Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.06.2012, Az. I B 137/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 5654

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Gegenstand

(Änderung nach § 174 AO trotz "Verböserungsverbot")


Leitsatz

NV: Die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung hindert gem. § 110 Abs. 2 FGO nicht die spätere Änderung eines von der Entscheidung umfassten Sachverhalts nach § 174 Abs. 4 AO, wenn das FA bei der Änderung der Bescheide für das Streitjahr nicht auf die Entscheidung des FG für dieses Jahr reagiert, sondern die Konsequenzen aus einer für die Klägerin günstigen Änderung der Bescheide für ein anderes Jahr gezogen hat .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob [X.] im [X.] an ein abgeschlossenes Klageverfahren ergehen konnten.

2

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, hatte an sie gerichtete Steuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1999 mit einer Klage angefochten. Im Februar 2008 fand in dem Klageverfahren (Aktenzeichen: 6 K 722/02) eine mündliche Verhandlung vor dem [X.] ([X.]) statt. Im Verlauf der Verhandlung wurde hinsichtlich einiger angefochtener Bescheide der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dem lag eine Einigung zwischen den Beteiligten darüber zu Grunde, dass ein Teil des angesetzten Gewerbeertrags nicht im Veranlagungszeitraum 1996, sondern im Veranlagungszeitraum 1998 (Streitjahr) zu erfassen sei. Streitbefangen blieben danach die [X.] 1997 und 1998, der [X.] für das Streitjahr sowie Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 des Körperschaftsteuergesetzes ([X.]), über die gesonderte Feststellung des verbleibenden [X.] zur Körperschaftsteuer und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen [X.], jeweils zum oder auf den 31. Dezember 1997 und 31. Dezember 1998. Die Klage wurde mit am Sitzungstag (8. Februar 2007) verkündeten Tenor abgewiesen. Eine gegen das Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (Senatsbeschluss vom 6. November 2007 I B 50/07, [X.], 616).

3

Am 15. Februar 2007 beschloss das [X.] zum Aktenzeichen 6 K 722/02, das Verfahren wegen Körperschaftsteuer 1997 und 1998, Feststellung des verbleibenden [X.] 1997 und 1998, gesonderter Feststellung des vortragsfähigen [X.] 1997 und 1998 sowie [X.] 1998 abzutrennen. Das abgetrennte Verfahren erhielt das Aktenzeichen 6 K 78/07. In der mündlichen Verhandlung zum Verfahren 6 K 78/07 überreichte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--), der Zusage in der Verhandlung vom 8. Februar 2007 entsprechend, einen geänderten [X.] für 1996. Zugleich übergab es auf § 174 der Abgabenordnung ([X.]) gestützte Körperschaftsteuer- und [X.]e für das Streitjahr sowie Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden [X.] zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1998, gesonderte Feststellung des vortragsfähigen [X.] auf den 31. Dezember 1998 und gesonderte Feststellung des Einkommens und der Tarifbelastung gemäß § 47 Abs. 2 [X.] zum 31. Dezember 1998.

4

Das [X.] wies im Verfahren 6 K 78/07 die Klage ab. In den Gründen seines Urteils heißt es, die Klage sei weiterhin anhängig und betreffe nunmehr die vom [X.] erlassenen [X.]. Das Urteil vom 8. Februar 2007 beziehe sich ausweislich seiner schriftlichen Ausfertigung nur auf die dort genannten Feststellungsbescheide; der am Sitzungstag verkündete Tenor sei im Lichte der schriftlichen Urteilsfassung auszulegen. Die streitgegenständlichen [X.] seien rechtmäßig. Die Klägerin hat das Urteil 6 K 78/07 mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, welcher der erkennende Senat mit Beschluss vom 30. Dezember 2008 I B 171/08 ([X.], 949) stattgegeben hat. Das Urteil des [X.] 6 K 78/07 wurde aufgehoben, da es einen Rechtsstreit betraf, der schon durch das Urteil 6 K 722/02 abgeschlossen worden war.

5

Nachdem das daraufhin fortgeführte Einspruchsverfahren erfolglos geblieben war, wandte sich die Klägerin mit der Klage gegen die vom [X.] erlassenen [X.]. Mit Urteil vom 30. August 2011 wies das [X.] diese Klage ab. Das [X.] war der Meinung, dass die streitigen Bescheide nach § 174 Abs. 4 [X.] geändert werden konnten. Die Revision wurde vom [X.] nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen. Weder dient die Rechtssache der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) noch liegt ein Verfahrensmangel vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

7

1. Die Revision ist nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O wegen Fortbildung des Rechts zuzulassen.

8

a) Eine Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des [X.] nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "ob" und ggf. "wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, [X.]/NV 2002, 217; vom 16. Dezember 2005 VIII B 123/05, [X.]/NV 2006, 725; vom 27. März 2006 VIII B 21/05, [X.]/NV 2006, 1256). Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen. Es reicht weder --für sich allein-- aus, dass die Rechtsfrage bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden sei (vgl. [X.]-Beschluss vom 21. Dezember 2004 II B 13/04, [X.]/NV 2005, 897), noch genügt die Behauptung, das [X.] habe sachlich unrichtig entschieden ([X.]-Beschlüsse vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, [X.]/NV 2002, 1476; in [X.]/NV 2006, 1256).

9

b) Soweit die Klägerin die Rechtsfrage formuliert, es sei zu klären, ob "§ 110 Abs. 1 Nr. 1 [X.]O aufgrund des in § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.]O normierten [X.]s die Berücksichtigung eines bereits der richterlichen Prüfung unterlegenen Sachverhalts im Rahmen einer Änderung gem. § 174 Abs. [X.]" hindere, fehlt es an einem Klärungsbedürfnis für die von der Klägerin dargelegte Rechtsfrage. Diese Rechtsfrage ist für den zu entscheidenden Fall durch die [X.]-Rechtsprechung hinreichend beantwortet worden; ein weiter gehendes Klärungsbedürfnis der Allgemeinheit ist nicht erkennbar.

So hat der [X.] mit Urteil vom 8. Juni 2000 IV R 65/99 ([X.]E 192, 207, [X.] 2001, 89) entschieden, dass die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 110 Abs. 2 [X.]O nur vorbehaltlich der verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften wirkt und daher nicht die spätere Änderung eines von der Entscheidung umfassten Verwaltungsakts nach Maßgabe des § 17[X.] hindert. Eine Änderung ist aus [X.] dagegen nicht möglich, wenn das [X.] unter Hinweis auf das "[X.]" davon abgesehen hat, den ursprünglich angefochtenen Bescheid zu Lasten des Klägers zu ändern; dann bietet § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] keine Handhabe dafür, dass das [X.] jene Änderung in einem weiteren Bescheid vornimmt ([X.]-Urteil vom 8. Juli 1992 XI R 54/89, [X.]E 168, 231, [X.] 1992, 867). Um einen solchen Sachverhalt geht es aber im Streitfall nicht, da das [X.] mit der Änderung der Bescheide für das Streitjahr nicht auf die Entscheidung des [X.] für dieses Jahr reagiert, sondern die Konsequenz aus der für die Klägerin günstigen Änderung des Bescheids für 1996 gezogen hat. Das lässt § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] unabhängig von der Rechtskraft des [X.]-Urteils zweifelsfrei zu. Darauf hat der erkennende Senat die Klägerin bereits im Beschluss vom 30. Dezember 2008 I S 31/08 (juris) hingewiesen. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar und im Beschwerdeverfahren vorgetragen worden, die eine andere Beurteilung nahelegen würden.

2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O wegen des Vorliegens von Verfahrensmängeln zuzulassen. Die Klägerin kann nicht damit gehört werden, die Entscheidung der Vorinstanz lasse die tragenden Gründe für die Entscheidung nicht erkennen.

a) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Urteil des [X.] i.S. des § 119 Nr. 6 [X.]O mit Gründen versehen. Nach dem Sinn des sich aus § 105 Abs. 2 Nr. 5 [X.]O ergebenden Begründungszwangs sollen die Prozessbeteiligten darüber Kenntnis erhalten, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht. Diesem Zweck genügt eine Begründung nur dann nicht und stellt deshalb einen Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 [X.]O dar, wenn den betroffenen Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, weil die Begründung des Urteilsspruchs überhaupt oder im Hinblick auf einen --selbständigen-- prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel fehlt oder weil die Entscheidungsgründe nur aus inhaltsleeren Floskeln bestehen oder missverständlich und verworren sind (z.B. [X.]-Beschluss vom 1. Februar 2012 VI B 71/11, [X.]/NV 2012, 767, m.w.N.).

b) Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung keine solchen Tatsachen bezeichnet, die einen wesentlichen Begründungsmangel im vorgenannten Sinne ergeben. Soweit die Klägerin in der Beschwerde ausführt, der Entscheidung des [X.] könne nicht entnommen werden, worin die "irrige Beurteilung" des [X.] liege, die eine Korrektur nach § 174 Abs. [X.] rechtfertigen könne, ist dem nicht zu folgen. Das [X.] ist bei seiner Entscheidung ausweislich der Entscheidungsgründe unter Ziff. 1 b davon ausgegangen, das [X.] sei im [X.] an eine Außenprüfung der Auffassung gewesen, die Gewinnerhöhungen aufgrund des Forderungsverzichts der [X.] und der [X.] seien im Jahr 1996 zu erfassen gewesen. Diese Rechtsauffassung des [X.] habe sich dann im Klageverfahren 6 K 722/02 als unrichtig herausgestellt. Damit hat das [X.] eine objektiv unzutreffende rechtliche Würdigung des in Frage stehenden Tatsachenkomplexes durch das [X.] dargelegt. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es bei der Anwendung des § 174 Abs. [X.] gerade nicht darauf an, auf welchen Erwägungen diese Würdigung durch das [X.] beruht (v.Groll in [X.]/[X.]/[X.], § 17[X.] Rz 235). Im Ergebnis wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Auslegung des § 174 Abs. [X.] durch das [X.] und setzt ihre eigene Auslegung der Vorschrift gegen die des [X.]; mit solchen der Revision vorbehaltenen Einwendungen kann sie im [X.] jedoch nicht gehört werden.

Meta

I B 137/11

13.06.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 30. August 2011, Az: 6 K 158/09, Urteil

§ 174 Abs 4 AO, § 96 Abs 1 S 2 FGO, § 110 Abs 1 Nr 1 FGO, § 110 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 6 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.06.2012, Az. I B 137/11 (REWIS RS 2012, 5654)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5654

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