Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2008, Az. VI ZR 126/07

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2008, 6020

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES [X.]/07 Verkündet am: 22. Januar 2008 [X.], Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja [X.] § 328, § 823 Abs. 1 Dc, [X.]Die Übertragung der Streupflicht durch den Vermieter auf einen Dritten dient auch der Sicherung des Zugangs zum Mietobjekt. Die dort wohnhaften Mieter können deshalb in den Schutzbereich des Übertragungsvertrages einbezogen sein. Die deliktische Einstandspflicht des mit der Wahrnehmung der Verkehrssiche-rung Beauftragten besteht auch dann, wenn der [X.] nicht rechtswirksam zustande gekommen ist. [X.], Urteil vom 22. Januar 2008 - [X.]/07 - [X.] [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, [X.], die Richterin [X.] und [X.] und Zoll für Recht erkannt: Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 15. März 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand: Die Klägerin verlangt von der Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz für die Folgen eines durch Eisglätte verursachten Sturzes. 1 Am 5. Februar 2001 gegen 9.30 Uhr stürzte die Klägerin beim Verlassen des von ihr bewohnten Hauses in [X.], weil trotz Schnee- und Eisglätte der Eingangsbereich nicht hinreichend bestreut war. Sie zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu. Die Stadt [X.] hat die ihr obliegende Räum- und Streupflicht auf die Hauseigentümer übertragen. Der Eigentümer des betreffenden Grund-stücks hat seinerseits seit über 10 Jahren die Beklagte mit der Erfüllung der ihm 2 - 3 - obliegenden Pflichten betraut. Die nach § 6 Abs. 1 Straßenreinigungsgesetz [X.] vorgeschriebene Übertragungsanzeige an die Stadt [X.] fehlte für den Winter 2000/2001. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte aufgrund der Übernahme der Räum- und Streupflicht für die Folgen des Sturzes hafte. 3 Mit Beschluss vom 25. April 2003 wurde gegen die Beklagte das Insol-venzverfahren eröffnet. Am 7. April 2005 wurde vom Amtsgericht die Rest-schuldbefreiung angekündigt und am 18. Mai 2005 nach Abhaltung des [X.] das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.]. Das [X.] hat die Klage mangels [X.] als unzulässig abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter. Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hält die Klage zwar für zulässig, aber nicht für [X.]. Die [X.] sehe eine Präklusion von Ansprüchen, die nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden sind, nicht vor. Sie ergebe sich auch nicht aus § 87 [X.]. [X.] stehe auch nicht § 294 [X.] entgegen (vgl. [X.], 515, 516). Ein Titel könne während der [X.] nicht vollstreckt werden und im Fall einer Restschuldbefreiung stünde § 301 [X.] einer Vollstreckung entgegen. 4 Im Übrigen verneint das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten, weil eine Anspruchsgrundlage nicht gegeben sei. Es ist der Auffassung, dass der Vertrag, mit dem die Räum- und Streupflicht für die Wintersaison 2000/2001 5 - 4 - vom Hauseigentümer auf die Beklagte übertragen worden sei, keine Schutz-wirkung zugunsten der Klägerin entfalte. Der Mietvertrag mit dem Eigentümer umfasse nicht die öffentliche Straße, so dass die Klägerin den übrigen Straßen-benutzern gleichgestellt sei. Die deliktische Haftung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht scheitere daran, dass die [X.] am 5. Februar 2001 für den Unfallort nicht verkehrssicherungspflichtig gewe-sen sei. Zwar könne nach § 6 Abs. 1 des Straßenreinigungsgesetzes [X.] ein Dritter in die Verpflichtung des Eigentümers des Anliegergrundstücks zur Durchführung des Winterdienstes eintreten. Hierfür sei aber die Anzeige der Übertragung an die Behörde und deren Zustimmung Voraussetzung. Beides fehle für die Wintersaison 2000/2001. I[X.] Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. 6 1. Zwar hat das Berufungsgericht mit Recht die Klage für zulässig erach-tet. Hierfür besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn sich die Beklagte in der Wohlverhaltensphase befindet und für die Klägerin das [X.] nach § 294 Abs. 1 [X.] gilt, obwohl die streitgegenständliche Forderung nicht zur Tabelle angemeldet wurde und nicht bei der Verteilung der eingegan-genen Beträge durch den Treuhänder berücksichtigt wird (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 2006 - [X.]/03 - [X.], 1780 m.w.[X.]). Mangels Vollstre-ckungswirkung der Klage kann der Klägerin die Geltendmachung der Forderung aber nicht aufgrund des [X.] nach § 294 Abs. 1 [X.] unter-sagt werden. Die Parteien befinden sich noch im Erkenntnisverfahren und nicht im Vollstreckungsverfahren. Ein Rechtsschutzinteresse kann der Klägerin auch nicht mit Blick auf die Regelung in § 301 Abs. 1 [X.] abgesprochen werden. 7 - 5 - Danach wirkt die Restschuldbefreiung, wird sie erteilt, gegen alle Insolvenz-gläubiger. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift auch für Gläubiger, die ihre [X.] nicht angemeldet haben. Ob der Beklagten die begehrte Restschuld-befreiung erteilt werden wird, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden (vgl. §§ 295 ff. [X.]). Würde die Restschuldbefreiung versagt, könnten die [X.] sofort gegen die Beklagte aus der Eintragung in die Tabelle vollstrecken (§ 201 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.]). Das Vollstreckungs-verbot des § 294 Abs. 1 [X.] stünde dem nicht mehr entgegen (vgl. § 299 In-sO). Würde die Klägerin darauf verwiesen, sie müsse erst die Versagung bzw. den Widerruf einer bereits erteilten Restschuldbefreiung abwarten, um den Rechtsstreit fortzusetzen, würde sie gegenüber den anderen Gläubigern, die sofort vollstrecken dürfen und könnten, benachteiligt. Dies ist nicht Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 294 Abs. 1, 301 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 28. Juni 2007 - [X.] - [X.], 1844, 1845; [X.] - Urteil vom 12. Dezember 2007 - 3 U 82/07 - Rn. 14/17 ju-ris; [X.], [X.], 515, 516; [X.], [X.], 12. Aufl., § 87 Rn. 3). Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist § 87 [X.] nicht analog für das [X.] anwendbar (vgl. [X.], aaO). [X.] spricht schon, dass die gesetzliche Regelung in § 301 Abs. 1 Satz 2 In-sO davon ausgeht, dass auch Gläubiger, die nicht Insolvenzgläubiger sind, Forderungen geltend machen können. [X.] rechtliche Bedenken bestehen jedoch gegen die recht-lichen Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht jegliche Anspruchsmög-lichkeit für die Klägerin gegen die Beklagte verneint. Die Beklagte könnte [X.] der Übernahme der Streu- und Räumpflicht deliktisch zum Schadenser-satz und damit auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet sein. 8 - 6 - a) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats können Verkehrssicherungspflichten mit der Folge eigener Entlastung delegiert werden. Die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen verkürzen sich dann auf Kontroll- und Überwachungspflichten. Wer sie übernimmt, wird seinerseits deliktisch verantwortlich. Voraussetzung hierfür ist, dass die Über-tragung klar und eindeutig vereinbart wird (vgl. Senatsurteile vom 4. Juni 1996 - [X.] ZR 75/95 - [X.], 1151, 1152; vom 17. Januar 1989 - [X.] ZR 186/88 - [X.], 526 f. und vom 8. Dezember 1987 - [X.] ZR 79/87 - [X.], 516, 517; [X.] VersR 2000, 862; [X.] [X.], 900; OLG Düsseldorf NJW 1992, 2972; [X.], 535; [X.] 1997, 501; [X.]/[X.], [X.] 25. Aufl. [X.]. 14 Rn. 204). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist hingegen nicht erforderlich, dass die nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderliche Anzeige der Übertragung ge-genüber der zuständigen Behörde erfolgt ist. Die deliktische Einstandspflicht des mit der Wahrnehmung der Verkehrssicherung Beauftragten besteht auch dann, wenn der Vertrag mit dem Primärverkehrssicherungspflichtigen nicht rechtswirksam zustande gekommen ist (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 1989 - [X.] ZR 186/88 - aaO; [X.]/[X.] 12. Aufl., § 823 Rn. 129; [X.], 4. Aufl., § 823 Rn. 288 f.; Soergel/[X.], [X.], 13. Aufl., § 823 Anh. II Rn. 53 f.; [X.]/[X.] (1999) § 823 [X.] E 64; von [X.], [X.], 1980, [X.]). Entscheidend ist, dass der in die Verkehrssi-cherungspflicht [X.] faktisch die Verkehrssicherung für den Gefahrenbe-reich übernimmt und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den primär Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf das [X.] des Beauftragten verlässt. Dieser ist aufgrund der von ihm mitveranlassten neuen Zuständigkeitsverteilung für den übernommenen Gefahrenbereich nach allgemeinen [X.] verantwortlich. Insofern ist seine Verkehrssi-cherungspflicht nicht abgeleiteter Natur. Vielmehr erfährt sie mit der Übernahme 9 - 7 - durch den Beauftragten in seine Zuständigkeit eine rechtliche Verselbständi-gung. Er ist es fortan, dem unmittelbar die Gefahrenabwehr obliegt und der [X.] zu sorgen hat, dass niemand zu Schaden kommt. Inhalt und Schutzbereich dieser verselbständigten Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich allein da-nach, was objektiv erforderlich ist, um mit der Gefahrenstelle in Berührung kommende Personen vor Schaden zu bewahren. b) Hat die Beklagte die von ihr übernommene Verpflichtung zur Streuung des Fußweges schuldhaft verletzt, ist die Klägerin infolgedessen gestürzt und sind die geltend gemachten Verletzungen darauf zurückzuführen, ist der [X.] dem Grunde nach zu bejahen. Ob dies der Fall ist, kann der erkennende Senat aufgrund der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nicht [X.]. 10 3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommen - da es sich um einen Altfall handelt nur hinsichtlich des materiellen Schadens (Art. 229 §§ 5, 8 Abs. 1 EG[X.]) - auch vertragliche Schadensersatzansprüche aufgrund der Schutzwirkung des Vertrages zwischen dem Eigentümer und der Beklagten zu Gunsten der Klägerin in Betracht. In den Schutzbereich eines Vertrages sind Dritte einbezogen, auf die sich Schutz- und Fürsorgepflichten aus vertraglichen Vereinbarungen nach dem Vertragszweck zwangsläufig erstrecken. Um die Schutzpflichten zugunsten Dritter nicht zu weit auszudehnen, ist allerdings er-forderlich, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berüh-rung kommt und der Gläubiger ein schutzwürdiges Interesse an der [X.] in den Schutzbereich des Vertrages hat (vgl. [X.] 133, 168, 171 ff.). Mit Recht weist die Revision darauf hin, dass im Streitfall diese Voraus-setzungen zu bejahen sind. Die Sicherung des unmittelbaren Zugangs zum [X.] ist Aufgabe des Vermieters. Sie dient vor allem dem Schutz der Mieter (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 1968 - [X.] ZR 134/67 - 11 - 8 - VersR 1968, 1161; [X.]/Weidenkaff [X.] 67. Aufl. § 535 Rn. 60). Dass die Übertragung der Streupflicht den sicheren Zugang der Mieter zum Haus und damit u.a. für die Klägerin gewährleisten sollte, liegt auf der Hand. Dies war auch für die Beklagte ohne weiteres erkennbar. 12 4. Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen. Müller [X.] [X.] [X.]

Zoll Vorinstanzen: LG [X.], Entscheidung vom 26.07.2006 - 18 O 104/06 - [X.], Entscheidung vom 15.03.2007 - 10 U 165/06 -

Meta

VI ZR 126/07

22.01.2008

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2008, Az. VI ZR 126/07 (REWIS RS 2008, 6020)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 6020

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