Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.04.2017, Az. IX ZB 19/16

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 12732

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:060417BIXZB19.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 19/16
vom

6. April 2017

in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
Lugano-Übk II Art. 34 Nr. 1
Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, die auf einer ausführlichen
Be-weisaufnahme und Beweiswürdigung beruht, widerspricht nicht deshalb dem ordre public, weil die ausländische Entscheidung auch eine negative Beweisregel berück-sichtigt, dass die Aussage einer [X.] zu ihren eigenen Gunsten keinen Beweis [X.].
[X.], Beschluss vom 6. April 2017 -
IX ZB 19/16 -
OLG [X.]

LG [X.] I

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Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], [X.] Dr. Gehrlein, [X.], die Richterin [X.] und [X.] Schoppmeyer

am 6. April 2017
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.] vom 15. Februar 2016 wird auf Kosten der Antragsgegnerin als unzulässig verworfen.

Der Wert des [X.] wird auf 63.296,12

festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin nahm den Antragsteller vor dem Bezirksgericht [X.] auf Schadensersatz wegen einer ärztlichen Behandlung in Anspruch. [X.] ein erstes Urteil des [X.] im Rechtsmittelverfahren auf-gehoben und die Sache an das Bezirksgericht [X.] zurückverwiesen worden war, wies das Bezirksgericht [X.] die Klage mit Urteil vom 20.
November 2013 erneut ab. Es verpflichtete die Antragsgegnerin in diesem Urteil, an den Antragsteller für die Prozesskosten eine [X.] von 50.000
CHF zu zahlen. Die gegen dieses Urteil fristgerecht eingelegte Berufung 1
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der Antragsgegnerin wies das Obergericht des [X.] mit Urteil vom 18.
September 2014 zurück und verpflichtete die Antragsgegnerin, dem Antrag-steller eine (weitere) [X.] von 19.000
CHF zu zahlen.

Mit Beschluss vom 25.
September 2015 hat der Vorsitzende
einer Zivil-kammer des [X.] angeordnet, dass die Urteile des [X.] vom 20.
November 2013 und des Obergerichts des [X.] vom 18.
September 2014, durch welche die Antragsgegnerin zur Zahlung von 50.000
CHF sowie 19.000
CHF verurteilt worden ist, mit der [X.] zu versehen sind. Die dagegen eingelegte Beschwerde der [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die An-tragsgegnerin die Aufhebung und Versagung der Vollstreckbarerklärung.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
15 Abs.
1 [X.], §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr. 1 ZPO statthaft, jedoch unzulässig, weil die Voraussetzungen des §
574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeu-tung noch erfordert sie eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer ein-heitlichen Rechtsprechung.

1. Das Beschwerdegericht hat -
soweit noch von Interesse
-
ausgeführt, die Vollstreckbarerklärung könne nicht nach Art.
34 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-scheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 30.
Oktober 2007 ([X.], fortan: [X.]) versagt werden. Es liege kein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public vor.
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Das Bezirksgericht [X.] habe den Vortrag der Antragsgegnerin zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen. Soweit das [X.] auf der Grundlage von §
149 Abs. 3 des Gesetzes über den [X.] des [X.] (fortan: ZPO/[X.]) eigenen Aussagen der [X.], die ihr günstig gewesen seien, keinen Beweiswert zugemessen habe, jedoch ihre Aussagen, sie habe bei Beginn der Behandlung durch den Antrag-steller unter anhaltenden Schmerzen gelitten und dem Urteil des Antragstellers vertraut, zu ihrem Nachteil verwertet habe, liege darin kein Verstoß gegen den ordre public. Auch im [X.]
Recht habe erst die Entscheidung des [X.] vom 14.
März 1995 (VI
ZR 122/94, [X.]Z 129, 108 ff) dazu geführt, dass bei einer [X.]vernehmung eine freie Beweiswürdigung hinsicht-lich der gesamten Aussage zu erfolgen habe. Im übrigen habe es sich bei den Umständen nur um zwei Mosaiksteine der Urteilsbegründung gehandelt; das Bezirksgericht [X.] habe seine Überzeugungsbildung auch auf weitere Um-stände gestützt. Auch wenn die der Antragsgegnerin günstigen Angaben aus ihrer Anhörung nach [X.] Recht gemäß §
286 ZPO frei zu würdigen [X.], rechtfertige dies nicht den Schluss, dass die [X.] Urteile nicht in ei-nem rechtsstaatlichen Verfahren ergangen seien.

2. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass ein [X.] besteht. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss die Antragsgegne-rin weder in ihren Grundrechten aus Art.
2, 3, 20 und 103 GG noch in ihrem Recht aus Art.
6 EMRK.

a) Das Beschwerdegericht geht zutreffend davon aus, dass Art.
45 [X.] die Voraussetzungen abschließend regelt, unter denen die Vollstreckbarerklä-rung eines ausländischen Urteils aufgehoben werden kann. Es nimmt zutref-5
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fend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen an, dass allein der [X.] nach Art.
34 Nr.
1 [X.] in Betracht kommt. Danach wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich wi-dersprechen würde. Die Anforderungen an den ordre public sind geklärt. Eine Anwendung der
Vorbehaltsklausel kommt nur in Betracht, wenn die Anerken-nung oder Vollstreckung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Ent-scheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungs-staates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Ent-scheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (vgl. [X.], Beschluss vom 10.
September 2015 -
IX ZB 39/13, [X.], 2142 Rn.
11 mwN; Urteil
vom 10.
September 2015 -
IX
ZR
304/13, [X.], 2248
Rn. 10 mwN
zu Art. 26 EuInsVO).

Bei der Prüfung des Verfahrens des [X.] kann deshalb nicht schon dann die Anerkennung versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des [X.] Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des [X.] [X.] in einem solchen Maße entfernt, dass nach der [X.] Rechtsord-nung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren er-gangen angesehen werden kann. Nur dies und nicht die Frage, ob bei gleicher Verfahrensweise [X.] gegen tragende Grundsätze des deut-8
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schen Verfahrensrechts verstoßen hätte, bildet den Maßstab dafür, ob die Ent-scheidung des ausländischen Gerichts gegen den [X.] verfahrensrechtli-chen ordre public international verstoßen hat ([X.], Beschluss vom 10.
Sep-tember 2015, aaO Rn. 12 mwN). Bei der Anwendung des verfahrensrechtlichen ordre public international ist auf die Grundsätze abzustellen, die Art.
103 Abs.
1 GG schützen will. Dies ist einmal das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das grundsätzlich verbietet, eine Entscheidung zu treffen, bevor der Betroffene Ge-legenheit zur Äußerung hatte. Ferner verlangt das Gebot der Achtung der Men-schenwürde, dass ein Beteiligter in der Lage sein muss, auf den [X.] aktiv Einfluss zu nehmen ([X.], Beschluss vom 10.
September 2015, aaO Rn.
13 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 20. Mai 2010 -
IX ZB
121/07, [X.], 1522 Rn. 5 f).

b) Das Beschwerdegericht geht von diesen Grundsätzen aus. Seine An-nahme, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, unter denen die Vollstreck-barerklärung der [X.] Urteile gemäß Art. 45 [X.] aufgehoben werden könne, beruht auf der Würdigung der Umstände des [X.]. Die [X.] zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des [X.] eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert. Andere Zulässigkeitsgründe macht die Rechtsbe-schwerde nicht geltend.

aa) Die Rechtsbeschwerde bringt vor, dass §
149 Abs. 3 ZPO/[X.] einer [X.] das Recht abschneide, ihre Sache durch die eigene Aussage zu präsen-tieren und sich eine Anhörung als [X.] als sinnlos erweise. Dies verletze hin-sichtlich der Frage, ob eine hypothetische Einwilligung in eine ärztliche [X.] vorliege, den Grundsatz der Waffengleichheit. Der Arzt könne seiner Be-weislast schon dadurch
nachkommen, dass der Patient durch die Anhörung 9
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gezwungen sei, Beweis gegen sich selbst abzulegen. Schließlich führe die An-wendung von §
149 Abs. 3 ZPO/[X.] auf einzelne Teile der [X.]aussage dazu, dass deren Sinngehalt verzerrt werde. Die beweismäßige Verwertung einer sol-chen verzerrten Aussage sei willkürlich und habe mit einem fairen Verfahren nichts zu tun. Die Entscheidungen der [X.] Gerichte beruhten auf dieser Anwendung des § 149 Abs. 3 ZPO/[X.].

bb) Das Beschwerdegericht stellt
hierzu
fest,
dass das Bezirksgericht [X.] den Vortrag der Antragsgegnerin zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat. Soweit es aus der Anwendung von Art. 149 ZPO/[X.] keinen Verstoß gegen den ordre public herleitet, enthält diese Würdi-gung keinen [X.]. Diese Vorschrift lautete:

Die [X.]en werden auf Antrag oder von Amtes wegen persönlich befragt.
Die [X.] wird vor der Befragung unter Androhung disziplinari-scher Ahndung zur Wahrheit ermahnt und darauf aufmerksam gemacht, dass sie zur Beweisaussage angehalten werden kann.
Aussagen, welche zugunsten der befragten [X.] lauten, bilden keinen Beweis.

Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass das Bezirksgericht [X.] oder das Obergericht des [X.] die Beweisaufnahme oder
die Be-weiswürdigung in einer den ordre public verletzenden Art und Weise vorge-nommen haben und dass das Beschwerdegericht bei seiner Würdigung der [X.] Urteile das Verfahren der [X.] Gerichte oder die Maßstäbe des ordre public verkannt hätte. Aus den Feststellungen des [X.] und den vorgelegten Entscheidungen der [X.] Gerichte ergibt sich, dass die [X.] Gerichte aufgrund einer Gesamtwürdigung zu ihrem Ergeb-nis gekommen sind und dabei die Anwendung des §
149 ZPO/[X.] nur ein Mo-saikstein gewesen ist. Bereits aus §
148 ZPO/[X.] folgt, dass das [X.] Ge-11
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richt die Beweise nach freier Überzeugung zu würdigen hat. Das Bezirksgericht [X.] hat eine ausführliche Beweisaufnahme durchgeführt. In der Sache wür-digt das Bezirksgericht die
einzelnen Umstände der Beweisaufnahme, insbe-sondere der eingeholten Gutachten, der
Zeugenaussagen und der [X.]anga-ben und kommt insgesamt zum Schluss, dass damit eine hypothetische Einwil-ligung bewiesen sei. Das Obergericht des [X.] hat dies mit seinem Berufungsurteil in vollem Umfang überprüft. Beide Entscheidungen folgen damit offensichtlich dem Grundsatz des §
148 ZPO/[X.]. Die Rechtsbeschwerde zeigt weder auf, dass die Antragsgegnerin vor den [X.] Gerichten keine Gele-genheit zur Äußerung
hatte, noch dass sie gehindert gewesen ist, auf den [X.] aktiv Einfluss zu nehmen. Vielmehr konnte die Antragsgegnerin ihre Sache durch ihre eigene Aussage darstellen und verteidigen.

Soweit nach Art.
149 Abs.
3 ZPO/[X.] eine negative Beweisregel besteht, dass die Aussage einer [X.] zu ihren Gunsten keinen Beweis bilde, und diese negative Beweisregel von den [X.] Gerichten angewendet worden ist, gilt diese Beweisregel für beide [X.]en gleichermaßen. Sie hindert eine [X.] weder daran, mit ihren Aussagen Einfluss auf den Verfahrensablauf zu [X.], noch einen Beweis für ihre Behauptungen zu führen. Dass der Beweis-wert einer [X.]aussage durch die Beweisregel des Art.
149 Abs.
3 ZPO/[X.] geschmälert wird, führt nicht dazu, dass sich das Verfahren vor dem Bezirksge-richt von den Grundprinzipien des [X.] Verfahrensrechts in einem sol-

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chen Maße entfernt, dass nach der [X.] Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 25.09.2015 -
24 O 12133/15 -

OLG [X.], Entscheidung vom 15.02.2016 -
25 W 1915/15 -

Meta

IX ZB 19/16

06.04.2017

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.04.2017, Az. IX ZB 19/16 (REWIS RS 2017, 12732)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12732

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