BT-Drucksache 18/9254

Geschlechtergerechte Leistungsbeurteilung in der Bundesverwaltung

Vom 19. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9254
18. Wahlperiode 19.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Christine Buchholz,
Nicole Gohlke, Annette Groth, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Kerstin Kassner,
Katja Kipping, Jan Korte, Birgit Menz, Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte,
Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Katrin Werner, Jörn Wunderlich, Pia Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Geschlechtergerechte Leistungsbeurteilung in der Bundesverwaltung

Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, mehr Frauen in Führungspositionen zu
bringen und dabei im öffentlichen Dienst mit gutem Beispiel voranzugehen. Wel-
che Schwierigkeiten die Umsetzung dieses Ziels in der Praxis bereitet, hat die
Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zur Umsetzung des
neuen Bundesgleichstellungsgesetzes in den obersten Bundesbehörden vom
21. Dezember 2015 gezeigt (Bundestagsdrucksache 18/7139). Trotz eines gene-
rellen Frauenüberhangs im öffentlichen Dienst ist eine deutliche Mehrheit der
Führungskräfte auf allen Ebenen nach wie vor männlich, der Frauenanteil wächst
ausgesprochen langsam.
Zahlreiche Studien legen nahe, dass strukturelle Gründe für die Unterrepräsen-
tanz weiblicher Führungskräfte im öffentlichen Dienst im Beförderungswesen
liegen. Für eine Beförderung einer Beamtin oder eines Beamten sind nach § 32
der Bundeslaufbahnverordnung (BLV) ihre oder seine Eignung, Befähigung und
fachliche Leistung ausschlaggebend. Diese werden durch die dienstliche Beurtei-
lung festgestellt. Häufig werden Tarifbeschäftigte nach den gleichen Verfahren
beurteilt.
Obwohl die Einstellungsnoten von Frauen häufig gleich gut oder sogar besser
sind, werden sie in den Dienststellen insgesamt schlechter beurteilt als Männer.
Nach der von der Hans Böckler Stiftung herausgegebenen Studie zur Beurteilung
von Frauen und Männern im Polizeivollzugsdienst von 2013 (www.boeckler.de/
pdf/p_arbp_276.pdf) erhärten die statistischen Ergebnisse „die Vermutung, dass
das Geschlecht bei der Beurteilung eine Rolle spielt, und begründen die Notwen-
digkeit, die Beurteilungsregelungen und die Beurteilungspraxis näher zu analy-
sieren.“
Durch die Quotierung der Noten werden die für eine Beförderung meist benötig-
ten Spitzennoten selten und zu überwiegendem Anteil an Männer vergeben. Teil-
zeitbeschäftigte, die zum größten Teil weiblich sind, werden fast durchgängig
schlechter bewertet als Vollzeitbeschäftigte, obwohl das Bundesgleichstellungs-
gesetz (BGleiG) in § 18 ausdrücklich eine Benachteiligung auch bei der dienstli-
chen Beurteilung durch eine Beeinträchtigung des beruflichen Aufstiegs u. a. we-
gen Teilzeit- oder Telearbeit oder einer Beurlaubung auf Grund von Familien-

Drucksache 18/9254 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

oder Pflegeaufgaben untersagt. Die darauf beruhende geringere zeitliche Verfüg-
barkeit oder Präsenz am Arbeitsplatz in der Dienststelle darf also nicht in die Be-
urteilung einfließen.
Als subjektive Bewertung stellt die dienstliche Beurteilung ein Einfallstor für eine
Beeinflussung durch Geschlechterstereotype dar, die zu einer Benachteiligung
von Frauen führen. So werden vermeintlich geschlechtsneutrale Eigenschaften
wie Durchsetzungsstärke, Flexibilität, Belastbarkeit, Souveränität, Dynamik und
strategisches Vorgehen mit Männern und Fleiß, Freundlichkeit, Geduld und Ein-
fühlungsvermögen mit Frauen assoziiert. Diese geschlechtsstereotypen Eigen-
schaften werden nicht gleich gewertet sondern hierarchisiert zugunsten der
„männlichen“ Eigenschaften wahrgenommen. Gleichzeitig wird ein „Verstoß“
gegen Geschlechterstereotype überwiegend negativ gewertet. So wird dasselbe
Verhalten bei einem Mann vielfach positiv als „Durchsetzungsfähigkeit“, bei ei-
ner Frau dagegen negativ als „Dominanz“ wahrgenommen.
Eine weitere Verzerrung kann durch den so genannten Hierarchieeffekt erfolgen,
wonach die Ergebnisse der Leistungsbewertung immer besser werden, je höher
der oder die Beurteilte in der Hierarchie angesiedelt ist.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das System der dienstlichen Beur-

teilung im öffentlichen Dienst der Bundesverwaltung im Wesentlichen sach-
dienlich ist (bitte begründen)?

2. Besteht nach Ansicht der Bundesregierung im System der dienstlichen Be-
urteilung die Gefahr einer Benachteiligung von weiblichen sowie Teilzeit-
beschäftigten (bitte begründen)?

3. Welche Maßnahmen sind der Bundesregierung bekannt, um die Gefahr der
Benachteiligung von weiblichen sowie Teilzeitbeschäftigten auszuschließen
oder sie zumindest zu reduzieren?

4. Welche Untersuchungen sind der Bundesregierung zur Beurteilungs- und
Beförderungssituation von Frauen im öffentlichen Dienst mit welchen Er-
gebnissen bekannt?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Einfluss von Ge-
schlechterstereotypen sowie Teilzeit-, Hierarchie- und Homosozialitätsef-
fekten im Beurteilungs- und Beförderungswesen des öffentlichen Dienstes
im öffentlichen Dienst, und welche Untersuchungen hat sie in den letzten
zehn Jahren hierzu in den Bundesbehörden vorgenommen?

6. Wie wirkt es sich auf die Untersuchbarkeit der geschlechtergerechten Beur-
teilung aus, dass seit der Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes im
Jahr 2015 die Spitzennoten bei den dienstlichen Beurteilungen von den
Dienststellen in der ressortübergreifenden Gleichstellungsstatistik nicht
mehr erfasst werden müssen?
Wie bewertet die Bundesregierung diesen Umstand?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des ehemaligen Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, wonach die hochgradig aus-
differenzierte Beurteilungspraxis und die Verwaltungsrechtsprechung zum
Tatbestandsmerkmal „gleiche Qualifikation“ den Gleichstellungsauftrag des
Grundgesetzes in Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 konterkarieren (bitte begrün-
den)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9254
 

8. Verfügen alle obersten Bundesbehörden über eigene Beurteilungsrichtlinien
(bitte die Beurteilungsrichtlinien aller obersten Bundesbehörden beifügen)?
Wenn nicht, welche Behörden sind diese, und weshalb fehlt eine Beurtei-
lungsrichtlinie?

9. Wann wurden die aktuellen Fassungen der Beurteilungsrichtlinien der obers-
ten Bundesbehörden jeweils verabschiedet?

10. Bestehen für die Beurteilungsrichtlinien der obersten Bundesbehörden ge-
meinsame Richtlinien, Leitfäden, Muster oder ähnliches?
Wenn ja, wo sind diese veröffentlicht (falls sie nicht veröffentlicht sind, bitte
beifügen)?
Wenn nein, warum nicht?

11. Waren die Gleichstellungsbeauftragten der obersten Bundesbehörden an der
Erstellung der aktuell geltenden Beurteilungsrichtlinien beteiligt?
Wenn nein, warum nicht?

12. Waren die Gleichstellungsbeauftragten der jeweiligen obersten Bundesbe-
hörden oder ihre Vertreterinnen an den letzten Beurteilungskonferenzen oder
vergleichbaren Besprechungen, die die einheitliche Anwendung der Beurtei-
lungsrichtlinien zum Inhalt hatten, beteiligt?
Wenn nein, warum nicht?

13. Welche Haltung hat die Bundesregierung zu der Forderung des Deutschen
Juristinnenbundes e. V., in Beurteilungsrichtlinien auf eigenschaftsbezogene
Kriterien zu verzichten und ausschließlich ergebnis- und tätigkeitsbezogene
Beurteilungskriterien zur Anwendung zu bringen?

14. Enthalten einzelne Beurteilungsrichtlinien eigenschaftsbezogene Kriterien,
die stereotypisierende Interpretationsspielräume eröffnen (wie z. B. Durch-
setzungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit)?
a) Um die Beurteilungsrichtlinien welcher obersten Bundesbehörden han-

delt es sich?
b) Wie lauten die eigenschaftsbezogenen Kriterien?
c) Wie wird jeweils versucht eine geschlechterdiskriminierende Anwendung

solcher Kriterien zu verhindern?
15. Inwiefern werden die Ergebnisse der Beurteilungsrunden in den gemäß

§ 38 Absatz 3 Nummer 2 BGleiG zu erstellenden Gleichstellungsindizes be-
rücksichtigt?
Sollten sie nicht berücksichtigt werden, warum nicht?

16. Werden die Ergebnisse der Beurteilungsrunden Eingang in den Bericht zum
Bundesgleichstellungsgesetz nach § 39 BGleiG finden?
Wenn nicht, warum nicht?

17. Wie haben alle obersten Bundesbehörden nach ihren letzten Beurteilungs-
runden die Notenspiegel auf Geschlechtergerechtigkeit untersucht?

18. Werden in allen obersten Bundesbehörden Notenspiegel mit einer gesonder-
ten Ausweisung des Anteils an Frauen, Männern, Teilzeit- und Telearbeits-
kräften und schwerbehinderten Menschen erstellt und bekannt gegeben (bitte
beifügen)?
Wenn nicht, welche sind diese Behörden, und weshalb wird kein Notenspie-
gel bekannt gegeben?

19. Was waren die Ergebnisse und Konsequenzen dieser Untersuchungen?

Drucksache 18/9254 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

20. Wie wird in den genannten Bundesministerien gewährleistet, dass jede Be-
urteilerin und jeder Beurteiler bei der Erstellung der Beurteilung im Rahmen
einer selbstkritischen Reflexion überprüft, ob die vorgenommene Bewertung
den Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Beurteilung entspricht und
insbesondere bezogen auf Frauen und Teilzeitbeschäftigte keine Beurtei-
lungsmängel vorliegen?

21. Welche obersten Bundesbehörden bieten für die beurteilenden Führungs-
kräfte Schulungen für die Sensibilisierung in Gender-Aspekten an?
Ist die Teilnahme daran obligatorisch?

22. Wie viele Führungskräfte sind in den obersten Bundesbehörden jeweils mit
Beurteilungen betraut, und wie viele davon haben an Schulungen zu Ge-
schlechtersensibilität oder Diversity Management teilgenommen?

23. Jeweils wie viele Beamtinnen und Beamte und Tarifbeschäftigte des höheren
Dienstes in den obersten Bundesbehörden erhielten in der jeweils letzten Be-
urteilungsrunde die Bestnote, und wie hoch war gleichzeitig der Frauen- und
Männeranteil im höheren Dienst der jeweiligen Behörde (bitte nach Ge-
schlecht, Teilzeit- und Telearbeit aufschlüsseln)?

24. Welche universitären Abschlussnoten hatten die in den letzten beiden Jahren
bei den obersten Bundesbehörden in den höheren Dienst neu eingestellten
Beschäftigten (bitte nach Geschlecht differenzieren)?

Berlin, den 19. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.