Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2012, Az. XII ZB 291/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4007

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Gegenstand

Bedürftigkeitsprüfung im Verfahrenskostenhilfebewilligungsverfahren: Berücksichtigungsfähigkeit berufsbedingter Fahrtkosten und sonstiger Kraftfahrzeugkosten des Antragstellers


Leitsatz

1. Werden im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die berufsbedingten Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. a der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII ermittelt, ist die Begrenzung des Fahrtkostenabzugs auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern nicht anzuwenden.

2. Die Pauschale von monatlich 5,20 € je Entfernungskilometer deckt nur die Betriebskosten einschließlich Steuern ab. Zusätzlich sind konkret nachgewiesene Anschaffungskosten eines für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012, XII ZB 658/11, juris Rn. 21 mwN).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Staatskasse des [X.] gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats - Familiensenat - des [X.] vom 11. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Die Rechtsbeschwerde betrifft die Frage, in welcher Höhe Fahrtkosten für den Weg zur Arbeitsstätte bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen sind.

2

Der Antragsgegner wird von seiner getrennt lebenden Ehefrau auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Das [X.] hat ihm Verfahrenskostenhilfe bewilligt und monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 15 € angeordnet. Von dem für die Prozessführung einzusetzenden Einkommen hat es Fahrtkosten für den Weg zur 110 km entfernten Arbeitsstätte in Höhe von 916 € monatlich abgesetzt, berechnet auf der Grundlage von arbeitstäglich je 0,30 € für die ersten 30 km und je 0,20 € für die weitere Wegstrecke. Die monatliche Belastung von 115,91 € aus dem für die Anschaffung des PKW aufgenommenen Darlehen hat es nicht zusätzlich abgesetzt.

3

Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, mit der er die Absetzung seiner Darlehensaufwendungen verfolgt hat. Der [X.] hat im Abhilfeverfahren Stellung genommen und zugunsten des Antragsgegners ein geringeres Einkommen berücksichtigt sowie höhere Heizkosten und eine Teilkaskoversicherung, zu seinen Lasten jedoch geringere Fahrtkosten zur Arbeitsstätte von nur 5,20 € monatlich für je 110 km einfache Wegstrecke abgesetzt. Das [X.] hat seiner Entscheidung die Berechnung des [X.]s zugrunde gelegt mit Ausnahme der Fahrtkosten zur Arbeitsstätte, die es wie das [X.] mit 916 € monatlich abgesetzt hat, und hat auf dieser Berechnungsgrundlage die [X.] aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Staatskasse des [X.] mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie ihre Rechtsauffassung zum [X.] weiter verfolgt.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - [X.]/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 5), da sie zugelassen ist und es um Fragen der persönlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. August 2004 - [X.] 6/04 - FamRZ 2004, 1633, 1634; [X.] Beschluss vom 21. November 2002 - [X.]/02 - FamRZ 2003, 671). Die Staatskasse ist gemäß § 127 Abs. 3 ZPO beschwerdebefugt und ordnungsgemäß durch den Präsidenten des [X.] vertreten, § 114 Abs. 3 Satz 1 und 2 FamFG.

5

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch im Ergebnis nicht begründet.

6

1. Das [X.] hat unter Bezugnahme auf eine in [X.], 54 veröffentlichte Entscheidung des [X.] ausgeführt: Die Kosten für die Fahrten zur Arbeit im Rahmen der Bestimmung des einzusetzenden Einkommens unterschieden sich nicht von denjenigen Fahrtkosten, die gemäß Ziff. 10.2.2 der jeweils geltenden Leitlinien der Unterhaltsberechnung zugrunde lägen. Die Verordnung zur Durchführung des § 82 [X.] sei insoweit weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, da § 115 Abs. 1 ZPO nur Bezug auf § 82 [X.] nehme, nicht jedoch auf § 96 [X.], der die Ermächtigung für den Erlass der Verordnung enthalte. Zudem habe der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, die Gerichte an das abweichend strukturierte Sozialhilferecht zu binden. Maßgeblich seien vielmehr die tatsächlich notwendigen Ausgaben. Gemäß den [X.] seien die Sätze nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 [X.] anzuwenden, wonach für die ersten 30 km ein Betrag von 0,30 € und für jeden Mehrkilometer ein Betrag von 0,20 € abzusetzen sei. Hiernach ergebe sich für den Antragsgegner bei einer einfachen Wegstrecke von 110 km folgender [X.]: Für die ersten 30 Kilometer: 30 km x 0,30 € x 2 x 220 Arbeitstage = 3.960 € jährlich / 12 Monate = 330 € monatlich, für die weiteren Kilometer: 80 km x 0,20 € x 2 x 220 Arbeitstage = 7.040 € jährlich / 12 Monate = 586 € monatlich, insgesamt somit 916 € monatlich. Danach verbleibe dem Antragsgegner kein einzusetzendes Einkommen mehr, so dass keine Monatsraten festzusetzen seien.

7

2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

8

a) Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO hat ein Beteiligter, der um Verfahrenskostenhilfe nachsucht, sein Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert.

9

Die Definition des Einkommensbegriffs in § 115 ZPO stimmt wörtlich mit der einleitenden Begriffsbestimmung des § 82 Abs. 1 [X.] überein. Auch hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge wird in § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf § 82 Abs. 2 [X.] verwiesen. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des [X.] anknüpft. Dies erklärt sich daraus, dass Prozesskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt (vgl. [X.] 35, 348 = NJW 1974, 229, 230; Senatsbeschluss vom 26. Januar 2005 - [X.] 234/03 - FamRZ 2005, 605).

b) Wie der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - [X.] 658/11 - juris Rn. 19 ff.), können die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien zum Ausdruck kommenden familienrechtlichen Grundsätze nicht unbesehen auf den sozialrechtlichen Einkommensbegriff übertragen werden, da das Unterhaltsrecht auf den Einkommensbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs abstellt.

Hingegen ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2 a der Verordnung zur Durchführung des § 82 [X.] (im Folgenden: [X.]) ermittelt werden. Hiernach können - sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind - pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte monatlich 5,20 € abgesetzt werden (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - [X.] 658/11 - juris Rn. 19 ff.).

c) Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. [X.], 158; [X.] FamRZ 2006, 799; [X.] 2008, 36; [X.]/[X.] 3. Aufl. § 115 Rn. 28) ist allerdings die in § 3 Abs. 6 Nr. 2 a [X.] weiter enthaltene Begrenzung des [X.]s auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern bei der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe nicht anzuwenden. Vielmehr ist grundsätzlich auch für darüber hinausgehende Strecken der Pauschbetrag von 5,20 € je km abzusetzen.

Die im Sozialhilferecht verankerte Beschränkung auf maximal 40 Entfernungskilometer Wegstrecke zur Arbeit findet ihre Rechtfertigung darin, dass einem Beschäftigten, der mehr als 40 km von der Arbeitsstätte entfernt wohnt, grundsätzlich angesonnen werden kann, eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen und dadurch unnötige Fahrtaufwendungen zu ersparen. Kommt er dem nicht nach, fallen ihm die Mehraufwendungen selbst zur Last.

Anders liegt der Fall bei der Gewährung einer punktuellen Unterstützung wie der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe (vgl. bereits [X.], 911, 912). Im Hinblick darauf wäre es unverhältnismäßig, einem Beschäftigten, der die über 40 Entfernungskilometer hinausgehenden Fahrtaufwendungen bereits auf Kosten seines Lebensunterhalts auf sich nimmt, diesen Abzug bei der Berechnung seiner Bedürftigkeit im Rahmen der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe zu verwehren. Ein Verlangen, anlässlich der anstehenden Prozess- oder Verfahrensführung eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen, um für die Verfahrenskosten selbst aufkommen zu können, wäre im Hinblick auf den Zweck der Verfahrenskostenhilfe, den Zugang zu den Gerichten jedermann in gleicher Weise zu eröffnen, nicht angemessen (vgl. auch [X.] Beschluss vom 2. September 2009 - 4 Ta 7/09 - juris Rn. 23; [X.] Beschluss vom 3. November 2010 - 3 Ta 257/10 - juris Rn. 6; vgl. auch [X.], 1424).

d) Allerdings deckt die Pauschale von monatlich 5,20 € je Entfernungskilometer nur die Betriebskosten einschließlich Steuern ab. Zusätzlich sind konkret nachgewiesene Anschaffungskosten als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - [X.] 658/11 - juris Rn. 21 mwN). Daher sind die vom Antragsgegner nachgewiesenen Darlehensraten von monatlich 115,91 € für die Anschaffung eines [X.] im Jahre 2010 zusätzlich abzusetzen. Dass die Anschaffung des für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs unnötig gewesen sei und im Hinblick auf den bereits abzusehenden Rechtsstreit hätte zurückgestellt werden können, ist nicht ersichtlich.

4. Unter Berücksichtigung der im Übrigen unstreitigen Einkommens- und Abzugspositionen verbleibt damit kein einzusetzendes Einkommen, so dass das [X.] im Ergebnis zu Recht keine Ratenzahlung angeordnet hat.

Dose                                             Weber-Monecke                                                    Schilling

                       [X.]

Meta

XII ZB 291/11

08.08.2012

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Bamberg, 11. Mai 2011, Az: 7 WF 137/11

§ 115 Abs 1 S 3 Nr 4 ZPO, § 82 SGB 12, § 3 Abs 6 Nr 2 Buchst a BSHG§76DV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2012, Az. XII ZB 291/11 (REWIS RS 2012, 4007)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4007

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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