BT-Drucksache 18/998

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/857, 18/994 - Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union 2010/96/GASP vom 15. Februar 2010 und 2013/44/GASP vom 22. Januar 2013 in Verbindung mit der Resolution 1872 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Vom 2. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/998
18. Wahlperiode 02.04.2014
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka
Brugger, Uwe Kekeritz, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin, Doris Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/857, 18/994 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der
somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und
11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union
2010/96/GASP vom 15. Februar 2010 und 2013/44/GASP vom 22. Januar 2013
in Verbindung mit der Resolution 1872 (2009) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Somalia ist eines der ärmsten Länder der Welt und besonders schwer durch Bür-
gerkrieg, Hungerkrisen und Umweltkatastrophen betroffen. Das Land hat die
höchste Kindersterblichkeit der Welt. Über 860 000 Menschen sind laut World
Food Programme (WFP) auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen und über zwei
Millionen Somalierinnen und Somalier befinden sich auf der Flucht. Das Land ist
zugleich Opfer von und Rückzugsort für Terrorismus und Piraterie.
Die Befriedung und Stabilisierung Somalias stellt eine große Herausforderung
für die internationale Gemeinschaft dar. Obwohl sich die Sicherheitslage in Mo-
gadischu und anderen Teilen Somalias in den letzten Jahren leicht stabilisiert hat,
ist die Lage in weiten Teilen des Landes noch immer sehr fragil. Die islamisti-
sche Al-Shabaab, eng mit Al-Kaida vernetzt, kontrolliert weiterhin große Teile
des Landes und verübt gezielte Anschläge in Mogadischu. Zuletzt starben am
13.02.2014 sechs Menschen bei einem Selbstmordanschlag der Al-Shabaab auf
einen UN-Konvois und am 27.02.2014 zehn Menschen bei einem Selbstmordan-
schlag nahe dem Hauptquartier der Sicherheitskräfte in Mogadischu.

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Der Europäischen Union ist es bisher nur in Ansätzen gelungen, ein kohärentes
Gesamtkonzept zur Unterstützung des Landes zu entwickeln, dass die Reform
des Sicherheitssektors und die Bereiche der Good Governance und Entwicklung
aufeinander abstimmt. Da die Sicherheitslage eine direkte Unterstützung der nur
rudimentär existierenden somalischen Armee nicht zuließ, wurde 2010 eine Aus-
bildungsmission für somalische Soldatinnen und Soldaten in Uganda begonnen.
So wurden Kämpferinnen und Kämpfer für Milizen ausgebildet, die in der Regel
kaum unter zentraler staatlicher Kontrolle stehen. Es gibt in diesem Zusammen-
hang deutliche Hinweise und Kritik, dass bei der Auswahl der auszubildenden
Kämpferinnen und Kämpfer der Schwerpunkt einseitig auf bestimmten tribalen
Gruppen bzw. Clans liegt, was ihren Rückhalt innerhalb der Bevölkerung
schwächt.
Dass ein solches Ausbildungskonzept nachhaltig zur Stabilisierung der fragilen
staatlichen Strukturen Somalias beitragen kann, ist zweifelhaft. Es besteht die
erhebliche Gefahr, dass es die Clanrivalitäten weiter verstärkt und damit nicht
zur Stabilisierung des Landes beiträgt.
Die Verlegung dieser Mission von Uganda nach Mogadischu im Herbst 2013
änderte hieran im Wesentlichen nichts. Deutschland stellte zu diesem Zeitpunkt
aus Sicherheitsgründen die Beteiligung an der Mission ein. Im Rahmen von
EUTM SOM wurden bisher über 3 600 Kämpferinnen und Kämpfer trainiert.
Über deren Einsatz bzw. Verbleib gibt es nur wenige gesicherte Informationen.
Ein geplantes Monitoring der EU wurde seit 2010 praktisch nicht umgesetzt.
Eine Evaluierung von EUTM SOM hat bisher nicht stattgefunden. Stattdessen
gibt es Hinweise, dass viele ausgebildete Kämpferinnen und Kämpfer desertiert
sind. Inwieweit verschiedene Milizen inzwischen wirklich in eine reguläre soma-
lische Armee integriert wurden und einer effektiven Kontrolle durch die Regie-
rung unterstehen, bleibt in erheblichem Umfang unklar.
Solange die Umstände, Bedingungen und Folgen der Ausbildungsmission nicht
hinreichend geklärt sind, ist eine erneute Beteiligung der Bundeswehr an dieser
Mission weder sinnvoll noch politisch vertretbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass das europäische Gesamtkonzept für
das Engagement in Somalia grundsätzlich reformiert und die Ausbildung von
Milizen eingestellt wird, solange nicht sichergestellt ist, dass diese in klare
Befehlsstrukturen der somalischen Armee eingebunden sind und unter der
Kontrolle der demokratisch gewählten Regierung stehen;

2. darauf hinzuwirken, dass die EU eine Evaluation der Ausbildung der seit
2010 durch die EU ausgebildeten somalischen Soldatinnen und Soldaten vor-
legt und insbesondere darstellt, in welchen Strukturen der somalischen Ar-
mee die ausgebildeten Kämpferinnen und Kämpfer derzeit Verwendung fin-
den;

3. darauf hinzuwirken, dass die EU konkrete Zahlen über die Abbrecherquote
bei den bisherigen Ausbildungen bei EUTM Somalia vorlegt und konkrete
Informationen über den Verbleib dieser Kämpferinnen und Kämpfer öffent-
lich macht;

4. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass bei der Rekrutierung für die somali-
sche Armee nicht nur die Angehörigen einzelner Clans in Betracht gezogen
werden, um weitere ethnische Spannungen im somalischen Bürgerkrieg ab-
zubauen;

5. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass der Schutz von Menschenrechten zu
einem zentralen Inhalt der Ausbildung der somalischen Soldatinnen und Sol-
daten wird;

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6. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass die Gesamtstrategie an den

Peacebuilding und Statebuilding Goals (PSG) des International Dialogue for
Peacebuilding and Statebuilding ausgerichtet wird;

7. darauf hinzuwirken, dass die EU ein politisches, ziviles und entwicklungspo-
litisches Gesamtkonzept für Somalia vorlegt und einen Strategiewechsel in
der EU-Somaliapolitik einleitet, der den strukturellen Ursachen von Armut,
Hunger und Gewalt begegnet. Diese Maßnahmen sollten eng unter den euro-
päischen Partnern abgestimmt werden, um Doppelstrukturen abzubauen. Es
muss das zivile Engagement verstärkt werden, um eine nachhaltige Befrie-
dung des Landes zu befördern;

8. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, den zivilen Stabilitätsbemühungen in
Somalia im Sinne einer kohärenten EU-Politik mehr Gewicht zu verleihen,
indem
– gezielt lokale und regionale Regierungs- und Verwaltungsstrukturen

gefördert werden, um Stabilitätsinseln zu schaffen, wie es das Aus-
wärtige Amt in seinem Länderkonzept Somalia aus 2012 vorsieht;

– sie sich auf VN-Ebene dafür einsetzt, dass das internationale Waffen-
embargo wieder verschärft wird, da die „Somalia and Eritrea
Monitoring Group“, mandatiert durch den Sicherheitsrat gemäß Reso-
lution 2111 (2013), Mitglieder der somalischen Regierung massiv für
das systematische Missmanagement der Waffen- und Munitionsliefe-
rungen kritisiert;

– der Aufbau des Sicherheitswesens gefördert wird und geeignete Maß-
nahmen unterstützt werden, durch die Waffenlieferungen nach Somalia
effektiv verhindert sowie Geldwäsche und Finanztransaktionen gewalt-
tätiger Gruppen international wirksam bekämpft werden können;

– Gesprächskanäle zu verhandlungsbereiten Al-Shabaab- und Hizbul-
Islam-Vertretern weiterhin geöffnet werden, damit diese verstärkt in
den politischen Dialog mit einbezogen werden und Versöhnungspro-
zesse weiter vorankommen;

– angesichts der Erfahrungen des Engagements in Somalia aus den letz-
ten Jahren ein stärkerer Fokus auf dezentrale Strukturen gelegt wird;

– lokale und regionale Entwicklungsanreize gesetzt werden, um der Ar-
mut der Menschen in Somalia entgegenzutreten und durch den be-
schäftigungsintensiven Aufbau der lokalen Wirtschaft ihre wirtschaft-
lichen Aussichten zu verbessern und hierzu ihre Zusagen umzusetzen,
die sie auf den Londoner Somalia-Konferenzen gemacht hat;

– die Situation von Mädchen und Frauen auch mit Blick auf die positi-
ven Effekte weiblicher Partizipation in Entwicklungsfragen stärker als
strategisches Ziel der Zusammenarbeit verankert wird;

– sie sich dafür einsetzt, die unregulierte und meist illegale Fischerei
durch europäische und asiatische Fangschiffe zu stoppen;

– sie sich dafür einsetzt, die illegale Müllentsorgung insbesondere in den
Gewässern der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Somalias zu
unterbinden und dafür effektive Kontrollmechanismen einzurichten;

– sie auf die Bündnispartner mit Nachdruck einwirkt, völkerrechtswidri-
ge gezielte Tötungen durch Drohnenangriffe umgehend einzustellen
und endlich aufzuklären, inwieweit eine Beteiligung an der Planung
und Ausführung dieser Aktionen durch US AFRICOM von deutschem
Staatsgebiet aus erfolgt;

– sie UNSOM, der politischen UN-Mission in Somalia, bei ihrer Unter-
stützung der somalischen Regierung und AMISOM besonders bei den
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Themen Menschenrechte und Frauen, Rechtsstaatsaufbau und Versöh-
nung alle nötige Hilfe zukommen lässt;

– sie dem EU-Sonderbeauftragten Alexander Rondos für das Horn von
Afrika Unterstützung zur Verbesserung der Koordination der europäi-
schen Beiträge zur Lösung der Somalia-Krise gewährt.

Berlin, den 1. April 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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