Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2014, Az. VI ZR 340/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8777

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR
340/13

vom

14.
Januar
2014

in dem Rechtsstreit

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Der VI. Zivilsenat des [X.] hat am
14. Januar 2014 durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.], [X.], die Richterin von [X.] und den Richter Offenloch
beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des
[X.] wird das Urteil des 1.
Zivilsenats des [X.]s [X.]
vom 1.
Juli 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 371.000

Gründe:
1.
Der Kläger war seit Anfang 2004 wegen Beschwerden der [X.] arbeitsunfähig. Er wurde zunächst ambulant
und im Jahr 2005 zweimal operativ behandelt. Wegen fortbestehender chronischer Beschwerden wurde ihm im Februar 2006 auf Vorschlag des Beklagten, eines Facharztes für Neuro-chirurgie, eine so genannte "[X.]"
implantiert, mit deren Hilfe das Schmerzmittel über einen Katheter direkt in den [X.] eingebracht wird. 1
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Dieser Eingriff führte zunächst zu einer Schmerzlinderung. Wegen massiver lumbaler Schmerzen nach einem "Verhebetrauma"
stellte sich der Kläger am 11. September 2006 erneut bei dem Beklagten vor. Dieser riet ihm zu einer Kontrastmitteluntersuchung, um eine Leckage im Bereich des Katheters auszu-schließen. Er wies den Kläger auf die Risiken einer allergischen Reaktion, einer Entzündung und einer neurologischen Komplikation hin, nicht jedoch auf das Risiko des Eintritts einer Querschnittlähmung. Eine Undichtigkeit konnte bei der Untersuchung nicht festgestellt werden. Etwa vier Stunden nach der [X.] bemerkte der Kläger zunächst kribbelnde Dysästhesien und sodann eine zunehmende Schwäche in den Beinen. Gegen 17:00 Uhr rief er den Beklagten erstmals an. Bei einem zweiten Anruf gegen 17:30 Uhr empfahl der Beklagte ihm, sich zur Behandlung in das Krankenhaus [X.] zu begeben. Der Kläger leidet seitdem an einer fortschreitenden Querschnittlähmung mit Blasen-
und Mast-darmlähmung. Er macht geltend, die Implantation der [X.] sei [X.] gewesen, weil es vorzugswürdigere Alternativen gegeben habe. Bei der Untersuchung am 11. September 2006 habe der Beklagte behandlungsfehler-haft ein in [X.] dafür nicht zugelassenes
Kontrastmittel verwendet und es versäumt, ihn über das schon damals bekannte Risiko des Eintritts einer nicht traumatischen und nicht entzündlichen Querschnittlähmung aufzuklären. Im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er sich wegen schlechter Erfah-rungen, die seine Ehefrau mit einer Kontrastmitteluntersuchung gemacht habe, und wegen der Abwesenheit seiner Ehefrau am [X.] in einem Entscheidungskonflikt befunden. Auf seine Anrufe habe der Beklagte falsch re-agiert. Er hätte ihn schon bei dem ersten Anruf in ein Krankenhaus einweisen müssen, und zwar in die hierfür spezialisierte Klinik der [X.] Wäre dies geschehen, hätte die Querschnittlähmung verhindert wer-den können.
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Der Kläger begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Das [X.] hat der Klage nach Einholung eines Gutachtens der [X.] Prof. [X.] durch Grund-
und Teilurteil zunächst überwiegend stattgege-ben. Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen. Dieses hat nach weiterer Beweiserhebung durch Einholung schriftlicher und jeweils münd-lich erläuterter Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. ergänzend mündlich angehört. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht [X.]. Dagegen wendet sich der Kläger mit der [X.]. Er möchte sein Begehren mit der Revision in vollem Umfang weiterverfol-gen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht seine Auffassung begründet hat, ein Ursachenzusammen-hang zwischen der von dem Kläger geltend gemachten fehlerhaften Verwen-dung des Kontrastmittels [X.] und der eingetretenen Querschnittläh-mung sei nicht nachgewiesen, halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzen den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.
a) Ohne Erfolg wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht seiner Beweiswürdigung hinsichtlich des [X.]s das Beweismaß des §
286 ZPO zugrunde gelegt hat.
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[X.]) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Patient den [X.] zwischen dem [X.] und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen hat. Dabei ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllen-den Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des [X.]s für die Rechtsgutverletzung als solche, also für den [X.] des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des §
286 ZPO, das einen für das prakti-sche Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ursächlichkeit der [X.] (Folge-)Schäden richtet sich hingegen nach §
287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlich-keit genügen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008 -
VI
ZR 221/06, [X.], 644 Rn.
9 mwN; vom 22. Mai 2012 -
VI
ZR 157/11, [X.], 905 Rn.
10 mwN; vom 2. Juli 2013 -
VI
ZR 554/12, [X.], 1174 Rn.
15 und vom 5. November 2013 -
VI
ZR 527/12, juris Rn.
13; näher Senatsurteile vom 24. Juni 1986 -
VI
ZR 21/85, [X.], 1121, 1122 f.; vom 4. November 2003 -
VI
ZR 28/03, [X.], 118, 119 f.; siehe auch Geiß/[X.], [X.], 6.
Aufl., Rn.
[X.] ff.; [X.]/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12.
Aufl., Rn.
626 ff.).
bb) Rechtsgutsverletzung ([X.]), auf die sich die haftungsbe-gründende Kausalität ausrichtet, ist -
entgegen der Auffassung der Nichtzulas-sungsbeschwerde
-
nicht die bloße Einbringung des Kontrastmittels [X.] in den Katheter und der nachfolgende Austritt des Kontrastmittels in den [X.]. Die geltend gemachte Körperverletzung ([X.]) ist viel-mehr in der durch den behaupteten Behandlungsfehler herbeigeführten ge-sundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen (vgl. Se-natsurteile vom 12. Februar 2008, [X.]O, Rn.
10; vom 21. Juli 1998 -
VI
ZR 5
6
-
6
-
15/98, [X.], 1153 -
juris Rn.
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und vom 2. Juli 2013 -
VI
ZR 554/12, [X.]O
Rn.
16). Das heißt im Streitfall ist [X.] die nach Behauptung des [X.] durch die fehlerhafte Verwendung des Kontrastmittels [X.] eingetretene Querschnittlähmung.
b)
Die Nichtzulassungsbeschwerde
wendet sich jedoch mit Erfolg gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts.
[X.]) Allerdings ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich dem Tatrich-ter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß §
559 Abs.
2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des
§
286 ZPO mit dem [X.] und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. z.B. [X.] vom 1. Oktober 1996 -
VI
ZR 10/96, [X.], 362, 364, vom 8. Juli 2008 -
VI
ZR 274/07, [X.], 1126 Rn.
7
und vom 16. April 2013 -
VI
ZR 44/12, [X.], 1045 Rn.
13; [X.], Urteil vom 5. Oktober 2004 -
XI
ZR 210/03, [X.]Z 160, 308, 317 mwN).
bb) Zutreffend macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht den [X.] nicht
vollständig hinsichtlich aller für die Überzeugungsbildung heranzuziehenden
Aspekte gewürdigt hat. Insbesondere hat es nicht hinreichend berücksichtigt, dass die in erster Instanz zunächst [X.] gerichtliche Sachverständige Prof. [X.], gegen deren
Sachkunde das Berufungsgericht keine durchgreifenden Bedenken gesehen hat, gewichti-ge Anhaltspunkte dargelegt hat, die dafür sprechen könnten, entgegen der [X.] des Gutachters Prof. Dr. B. eine Ursächlichkeit der Verwendung des 7
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Kontrastmittels [X.] für die eingetretene Querschnittlähmung doch nä-her in Betracht zu ziehen.
Die Sachverständige Prof. [X.] hat bei ihrer Beurteilung nicht nur den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Kontrastmitteluntersuchung und dem ersten Auftreten der Dysästhesien als auffällig bewertet, sondern die vorliegen-de Brückensymptomatik als typisch für den Zusammenhang zwischen der Kon-trastmittelgabe und der Lähmung bezeichnet. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger zunächst etwa vier Stunden beschwerdefrei gewesen und dann die Lähmung fortschreitend eingetreten sei. Wären
die Lähmungserscheinungen hingegen erst drei
oder mehrere Tage später aufgetreten, käme auch eine an-dere Ursache in Betracht. Insbesondere hat die Sachverständige hervorgeho-ben, dass der Liquorbefund
vom 21. September 2006 keinen Hinweis auf eine bakterielle Entzündung gebe. Der festgestellte [X.] passe vielmehr zu der angenommenen Rückenreizung. Für einen bakteriologischen Befund würde sie zudem eine deutliche Erhöhung der Zellzahlen im Liquor erwarten, wie sie in dem -
knapp vier Wochen später
-
in H. entnommenen Liquor festgestellt [X.] sei. Daran fehle es jedoch bei dem zeitnah zum Beginn der Lähmungser-scheinungen in [X.] entnommenen Liquor.
Diese für die Beurteilung des [X.]s durchaus be-achtenswerten Darlegungen der erstinstanzlich vor Erlass des ersten landge-richtlichen Urteils
beauftragten Sachverständigen Prof. [X.] hat das [X.] bei seiner Beweiswürdigung nicht hinreichend berücksichtigt. Es wägt sehr sorgfältig die in den entscheidenden Fragen voneinander abwei-chenden Beurteilungen der
von ihm
ausführlich persönlich angehörten [X.] Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. gegeneinander ab, ohne dabei jedoch auch die nicht zu vernachlässigende Einschätzung der Sachverständigen Prof. [X.] in den Blick zu
nehmen, wie es eine umfassende Würdigung des [X.]s 10
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8
-
verlangt hätte. Das Berufungsgericht hat wohl auch nicht hinreichend bedacht,
dass sich eine Partei die bei einer Beweisaufnahme zutage tretenden ihr güns-tigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen macht (vgl. Senats-urteil vom 8. Januar 1991 -
VI
ZR 102/90,
VersR 1991, 467,
468 mit [X.] [X.]; Senatsbeschlüsse vom 10. November 2009 -
VI
ZR 325/08, [X.], 497 Rn.
5
und vom 4. Dezember 2012 -
VI
ZR 320/11, juris Rn.
4).
Auch [X.] hätte es auf die von der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B. abwei-chende, dem Kläger
günstigere Beurteilung der Sachverständigen Prof. [X.] näher eingehen und deren Bewertung
in die
Gesamtbetrachtung
des möglichen Geschehensablaufs einbeziehen
müssen. Die Nichtberücksichtigung des für den Kläger günstigen Beweisergebnisses der ersten Begutachtung bedeutet
für die Beweiswürdigung, dass erhebliches Vorbringen des [X.]
im Ergebnis übergangen und damit dessen verfassungsrechtlich gewährleisteter
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) verletzt worden ist.
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung der Darlegungen der Sachverständigen Prof. [X.] zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das ange-fochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzu-verweisen.
Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das

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weitere wechselseitige Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu be-rücksichtigen.

Galke
[X.]
Pauge

von [X.]
Offenloch

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 26.10.2012 -
5 [X.]/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 01.07.2013 -
1 [X.] -

Meta

VI ZR 340/13

14.01.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2014, Az. VI ZR 340/13 (REWIS RS 2014, 8777)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8777

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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