern einer über das staatliche Mindestmaß hinausgehenden Versorgung für künftige Zeiten dienen.

5. Die Beiträge zur [X.] mindern die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ebenfalls nicht, wenn das Kind --wie im [X.] in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist. Die Einbeziehung der [X.]sbeiträge in die Bemessungsgröße für den [X.] (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Eine gesetzliche Versicherungspflicht bei der [X.] bzw. eine gesetzliche Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen zur sog. [X.] besteht nicht. Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann. Nicht entscheidend ist, ob die fraglichen Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind (Senatsurteil vom 16. November 2006 [X.], [X.], 69, [X.], 527).

Im Streitfall beruhen der Abschluss der Versicherung und damit auch die Entrichtung der Beiträge nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung. Vielmehr verweist der Ausbildungsvertrag der [X.] auf tarifvertragliche Vorschriften, aus denen sich die Versicherungspflicht ergibt. Durch die Bezugnahme in einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrag auf tarifliche Regelungen werden diese zum Inhalt des Ausbildungsvertrags (vgl. [X.]/[X.], § 3 [X.]VG Rz 32). Wenn danach Anteile der Einkünfte und Bezüge als Versicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt werden, beruht dies auf [X.]arifvereinbarungen, die im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt werden und die sich [X.] zurechnen lassen muss.

b) Das [X.] hat die Versicherungsbeiträge zur [X.] zu Unrecht als unvermeidbare (zwangsläufige) Aufwendungen eingestuft. [X.] in diesem Sinne sind nur Aufwendungen für einen existenziell notwendigen Versicherungsschutz, der zur Absicherung gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens dient (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 2006 [X.], [X.], 225, [X.], 530).

Die [X.] ist eine gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzliche Absicherung. Ihre Leistungen bestehen nach § 25 der [X.]-Satzung in der Zahlung von Betriebsrenten (Alters-, [X.] und Hinterbliebenenrente). Die [X.] deckt im Grundsatz dieselben Risiken ab wie die gesetzliche Rentenversicherung.

Auch nach den zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen sind Eltern, deren Kinder sich in Ausbildung befinden, nicht verpflichtet, die Kosten für die Alters-, [X.] und [X.] zu zahlen. Eine solche über das gesetzliche Maß hinausgehende Vorsorge gehört nicht zum Lebensbedarf des Kindes i.S. des § 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. [X.]/E.Hammermann, [X.], 12. Aufl., § 1610 Rz 8 f.; MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl., § 1610 Rz 71; [X.]/[X.]/[X.] (2000), § 1610 Rz 154).

c) Nur durch die Einbeziehung der [X.] in die Bemessungsgröße für den [X.] (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) wird eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbare Ungleichbehandlung mit den Fällen vermieden, in denen sich das Kind in Berufsausbildung befindet, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist und sich --unabhängig von einer tarifvertraglichen [X.] zusätzlich privat gegen dieselben Risiken versichert, wie sie die [X.] abdeckt. Die Beiträge zu einer solchen privaten Rentenversicherung sind bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den [X.] überschreiten, nicht abziehbar (Senatsurteil in [X.], 112, [X.], 738). Wenn für die Abziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen im Ergebnis allein der Inhalt des betreffenden [X.]arifvertrags maßgeblich wäre, würden Eltern ungerechtfertigt benachteiligt, deren Kinder ohne eine entsprechende tarifvertragliche Vorschrift eine private Altersvorsorge treffen.

6. Da das [X.] von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) überstiegen die Einkünfte und Bezüge der [X.], die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den maßgeblichen anteiligen Grenzbetrag von 5.760 €. Ihr Bruttoarbeitslohn von 8.498,79 € war um den [X.] gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG von 920 € zu mindern; die Zuschläge für Sonntags- bzw. Nachtarbeit von 30,72 € waren um eine anteilige Kostenpauschale in derselben Höhe zu kürzen (vgl. Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes 63.4.2.3 Abs. 4, [X.], 743). Abzüglich des Arbeitnehmeranteils zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 1.775,42 € beliefen sich die Einkünfte und Bezüge der [X.] auf insgesamt 5.803,37 €.

Meta

III R 59/09

17.06.2010

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 30. Juli 2009, Az: 13 K 1831/09, Urteil

§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2010, Az. III R 59/09 (REWIS RS 2010, 5810)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5810

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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