BT-Drucksache 18/9772

Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen

Vom 21. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9772
18. Wahlperiode 21.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer,
Markus Kurth, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann,
Sven-Christian Kindler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen

Die Bunderegierung hat einen Gesetzentwurf zur Reform des Arbeitnehmerüber-
lassungsgesetzes und anderer Gesetze vorgelegt. Ziel ist es unter anderem, den
Missbrauch von Werkverträgen zu verhindern. Dabei geht es der Bundesregie-
rung einerseits um die Abgrenzung von Werk- und Arbeitsverträgen. Anderer-
seits sollen auch Vertragskonstruktionen verhindert werden, die in der Praxis
nichts anderes sind als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung. Nach der Einigung
beim Koalitionsgipfel am 10. Mai 2016 sagte die Bundesministerin für Arbeit und
Soziales, Andrea Nahles, dass es bald zum ersten Mal in der Geschichte Regeln
gebe, „die durch Transparenz den Missbrauch von Werkverträgen eindämmen“
(Reuters, 10. Mai 2016).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche klarstellenden gesetzlichen Regelungen sollen zukünftig Vertrags-

konstruktionen verhindern, mit denen Werk- oder Dienstverträge an Fremd-
firmen vergeben, aber tatsächlich illegale Arbeitnehmerüberlassung durch-
geführt wird?
a) Warum werden mit dem neuen § 611a im Bürgerlichen Gesetzbuch

(BGB) zwar eine Abgrenzung zwischen abhängiger und selbstständiger
Tätigkeit vorgenommen, aber im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
keine Kriterien zur Abgrenzung von Werk- bzw. Dienstverträgen und
Leiharbeit aufgenommen?

b) Warum verzichtet die Bundesregierung im geplanten Gesetz auf eine Be-
weislastumkehr im AÜG, mit der die Auftrag gebenden Betriebe im Zwei-
felsfall das Vorliegen eines echten Werk- bzw. Dienstvertragsverhältnis-
ses nachweisen müssen?

Drucksache 18/9772 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Warum wurde § 1 AÜG in der Form neu definiert, dass Beschäftigte zur Ar-
beitsleistung überlassen werden, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Ent-
leihers eingegliedert sind und seine Weisungen unterliegen?
a) Ist die neue Definition so zu verstehen, dass es sich nur dann um illegale

Arbeitnehmerüberlassung handelt, wenn der einzelne Beschäftigte einer
Werkvertragsfirma den Weisungen des Auftrag gebenden Betriebs unter-
liegt?
Wenn nein, wie ist die Definition zu verstehen?

b) Kann diese neue Definition in der Folge dazu führen, dass illegale Arbeit-
nehmerüberlassung schwerer nachzuweisen ist, wenn große per Werkver-
trag tätige Belegschaften auch eigene Führungskräfte der Werkvertrags-
firmen umfassen?
Wenn nein, warum nicht?

3. Warum wird die Bundesregierung für den Fall einer illegalen Arbeitnehmer-
überlassung ein Widerspruchsrecht für Leiharbeitskräfte im Gesetz aufneh-
men, mit dem die Beschäftigten erklären können, dass sie Beschäftigte der
Leiharbeitsfirma bleiben wollen, und wie ist diese Regelung mit der Zielset-
zung vereinbar, dass das Gesetz den Missbrauch von Werkverträgen verhin-
dern soll?
a) Bestätigt die Bundesregierung, dass Betriebe, die einen gerichtlich fest-

gestellten Schein-Werkvertrag vergeben haben, zukünftig nur eine Ord-
nungswidrigkeit gemäß § 16 Absatz 1 Nummer 1a AÜG (illegaler Ent-
leih) begehen, aber alle anderen bisherigen Rechtsfolgen, d. h. dass die
Betriebe Arbeitgeber der illegal überlassenen Beschäftigten werden, An-
spruch auf Lohnnachzahlung, Nacherhebung von Sozialversicherungsbei-
träge und dass sie für die Fremdfirma bürgen, für sie entfallen, wenn die
Beschäftigten der Werkvertragsfirma mit Verzichtserklärungen das ge-
plante Widerspruchsrecht in Anspruch genommen haben?
Wenn nein, warum nicht?

b) Bestätigt die Bundesregierung, dass die im Rahmen des Widerspruchs-
rechts abgegebene Verzichtserklärung im Moment der Abgabe unwider-
ruflich wirksam wird, obwohl die Vermutung, dass es sich um einen
Schein-Werkvertrag handelt, erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt
werden kann?
Wenn nein, warum nicht?

c) Bestätigt die Bundesregierung, dass die veränderte Passage im Gesetz –
„tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher
ein, so beginnt die Frist mit Eintritt der Unwirksamkeit“ – nur in seltenen,
eher theoretischen Fällen greift, weil die Verzichtserklärungen der Werk-
vertragsbeschäftigten nur dann unwirksam werden, wenn sie nachweisen
können, dass ein anfangs legaler Werkvertrag im Laufe der Zeit in einen
Schein-Werkvertrag verändert wurde?
Wenn nein, warum nicht?

d) Bestätigt die Bundesregierung, dass eine Werkvertragskraft, die eine Ver-
zichtserklärung unterschrieben hat, nicht mehr auf Festanstellung beim
Einsatzunternehmen klagen kann?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9772
e) Bestätigt die Bundesregierung, dass es für Betriebe, die einen Werkver-
trag vergeben, legal ist, zukünftig routinemäßig zu Beginn der Werkver-
tragstätigkeiten von allen Werkvertragsbeschäftigten eine Verzichtserklä-
rung einzuholen?
Wenn nein, warum nicht?

f) Welche Bedeutung haben noch die Kontrollen der Finanzkontrolle
Schwarzarbeit im Bereich der Werkverträge, wenn zukünftig die Werk-
vertrag gebenden Betriebe routinemäßig Verzichtserklärungen einfor-
dern?

g) Wird das Widerspruchsrecht zukünftig die Betriebe, die einen Schein-
Werkvertrag vergeben haben, vor Rechtsfolgen (Fingierung Arbeitsver-
hältnis, Nachzahlung Lohn bzw. Sozialversicherungsbeiträge, Haftung
als Bürge) schützen, wie die bisherige Möglichkeit, eine Verleiherlaubnis
vorzuhalten, die mit dem geplanten Gesetz deswegen abgeschafft wird?
Wenn nein, warum nicht?

h) Welches Bundesministerium war mit der Einfügung und Formulierung
des Widerspruchsrechts befasst?

i) Mit welchen Verbänden und Rechtswissenschaftlern gab es zum geplan-
ten Widerspruchsrecht einen persönlichen Austausch, bevor der Gesetz-
entwurf im Kabinett verabschiedet wurde?

j) Welche Papiere aus welchen Verbänden, und welchen juristischen Fach-
zeitschriften sind der Bundesregierung bekannt, in denen die Einführung
des Widerspruchsrechts als notwendig und geboten dargestellt wird?

k) Inwiefern ist das Widerspruchsrecht nach Meinung der Bundesregierung
notwendig, um die „Berufsfreiheit nach Artikel 12 des GG“ zu schützen?

l) Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen Beschäftigte
bei der Aufdeckung von Schein-Werkverträgen gegen die Übernahme in
einen Auftrag gebenden Betrieb juristisch vorgegangen sind, weil sie Be-
schäftigte der Werkvertragsfirma bleiben wollten?

m) Warum führt die Bundesregierung nicht ein Widerspruchsrecht für die
Beschäftigten zu dem Zeitpunkt ein, wenn ein Werkvertrag gerichtlich als
Schein-Werkvertrag beurteilt wird, um die „Berufsfreiheit“ zu garantieren
und gleichermaßen den Missbrauch von Werkverträgen zu verhindern?

4. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen ein Verbandsklagerecht
für die zuständige Gewerkschaft, um den Missbrauch von Werk- bzw.
Dienstverträgen effektiv zu verhindern, weil Beschäftigte allein häufig nicht
klagen aufgrund der berechtigten Sorge, dass sie benachteiligt oder gar ent-
lassen werden, wenn sie zweifelhafte Werk- und Dienstvertragskonstruktio-
nen problematisieren?

5. Warum enthält der neue § 611a BGB im Vergleich zum ersten Entwurf nur
noch eine allgemeine Definition anstelle der konkreten Kriterien zur Abgren-
zung von abhängiger und selbstständiger Tätigkeit?
a) Warum verzichtet die Bundesregierung im aktuellen Gesetzentwurf im

Vergleich zum ersten Entwurf auf eine Beweislastumkehr, mit der die
Auftrag gebenden Betriebe im Zweifelsfall das Vorliegen einer selbst-
ständigen Tätigkeit nachweisen müssen?

b) Inwiefern wird die Definition im neuen § 611a BGB einer modernen, sich
wandelnden Arbeitswelt gerecht, damit einerseits Schein-Selbstständig-
keit verhindert, aber andererseits echte Selbstständigkeit nicht erschwert
wird?

Drucksache 18/9772 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) Inwiefern führt der neue § 611a BGB dazu, dass es zukünftig nicht mehr
zu langwierigen und bürokratischen Statusfeststellungsverfahren kommt,
wie es heute der Fall ist?

d) Warum verändert die Bundesregierung nichts an den unterschiedlichen
Statusfeststellungsverfahren im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht, um ei-
nerseits bürokratische Parallelprüfungen zu verhindern und andererseits
die Planungssicherheit der Selbstständigen und deren Auftraggebenden
zu erhöhen?

6. Warum stellt die Bundesregierung mit dem geplanten Gesetz nur das bereits
bestehende Informationsrecht des Betriebsrats klar, und warum werden nicht
weitergehende Vorschläge des Bundesrates (Bundestagsdrucksache 18/14)
zur Mitbestimmung bei Fremdpersonaleinsatz aufgegriffen, um die Rechte
des Betriebsrats tatsächlich zu stärken?
a) Was spricht dagegen, die heute geltenden Zustimmungsverweigerungs-

gründe in § 99 Absatz 2 Nummer 1, 3 und 6 des Betriebsverfassungsge-
setzes analog zur Leiharbeit auch auf den Einsatz von Fremdpersonal, das
aufgrund von Werk- und Dienstverträgen länger als einen Monat auf dem
Gelände des Betriebs tätig ist, auszudehnen?

b) Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, dass das Mitbestim-
mungsrecht des Betriebsrats beim Arbeitsschutz analog zur Leiharbeit auf
die Werk- bzw. Dienstvertragsbeschäftigten erweitert wird, deren Ar-
beitsschutz bisher faktisch nicht durchgesetzt werden kann?

Berlin, den 21. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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