Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.03.2012, Az. V ZR 169/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8587

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Gegenstand

Obligatorische Streitschlichtung in Nordrhein-Westfallen bei Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs gegen einen Grundstücksnachbarn


Leitsatz

In Nordrhein-Westfalen unterliegen Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung für Nachbarrechtsstreitigkeiten nach § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGZPO und § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a GüSchlG NRW (= § 53 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a JustG NRW).

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 24. Zivilsenats des [X.] vom 28. Juni 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger verlangen von der [X.] in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Geldausgleich für einen durch Hausschwamm entstandenen Schaden an ihrem an der Grundstücksgrenze stehenden Fachwerkhaus. Die Beklagte soll auf ihrem Grundstück Erdreich so abgelagert haben, dass es an der mit [X.] verkleideten Wand des Fachwerkhauses anliegt und Feuchtigkeit in diese Wand leitet. Die Kläger haben nach dem Scheitern einer außergerichtlichen Einigung ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt und anschließend ohne vorheriges Güteverfahren nach der damals geltenden Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 1 GüSchlG NRW (heute: § 53 [X.]) Klage erhoben. Das [X.] hat die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 49.208,88 € nebst Zinsen verurteilt. Das [X.] hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision streben die Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I.

2

Das Berufungsgericht ist der Meinung, im [X.] seien Klagen aus § 906 BGB gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a GüSchlG [X.] (heute: § 53 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a [X.] [X.]) nur nach einem vorausgegangenen Schlichtungsverfahren zulässig. Die nahezu wortgleiche Regelung des [X.] erfasse zwar nach der Auslegung durch den [X.] nur [X.] und Unterlassungsklagen, die auf § 906 BGB gestützt werden, nicht Zahlungsklagen. Die Regelung in [X.] sei aber anders zu verstehen. Das ergebe sich daraus, dass der Gesetzgeber dieses [X.] ein obligatorisches Schlichtungsverfahren auch für Klagen nach dem Abschnitt 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorgeschrieben habe, der mit § 21 Abs. 2 AGG auch eine Schadensersatznorm umfasse. Dass der [X.] die [X.] Regelung dessen ungeachtet wie die [X.] verstehe, sei nicht tragend und deshalb nicht verbindlich.

II.

3

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

4

1. Die Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche „wegen der in § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelten Einwirkungen“ ist im [X.] nach § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGZPO und der bei Erhebung der vorliegenden Klage noch geltenden Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a GüSchlG erst zulässig, nachdem versucht worden ist, die Streitigkeit vor einer zugelassenen Gütestelle einvernehmlich zu regeln. Daran hat sich durch die in dem laufenden Rechtsstreit mit sofortiger Wirkung eingetretene Ersetzung des § 10 GüSchlG [X.] durch § 53 [X.] [X.] nichts geändert. Beide Vorschriften sind wortgleich. Außerdem könnte eine spätere Gesetzesänderung wegen des aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten [X.] nur eine unzulässige Klage zulässig ([X.]surteil vom 10. Juli 2009 – [X.], NJW-RR 2009, 1238, 1239 Rn. 11 [X.]), nicht aber eine zulässige Klage nachträglich unzulässig machen.

5

2. Die Kläger haben einen solchen [X.] nicht unternommen. Ihre Klage wäre deshalb unzulässig, wenn es sich hierbei um eine Streitigkeit „wegen der in § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelten Einwirkungen“ handelte. Dass das [X.] die Klage als zulässig behandelt und in der Sache entschieden hat, änderte daran nichts (vgl. [X.], Urteil vom 23. November 2004 – [X.], [X.]Z 161, 145, 149 f.).

6

3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist eine Klage auf Zahlung eines angemessenen Ausgleichs in Geld in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, um die es hier geht, keine Streitigkeit wegen der in § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelten Einwirkungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a GüSchlG [X.] (heute: § 53 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a [X.] [X.]).

7

a) Das könnte sich schon daraus ergeben, dass die bundesrechtliche Ermächtigung in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGZPO, deren Tatbestand der [X.] [X.]gesetzgeber wörtlich in das [X.]recht übernommen hat, nur [X.] und Unterlassungsansprüche, aber keine Zahlungsansprüche erfasst. Ob das der Fall ist, ist umstritten (Nachweise im [X.]surteil vom 10. Juli 2009 – [X.], NJW-RR 2009, 1238, Rn. 9). Der [X.] hat die Frage in der zitierten Entscheidung offen gelassen. Sie muss auch hier nicht entschieden werden.

8

b) Mit § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a GüSchlG [X.] (heute: § 53 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a [X.] [X.]) wird ein [X.] vor der Erhebung der Klage zu den ordentlichen Gerichten nicht für Zahlungsklagen, sondern nur für andere Streitigkeiten über Ansprüche aus den in § 906 BGB geregelten Einwirkungen vorgeschrieben.

9

aa) Diese Einschränkung findet allerdings im Wortlaut sowohl des hier noch maßgeblichen § 10 Abs. 1 GüSchlG [X.] als auch des heute geltenden § 53 Abs. 1 [X.] [X.] keinen ausdrücklichen Niederschlag. Sie ergibt sich aber zwingend aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Der [X.] hat das für die wortgleiche Vorschrift des [X.]n [X.]rechts entschieden (Urteil vom 10. Juli 2009 – [X.], NJW-RR 2009, 1238 f. Rn. 10 ff.). Der [X.] ist, ohne das näher auszuführen, für das [X.] von einer übereinstimmenden Rechtslage ausgegangen (Urteil vom 8. Juli 2008 – [X.], NJW-RR 2008, 1662, 1663 Rn. 13). Die Erwägung des Berufungsgerichts, der Gesetzgeber des [X.] [X.] verstehe seine mit der [X.]n Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a hess. [X.] wörtlich übereinstimmende Regelung anders als jene, trifft nicht zu. Die Rechtslage in [X.] ist bei den Zahlungsklagen nicht anders als die in [X.].

bb) Das [X.] [X.]recht sah – wie das [X.] [X.]recht - den obligatorischen [X.] ursprünglich nicht nur für die heute in § 53 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.] bezeichneten Streitigkeiten, sondern auch für die in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGZPO bezeichneten vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche mit geringem Streitwert vor. Der Unterschied bestand nur darin, dass die bundesrechtliche Ermächtigung, die eine Einbeziehung von Streitigkeiten bis zu einem Wert von 750 € erlaubt, in [X.], anders als in [X.], nicht vollständig, sondern nur für Streitigkeiten mit einem Streitwert bis zu 600 € ausgenutzt worden war. Diese Regelung hat der [X.] Gesetzgeber durch Gesetz vom 20. November 2007 (GV.[X.] [X.]83) aufgehoben. Er hat die Aufhebung mit der gleichen Erwägung begründet wie der [X.] Gesetzgeber die zwei Jahre zuvor erfolgte Aufhebung der entsprechenden Regelung in [X.]. In der Entwurfsbegründung heißt es dazu, die Regelung habe sich nicht bewährt. Das habe die Evaluation der Regelungen durch eine [X.], aber auch eine Evaluation speziell der Verhältnisse in [X.] durch ein Sachverständigengutachten ergeben ([X.] [X.]. 14/4975 S. 7 f.). Dazu wird auf einen Bericht des [X.]s des [X.] [X.] vom 1. März 2005 (3180 – [X.], [X.] LT-Vorlage 13/3254) Bezug genommen, in dem eine Aufgabe der obligatorischen Streitschlichtung empfohlen wird. Der Bericht hebt hervor, dass die obligatorische Streitschlichtung in diesem Bereich ihre Funktion nicht erfüllen könne, weil das Mahnverfahren schlichtungsfrei genutzt werden könne und die Mahnverfahren seit Einführung der obligatorischen Streitschlichtung um etwa 20 Prozentpunkte gestiegen seien ([X.] LT-Vorlage 13/3254 [X.]). Der Bericht kommt zu folgender Bewertung ([X.] LT-Vorlage 13/3254 S. 9):

„Insgesamt kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass es nahe liegt, auf die obligatorische Streitschlichtung für Geldforderungen zu verzichten. Ohne die Geldforderungen bleiben für die obligatorische Streitschlichtung in erster Linie die Ehrschutzsachen und die Nachbarstreitigkeiten. Beide Streitgegenstände zusammen machen schon jetzt zwei Drittel der obligatorischen Güteverfahren aus.“

Diese Empfehlung sollte mit der Aufgabe der obligatorischen Streitschlichtung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 600 € umgesetzt werden ([X.] [X.]. 14/4975 S. 8). Die zitierte Stelle der Empfehlung zeigt unmissverständlich, dass der Gesetzgeber mit dem federführenden [X.] des [X.] davon ausging, dass die obligatorische Streitschlichtung in den Nachbarstreitigkeiten keine Zahlungsklagen umfasst. Wie der Gesetzgeber in [X.], auf dessen Beispiel sich die Entwurfsbegründung ausdrücklich bezieht ([X.] [X.]. 14/4975 S. 8), wollte auch der Gesetzgeber in [X.] alle Geldforderungen schlichtungsfrei stellen. Das gilt ohne Einschränkungen und damit auch für Ansprüche in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.

cc) An diesem Befund ändert es nichts, dass der Gesetzgeber in [X.], anders als der des [X.], bei dieser Gelegenheit eine obligatorische Streitschlichtung auch für Streitigkeiten über Ansprüche nach Abschnitt 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eingeführt hat. Die [X.]regierung begründet die Erweiterung mit der Erwägung, dass sich diese Streitigkeiten „vergleichbar der [sic] Ehrschutz- und Nachbarrechtsstreitigkeiten“ für eine Schlichtung eigneten ([X.] [X.]. 14/4975 S. 8). Unter Ehrschutz- und Nachbarrechtsstreitigkeiten versteht der Gesetzgeber aber nicht alle Streitigkeiten aus diesem Gebiet, sondern nur solche, die nicht auf Geldzahlung gerichtet sind. Anhaltspunkte dafür, dass er das bei den Streitigkeiten nach dem Abschnitt 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anders gesehen hat, fehlen. Die Ausführungen zu den Kostenbelastungen der (die Schiedsämter unterhaltenden) Kommunen im Vorblatt des Gesetzentwurfs belegen das Gegenteil. Dort wird nämlich erläutert, dass sich eine nennenswerte Mehrbelastung nicht ergeben werde, weil die zusätzliche Belastung durch den Fortfall der vermögenrechtlichen Streitigkeiten kompensiert werde. Das konnte nur zutreffen, wenn alle Geldforderungen aus der obligatorischen Schlichtung ausgenommen werden sollten.

4. Die Erhebung der Klage setzte deshalb nicht die Durchführung eines [X.]s voraus. Die Klage durfte nicht als unzulässig abgewiesen werden. Auf die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob das Urteil ohnehin nach § 547 Nr. 6 ZPO aufzuheben wäre, weil die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vergessen hat, den [X.] auf der Aktenausfertigung des – im Original ordnungsgemäß unterzeichneten – Urteils zu unterschreiben, kommt es nicht an.

III.

Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – mit dem geltend gemachten Anspruch nicht in der Sache befasst hat. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hierfür weist der [X.] vorsorglich darauf hin, dass die Klage, anders als das Berufungsgericht offenbar meint, gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband gerichtet und dass dies nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG auch in der Sache richtig ist (Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 10 Rn. 266; [X.]/[X.]/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 10 Rn. 421 Stichwort „Ansprüche eines Nachbarn“; [X.], [X.] 2006, 462, 468).

Krüger                                                   [X.]                                                  [X.]t-Räntsch

                           Brückner                                                  Weinland

Meta

V ZR 169/11

02.03.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 28. Juni 2011, Az: 24 U 128/10

§ 15a Abs 1 S 1 Nr 2 ZPOEG, § 10 Abs 1 Nr 1 Buchst a GüStSchlG NW, § 53 Abs 1 Nr 1 Buchst a JustizG NW, § 906 Abs 2 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.03.2012, Az. V ZR 169/11 (REWIS RS 2012, 8587)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8587

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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