Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.08.2012, Az. XII ZB 291/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4015

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 291/11

vom

8. August
2012

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 115; SGB XII § 82
a)
Werden im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die berufsbeding-ten Fahrtkosten in Anlehnung an §
3 Abs.
6 Nr.
2 Buchst.
a der Durchführungs-verordnung zu §
82 SGB
XII ermittelt, ist die Begrenzung des [X.] auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern nicht anzuwenden.
b)
Die Pauschale von monatlich 5,20

e-triebskosten einschließlich Steuern ab. Zusätzlich sind konkret nachgewiesene Anschaffungskosten eines für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs als besondere Belastung im Sinne des §
115 Abs.
1 Satz
3 Nr.
4 ZPO zu berücksich-tigen (im [X.] an Senatsbeschluss vom 13.
Juni 2012 -
XII
[X.] 658/11
-
juris Rn.
21 mwN).

[X.], Beschluss vom 8. August 2012 -
XII [X.] 291/11 -
OLG [X.]

[X.]
-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 8. August
2012 durch den
Vorsitzenden
Richter
Dose und [X.], Schilling, Dr. Gün-ter und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Staatskasse des [X.] gegen den Beschluss des 7.
Zivilsenats -
Familiensenat
-
des [X.]s [X.] vom 11.
Mai 2011 wird [X.].
Gerichtskosten werden nicht erhoben;
außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I.
Die
Rechtsbeschwerde betrifft die Frage, in welcher Höhe Fahrtkosten für den Weg zur Arbeitsstätte
bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen sind.
Der Antragsgegner wird von seiner getrennt lebenden Ehefrau
auf Kin-desunterhalt in Anspruch
genommen.
Das [X.] hat ihm
Verfahrens-kostenhilfe bewilligt und monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 15

e-ordnet. Von dem für die Prozessführung einzusetzenden Einkommen hat es Fahrtkosten für den Weg zur 110
km entfernten Arbeitsstätte
in Höhe von 916

monatlich abgesetzt, berechnet auf der Grundlage von arbeitstäglich je 0,30

für die ersten 30
km und je 0,20

für die weitere Wegstrecke.
Die monatliche 1
2
-
3
-
Belastung von 115,91

e-nen Darlehen hat es nicht
zusätzlich
abgesetzt.

Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, mit der er die
Absetzung
seiner Darlehensaufwendungen verfolgt
hat. Der [X.] hat im
Abhilfeverfahren Stellung genommen und zugunsten des Antragsgegners ein geringeres Einkommen berücksichtigt
sowie höhere Heizkosten und
eine Teilkaskoversicherung, zu seinen Lasten jedoch geringere Fahrtkosten zur [X.] von nur 5,20

110
km einfache Wegstrecke
abge-setzt. Das [X.] hat seiner Entscheidung die Berechnung des [X.] zugrunde gelegt mit Ausnahme der Fahrtkosten zur Arbeitsstätte, die es wie das [X.] mit

monatlich abgesetzt hat, und hat auf dieser
Berechnungsgrundlage
die Ratenzahlungsanordnung aufgehoben. Hier-gegen wendet sich
die Staatskasse des
Landes
mit der
zugelassenen Rechts-beschwerde, mit der sie ihre Rechtsauffassung zum [X.] weiter verfolgt.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft
(vgl. Senatsbeschluss vom 15.
Februar 2012 -
XII
[X.] 451/11
-
FamRZ 2012, 619
Rn.
5), da sie zugelassen ist und
es um Fragen der persönlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. August 2004 -
XII
ZA 6/04
-
FamRZ 2004, 1633, 1634; [X.] Beschluss vom 21.
November 2002 -
V
[X.] 40/02
-
FamRZ 2003, 671). Die Staatskasse ist gemäß §
127 Abs.
3 ZPO beschwerdebefugt und ordnungsgemäß durch den Präsidenten des Land-gerichts vertreten, §
114 Abs.
3 Satz
1 und 2 FamFG.
Die Rechtsbeschwerde
ist
jedoch im Ergebnis nicht begründet.
3
4
5
-
4
-
1.
Das [X.] hat unter Bezugnahme auf eine in [X.], 54 veröffentlichte Entscheidung des [X.] ausgeführt: Die Kosten für die Fahrten zur Arbeit im Rahmen der Bestimmung des einzusetzenden [X.] unterschieden sich nicht von denjenigen Fahrtkosten, die gemäß Ziff. 10.2.2 der jeweils geltenden Leitlinien der Unterhaltsberechnung zugrunde lä-gen. Die Verordnung zur Durchführung des §
82 SGB
XII sei insoweit weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, da §
115 Abs.
1 ZPO nur Bezug auf §
82 SGB
XII nehme, nicht jedoch auf §
96 SGB
XII, der die Ermächtigung für den Erlass der Verordnung enthalte. Zudem habe der Gesetzgeber ausdrück-lich davon abgesehen, die Gerichte an das abweichend strukturierte Sozialhilfe-recht zu binden. Maßgeblich seien vielmehr die tatsächlich notwendigen [X.]. Gemäß den [X.] seien die Sätze nach §
5 Abs.
2 Nr.
2 [X.] anzuwenden, wonach für die ersten 30
km ein Betrag von 0,30

r-nach ergebe sich für den Antragsgegner bei einer einfachen
Wegstrecke von 110
km folgender [X.]: Für die ersten 30 Kilometer: 30
km x 0,30

Arbeitstage = 3.960

jährlich / 12
Monate =
330

,
für die weiteren Kilometer: 80
km x 0,20

x 2 x 220
Arbeitstage = 7.040

r-lich / 12
Monate =
586

, insgesamt somit 916

Danach
verbleibe dem Antragsgegner kein einzusetzendes Einkommen mehr, so dass keine Monatsraten festzusetzen seien.
2.
Dies
hält
einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
a) Gemäß §
113 Abs.
1 FamFG i.V.m. §
115 Abs.
1 Satz
1, 2 ZPO hat ein
Beteiligter, der um Verfahrenskostenhilfe nachsucht,
sein
Einkommen ein-zusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert.
Die Definition
des Einkommensbegriffs in §
115 ZPO
stimmt wörtlich mit der
einleitenden Begriffsbestimmung des §
82 Abs.
1 SGB
XII überein. Auch 6
7
8
9
-
5
-
hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge wird in §
115 Abs.
1 Nr.
1 ZPO auf §
82 Abs.
2 SGB
XII verwiesen. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des §
115 Abs.
1 ZPO an denjenigen des [X.] anknüpft. Dies erklärt sich daraus, dass
Prozesskostenhilfe eine
Form der [X.] im Bereich der Rechtspflege darstellt
(vgl. [X.] 35, 348 = NJW 1974, 229, 230; Senatsbeschluss vom 26.
Januar 2005 -
XII
[X.] 234/03
-
FamRZ
2005, 605).
b) Wie der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall bereits entschieden hat
(Senatsbeschluss vom 13.
Juni 2012 -
XII
[X.] 658/11
-
juris Rn.
19 ff.), [X.] die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien zum Ausdruck kommenden fami-lienrechtlichen Grundsätze nicht unbesehen auf den sozialrechtlichen Einkom-mensbegriff übertragen werden, da das Unterhaltsrecht auf den Einkommens-begriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs
abstellt.
Hingegen
ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fahrtkos-ten in Anlehnung an §
3 Abs.
6 Nr.
2
a der Verordnung zur Durchführung des §
82 SGB
XII (im Folgenden: [X.]) ermittelt werden. Hiernach können -
sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind
-
pro Entfernungskilometer zwi-schen Wohnung und Arbeitsstätte monatlich 5,20

(Senats-beschluss vom 13.
Juni 2012 -
XII
[X.] 658/11
-
juris Rn.
19 ff.).
c) Entgegen einer in Rechtsprechung
und Literatur
vertretenen Auffas-sung (vgl. [X.], 158; [X.] FamRZ 2006, 799;
OLGR [X.] 2008, 36;
MünchKommZPO/[X.] 3.
Aufl. §
115 Rn.
28) ist allerdings die in §
3 Abs.
6 Nr.
2
a [X.] weiter enthaltene Begren-zung des [X.] auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilo-metern bei der Prozess-
und Verfahrenskostenhilfe nicht anzuwenden. Vielmehr ist
grundsätzlich auch für darüber hinausgehende Strecken der Pauschbetrag von 5,20

bzusetzen.
10
11
12
-
6
-
Die im Sozialhilferecht verankerte Beschränkung
auf maximal
40 Entfer-nungskilometer
Wegstrecke zur Arbeit
findet
ihre Rechtfertigung darin, dass einem Beschäftigten, der mehr als 40
km von der Arbeitsstätte entfernt wohnt, grundsätzlich angesonnen werden kann, eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen und dadurch unnötige Fahrtaufwendungen zu ersparen. Kommt er dem nicht nach, fallen ihm die Mehraufwendungen selbst zur Last.
Anders liegt der Fall bei der Gewährung einer punktuellen Unterstützung wie der Prozess-
und Verfahrenskostenhilfe
(vgl. bereits [X.], 911, 912). Im Hinblick darauf wäre es unverhältnismäßig, einem Beschäf-tigten, der die über 40 Entfernungskilometer hinausgehenden Fahrtaufwendun-gen bereits auf Kosten
seines
Lebensunterhalts
auf sich nimmt, diesen Abzug bei der Berechnung seiner Bedürftigkeit im Rahmen
der Prozess-
oder Verfah-renskostenhilfe zu
verwehren. Ein Verlangen,
anlässlich der anstehenden Pro-zess-
oder Verfahrensführung eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen, um für die Verfahrenskosten selbst aufkommen zu können,
wäre im Hinblick auf den
Zweck der Verfahrenskostenhilfe, den Zugang zu den Gerich-ten jedermann in gleicher Weise zu eröffnen,
nicht angemessen
(vgl. auch [X.] Beschluss vom 2.
September 2009 -
4
Ta 7/09
-
juris Rn.
23; [X.] Beschluss vom 3.
November 2010 -
3
Ta 257/10
-
juris Rn.
6; vgl. auch [X.], 1424).
d) Allerdings deckt die Pauschale von monatlich 5,20

je Entfernungski-lometer
nur die Betriebskosten einschließlich Steuern
ab. Zusätzlich sind [X.] nachgewiesene Anschaffungskosten als besondere Belastung im Sinne des §
115 Abs.
1 Satz
3 Nr.
4 ZPO zu berücksichtigen
(Senatsbeschluss vom 13.
Juni 2012 -
XII
[X.] 658/11
-
juris Rn.
21 mwN).
Daher sind die vom Antrags-gegner nachgewiesenen Darlehensraten von monatlich 115,91

n-schaffung eines [X.] im Jahre 2010
zusätzlich abzusetzen. Dass die Anschaffung des
für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs unnötig
ge-13
14
15
-
7
-
wesen sei und im Hinblick auf den bereits abzusehenden Rechtsstreit hätte [X.] werden können, ist nicht ersichtlich.
4. Unter Berücksichtigung der im Übrigen unstreitigen Einkommens-
und Abzugspositionen verbleibt damit kein einzusetzendes Einkommen, so dass das [X.] im Ergebnis zu Recht keine Ratenzahlung angeordnet
hat.
Dose

[X.]

Schilling

Günter

Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 28.02.2011 -
1 F 861/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 11.05.2011 -
7 [X.]/11 -

16

Meta

XII ZB 291/11

08.08.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.08.2012, Az. XII ZB 291/11 (REWIS RS 2012, 4015)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4015

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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