BT-Drucksache 18/9932

Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union

Vom 10. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9932
18. Wahlperiode 10.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Luise Amtsberg, Claudia Roth (Augsburg), Volker Beck (Köln),
Manuel Sarrazin, Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Katja Keul,
Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union

Angesichts der hohen Zahlen von in der EU Schutz suchenden Menschen hat die
Europäische Kommission im Mai 2015 einen zeitlich befristeten Verteilungsme-
chanismus für Personen eingeführt, die eindeutig internationalen Schutz in der
EU benötigen; insgesamt sollen im Laufe von zwei Jahren 160 000 Menschen aus
Griechenland und Italien auf andere EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Der Eu-
ropäische Rat hat den Umverteilungsvorschlag der Kommission im September
2015, also mittlerweile vor einem Jahr, mehrheitlich beschlossen.
Die Umverteilung soll entsprechend einem von der Kommission vorgestellten
Schlüssel zur gerechten Verteilung erfolgen. Dieser Schlüssel bemisst die Auf-
nahmekapazitäten der Mitgliedstaaten durch folgende Kriterien: Bevölkerungs-
größe (40 Prozent), Bruttoinlandsprodukt (40 Prozent), durchschnittliche Zahl
der eingegangenen Asylanträge der letzten vier Jahre (10 Prozent) sowie die Ar-
beitslosenquote (10 Prozent). Danach entfallen auf Deutschland 27 485 Personen.
Zur zügigen Umsetzung des Übergangsmechanismus sollten alle Mitgliedstaaten
eine nationale Kontaktstelle benennen, die helfen soll, die für den jeweiligen Auf-
nahmestaat passenden Schutzsuchenden entsprechend ihren jeweiligen Sprach-
kenntnissen und Qualifikationen sowie sozialen, familiären oder kulturellen Bin-
dungen zu identifizieren.
Die letzte vorliegende Bestandsaufnahme der Kommission über die Umsetzung
dieser beschlossenen Maßnahmen vom 28. September 2016 (http://ec.europa.eu/
dgs/home-affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration/press-material/
docs/state_of_play_-_relocation_en.pdf) offenbart, dass die Umverteilung bisher
nur sehr schleppend vorangekommen ist. Von den anvisierten 160 000 wurden
demnach erst 15 131 Plätze von den Mitgliedstaaten zugesagt, tatsächlich umver-
teilt wurden erst 1 258 Menschen aus Italien und 4 563 aus Griechenland.
Die Bundeskanzlerin hat anlässlich des Treffens „Migration entlang der Bal-
kanroute“ in Wien am 24. September 2016 erklärt: „Was die Frage der Beteili-
gung Deutschlands an dem Umsiedlungsmechanismus anbelangt, also an dem
Relocation-Mechanismus, so haben wir Italien in der Tat gesagt, dass wir uns
mit mehreren Hundert pro Monat an dieser legalen Umsiedlung beteiligen. Ein
ähnliches Angebot haben wir auch Griechenland gemacht“ (Mitschrift Presse-
konferenz; www.bundeskanzlerin.de).

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Der EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, Dimitris
Avramopoulos, hat anlässlich des Erscheinens eines Fortschrittsberichts der
Kommission am 28. September 2016 erneut die Relevanz des Gelingens der
Umverteilung betont.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Aufnahmezusagen und gegenüber welchen Mitgliedstaaten wur-

den bisher bis einschließlich September 2016 von der Bundesregierung ge-
macht?

2. Wie viele Schutzsuchende wurden bisher bis September 2016 tatsächlich aus
Griechenland bzw. Italien in die Bundesrepublik Deutschland umverteilt
(bitte nach Staatsangehörigkeit aufschlüsseln)?

3. Wie erklärt die Bundesregierung die Zahl der bisher von der Bundesrepublik
Deutschland zugesagten Plätze sowie die noch geringere Zahl der bisher tat-
sächlich im Rahmen der Umverteilung aufgenommenen Schutzsuchenden?

4. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung die zugesagten Aufnahmen erst
dann realisiert, wenn die anderen Mitgliedstaaten ihre Zusagen erfüllen?

5. Wie viele Menschen haben bis einschließlich September 2016 eine Umver-
teilungszusage nach Deutschland erhalten, aber befinden sich noch auf die
Umverteilung wartend in Griechenland oder Italien (bitte einzeln aufschlüs-
seln)?

6. Aus welchen Herkunftsländern kommen die Personen, die bis einschließlich
September 2016 eine Umverteilungszusage erhalten haben, und wie viele
Minderjährige befinden sich unter ihnen (bitte nach Altersgruppen und Her-
kunftsländern aufschlüsseln)?

7. Wie viel Zeit vergeht durchschnittlich zwischen der Aufnahmezusage und
der tatsächlichen Weiterreise?

8. In welchen Einrichtungen sind diese auf die Umverteilung wartenden Perso-
nen untergebracht?

9. Wie bewertet die Bundesregierung mit Blick auf menschenrechtliche Stan-
dards die Qualität der jeweiligen Unterbringungen?
Welche Maßnahmen unternimmt bzw. unterstützt die Bundesregierung, um
dort die Achtung der Menschenrechte dieser Personen sicherzustellen?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Unterbringung und
Versorgung von minderjährigen Schutzsuchenden, und wie bewertet sie
diese?
Welche Maßnahmen unternimmt bzw. unterstützt die Bundesregierung, um
die Achtung der Menschenrechte der minderjährigen Schutzsuchenden si-
cherzustellen?

11. Hat sich die Bundesregierung Kenntnis über die Gesamtdauer des Aufent-
haltes in den jeweiligen griechischen und italienischen Aufnahmeeinrichtun-
gen verschafft (wenn ja, bitte nach einzelnen Einrichtungen aufschlüsseln)?

12. Hielt die Bundesregierung die Praxis der geschlossenen Unterbringung von
Schutzsuchenden über mehrere Monate und unabhängig von der physischen
Verfassung oder dem Alter im so genannten Hotspot Moria für verhältnis-
mäßig?
Wenn nein, hat sie ihre Bedenken gegenüber den zuständigen Behörden,
Bundesministerien oder politisch Verantwortlichen geäußert?

13. Wer ist in Deutschland für die Koordinierung und Steuerung des Umvertei-
lungsprozesses zuständig?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9932

14. Wie viele Beamte welcher Behörden arbeiten in der Nationalen Kontaktstelle

sowie als Verbindungsbeamte für die Durchführung des Verteilmechanismus
(bitte nach Ländern und genauem Einsatzort aufschlüsseln)?

15. Wie gestaltet sich das Verfahren der Umverteilung konkret (bitte das genaue
Verfahren und die Aufgaben der beteiligten staatlichen und nichtstaatlichen
Akteure vom ersten Kontakt im europäischen Mitgliedstaat bis zur Ankunft
in Deutschland beschreiben)?

16. Welche organisatorischen Zwischenschritte sind im Falle einer konkreten,
personenbezogenen Aufnahmezusage nötig, bis die zur Umverteilung be-
stimmte Person dann tatsächlich die Weiterreise nach Deutschland antreten
kann, und wie lange dauert diese Zwischenphase im Durchschnitt?

17. Wie reisen die Personen tatsächlich in Deutschland ein?
Handelt es sich um Einzelreisen oder um Sammelcharter?

18. Wer trägt die Reisekosten, die durch die Umverteilung anfallen?
19. Nach welchem Mechanismus bzw. Verteilungsschlüssel werden Flüchtlinge

aus dem Umverteilungsprogramm in Deutschland auf die Bundesländer ver-
teilt?

20. Nach welchen Kriterien wird Flüchtlingen die Zusage für die Aufnahme in
das deutsche Umverteilungsprogramm gegeben?

21. Wie wird die Maßgabe der Kommission, dass Sprachkenntnisse und Quali-
fikationen sowie soziale, familiäre und kulturelle Bindungen der Schutzsu-
chenden und ihre entsprechenden Präferenzen bei der Umverteilung berück-
sichtigt werden sollen, umgesetzt?
Was spricht dagegen, diese Bindungen und Präferenzen – für den Fall, dass
die Bundesregierung nicht dieser Auffassung ist – stärker bzw. verbindlicher
in den Entscheidungsprozess einzubinden?

22. Spielen darüber hinaus andere Kriterien, wie beispielsweise Geschlecht oder
Religionszugehörigkeit, eine Rolle, und wenn ja, welche?

23. Handelt es sich bei den aufgenommenen Menschen im Wesentlichen um Fa-
milienangehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen, bzw. wirkt sich
eine familiäre Bindung nach Deutschland positiv auf die Erteilung einer Auf-
nahmezusage aus?

24. Welchen Einfluss auf die Erteilung einer Zusage zur Umverteilung nach
Deutschland hat es, wenn man besonders schutzbedürftig ist (so zum Beispiel
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge), besonders für das Umverteilungs-
programm?

25. Unterscheiden sich die Kriterien für eine Aufnahme in den Mitgliedstaaten
voneinander?
Wenn ja, inwiefern (bitte einzeln aufschlüsseln)?

26. Findet im Zuge des Umverteilungsverfahrens in Griechenland bzw. in Italien
auch eine Identitätsüberprüfung und Sicherheitsprüfung statt, und wenn ja,
mithilfe welcher Methoden erfolgen solche Überprüfungen, und wie lange
dauern diese im Schnitt?

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27. Findet im Zuge des Umverteilungsverfahrens in Griechenland bzw. in Italien

auch eine Sicherheitsüberprüfung der zur Umverteilung vorgesehenen Per-
son statt, und wenn ja, durch wen?
Inwiefern sind hier auch bundesdeutsche Sicherheitsbehörden miteinbezo-
gen?
Wie lange dauert diese Sicherheitsüberprüfung im Durchschnitt?

28. Welche konkreten Defizite sieht die Bundesregierung in der derzeitigen Pra-
xis der Umverteilung?
Was für Maßnahmen sind notwendig, um die zugesagte Umverteilung zügig
voranzutreiben?

29. Beabsichtigt die Bundesregierung, die bisherige Praxis der Umverteilung zu
ändern, um die von der Bundeskanzlerin angekündigte Umsiedlung von
mehreren Hundert Schutzsuchenden aus Italien und aus Griechenland pro
Monat umzusetzen, und wenn ja, in welcher Weise?

30. Welches Ziel formuliert die Bundesregierung für das verbleibende Jahr bzw.
wie viele Menschen möchte die Bundesregierung bis Ende des Jahres 2016
aus den Mittelmeeranrainern nach Deutschland umgesiedelt haben?

31. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Kommission, dass, „wenn
die Mitgliedstaaten ihre Bemühungen verstärken, es mit den verbesserten
Kapazitäten des griechischen Asyldienstes vor allem möglich sein [sollte],
die etwa 30 000 Kandidaten in Griechenland, die für eine Umverteilung in
Betracht kommen, innerhalb des nächsten Jahres umzuverteilen“, und wenn
ja, worauf stützt sich diese Annahme?

32. Im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens wurde angekündigt, dass 54 000
der 72 000 versprochenen Resettlement-Plätze für Flüchtlinge in der Türkei
vom Kontingent der vereinbarten 160 000 Umverteilungsplätze umgeschich-
tet werden würden. Soll diese Ankündigung umgesetzt werden, oder wurde
sie in der Zwischenzeit revidiert?
Bedeutet das im ersteren Fall, dass von den versprochenen 160 000 Umsied-
lungen aus Italien und Griechenland letztlich nur 106 000 umgesetzt werden
sollen?

Berlin, den 10. Oktober 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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