Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.10.2023, Az. 1 StR 312/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 7896

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Gegenstand

Gefährlichkeitsprognose: Notwendigkeit der umfassenden Würdigung der vom Täter begangenen Anlasstaten sowie seiner früheren Taten


Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 12. Mai 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht (§ 63 Satz 1 StGB). Seine hiergegen gerichtete Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg. Denn die tatgerichtliche Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden Bedenken.

2

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Es muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, insbesondere solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder zumindest erheblich gefährdet werden. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 10. August 2022 – 1 [X.] Rn. 7; vom 5. April 2022 – 1 StR 34/22 Rn. 5 und vom 27. Januar 2022 – 1 StR 453/21 Rn. 6; jeweils mwN).

3

b) Hier hat das [X.] lediglich formelhaft mit einem Satz eine künftige Gefährlichkeit angenommen ([X.]), ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass der Beschuldigte spätestens seit dem [X.] unter einer drogeninduzierten Psychose leidet und dennoch bis zur verfahrensgegenständlichen Tat Ende Juli 2022 keine [X.] beging; dies kann aber ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Taten sein (st. Rspr.; zuletzt [X.], Urteil vom 21. Dezember 2022 – 2 StR 245/22 Rn. 10 mwN). Die im April 2020 zu Lasten eines Polizeibeamten begangene Nötigung kann bereits deswegen nicht herangezogen werden, weil damals keine Auswirkung der psychischen Grunderkrankung auf die Tatbegehung festgestellt wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 StR 453/21 Rn. 12 mwN). Die [X.] (Bedrohung in Tateinheit mit Sachbeschädigung) erscheint nach dem Rücktritt vom [X.] nicht bereits für sich genommen von ausreichendem Gewicht, um allein hierauf ohne jegliche weitere Erörterung die Gefährlichkeitsprognose stützen zu können.

4

c) Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellungen zu ermöglichen, sind bei dem einheitlichen dynamischen Geschehen vorsorglich sämtliche Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).

Jäger     

      

Bellay     

      

Bär     

      

Leplow     

      

Allgayer     

      

Meta

1 StR 312/23

04.10.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ulm, 12. Mai 2023, Az: 3 Ks 27 Js 18001/22 Sich

§ 20 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.10.2023, Az. 1 StR 312/23 (REWIS RS 2023, 7896)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7896

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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Zitiert

2 StR 245/22

1 StR 453/21

1 StR 34/22

1 StR 234/22

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