Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.04.2013, Az. VI ZR 44/12

6. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6648

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Gegenstand

Arzthaftungsprozess wegen Querschnittlähmung nach Bandscheibenoperation: Grenzen revisionsgerichtlicher Überprüfung tatrichterlicher Beweiswürdigung


Leitsatz

Zur revisionsrechtlichen Überprüfung tatrichterlicher Beweiswürdigung.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 12. Januar 2012 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz wegen einer durch einen Operationsfehler des Beklagten verursachten Querschnittlähmung in Anspruch. Sie beantragt außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftigen materiellen und immateriellen Schaden.

2

Die Klägerin wurde am 28. Januar 2002 vom Beklagten als Belegarzt an der Halswirbelsäule wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert. Dabei setzte der Beklagte einen [X.] aus [X.] in einen von [X.] geräumten Zwischenraum in der Halswirbelsäule ein. Nachdem der Beklagte eine Nut für den Staple, mit dem der [X.] befestigt werden sollte, geschlagen hatte, versuchte er, den Staple in die Nut zu schlagen. Dies misslang. Die [X.] zeigte, dass der [X.] durch den Staple verschoben worden war und um ca. 2 mm über die Hinterkante des Wirbelkörpers hinausragte. Während der Subluxation des [X.]s beobachtete die Anästhesistin einen kurzzeitigen Anstieg des Pulses der Klägerin. Der Beklagte entfernte den [X.], positionierte ihn erneut und befestigte ihn sodann mit dem Staple. Noch während der Aufwachphase wurden bei der Klägerin neurologische Ausfälle in den Extremitäten erkennbar. Wegen des Verdachts einer Querschnittlähmung wurde sie notfallmäßig in die Universitätsklinik G. verlegt. Das dort angefertigte [X.] der Halswirbelsäule zeigte eine Vorwölbung in den [X.] hinein und damit korrespondierend eine Kompression des Rückenmarks im Bereich der Halswirbel C 4/C 5. Im Rahmen einer Revisionsoperation entfernte die Oberärztin Prof. Dr. V. den [X.]. Dabei stellte sie hinter dem [X.] ein schmales epidurales Hämatom fest.

3

Das [X.] hat auf der Grundlage zweier medizinischer Gutachten die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beweisaufnahme wiederholt. Es hat ein Gutachten des orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. St., der selbst praktische Erfahrungen mit Operationen der entsprechenden Art und Weise besitzt, eingeholt. Das Berufungsgericht hat sodann unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Ersatzpflicht des Beklagten für künftige Schäden der Klägerin festgestellt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

4

Die Querschnittlähmung beruhe darauf, dass der [X.] bei der [X.] mit zu hohem Kraftaufwand eingeschlagen und/oder keine ausreichende Sichtkontrolle durchgeführt habe. [X.]r habe mit dem Staple, der die angrenzende [X.] nicht mit beiden [X.]nden erfasst hatte, den [X.] schlagartig in das [X.] verschoben und dabei das zur Querschnittlähmung führende Trauma verursacht. Hierfür sprächen mehrere Indizien. Auch seien sämtliche vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden sonstigen schicksalhaften Ursachen für die Querschnittlähmung auszuschließen, so dass nur der Behandlungsfehler als Ursache übrig bleibe. Als Ursachen für eine akute Myelopathie kämen abstrakt eine [X.]ntzündung, eine Ischämie (gravierende Durchblutungsstörung), ein Tumor, ein schicksalhaft auftretendes Hämatom oder eine Prellung des [X.] (Kontusion) durch äußere [X.]inwirkung in Betracht. Für eine [X.]ntzündung, eine Ischämie oder einen Tumor fehlten jegliche Anhaltspunkte. Als einzige dem [X.]n nicht vorwerfbare schicksalhafte Ursache käme ein intraoperatives Hämatom in Betracht. Dessen [X.]ntstehung sei zwar nicht im naturwissenschaftlichen Sinn, jedoch mit dem maßgeblichen Grad an Gewissheit, wie ihn § 286 ZPO verlange, auszuschließen. Wegen der anatomischen Verhältnisse der betroffenen Region und aufgrund des Gerinnungsverhaltens des Blutes habe sich der für irreversible gravierende Lähmungserscheinungen notwendige hohe Druck in der [X.] vom [X.]nde der vom [X.]n durchgeführten [X.] bis zum Auftreten der Lähmungserscheinungen nicht aufbauen können. Die [X.] sei um 13.30 Uhr vom [X.]n mit der Feststellung der Bluttrockenheit und des ordnungsgemäßen Zustands beendet worden. Ab 15.30 Uhr sei die Querschnittsymptomatik festgestellt, um 17.00 Uhr das [X.] gefertigt und um 19.00 Uhr die [X.] durchgeführt worden. In Übereinstimmung mit den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. sei der Senat davon überzeugt, dass eine Blutung in der Zwischenzeit ohne Hinterlassung von Gerinnungsrückständen ausgeschlossen sei. Bei der [X.] seien entsprechende umfangreiche Blutungsspuren nicht festgestellt worden. Der von Prof. Dr. V. bei der [X.] vorgefundene sehr geringe Blutfilm, den die Operateurin als "schmales epidurales Hämatom" bezeichnet habe, habe die Querschnittlähmung jedenfalls nicht verursachen können. Der dagegen geführte [X.]inwand des [X.]n, dass das Blut zwischenzeitlich durch die [X.] im Wirbelkörperzwischenraum wie durch Bimsstein abgeflossen sei, sei nicht plausibel. Dabei bleibe offen, wie dann der für die Schädigung erforderliche Druck hätte entstehen können. Dass das [X.] nach dem nach der [X.] gefertigten [X.] pelottiert, also halbkugelförmig eingedrückt gewesen sei, spreche nicht zwingend für ein Hämatom als Ursache der Lähmung. Die Signalveränderung des Gewebes im [X.] passe zu einer [X.], also einem Ödem, das eine regelrechte Reaktion auf eine ausreichend intensive Prellung sei, für deren Verursachung es eines mechanischen Impulses mit einer bestimmten Minimalenergie bedurft habe. Das Verrutschen des [X.] könne einen für die Schädigung ausreichenden Impuls auf das Rückenmark im [X.] ausüben. Hierfür spreche auch die mit dem erstmaligen [X.]inschlagen des Staple zeitgleich abgelaufene [X.] der Klägerin. Dem [X.]n sei das Verrutschen des [X.] in das [X.] als Behandlungsfehler anzulasten. Dass der [X.] unerwünscht verrutsche, könne der Operateur feststellen, wenn er beim [X.]inschlagen des Staple die sichtbare Wirbelkörpervorderkante im Blick behalte. Der [X.] hätte nach Korrektur der Lage des [X.] auf das [X.]inbringen des Staple auch verzichten können. Jedenfalls habe er die gebotene Sorgfalt nicht eingehalten, da es sonst nicht zu der Kontusion und dem eingetretenen Schaden habe kommen können. Die von der Anästhesistin geschilderte fehlende Aufregung des [X.]n während der [X.] lasse Rückschlüsse auf den intraoperativen Geschehensablauf nicht zu.

II.

5

Dagegen wendet sich die Revision ohne [X.]rfolg.

6

1. Das Berufungsgericht hält für klärungsbedürftig, wo die Grenze des vernünftigen Zweifels bei Vorgängen und Umständen im Zusammenhang mit dem menschlichen Organismus nach § 286 ZPO zu ziehen ist, insbesondere, welche Anforderungen für den Grad an Gewissheit hierbei bei Anwendung (auch) des Ausschlussprinzips gelten. Diese Frage lässt sich allerdings abstrakt nicht beantworten.

7

Sie betrifft die dem Tatrichter obliegende und von den Umständen des jeweiligen [X.]inzelfalles abhängende Überzeugungsbildung. [X.]s handelt sich um die primär dem Tatrichter als Tatfrage obliegende Fragestellung, ob der Beweis im konkreten Fall geführt wurde. Ob die erreichte [X.] im gegebenen Fall ausreicht, um den Beweis als erbracht anzusehen, ist nicht nur objektiv nach einem bestimmten (hohen) Wahrscheinlichkeitsgrad messbar (vgl. [X.], ZPO, 22. Aufl., § 286 Rn. 3 [X.]. 5; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozess, 1975, [X.] ff.). Dazu bedarf es stets der subjektiven persönlichen [X.]ntscheidung des Tatrichters, der allerdings nachprüfbare objektive Tatsachen zugrunde liegen müssen. Der [X.] ist nicht berechtigt, nach Beliebigkeit zu urteilen. Vielmehr muss er die objektiven Gegebenheiten, d.h. sowohl die Beweisergebnisse als auch den gesamten Inhalt der Verhandlungen zugrunde legen. Auch hat er bei der Beurteilung die allgemeinen [X.]rfahrungssätze sowie die Natur- und Denkgesetze zu beachten. Objektive Wahrscheinlichkeitserwägungen können dabei eine sachgerechte Grundlage und ein Hilfsmittel für die Überzeugungsbildung sein ([X.], Arzthaftung, 2002, § 8 IV 2d; [X.] aaO; Musielak/[X.], Grundfragen des Beweisrechts, 1984, § 8). Auf dieser Grundlage hat der [X.] zu prüfen, ob er als erfahrener und gewissenhafter Beurteiler von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen hat. Da die erreichte [X.] nicht objektiv messbar ist, ergänzt zwar stets die subjektive persönliche [X.]ntscheidung den Prozess der Überzeugungsbildung. Doch ist dafür maßgebend die Rolle des [X.]s und nicht die Bildung der persönlichen Überzeugung der privaten Person ([X.] aaO, Rn. 4).

8

Im Streitfall hat das Berufungsgericht auf Grund einer vertretbaren Würdigung der ohne durchgreifenden Verfahrensfehler ermittelten Umstände im Sinne des § 286 ZPO "für wahr erachtet", dass dem [X.]n ein für die Querschnittlähmung ursächlicher schuldhafter Behandlungsfehler während der [X.] der Klägerin unterlaufen ist. Zutreffend hat es seiner Überzeugungsbildung dabei zu Grunde gelegt, dass es dafür keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit bedarf, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. Senatsurteile vom 9. Mai 1989 - [X.], [X.], 758, 759; vom 26. Oktober 1993 - [X.], [X.], 52, 53; vom 28. Januar 2003 - [X.], [X.], 474, 475 und vom 8. Juli 2008 - [X.], [X.], 1126 Rn. 7; [X.], Urteile vom 17. Februar 1970 - [X.], [X.]Z 53, 245, 256 - [X.] - und vom 18. April 1977 - [X.], [X.], 721). Aus den verfahrensfehlerfrei festgestellten Umständen des Streitfalls - einerseits dem [X.]szwischenfall, der zeitgleichen [X.] sowie dem Ödem im [X.]sbereich und dem zeitlich korrelierenden Auftreten der Lähmung und andererseits dem Fehlen von Blutspuren für ein Hämatom als einzige in Betracht kommende alternative Ursache für die Lähmung - hat das Berufungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den naheliegenden Schluss gezogen, dass die Querschnittlähmung der Klägerin auf einem fahrlässig fehlerhaften Vorgehen des [X.]n beim [X.]inbringen des [X.] beruht.

9

2. Die Revision bemängelt zu Unrecht, dass die vom Berufungsgericht betriebene Sachverhaltsaufklärung den [X.]n in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts nicht ausreichend stütze.

a) [X.]rfolglos macht sie geltend, dass schon deswegen, weil sich aus dem [X.]sbericht keine Anhaltspunkte für einen schuldhaften Behandlungsfehler des [X.]n entnehmen lassen, vielmehr darin ein ordnungsgemäßes ärztliches Vorgehen beschrieben wird, das Berufungsgericht einen schuldhaften Behandlungsfehler nicht hätte annehmen dürfen. [X.]ntgegen der Auffassung der Revision wird die [X.]inhaltung der gebotenen ärztlichen Sorgfalt durch den [X.]sbericht nicht unwiderlegbar bewiesen. Der [X.]sbericht ist lediglich ein vom Tatrichter bei seiner Überzeugungsbildung zu würdigendes Beweismittel.

Der Grundsatz der "Waffengleichheit" in [X.] erfordert zwar, dass der Arzt dem klagenden Patienten Aufschluss über sein Vorgehen in dem Umfang gibt, in dem ihm dies ohne weiteres möglich ist. Dem genügt der Arzt weithin durch Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation im [X.]sbericht, Krankenblatt oder in der Patientenkarte (vgl. Senatsurteil vom 14. März 1978 - [X.], [X.], 542, 544; [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., [X.] Rn. 4; [X.]/[X.], Handbuch der Beweislast, 3. Aufl., § 823 Anh. II Rn. 48). Doch durfte sich das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des [X.]rgebnisses der Beweisaufnahme die Überzeugung bilden (§ 286 ZPO), dass der [X.] beim [X.]inschlagen des Staple die gebotene Sorgfalt nicht eingehalten und dadurch das [X.] der Klägerin geschädigt hat.

b) Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass postoperativ ein Ödem im Bereich des operativen Geschehens entstanden ist und eine Kontusion eine mögliche Ursache dafür sein kann. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der [X.] beim [X.]inschlagen des Staple auf den Rand des [X.] mit der für die Kontusion erforderlichen, aber auch ausreichenden Minimalenergie auf das [X.] der Klägerin eingewirkt hat und Ursache der Querschnittlähmung der Klägerin die intraoperative Kontusion des Rückenmarks ist, ist entgegen der Auffassung der Revision rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und [X.]rfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. z.B. Senatsurteile vom 1. Oktober 1996 - [X.], [X.], 362, 364 und vom 8. Juli 2008 - [X.], aaO; [X.], Urteil vom 5. Oktober 2004 - [X.], [X.]Z 160, 308, 317 mwN). [X.]inen solchen Fehler zeigt die Revision nicht auf.

bb) Gegen die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts spricht nicht entscheidend, dass der Bandscheibenvorfall selbst mit vier Millimeter weiter als der im [X.]sbericht angegebene Überstand des [X.] mit zwei Millimeter über die hintere [X.] in den [X.] hineinreichte und auch der durch die [X.] eingebrachte Knochendübel weiter in den [X.] der Halswirbelsäule ragt. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass das [X.] durch die Schläge, mit denen der [X.] über die hintere [X.] geschoben wurde, geschädigt worden ist. Diese Annahme stützen die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. und Prof. Dr. L. und die im [X.]sbericht dokumentierten Vorgänge während der [X.]. An die Bekundungen eines gerichtlichen Sachverständigen ist das Gericht zwar nicht gebunden, es hat sich vielmehr ein eigenes Urteil auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen zu bilden (ständige Rechtsprechung vgl. Senatsurteile vom 7. April 1992 - [X.], [X.], 747 f. und vom 16. Januar 2001 - [X.], [X.], 783, 784). Bestehen Widersprüche zu früheren Ausführungen, so muss das Berufungsgericht diese dem Sachverständigen zumindest vorhalten. Ohne weitere Aufklärungsversuche bildet eine solche Begutachtung nämlich keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Tatrichters (Senatsurteil vom 7. April 1992 - [X.], [X.], 747, 748). Bei sich widersprechenden Sachverständigengutachten hat der [X.] nach Klärung der Frage, von welchen unterschiedlichen tatsächlichen Grundlagen und Wertungen die Sachverständigen ausgegangen sind, danach noch bestehende Widersprüche auszuräumen.

Auch diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision gerecht geworden.

cc) Die Revision rügt erfolglos, dass Widersprüche oder Lücken in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung geboten hätten. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. St. hat von Anfang an die Auffassung vertreten, dass nicht die kurzzeitige Raumforderung durch den [X.] von zwei Millimetern die eigentliche Ursache der Schädigung der Klägerin gewesen sei. Die Schädigung sei verursacht worden durch das [X.]inschlagen des Implantats über den nicht in die Nut greifenden Staple in den [X.] Richtung [X.]. Auch die die [X.] durchführende Ärztin Prof. Dr. V. und der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L. teilten diese Meinung. Beide bekundeten, dass entscheidender Fehler das zu weite [X.]inschlagen des [X.] gewesen sei, das eine Prellung des [X.]s mit den Folgen der Querschnittlähmung verursacht habe. Soweit die Revision nunmehr rügt, dass die Bekundungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. und Prof. Dr. L. nicht wissenschaftlich belegt worden seien, zeigt sie entsprechenden Vortrag in der Berufungsinstanz hierzu nicht auf. Sie kann im Revisionsverfahren damit nicht mehr gehört werden.

dd) [X.]ntgegen der Bedenken der Revision ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht als Indiz für das Verrutschen des [X.] und eine damit verbundene Schmerzeinwirkung auf die Klägerin einen zeitgleichen Blutdruckanstieg gewertet hat.

Der Revision ist zuzugeben, dass im [X.]sbericht nicht ein Blutdruckanstieg, sondern ein zeitgleicher - im [X.] nicht dokumentierter - [X.] dokumentiert ist. Die von der Revision für geboten erachtete Differenzierung zwischen [X.] und Blutdruckanstieg bzw. [X.] spielt jedoch erkennbar keine maßgebliche Rolle für die Beweiswürdigung. [X.]rhebliches Indiz ist das zeitliche Zusammentreffen der inneroperativen Komplikation mit der - auch von der Revision nicht angezweifelten - vegetativen Reaktion der Klägerin, die von der vom Berufungsgericht als Zeugin angehörten Anästhesistin Dr. D.-Sch. als Blutdruckanstieg bezeichnet wurde. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts leidet auch nicht unter aufklärungsbedürftigen Widersprüchen in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. zum Zusammenhang zwischen [X.]inschlagen des [X.] und [X.]. Zwar ist der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. St. in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. März 2010 irrigerweise von einem [X.] für zumindest eine Stunde ausgegangen. Auf Hinweis des [X.]n hat er jedoch den Irrtum alsbald berichtigt und daran im weiteren Prozessverlauf nicht mehr festgehalten. [X.]in aufklärungsbedürftiger Widerspruch, den die Revision aufgreifen will, ist in der berufungsgerichtlichen Gesamtwürdigung der entsprechenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht erkennbar.

ee) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts leidet auch nicht unter einer erheblichen Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Anders als die Revision dies darstellt, ist ein aufklärungsbedürftiger Widerspruch zwischen der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. und der Beurteilung des [X.] nicht gegeben. [X.]inem sich etwa ergebenden Widerspruch zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und dem Privatgutachter hat das Berufungsgericht allerdings nach den vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nachzugehen (vgl. etwa Senatsurteile vom 10. Dezember 1991 - [X.], [X.], 722 f.; vom 9. Januar 1996 - [X.], [X.], 647, 648; vom 28. April 1998 - [X.], [X.], 853, 854 und vom 10. Oktober 2000 - [X.], [X.], 525, 526). [X.]rkennbar widersprüchliche Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - [X.], [X.], 1265 Rn. 19 ff.). [X.] geschieht die Aufklärung des Widerspruchs durch [X.]inholung einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen und durch dessen nachfolgende mündliche Anhörung (vgl. Senatsurteil vom 15. Juni 1993 - [X.], [X.], 1231, 1232). [X.]s bleibt jedoch grundsätzlich dem [X.]rmessen des Tatrichters überlassen, in welcher (geeigneten) Weise er seiner Pflicht zur Aufklärung nachkommt (Senatsurteil vom 10. Dezember 1991 - [X.], aaO).

Das Berufungsgericht hat den gerichtlichen Sachverständigen beauftragt, in einem [X.]rgänzungsgutachten zur Beurteilung des [X.] Stellung zu nehmen. Dem ist der gerichtliche Gutachter im [X.]rgänzungsgutachten vom 20. September 2010 nachgekommen. Darüber hinaus hat er in seiner mündlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass in Abhängigkeit von der Schwere der [X.]schädigung auch inverse Reaktionen mit Tachykardie und flüchtiger Blutdrucksteigerung beschrieben seien, dass abstrakt die [X.], wie sie sich aus dem [X.] ergebe, auch anders vorstellbar sei, entscheidend sei aber die zeitliche [X.]. [X.]in weiteres Gutachten durch einen anderen Sachverständigen brauchte das Berufungsgericht danach nicht einzuholen. Die nunmehr von der Revision bemängelte fachliche Qualifikation des gerichtlichen Sachverständigen für die Beantwortung neurologischer Fragestellungen wurde vom [X.]n in der Berufungsinstanz nicht angezweifelt. Die Bedenken des [X.]n gegen die Sachkunde des gerichtlichen Sachverständigen, die vom Sachverständigen unter Hinweis auf die von ihm erworbenen Fachkenntnisse ausgeräumt wurden, betrafen die Neuroradiologie betreffende Fragestellungen.

c) Rechtlich ist schließlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht es für ausgeschlossen erachtet hat, dass die bei der Klägerin eingetretene Querschnittlähmung durch ein schicksalhaft entstandenes Hämatom verursacht worden ist. Zwar weist die Revision zutreffend darauf hin, dass der postoperative Nachweis eines Ödems nicht gegen eine Schädigung durch ein Hämatom spricht, weil auch ein allmählicher Druckaufbau - wie dieser bei Bildung eines postoperativen Hämatoms erfolgt - ein Ödem verursachen würde. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht jedoch nicht - wie die Revision rügt - gehörswidrig ausgeblendet. [X.]s hält vielmehr auf der Grundlage einer umfassenden Beweisaufnahme unter Zugrundelegung der Feststellungen der Zeugin Prof. Dr. V. bei der [X.] und der Bekundungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. und Prof. Dr. L. die Ausbildung eines solchen Hämatoms für ausgeschlossen. Die dagegen geführten Angriffe der Revision sind unberechtigt.

aa) Nach der Aussage der Zeugin Prof. Dr. V. sind Spuren einer für eine Schädigung geeigneten Blutung zum [X.]punkt der [X.] nicht vorhanden gewesen. [X.]rfolglos wendet die Revision dagegen ein, dass die Sicht der Operateurin Prof. Dr. V. bei der [X.] aufgrund des schmalen Fensters von sieben Millimeter Höhe und zehn Millimeter Breite zu sehr eingeschränkt gewesen sei, um umfangreichere Blutungen feststellen zu können. Hierbei handelt es sich um im [X.] nicht zu berücksichtigenden neuen Tatsachenvortrag. Ob das schmale epidurale Hämatom hinter dem [X.], das anlässlich der [X.] festgestellt wurde, unter Druck stand und mit dem [X.]ntfernen des [X.] augenblicklich entlastet worden ist, hat das Berufungsgericht vertretbar für den Nachweis eines Hämatoms, das die Schädigung verursachen konnte, nicht für erheblich erachtet.

bb) [X.]s hat sich dabei nicht eine nicht vorhandene Sachkunde angemaßt. Gestützt durch die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. hat es nachvollziehbar den vom [X.]n dargelegten Schädigungsmechanismus für ausgeschlossen gehalten. Wäre das Blut durch die eingebrachten [X.] "quasi wie durch einen Bimsstein" nahezu spurenlos nach ventral abgeflossen, wäre in dem [X.]raum vom [X.]nde der vom [X.]n durchgeführten [X.] bis zum Auftreten der Lähmungserscheinungen auch der für die Schädigung erforderliche punktuelle Druck nicht aufgebaut worden.

cc) Schließlich hat sich das Berufungsgericht damit befasst, dass das [X.] korrelierend zu der im [X.] vom 28. Januar 2008 beschriebenen stempelartigen Vorwölbung pelottiert war. [X.]s hat mit Hilfe der Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. St. eine Verursachung des Schadens der Klägerin in nicht zu beanstandender Weise verneint, weil die Vorwölbung in den [X.] für sich die Schädigung nicht verursachen konnte. [X.]ntscheidend hinzutreten musste jedenfalls die [X.]rschütterung durch die vom [X.]n geführten Schläge. Die Revision setzt dem lediglich ihre eigene Auffassung entgegen, ohne einen erheblichen rechtlichen Fehler aufzuzeigen.

d) Die weiteren Verfahrensrügen hat der erkennende Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

Galke                           Zoll                                 [X.]

               Pauge                          von [X.]

Meta

VI ZR 44/12

16.04.2013

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Braunschweig, 12. Januar 2012, Az: 1 U 30/08

§ 286 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.04.2013, Az. VI ZR 44/12 (REWIS RS 2013, 6648)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6648

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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