BT-Drucksache 18/9711

Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung

Vom 21. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9711
18. Wahlperiode 21.09.2016
Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias
W. Birkwald, Katja Kipping, Katrin Kunert, Cornelia Möhring, Ralph Lenkert,
Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert, Pia
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen
Krankenversicherung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Selbstständige können sich grundsätzlich privat versichern, aber auch freiwillig in ei-
ner gesetzlichen Krankenkasse. Insbesondere bei Vorerkrankungen kann eine private
Krankenversicherung Versicherungsanträge ablehnen, dann besteht de facto keine
Wahl. In der gesetzlichen Krankenversicherung werden bei Selbstständigen über Min-
destbeitragsbemessungen prozentual höhere Mindestbeiträge erhoben als bei Pflicht-
versicherten. Für viele Selbstständige mit geringem Einkommen stellen diese Mindest-
beiträge eine erhebliche und – gemessen am verfügbaren Einkommen – wesentlich
höhere Belastung als für andere gesetzlich Krankenversicherte dar. Auch der größte
Teil der Beitragsschulden, die die gesetzlichen Krankenkassen einzutreiben haben,
fällt auf diese Personengruppe.
Mit den Gesetzesänderungen im Zuge des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes
2007/2009 wurde für alle in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Menschen
die Versicherungspflicht eingeführt. Diese gilt auch rückwirkend und führt zu finanzi-
ellen Belastungen und Beitragsschulden. Viele Selbstständige haben hohe Schulden
gegenüber der Krankenkasse und erhalten daher gesundheitliche Versorgung nur noch
in einem stark eingeschränkten Umfang.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die Mindestbeitragsbemessung für hauptbe-
ruflich selbstständig Tätige nach § 240 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB V) auf die Geringfügigkeitsgrenze (derzeit 450 Euro) abgesenkt wird. Oberhalb
dieser Grenze sollen einkommensabhängige Beiträge gelten.

Berlin, den 21. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/9711 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Grundsätzlich wird bei Selbstständigen ein Krankenversicherungsbeitrag erhoben, als hätten sie Einkünfte in
Höhe der geltenden Beitragsbemessungsgrenze, also 4 237,50 Euro im Monat (Werte für 2016). Erst bei Nach-
weis niedrigerer Einnahmen wird die Beitragsbemessung gesenkt, allerdings nicht unter 2 178,75 Euro. Nach den
vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätzen für Selbstzahler kann
die Mindestbemessung nur unter sehr engen Voraussetzungen noch weiter gesenkt werden. So ist eine Absen-
kung etwa ausgeschlossen, wenn ein Partner oder eine Partnerin in einer Bedarfsgemeinschaft steuerpflichtige
Einnahmen aus Kapitalvermögen hat, Ersparnisse über 11 620 Euro in dieser Bedarfsgemeinschaft vorliegen
oder positive oder auch negative Einkünfte aus Vermietung oder Verpachtung vorliegen. Erst wenn dies geprüft
ist, kann die Beitragsbemessung auf 1 452,50 Euro abgesenkt werden. Das entspricht einem Mindestbeitragssatz
für Kranken- und Pflegeversicherung von rund 265,81 Euro (Werte für Kinderlose und für eine Krankenkasse
mit durchschnittlichem Zusatzbeitrag und mit Krankengeldanspruch ab der siebten Woche). Werden die eben
genannten Nachweise nicht erbracht, müssen Selbstständige mindestens 398,71 Euro monatlich zuzahlen. Bei
einem Einkommen (Gewinn aus selbstständiger oder gewerblicher Tätigkeit) von 800 Euro würde dies einem
Beitragssatz von fast 50 Prozent statt des regulären Satzes von insgesamt 18 Prozent entsprechen. Das ist für
viele finanziell nicht leistbar. Viele Selbstständige, insbesondere Solo-Selbstständige, haben deshalb Beitrags-
schulden. Ihnen steht wegen dieser meist unbezahlbaren Schulden nur ein minimaler Leistungsanspruch in der
medizinischen Versorgung zu. Das führt faktisch zu einer Missachtung des Rechts auf gesundheitliche Versor-
gung.
Mit dem vorliegenden Vorschlag würde der Mindestbeitrag für Selbstständige nur noch 70,65 Euro in der Kran-
kenversicherung und 11,70 Euro in der Pflegeversicherung betragen. Damit würden existenzbedrohende Bei-
tragszahlungen weitestgehend vermieden und durch das Solidarprinzip ersetzt.
Auch andere Gruppen, wie etwa Studierende mit Überschreitung von 14 Fachsemestern, über 29 Jahren oder
Promovierende sowie freiwillig versicherte Rentnerinnen und Rentner, müssen derzeit mindestens 177,21 Euro
Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag zahlen. Dies kann in diesen Lebensphasen regelmäßig zu Härten füh-
ren. Für sie sind ebenfalls Regelungen zu treffen (vgl. Antrag der Fraktion DIE LINKE., „Gerechte Krankenkas-
senbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte“).
Für die gesetzlichen Krankenkassen sind die durch zu hohe Beiträge zwangsläufig entstehenden Beitragsschulden
ein Problem. Sie steigen stetig weiter. Betrugen sie 2011 noch gut 1 Mrd. Euro, stiegen sie bis 2014 auf 2,77 Mrd.
Euro und bis Mai 2016 auf 5,02 Mrd. Euro. Das Forderungsmanagement kostet die Krankenkassen viel Geld. In
vielen Fällen ist nicht zu erwarten, dass das Inkasso erfolgreich sein wird. Da viele Forderungen, die sich aus der
hohen Mindestbemessung ergeben, also ohnehin nicht durchsetzbar sind, entgehen den Krankenkassen durch die
vorgeschlagene Neuregelung faktisch auch weniger Beiträge als nominal zu erwarten wären.
Die vorgeschlagene Regelung ist aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit gerade auch im Hinblick auf die beste-
hende Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V dringend geboten. Es ist kaum zu erwarten,
dass sie dazu führt, dass wesentlich mehr Selbstständige mit geringem Einkommen in die GKV wechseln, da
schon unter der derzeit geltenden Regelung 81 Prozent der Selbstständigen mit einem Einkommen unterhalb
15 010 Euro pro Jahr in der GKV versichert sind. In der Gruppe von 15 011 bis 25 200 Euro sind es 66 Prozent.
Aber auch wenn es dieses Problem in größerem Umfang gäbe, kann dessen Lösung nicht auf dem Rücken von
Selbstständigen mit geringem Einkommen ausgetragen werden. Stattdessen böten sich als Lösung die Abschaf-
fung der privaten Krankenversicherung und die Absicherung der gesamten Bevölkerung in einer solidarischen
Gesundheitsversicherung an. Solange dies aber politisch von einer Mehrheit des Bundestages nicht gewollt ist,
muss eine schnellgreifende Regelung getroffen werden, die den Betroffenen hilft.

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