Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2000, Az. 2 StR 337/00

2. Strafsenat | REWIS RS 2000, 292

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[X.] DES VOLKESURTEIL2 StR 337/00vom1. Dezember 2000in der Strafsachegegenwegen Totschlags- 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom29. November 2000 in der Sitzung vom 1. Dezember 2000, an denen teilge-nommen haben:Vizepräsident des [X.]esDr. [X.]als Vorsitzender,[X.] am [X.],Dr. [X.],[X.],Prof. Dr. [X.] als [X.],Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.],Justizhauptsekretärin in der Verhandlung,Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 11. April 2000 wird verworfen.Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung [X.] ausgesetzt wurde. Seine hiergegen eingelegte Revision erstrebtmit der Sachrüge die Freisprechung. Das Rechtsmittel ist [X.] Der zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte war im August 1962 als Po-stenführer im Rang eines Gefreiten der [X.] der [X.] im Bereich der Ortschaft [X.] bei [X.] an der Grenze zur [X.] eingesetzt. Der später getötete, 20 Jahre alte [X.] sowie sein 17-jähriger Begleiter [X.] hatten sich am 11. August 1962 entschlossen, in die [X.] zu fliehen. Sie begaben sich zu Fuß in die 5 [X.] undnäherten sich dort im Wald und bei Nacht der Grenze. Am Morgen des13. August 1962 erreichten sie gegen 8.00 Uhr die Ortschaft [X.], nurwenige hundert Meter von der Staatsgrenze der ehemaligen [X.] entfernt. [X.] von einer älteren Bäuerin bemerkt, die, da die Männer unordentlich undverschmutzt aussahen, erschrak und mehrere Männer sowie den [X.] rief. [X.] und [X.] flüchteten in den Wald in Richtung Grenze; [X.] wurden die [X.] informiert und Grenzalarm ausgelöst. [X.], unter ihnen der Angeklagte und der ihm zugeordnete Posten [X.] den Grenzstreifen nach den [X.]; diese beobachteten dasGeschehen von einer Schützenmulde unmittelbar vor dem Grenzstreifen aus,in welcher sie sich verborgen hatten. Die Posten waren durch ihren [X.] angewiesen worden, das Gebiet abzusuchen und die Gesuchten fest-zunehmen. Ihnen war mitgeteilt worden, bei den [X.] handele es sich [X.], die eine Frau mit einem Messer bedroht hätten und beabsichtigten,die Grenze zur [X.] zu überschreiten; ihre Flucht müsse verhindertwerden. Gegen 11.00 Uhr lief der Geschädigte [X.] über ein Feld auf die Grenzezu, die durch zwei dicht hintereinander stehende, jeweils zwei Meter hohe Sta-cheldrahtzäune gesichert war; parallel davor verlief eine Straße. Der Ange-klagte und der Posten [X.], die zu diesem Zeitpunkt etwa 100 m seitlich [X.] standen, riefen den Geschädigten an und gaben Warnschüsse [X.] lief [X.] in den Wald zurück. Sein Begleiter [X.] erhob sich nun aus [X.] und stellte sich. Während der Angeklagte und [X.] ihn festnahmen unddurchsuchten, lief der Geschädigte [X.] erneut vom Waldrand auf den [X.]. Der Angeklagte und [X.] gaben erneut Warnschüsse ab, die [X.] nicht beach-tete. Der Angeklagte lief deshalb schräg über das Feld auf den fliehenden [X.]zu; als er etwa 75 m weit gelaufen war, hatte [X.] den Zaun erreicht, das ersteHindernis überwunden und war im Begriff, den zweiten Zaun zu überklettern.Der Angeklagte blieb daher stehen, zielte mit seiner Maschinenpistole "[X.]", die auf Dauerfeuer gestellt war, von schräg rechts hinten auf dieBeine des [X.] und gab aus einer Entfernung von etwa 25 m mit Dauerfeuer eineSalve von mindestens vier Schüssen auf [X.] ab. Dabei wollte er diesen [X.] in die Beine fluchtunfähig machen; er nahm aber billigend in Kauf, ihn- 5 -tödlich zu treffen, da er eine Flucht unbedingt verhindern und den Befehl, eine"Grenzverletzung" sowie die Vereitelung einer eventuellen Strafverfolgung zuverhindern, unbedingt erfüllen wollte. [X.] wurde von einer Kugel im Rücken ne-ben der Wirbelsäule oberhalb der Hüftlinie getroffen, die Kugel trat vorn ober-halb des Bauchnabels wieder aus. Die weiteren Schüsse gingen fehl. [X.] ver-starb am [X.] binnen 15 Minuten an inneren Blutungen. Ein Ermittlungsver-fahren gegen den Angeklagten wurde nicht geführt; er erhielt am [X.] eine Prämie von [X.]. Das [X.] ist mangels abweichenderAnhaltspunkte davon ausgegangen, daß dem Angeklagten der Inhalt der [X.] für den Einsatz unmittelbaren Zwangs an der Staatsgrenze der [X.]geltenden Dienstvorschrift [X.]/4 und der Erweiterung durch den Befehl [X.]/61 des [X.] vom 6. Oktober 1961 überden Gebrauch der Schußwaffe durch Angehörige der [X.] [X.] achtwöchigen Grundwehrdienstes in der üblichen Weise vermittelt [X.], daß ihm darüber hinaus suggeriert wurde, diese Bestimmungen ständen inÜbereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts und sämtliche schriftlichenoder mündlichen Befehle seien durch Gesetze abgedeckt, und daß er in dergerichtsbekannten Weise politisch indoktriniert wurde.2. Das Urteil weist keinen sachlich-rechtlichen Mangel [X.]) Die Beweiswürdigung des [X.]s begegnet keinen rechtlichenBedenken. Dies gilt namentlich auch für die Annahme, der Angeklagte habe mitbedingtem Tötungsvorsatz auf [X.] geschossen. Das [X.] hat dies darausgeschlossen, daß der Angeklagte, dem die Zielungenauigkeit der von ihm [X.] Maschinenpistole "[X.]" bei Einstellung auf [X.] war, unmittelbar nach einem anstrengenden Lauf von 75 m aus einerEntfernung von 25 m von hinten mit Dauerfeuer auf den Fliehenden schoß, weil- 6 -er dessen Flucht unbedingt verhindern wollte und weil er nach eigenem Be-kunden erkannt hatte, daß eine Festnahme wenige Sekunden später nichtmehr möglich sein werde, da [X.] bereits das letzte Hindernis erreicht hatte. [X.] vom Tatrichter gezogene Schluß auf einen bedingten Tötungsvorsatzist rechtsfehlerfrei und wird auch von der Revision nicht angegriffen.b) Zutreffend hat das [X.] auf die Tat § 212, § 213 StGB in [X.] vor dem 1. April 1998 als mildestes Recht angewendet und ange-nommen, daß die Tat wegen Ruhens der Verfolgungsverjährung auf Grund ei-nes quasi gesetzlichen Verfolgungshindernisses nicht verjährt ist (vgl. [X.], 48; 113; [X.] NJW 1994, 2240).c) Der Angeklagte handelte auch rechtswidrig.Der [X.] hat mehrfach entschieden, daß die Tötung un-bewaffneter Flüchtlinge an der [X.] auch vor [X.] der [X.] vom 25. März 1982 ([X.] [X.]) jedenfallsdann rechtswidrig und durch Befehle und Dienstvorschriften nicht gerechtfertigtwar, wenn sie mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz erfolgte und alleindem Ziel diente, die Überschreitung der Grenze zur [X.] zu verhin-dern ([X.]St 41, 101; 42, 356, 362; 44, 204, 209; [X.] NStZ-RR 1996, 323;jeweils m.w.N.). Hieran hält der Senat fest.Vorliegend ergibt sich eine abweichende Beurteilung entgegen der [X.] der Revision auch nicht aus dem Umstand, daß dem Angeklagten mitge-teilt worden war, bei den [X.] handele es sich um Straftäter, die [X.] mit einem Messer bedroht hätten, und daß der Angeklagte daher auch mitdem Motiv handelte, eine Strafverfolgung des [X.] über diejenige wegen ver-suchter "Grenzverletzung" hinaus zu sichern. Nach der Vorstellung des [X.] -klagten, wie sie das [X.] auf Grund seiner Einlassung festgestellt hat,blieb für die Grenzposten schon die Art der angeblichen Straftat der Flüchtlingeunklar; die Mitteilung, diese hätten "eine Frau mit einem Messer bedroht",konnte auf eine Vielzahl möglicher Straftatbestände hindeuten, welche nachdem zur Tatzeit in der [X.] geltenden [X.] als Vergehen eingestuft und mitgeringer Strafe bedroht waren. Dem Angeklagten war daher jedenfalls klar, daßden [X.] weder eine gravierende Straftat vorgeworfen wurde noch daßvon ihnen eine erhebliche weitere Gefahr ausging. Auf der Grundlage [X.] war die Annahme fernliegend, Angehörige der Grenztrup-pen seien berechtigt, die Flucht der - vermeintlichen - Straftäter durch derenvorsätzliche Tötung zu verhindern.d) Schließlich handelte der Angeklagte auch schuldhaft; ein unvermeid-barer Verbotsirrtum lag nicht vor.Der Angeklagte war nicht deswegen entschuldigt, weil er dem Befehlseines Vorgesetzten folgen wollte und über die Rechtswidrigkeit dieses Befehlsirrte. Das [X.] hat zutreffend angenommen, daß die Rechtswidrigkeitder befohlenen Tat aus Sicht des Angeklagten im Sinne von § 5 Abs. 1 [X.]offensichtlich gewesen ist ([X.]). Obgleich § 5 [X.] für Soldaten der[X.] nicht gegolten hat und § 258 Abs. 1 StGB-[X.] zur Tatzeit noch nicht er-lassen war, ist der Maßstab des § 5 Abs. 1 [X.] nach der Rechtsprechungdes [X.] auf die Beurteilung der Offensichtlichkeit der [X.] anzuwenden, da das zur Tatzeit in der [X.] geltende Recht Befehlennicht in weiterem Umfang entschuldigende Wirkung beigemessen hat, als diesin § 5 Abs. 1 [X.] vorgesehen ist ([X.] NStZ-RR 1996, 323; vgl. auch [X.]St39, 1, 32 ff.; 39, 168, 185, 190; [X.] NStZ 1995, 286; jeweils m.w.N.). Die vor-sätzliche Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings durch Dauerfeuer aus [X.] 8 -Maschinenpistole in seinen Rücken ist, wie der [X.] in der Ent-scheidung [X.]St 39, 1, 34 ausgeführt hat, ein derart schreckliches und jedervernünftigen Rechtfertigung entzogenes Tun, daß der Verstoß gegen das ele-mentare Tötungsverbot auch für einen indoktrinierten Menschen ohne weitereseinsichtig, mithin offensichtlich war (vgl. auch [X.]St 40, 241, 250 ff.; BVerfGE95, 96, 141 ff.).Etwas anderes ergibt sich hier, entgegen der Auffassung der Revision,auch nicht aus der zusätzlich auf Sicherung der Strafverfolgung wegen einerangeblichen Bedrohung durch den Geschädigten gerichteten Motivation [X.]. Soweit die Revision einwendet, die hier vorliegenden Umständeseien denjenigen, welche der Entscheidung [X.]St 39, 1 zugrundelagen, [X.] deshalb nicht gleichzusetzen, weil der Angeklagte in dem [X.], einen bewaffneten Kriminellen durch Schüsse in die Beine an derFlucht zu hindern, trifft sie eine Wertung, die von den [X.] getragen wird. Daraus, daß dem Angeklagten mitgeteilt worden war, [X.] habe "mit einem Messer" eine Frau bedroht, ergab sich für [X.], wie sie den Fällen des Schußwaffeneinsatzes gegen bewaff-net fliehende Deserteure zugrundelag (vgl. dazu [X.]St 42, 356, 361 ff.). [X.] Frage der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Tat i.S.v. § 5 Abs. 1 [X.]war es im Ergebnis auch ohne Belang, ob der Angeklagte annahm, die ihmmitgeteilte Tat liege bereits länger zurück und die beabsichtigte Flucht dieneauch dem Zweck, sich der Strafverfolgung hierfür zu entziehen, oder ob er - was nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe naheliegt - über den Zeit-punkt der angeblichen Tat informiert war und sie als Teil der Umsetzung [X.] ansah. In beiden Fällen war es offensichtlich, daß [X.], der Täter einer Bedrohung (oder einer versuchten Nötigung) könnesich der Strafverfolgung entziehen, nicht seine bedingt vorsätzliche Tötung- 9 -rechtfertigte. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht länger wartenkönnen, denn der fliehende [X.] sei schon an der letzten Sperre gewesen, macht,wie das [X.] zutreffend festgestellt hat, deutlich, daß es dem Ange-klagten entscheidend darum ging, entsprechend dem ihm erteilten Befehl [X.] der Flucht mit allen Mitteln unbedingt zu verhindern. Ob der [X.], der zum Zeitpunkt der [X.] 25 m vom Angeklagten entfernt war,ihm den Rücken zukehrte und den Grenzzaun zu übersteigen versuchte, [X.] bei sich führte, spielte für die Entscheidung des Angeklagten, unterInkaufnahme eines tödlichen Treffers auf den Fliehenden zu schießen, ersicht-lich ebensowenig eine Rolle wie die Frage der Verhältnismäßigkeit des [X.] Mittels zur Sicherung eines möglichen Strafanspruchs wegen der vagebeschriebenen angeblichen Straftat.Mit dem vom Senat im Urteil vom 15. Februar 1995 (NStZ 1995, 286)entschiedenen Fall, auf den der [X.] in seiner schriftlichenStellungnahme hingewiesen hat, ist dieser Sachverhalt nicht vergleichbar. [X.] es um einen mit [X.] vorgenommenen [X.] gegen eine Person, die aus Sicht des damaligen [X.] unerlaubtdie Grenze von der [X.] zur [X.] überschritten hatte und sich derFestnahme zu entziehen versuchte. Hierzu hat der Senat ausgeführt, in einemsolchen Fall sei der Einsatz der Schußwaffe nicht offensichtlich rechtswidrig [X.] von § 5 Abs. 1 [X.]; dem stehe nicht entgegen, daß diese Regelunggrundsätzlich nicht anwendbar sei, wenn mit Tötungsvorsatz auf einen Flüch-tenden geschossen wird. Auch die Entscheidung [X.]St 42, 356 ist mit demvorliegenden Fall insoweit nicht vergleichbar; dort ging es um mit [X.] abgegebene Schüsse auf einen mit einer Schußwaffe bewaff-neten Deserteur.- 10 -Die Würdigung des [X.]s, für den Angeklagten sei die [X.] der ihm befohlenen Tat offensichtlich und ein Irrtum über ihreRechtfertigung jedenfalls vermeidbar gewesen, ist daher von Rechts wegennicht zu beanstanden.e) Die Anwendung des § 213 StGB i.d.[X.] vor dem 1. April 1998 und [X.] der Strafe von einem Jahr und drei Monaten unter [X.] Bewährung weist keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.[X.] Detter [X.] [X.] [X.]

Meta

2 StR 337/00

01.12.2000

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2000, Az. 2 StR 337/00 (REWIS RS 2000, 292)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 292

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