Bundessozialgericht, Urteil vom 27.07.2011, Az. B 12 R 15/09 R

12. Senat | REWIS RS 2011, 4374

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Rentenversicherung - Antragspflichtversicherung selbständig Tätiger - geringfügiges Arbeitseinkommen - beitragspflichtige Einnahme - Versicherungsfreiheit


Leitsatz

Ob die maßgebende (Entgelt-)Geringfügigkeitsgrenze regelmäßig im Monat nicht überstiegen wird, ist auch bei selbstständig Tätigen im Wege vorausschauender Betrachtung zu entscheiden; das gilt auch dann, wenn eine Entscheidung über die Feststellung von Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit erst im Nachhinein getroffen werden soll.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 16. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei einer vom Kläger auf Antrag begründeten Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen einer geringfügigen selbstständigen Tätigkeit im [X.] Versicherungsfreiheit eingetreten war, und über die Erstattung hierfür entrichteter Beiträge.

2

Der 1956 geborene Kläger, der seit Mai 1997 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält, betreibt seit November 1995 ein als Maschinenvermietung angemeldetes Gewerbe. Unter dem 10.5.2005 gab er dem beklagten Rentenversicherungsträger ([X.]) gegenüber an, dass er aus dieser selbstständigen Tätigkeit ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 930 Euro erziele, und fügte hierzu einen Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2003 bei (positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 11 169 Euro). Im Februar 2007 legte er den Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2005 vor, der negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 11 600 Euro auswies. Nach den insoweit maßgebenden Einkommensteuerbescheiden erzielte der Kläger in den Jahren 2002, 2004 und 2006 positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 13 980 Euro bzw 6882 Euro bzw 14 373 Euro.

3

Im Hinblick auf seine selbstständige Tätigkeit ist der Kläger bei der [X.]n seit 1.6.1992 auf seinen Antrag in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Diese setzte einkommensgerechte Rentenversicherungsbeiträge für die [X.] vom 1.1. bis zum 31.5.2005 in Höhe von 234,65 Euro, danach in Höhe von 185,45 Euro und für die [X.] vom 1.11. bis zum 31.12.2005 in Höhe von 112,37 Euro monatlich fest (insgesamt 2325,24 Euro; ua Bescheide vom 10.6.2005 und 27.6.2006).

4

Nachdem die [X.] die für den Veranlagungszeitraum 2005 ausgewiesenen negativen Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei der Beitragshöhe in der Weise berücksichtigt hatte, dass ab [X.] - dem auf die Vorlage des Einkommensteuerbescheides folgenden Monat - nur noch ein Mindestbeitrag in Höhe von 79,60 Euro monatlich zu zahlen war (Bescheid vom 22.2.2007), wandte sich der Kläger an diese mit dem Antrag, für das Kalenderjahr 2005 "nachträglich Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit festzustellen". Mit Bescheid vom [X.] und Widerspruchsbescheid vom [X.] lehnte die [X.] den Antrag ab. Eine rückwirkende Feststellung der Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit komme nicht in Betracht, weil eine solche vorausschauend auf der Grundlage des zu erwartenden Arbeitseinkommens festzustellen sei. Der spätere Nachweis eines niedrigeren Arbeitseinkommens könne nach § 165 Abs 1 Satz 8 [X.]B VI lediglich beitragsrechtlich und dort auch nur für die Zukunft berücksichtigt werden.

5

Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das L[X.] hat die Berufung des [X.] mit Urteil vom 16.6.2009 zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Nach Mitteilung des niedrigeren Arbeitseinkommens für das [X.] habe die [X.] dieses nach § 165 Abs 1 Satz 8 [X.]B VI zutreffend bei der Beitragshöhe und dort für die Zukunft berücksichtigt. Die im [X.] gezahlten Rentenversicherungsbeiträge seien auch nicht deshalb zu Unrecht entrichtet worden, weil rückwirkend Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit festzustellen wäre. Die Anwendung der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit wegen geringfügiger selbstständiger Tätigkeit auf eine Antragspflichtversicherung sei nicht möglich. Die Regelung des § 4 Abs 4 Satz 2 [X.]B VI über die Beendigung eines Pflichtversicherungsverhältnisses auf Antrag sei abschließend. Bei sinkenden Einnahmen eines antragspflichtversicherten Selbstständigen bestehe danach in Fällen wie dem vorliegenden systemkonform nur die in § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]B VI vorgesehene Möglichkeit, die Beiträge nach Mindesteinnahmen zu bemessen. Das komme dem Kläger auch zugute, weil er bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung im [X.] an das [X.] wegen abgelaufener Antragsfrist nicht wieder Aufnahme in die Antragspflichtversicherung hätte finden können. Dessen ungeachtet habe im [X.] nicht vorausschauend davon ausgegangen werden können, dass der Kläger nur ein geringfügiges Arbeitseinkommen aus seiner selbstständigen Tätigkeit erzielen werde.

6

Der Kläger hat Revision eingelegt und rügt eine Verletzung von § 5 Abs 2 Satz 1 Halbs 1 Nr 2 [X.]B VI iVm § 8 Abs 1 und 3 [X.]B IV. Im [X.] habe kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungsfreiheit wegen einer geringfügigen selbstständigen Tätigkeit bestanden. Einer rückwirkenden Feststellung dieser Versicherungsfreiheit stehe § 165 [X.]B VI nicht entgegen, weil die Frage der Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit unabhängig und losgelöst von der Frage der Beitragsbemessung zu prüfen sei. Diese Vorschrift komme nur zur Anwendung, wenn eine versicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit ausgeübt werde. Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang, ob die Rentenversicherungspflicht Selbstständiger kraft Gesetzes oder auf Antrag bestehe. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Antragspflichtversicherung ende mit dem Beginn der Versicherungsfreiheit, und, nach deren Ende bedürfe es eines erneuten Antrags, sei unzutreffend. Die auf Antrag begründete Pflichtversicherung werde durch eine geringfügige selbstständige Tätigkeit lediglich unterbrochen. Andernfalls könne für antragspflichtversicherte Selbstständige eine Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit niemals eintreten. Schließlich stelle die [X.] in der Praxis - im umgekehrten Fall - rückwirkend Rentenversicherungspflicht fest und erhebe Beiträge nach.

7

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Urteile des [X.] vom 4. Juni 2008 und des [X.] vom 16. Juni 2009 sowie den Bescheid vom 27. März 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 3. August 2007 aufzuheben und die [X.] zu verurteilen, seinem Antrag auf Überprüfung der Bescheide vom 10. Juni 2005 und 27. Juni 2006 zu entsprechen, für die [X.] vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Geringfügigkeit festzustellen, und die von ihm entrichteten Beiträge in Höhe von 2325,24 Euro zu erstatten.

8

Die [X.] beantragt schriftsätzlich,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Mit der (Wieder)Einführung einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für rentenversicherungspflichtige Selbstständige ab [X.] habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass für die rückwirkende Annahme von Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs 2 [X.]B VI kein Raum sei, wenn das monatliche Arbeitseinkommen später unter die Geringfügigkeitsgrenze absinke. Das ergebe sich auch aus Sinn und Zweck der Antragspflichtversicherung. Unabhängig hiervon habe trotz der negativen Einkünfte im [X.] eine geringfügige selbstständige Tätigkeit nicht vorgelegen, weil diese bei vorausschauender Beurteilung nicht darauf gerichtet gewesen sei, ständig und über Jahre hinweg Einkünfte von weniger als 400 Euro monatlich zu erzielen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] hat keinen Erfolg. Die vorinstanzlichen Urteile sind im Ergebnis zutreffend. Soweit es um das auf nachträgliche Feststellung der Versicherungsfreiheit im Jahr 2005 gerichtete Begehren geht, ist die Klage unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] ist rechtmäßig. Soweit es um das Beitragserstattungsverlangen des [X.] geht, ist die Klage indessen mangels durchgeführten Vorverfahrens bereits unzulässig, weil die Beklagte über eine Erstattung von Beiträgen in den angefochtenen Bescheiden nicht befunden hat.

1. Im Revisionsverfahren zu überprüfen sind nur die genannten Bescheide der Beklagten. Der Kläger hatte bei ihr einzig den Antrag gestellt, für die [X.] vom 1.1. bis zum 31.12.2005 nachträglich Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen geringfügiger selbstständiger Tätigkeit festzustellen, und damit das Ziel verfolgt, die Versicherungs- und Beitragspflicht als Voraussetzung(en) einer Beitragserhebung in dieser [X.] überhaupt zu "beseitigen". Nur hierüber hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden auch entschieden. Sie hat es darin zu Recht abgelehnt, für die vom Kläger ausgeübte selbstständige Tätigkeit der Maschinenvermietung im Jahr 2005 rückwirkend Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Geringfügigkeit festzustellen.

2. Der Kläger kann eine solche nachträgliche Feststellung bereits deshalb nicht verlangen, weil Versicherungsfreiheit wegen geringfügiger selbstständiger Tätigkeit in der [X.] vom 1.1. bis zum 31.12.2005 nicht bestand. Denn bei der für diesen [X.]raum vorzunehmenden vorausschauenden Betrachtung auf der Grundlage des damaligen [X.], auf die es auch im Rahmen der nachträglichen gerichtlichen Rechtskontrolle ankommt, war die für die Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit maßgebende [X.] im streitigen [X.]raum nicht regelmäßig im Monat unterschritten.

Im Hinblick darauf kann der [X.] offenlassen, ob eine nachträgliche Feststellung der Versicherungsfreiheit auch aus anderen Gründen ausgeschlossen wäre. Auf die Erwägungen des [X.], der Beklagten und des [X.] zu § 165 Abs 1 und § 4 Abs 4 Satz 2 SGB VI kommt es deshalb nicht an. So braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob - wie der Kläger meint - bei versicherungspflichtigen selbstständig Tätigen "die Frage von bestehender Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit unabhängig und losgelöst von der Frage der Beitragsbemessung zu prüfen" ist, oder - wie das Berufungsgericht und die Beklagte unter Hinweis auf die für diese Personengruppe geltende Mindesteinnahmengrenze in § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] ausführen - "für eine Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs 2 SGB VI kein Raum" ist, weil der Gesetzgeber mit der (Wieder)Einführung einer Mindesteinnahmengrenze die Vorstellung verbunden habe, eine Beitragspflicht bestehe stets auch dann (weiter), wenn sich später herausstelle, dass das monatliche Arbeitseinkommen die [X.]. Nicht beantwortet werden muss ferner, ob die Auffassung des [X.] zutrifft, wonach eine Anwendung der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit bei der hier bestehenden Versicherungspflicht auf Antrag (vgl § 4 SGB VI) nicht in Betracht kommt, weil die Regelung über die Beendigung der Antragspflichtversicherung (vgl § 4 Abs 4 Satz 2 SGB VI) abschließend sei, oder die gegenteilige, unter Hinweis darauf begründete Auffassung des [X.], dass das Gesetz insoweit zwischen der Rentenversicherungspflicht Selbstständiger kraft Gesetzes und der Rentenversicherungspflicht Selbstständiger auf Antrag keine Unterscheidung treffe. Der [X.] braucht schließlich der Frage nicht nachzugehen, ob ein auf Antrag begründetes Pflichtversicherungsverhältnis bei Eintritt von Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit lediglich unterbrochen wird oder seine Beendigung durch Verwaltungsakt festzustellen ist und eine "Fortsetzung" der Antragspflichtversicherung deshalb später neu beantragt werden müsste.

a) Gemäß § 5 Abs 2 Satz 1 Halbs 1 [X.] besteht für Personen, die eine geringfügige selbstständige Tätigkeit (§ 8 Abs 3, § 8a [X.]) ausüben, in der gesetzlichen Rentenversicherung in dieser selbstständigen Tätigkeit Versicherungsfreiheit. Nach der - hier einschlägigen - Nummer 1 des § 8 Abs 1 [X.] in dessen im Jahr 2005 maßgebender Fassung ([X.], [X.]) ist eine Beschäftigung (entgelt)geringfügig, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigt. § 8 Abs 3 Satz 1 [X.] ordnet an, dass ua Absatz 1 entsprechend gilt, soweit anstelle einer Beschäftigung eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. Für die Annahme einer geringfügigen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit ist nach § 8 Abs 1 [X.] 1 [X.] Voraussetzung, dass das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen regelmäßig im Monat - und nicht nur gelegentlich - die Grenze von 400 Euro unterschreitet (zum Begriff der "Regelmäßigkeit" bei geringfügig Beschäftigten und den sich hieraus ergebenden Anforderungen vgl [X.] Urteil vom 28.2.1984 - 12 RK 21/83 - [X.] 2100 § 8 [X.] ff und Urteil vom 11.5.1993 - 12 RK 23/91 - [X.] 3-2400 § 8 [X.] ff).

b) Ob die für die Geringfügigkeit maßgebende [X.] regelmäßig im Monat oder nur gelegentlich unterschritten bzw regelmäßig im Monat oder nur gelegentlich überstiegen wird, beurteilt sich im Wege einer vorausschauenden Betrachtung.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] erfordert die Beurteilung der Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit eine Prognose bzw vorausschauende Schätzung (vgl schon Entwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, BT-Drucks 7/4122 [X.] zu Artikel I § 8 Abs 1 [X.] 1). Das hat das [X.] allgemein zu Statusentscheidungen im Sozialversicherungsrecht wiederholt entschieden, etwa im Zusammenhang mit der Jahresarbeitsverdienstgrenze des § 165 Abs 1 [X.] [X.] bzw der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs 1 [X.] (Großer [X.] [X.]E 23, 129 = [X.] [X.] 49 zu § 165 [X.]; [X.]E 24, 262 = [X.] [X.] 50 zu § 165 [X.]; [X.] [X.] 59 zu § 165 [X.]; [X.] 2200 § 165 [X.] 15; [X.] 3-2500 § 6 [X.] 15), der Geringfügigkeitsgrenze des § 168 [X.] und des § 4 Abs 1 [X.] 5 AVG sowie des § 8 [X.] ([X.] [X.] 6 zu § 168 [X.]; [X.] 2200 § 1228 [X.] 1; [X.] 2100 § 8 [X.] 4; [X.] 3-2400 § 8 [X.] 3; zu einer Regelung in der Arbeitslosenversicherung: [X.]E 13, 98 = [X.] [X.] 1 zu § 75a [X.] aF) und schließlich im Zusammenhang mit dem regelmäßigen monatlichen Gesamteinkommen iS des § 205 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 [X.] sowie des § 10 Abs 1 Satz 1 [X.] 5 SGB V (Urteil vom 4.6.1981 - 3 RK 5/80 - [X.] 2200 § 205 [X.] 41; Urteil vom 26.10.1982 - 3 RK 35/81 - [X.] 2200 § 205 [X.] 52; Urteil vom 7.12.2000 - B 10 KR 3/99 R - [X.] 3-2500 § 10 [X.] 19 und Urteil vom [X.]/8 KN 1/06 KR R - [X.] 4-2500 § 10 [X.] 8). Zur Begründung hat das [X.] darauf verwiesen, dass eine rückwirkende Betrachtung mit dem Wesen der Sozialversicherung nicht vereinbar sei, und es im Interesse aller Beteiligten, der Versicherten und der Versicherungsträger liegt, die Frage der Versicherungspflicht und der Versicherungsfreiheit schon zu Beginn zu klären, weil dies nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflicht von entscheidender Bedeutung ist (vgl [X.] [X.] 6 zu § 168 [X.]; [X.] 2200 § 1228 [X.] 1 S 2; [X.] 2200 § 205 [X.] 41 S 103). Gründe, die dafür sprechen könnten, an dieser Rechtsprechung nicht mehr festzuhalten, sind nicht ersichtlich.

Die hiernach erforderliche Prognose erfordert keine alle Eventualitäten berücksichtigende genaue Vorhersage, sondern lediglich eine ungefähre Einschätzung, welches Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nach der bisherigen Übung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist (vgl [X.] [X.] 3-2400 § 8 [X.] 3 S 12 mwN). Im Prognosezeitpunkt muss davon auszugehen sein, dass sich Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bei normalem Ablauf der Dinge nicht relevant verändern. Grundlage der Prognose können dabei lediglich Umstände sein, von denen in diesem [X.]punkt anzunehmen ist, dass sie das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bestimmen werden (vgl [X.] [X.] 2200 § 1228 [X.] 1 S 2). Erweist sich eine - richtige - Prognose im Nachhinein infolge nicht vorhersehbarer Umstände als unzutreffend, so bleibt sie für die Vergangenheit gleichwohl maßgebend (vgl [X.] [X.] [X.] 6 zu § 168 [X.]; [X.] 2200 § 1228 [X.] 1 S 2; [X.] 3-2500 § 10 [X.] 19 S 81). Solche Umstände können die versicherungsrechtliche Stellung dann nicht in die Vergangenheit hinein verändern. Stimmt die - richtige - Prognose mit dem späteren Verlauf nicht überein, so kann das jedoch Anlass für eine neue Prüfung und - wiederum vorausschauende - Betrachtung sein (vgl [X.] [X.] [X.] 6 zu § 168 [X.]; [X.] 2200 § 1228 [X.] 1 S 2; [X.] 3-2500 § 10 [X.] 19 S 81). Es kommt dann darauf an, ob es sich bei dem mit der ursprünglichen Prognose nicht mehr übereinstimmenden Sachverhalt um vorübergehende, mehr zufällige Abweichungen handelt, oder ob hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die bisher das Arbeitsentgelt oder das Arbeitseinkommen bestimmenden Umstände sich nicht nur vorübergehend geändert haben und zu einem anderen regelmäßigen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen im Monat führen.

Diese Grundsätze gelten auch für rückwirkende Entscheidungen (vgl [X.] [X.] 3-2500 § 10 [X.] 19 S 81 mwN). Ist im Nachhinein zu entscheiden, ob etwa während eines in der Vergangenheit liegenden [X.]raums Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit bestand, so ist nachträglich eine vorausschauende Betrachtung vorzunehmen. Auszugehen ist dabei von dem Erkenntnisstand, der damals vorhanden war. Danach besteht eine Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit erst ab dem [X.]punkt, zu dem aus damaliger Sicht mit hinreichender Sicherheit feststand, dass die [X.] regelmäßig im Monat unterschritten wird.

c) Ausgehend von den unter b) dargestellten Grundsätzen ist vorliegend nicht erkennbar, dass zu Beginn des hier streitigen [X.]raums, also zu Beginn des Jahres 2005 vorausschauend ein Arbeitseinkommen des [X.] aus seinem Gewerbebetrieb in der [X.] vom 1.1. bis zum 31.12.2005 zu schätzen war, das regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigen würde.

Bei Beschäftigten hat es das [X.] in der Vergangenheit für die prognostische Beurteilung als zutreffend angesehen, wenn für die voraussichtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitsvertrag oder, wenn sich daraus Hinweise nicht ergaben, an die Erfahrungen der Vergangenheit bei demselben oder anderen Arbeitern oder Angestellten angeknüpft wurde (vgl [X.] [X.] 2200 § 1228 [X.] 1 S 2). Insbesondere bei schwankendem Arbeitsentgelt sei der zu erwartende Verdienst unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte oder des Verdienstes vergleichbarer Personen zu schätzen (vgl - für die Ermittlung des zukünftigen Jahresarbeitsverdienstes - [X.] [X.] [X.] 6 zu § 168 [X.] und [X.]E 23, 129, 131, 135 = [X.] [X.] 49 zu § 165 [X.]). Auch einmalige Bezüge sind so als berücksichtigungsfähig angesehen worden, soweit mit ihnen mit hinreichender Sicherheit gerechnet werden konnte (vgl [X.] [X.] 2200 § 205 [X.] 41 S 102 mwN). Als [X.]raum, auf den die vorausschauende Betrachtung bei Beschäftigten zu erstrecken ist, hat das [X.], insbesondere auch bei der Anwendung der (Entgelt)Geringfügigkeitsgrenze, den [X.]raum eines Jahres angesehen (vgl hierzu und zu den Gründen für diesen zeitlichen Maßstab [X.] [X.] 2100 § 8 [X.] 4 S 5, 6; zur Jahresarbeitsentgeltgrenze siehe heute § 6 Abs 4 SGB V).

Entsprechendes gilt bei selbstständig Tätigen, deren Arbeitseinkommen fast immer schwankend ist (so [X.]E 23, 129, 135 = [X.] [X.] 49 zu § 165 [X.]; [X.] 2200 § 205 [X.] 41 S 103). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.], die bisher aber nur die Beurteilung des regelmäßigen monatlichen Gesamteinkommens iS des § 205 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 [X.] sowie des § 10 Abs 1 Satz 1 [X.] 5 SGB V betraf, darf hier für die auf das Jahr bezogene Prognose von dem bekannten letzten Jahreseinkommen ausgegangen werden (vgl [X.] 2200 § 205 [X.] 41 S 104 f; ferner [X.] 3-2500 § 10 [X.] 19 S 81; für Einkünfte aus Kapitalvermögen: [X.] [X.] 2200 § 205 [X.] 52 S 145). Bei selbstständig Tätigen, die ihre Einnahmen zum Teil - zB durch entsprechende Rechnungsstellung - zeitlich disponieren könnten, biete sich nämlich als oft allein praktikable Möglichkeit an, aus den regelmäßigen Einnahmen über einen längeren [X.]raum (zB über ein Jahr) einen Monatsbetrag zu ermitteln.

In Anbetracht des vom Kläger als Maschinenvermietung betriebenen Gewerbes und der schwankenden Einnahmen aus dieser selbstständigen Tätigkeit konnte das für die [X.] vom 1.1. bis zum 31.12.2005 zu erwartende regelmäßige monatliche Arbeitseinkommen iS des § 8 Abs 1 [X.] 1 [X.] nach damaligem Erkenntnisstand - mangels weiterer Umstände - nur aus dem zu Beginn des Jahres 2005 bekannten letzten Jahreseinkommen erschlossen werden. Zu Beginn des Jahres 2005 sicher vorhersehbare Umstände, die ein anderes regelmäßiges monatliches Arbeitseinkommen im laufenden Jahr erwarten ließen, also ein solches, das die für die Geringfügigkeit geltende [X.] regelmäßig im Monat unterschritt, und den Rückgriff auf das letzte bekannte Jahreseinkommen ausschlossen oder einschränkten, lagen nach den Feststellungen des [X.] nicht vor. Bekannt war der Beklagten zu Beginn des Jahres 2005 lediglich das Arbeitseinkommen für den Veranlagungszeitraum 2002, das ihr im Mai 2004 durch Vorlage des entsprechenden Einkommensteuerbescheides nachgewiesen worden war. Danach hat der Kläger im Veranlagungszeitraum 2002 positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 13 980 Euro (1165 Euro monatlich) erzielt. Der Kläger hatte damit im Veranlagungszeitraum 2002 noch positive Einkünfte, die deutlich über der [X.] von 400 Euro monatlich lagen. Die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für den Veranlagungszeitraum 2003 im Mai 2005 gab zwar Anlass zu einer neuen prognostischen Beurteilung. Jedoch war auch hiernach nicht die Annahme gerechtfertigt, das Arbeitseinkommen des [X.] werde in der Folgezeit (bis zum 31.12.2005) die für die Geringfügigkeit geltende [X.] von 400 Euro regelmäßig im Monat nicht übersteigen. Denn der Kläger erzielte im Veranlagungszeitraum 2003 positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 11 169 Euro (931 Euro monatlich). Darüber hinaus hatte er selbst der Beklagten gegenüber unter dem [X.] angegeben, sein monatliches Arbeitseinkommen aus der Maschinenvermietung betrage (aktuell) 930 Euro im Monat. Auch wenn sich daraus keine Bestätigung für die Richtigkeit der Prognose, bezogen auf den hier maßgebenden (Prognose)[X.]raum 2005, entnehmen lässt, so ergibt sich - weiterhin - aus der Entwicklung des Arbeitseinkommens im Folgejahr 2006 gleichwohl, dass es sich bei der Negativbilanz des Jahres 2005 lediglich um eine vorübergehende zufällige Abweichung in der Einkommensentwicklung gehandelt hat und sich die Erwerbsverhältnisse des [X.] ständig über die Jahre hinweg auch tatsächlich nicht relevant verändert haben. Nach den Feststellungen des [X.] erzielte der Kläger im Veranlagungszeitraum 2006 nämlich wieder positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 14 373 Euro (1198 Euro monatlich).

Verfahrensrügen, die die Feststellung der für die vorausschauende Betrachtung - nach damali-gem Erkenntnisstand - erforderlichen Tatsachen, insbesondere der die Prognosegrundlage bildenden Tatsachen, betreffen, hat der Kläger nicht erhoben, sodass die Feststellungen des [X.] insoweit für den [X.] bindend sind (§ 163 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 12 R 15/09 R

27.07.2011

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Mannheim, 4. Juni 2008, Az: S 1 R 2896/07, Urteil

§ 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4, § 8 Abs 3 SGB 4, § 4 Abs 2 SGB 6, § 4 Abs 4 S 2 SGB 6, § 5 Abs 2 S 1 Halbs 1 Nr 2 SGB 6, § 165 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6, § 165 Abs 1 S 8 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 27.07.2011, Az. B 12 R 15/09 R (REWIS RS 2011, 4374)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4374

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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