BT-Drucksache 18/918

Aktuelle Situation in Kambodscha

Vom 20. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/918
18. Wahlperiode 20.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Agnieszka Brugger, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour,
Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin,
Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktuelle Situation in Kambodscha

Bei den Parlamentswahlen in Kambodscha am 28. Juli 2013 kam es laut natio-
nalen und internationalen Wahlbeobachtern zu weitreichenden Manipulationen.
Die einzig verbliebene Oppositionspartei „Nationale Rettung“ (CNRP) boykot-
tierte daraufhin die konstituierende Sitzung des Parlaments am 23. September
2013. Die Opposition weigert sich, ihre Arbeit im Parlament aufzunehmen, bis
es zu einer unabhängigen Überprüfung des Wahlergebnisses kommt.
Zum Jahreswechsel eskalierte in Phnom Penh die Auseinandersetzung in der
Textilindustrie. Bei einem Einsatz der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten
wurden vier Menschen getötet. Die Demonstranten hatten eine Erhöhung des
Mindestlohns auf 160 Dollar gefordert. Der Premierminister Samdech Hun Sen
verkündete ein De-facto-Demonstrations- und Versammlungsverbot. Ausländi-
sche Firmen können in Ländern wie Kambodscha große Gewinne erzielen, denn
das Everything-but-Arms-Programm der Europäischen Union (EU) erlaubt es
ihnen, alle Waren (außer Waffen) zollfrei aus solchen Ländern zu importieren.
Zudem liegen viele Fabriken in so genannten Sonderwirtschaftszonen und müs-
sen deshalb auch in Kambodscha keine Steuern zahlen. Zu etwa 90 Prozent
arbeiten Frauen in der Textilindustrie, die sehr oft aus den ärmeren Provinzen
kommen. Für sie ist es auf dem männerdominierten Arbeitsmarkt oft die einzige
Möglichkeit, Arbeit aufzunehmen, um einen kleinen Beitrag zum Familien-
einkommen zu leisten.
Die Vereinten Nationen (VN) äußern sich seit Jahren kritisch über die massiven
Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Landsektor und der da-
raus resultierenden Verarmung weiter Bevölkerungskreise. Im Jahr 2009 hob der
VN-Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hervor, dass
die kambodschanischen Behörden selbst aktiv an dem gewaltsamen Landraub
beteiligt sind. Er forderte ein unmittelbares Ende dieser Praxis. Derselbe Aus-
schuss zeigte sich im Rahmen seiner Analyse der extraterritorialen Verpflichtun-
gen der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2011 besorgt, dass die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit im kambodschanischen Landsektor an Projekten
beteiligt war, die zur Verletzung ökonomischer, sozialer und kultureller Rechte
der Bevölkerung führten. Kambodschanische Nichtregierungsorganisationen
gehen inzwischen von ca. 400 000 Landvertriebenen aus. Am 7. Januar 2014
wurden Landrechtsaktivisten willkürlich verhaftet, als sie vor der französischen
Botschaft eine Petition übergeben wollten.

Drucksache 18/918 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Bundesregierung hat am 3. und 4. Dezember 2013 Regierungsverhand-
lungen zur entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Kambodscha durch-
geführt. Dabei wurden Mittel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in
Höhe von 47 Mio. Euro für die Jahre 2013 und 2014 zugesagt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie begründet die Bundesregierung den Zeitpunkt der letzten Regierungs-

verhandlungen am 3./4. Dezember 2013 zwischen Deutschland und Kam-
bodscha, und hat die Bundesregierung in Betracht gezogen, die Verhandlun-
gen aufgrund der aktuellen Lage in Kambodscha zu verschieben?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einhaltung demokratischer Standards
bei den Parlamentswahlen im Juli 2013 in Kambodscha?

3. Befürwortet die Bundesregierung die Einsetzung einer unabhängigen Wahl-
kommission in Kambodscha?

4. Welche Rolle spielt das Einhalten von demokratischen Standards bei Wah-
len in den Partnerländern für die jeweilige Mittelzuwendung bzw. -er-
höhung der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung?

5. Welche der während der Regierungsverhandlungen im Jahr 2011 definierten
Verpflichtungen und Meilensteine in der entwicklungspolitischen Zusam-
menarbeit wurden bisher konkret von Kambodscha erreicht und welche
nicht?

6. Hält die Bundesregierung weiterhin daran fest, dass die Erreichung dieser
Meilensteine die Voraussetzung für die Fortsetzung der Zusammenarbeit
mit Kambodscha darstellt, und wenn nein, wie wird dies begründet?

7. Welche Rolle spielt das Implementieren von internationalen Menschen-
rechtsabkommen durch die kambodschanische Regierung für die Strategie
der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber Kambodscha?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Lage von Menschenrechtsverteidige-
rinnen und Menschenrechtsverteidigern in Kambodscha, die sich laut den
Berichten von Amnesty International (Amnesty Report 2013: Kambodscha,
vom 23. Mai 2013) und Human Rights Watch (Human Rights Watch World
Report 2014: Cambodia) immer wieder Drohungen, Schikanen, rechtlichen
Verfahren und Gewalt ausgesetzt sehen, und wie unterstützt sie Menschen-
rechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger in ihrer Arbeit im
Land?

9. Wie schätzt die Bundesregierung die Situation der Zivilgesellschaft in Kam-
bodscha seit der Einschränkung der Vereinigungs- und Versammlungs-
freiheit und der freien Meinungsäußerung im Jahr 2012 (siehe z. B. Report
of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Cambodia,
vom 5. August 2013) ein, und wie setzt sie sich in ihrer Zusammenarbeit mit
der kambodschanischen Regierung für eine Rücknahme dieser Einschrän-
kungen und der damit verbundenen Praktiken ein?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Unabhängigkeit der kambodschani-
schen Justiz?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Umsetzung menschenrechtlicher
Standards und die Aufklärung und Verurteilung von Menschenrechtsverstö-
ßen vor dem Hintergrund der genannten Berichte von Amnesty Interna-
tional und Human Rights Watch, dass diejenigen, die für Menschenrechts-
verstöße verantwortlich sind, selten zur Rechenschaft gezogen werden und
Tötungen nur mangelhaft oder gar nicht untersucht wurden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/918
12. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Kambodscha beim
Korruptionsindex 2013 von Transparency International den letzten Platz un-
ter den südostasiatischen Länder einnimmt?

13. Inwiefern hat nach Auffassung der Bundesregierung die Regierung Kam-
bodschas gegen die bereits ratifizierten ILO-Konventionen 87 (Vereini-
gungsfreiheit), 98 (Tarifverhandlungen), 100 (gleiche Bezahlung), 111 (Dis-
kriminierung) und 182 (schlimmste Formen der Kinderarbeit) verstoßen,
und inwiefern gedenkt die Bundesregierung, auf diese möglichen Verstöße
zu reagieren?

14. Inwiefern sind auch Unternehmen nach Ansicht der Bundesregierung durch
VN-Richtlinien zu Wirtschaft und Menschenrechten an die Achtung und
den Schutz der Menschenrechte gebunden, und inwiefern stellt infolgedes-
sen nach Ansicht der Bundesregierung ein Lohn unterhalb des Existenzmi-
nimums eine Menschenrechtsverletzung dar?

15. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung bislang unternommen,
damit sich die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie in Kambod-
scha ändern (siehe das Interview mit dem Bundesminister für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller; www.berliner-
zeitung.de/wirtschaft/entwicklungsminister-gerd-mueller--wir-koennen-
nicht-weiter-so-tun--als-wuessten-wir-von-nichts-
,10808230,26053266.html)?

16. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Regierung Kambod-
schas dazu zu bewegen, den künstlich niedrig gehaltenen Mindestlohn in
der Textilbranche (www.inkota.de „Grundlohn Kambodscha“, Nachrichten-
magazin DER SPIEGEL 10/2014 „Der Aufstand der Sanften“) anzupassen
und die Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards sowie der Men-
schenrechte besser zu überwachen?

17. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, deutsche Unternehmen
und deren Zulieferer zur besseren Einhaltung von Arbeits- und Umweltstan-
dards sowie zur Achtung der Menschenrechte zu bewegen?

18. Inwiefern steht die Bundesregierung im Dialog mit Firmen, die in Kam-
bodscha Kleidung und Schuhe produzieren und nach Deutschland expor-
tieren, wie z. B. Puma, Adidas, H&M (www.bbc.co.uk vom 8. Februar 2012
„Cambodia garment factories face demand for higher wages“), um die Ein-
haltung der VN-Richtlinien zu Wirtschaft und Menschenrechten sowie der
VN-Konvention zur Kinderarbeit sicherzustellen?

19. Was tut die Bundesregierung, um eine systematische Umgehung der VN-
Konvention zur Kinderarbeit in der kambodschanischen Textilindustrie zu
verhindern?

20. Inwiefern hat die Bundesregierung nach den tödlichen Schüssen auf De-
monstranten zum Jahreswechsel 2013/2014 (www.cnn.com vom 3. Januar
2014 „At least 3 dead after Cambodian security forces open fire on protes-
ters“) auf eine Aufklärung der Vorfälle durch die kambodschanische Regie-
rung gedrungen?

21. Hat die Bundesregierung gegenüber der kambodschanischen Regierung das
Problem des Land Grabbings (Vertreibung von Menschen durch Landraub
und Enteignung) in Kambodscha, wie z. B. am Boeung Kak Lake in Phnom
Penh (www.theguardian.com vom 25. September 2012 „Conflict over land
in Cambodia is taking a dangerous turn“), thematisiert und auf die damit
verbundenen Menschrechtsverletzungen hingewiesen?

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22. Inwiefern ist die staatliche Kooperation im Bereich der Landreform daran
gekoppelt, dass gleichzeitig die Landregistrierungskampagne des Premier-
ministers (Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 79 auf
Bundestagdrucksache 17/14270) beendet oder in ein institutionalisiertes,
unabhängiges Programm überführt wird, das die Zivilgesellschaft und Be-
troffene frühzeitig mit einbezieht?

23. Hat die Bundesregierung im Rahmen der zugesagten Fortführung der Un-
terstützung des Landreformprogramms die Einführung eines unabhängigen
Beschwerdemechanismus für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen
zur Bedingung gemacht, und falls nein, warum nicht?

24. Hat das Landreformprogramm nun klare Ziele und Kriterien, die sich an
Menschenrechten und Armutsminderung orientieren, zur Bedingung, und
falls ja, welche sind dies und wie und von wem werden diese überprüft?

25. Inwiefern haben die Bundesregierung bzw. die von ihr beauftragten Durch-
führungsorganisationen vor Ort, wie die GIZ, nun uneingeschränkt Zugang,
um die Landreformprojekte, insbesondere die vergebenen Landtitel, zu
überprüfen, oder bestehen nach wie vor Einschränkungen bezüglich des Zu-
gangs von Seiten der kambodschanischen Regierung?

26. Sieht die Bundesregierung eine Wirkungsanalyse zum Landreformpro-
gramm vor, um zu sehen, wie erfolgreich die Vergabe der Landtitel war?

27. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung, wie in einer Resolution des Euro-
päischen Parlaments im Jahr 2012 gefordert, dafür ein, dass die EU ihre
Zollprivilegien für Zucker und Zuckerprodukte aus Kambodscha aussetzt,
da die meisten Landvertreibungen stattfinden, um großflächige Zuckerrohr-
plantagen anzulegen (Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL 48/2013 „Bit-
terer Zucker“)?

Berlin, den 20. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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