BT-Drucksache 18/9086

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau

Vom 6. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9086
18. Wahlperiode 06.07.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, Dr. Frithjof Schmidt,
Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der NATO-Gipfel am 8. und 9. Juli 2016 in Warschau findet in einem veränderten
sicherheitspolitischen Umfeld statt. Krisen und Kriege, zerfallene und zerfallende
Staaten im Süden wie im Osten Europas stellen die Staaten Europas genauso wie die
USA und Kanada und somit das transatlantische Bündnis vor neue Herausforderun-
gen.
Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Vorgehen
in der Ost-Ukraine zentrale Pfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur in Frage
gestellt: die nationale Souveränität und territoriale Integrität der Staaten, die Ver-
pflichtung zur gewaltlosen Konfliktlösung und die Ablehnung gewaltsamer Grenz-
verschiebungen sowie das Einhalten internationaler Verträge. Es hat auch seine
Pflichten aus dem Budapester Memorandum verletzt. Diese Verstöße sind inakzep-
tabel. Vor diesem Hintergrund muss die Bedrohungsperzeption der östlichen
NATO-Mitgliedstaaten ernst genommen werden. Gleichzeitig gilt aber auch: Sicher-
heit in Europa wird es nur mit und nicht gegen Russland geben.
Es ist zu befürchten, dass die Antworten, die in Warschau gegeben werden sollen,
diesen umfassenden neuen Herausforderungen nicht gerecht werden. Sie beschrän-
ken sich vorrangig auf den Bereich der Bewältigung symmetrischer Konflikte und
setzen vor allem auf Abschreckung. Sie adressieren fast ausschließlich die Heraus-
forderungen im Osten.
Die notwendigen Maßnahmen der Rückversicherung für die osteuropäischen Bünd-
nispartner werden nicht verbunden mit einem Dialog über konkrete Schritte zur Ab-
rüstung und Rüstungskontrolle mit Russland. Im Gegenteil. Die NATO setzt auf
konventionelle Aufrüstung im Bereich Panzerwaffen, sie überführt die US-Raketen-
abwehr in eine NATO-Abwehr, die nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu einer wei-
teren Verschlechterung der Beziehungen beitragen wird. Sie hält an US-amerikani-
schen Atomwaffen in Deutschland und Europa und den Modernisierungsplänen fest.
Von einer Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates kann trotz stattgefundenem
Treffen noch nicht die Rede sein. Die Mitgliedstaaten müssen ihren Willen, diesen

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Dialog wieder aufzunehmen, gegenüber Russland deutlich artikulieren. Gleichzeitig
muss Russland auch bereit sein, dieses Angebot anzunehmen.
Der NATO-Gipfel wird eine gemeinsame Erklärung der Europäischen Union und
der NATO zum Gegenstand haben. Eine Abstimmung zwischen beiden Organisati-
onen ist überfällig, um mehr Kohärenz zu erreichen. Kohärenz ist die Grundvoraus-
setzung, damit die Bemühungen der Europäischen Union zur Assoziierung der Uk-
raine und Umsetzung der Vereinbarung von Minsk nicht gefährdet werden.
Gerade in der Bewältigung der Herausforderungen im Süden zeigt sich die Begrenzt-
heit einer Politik der Abschreckung. Terrorismus und Staatszerfall lassen sich nicht
durch Abschreckung bewältigen. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, darf Staats-
aufbau und wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht vernachlässigen und nicht durch
eine vor allem militärische Flüchtlingsabwehr gefährden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für ein weiteres Festhalten der NATO an der NATO-Russland-Akte ein-
zusetzen;

2. sich für einen Stopp des NATO-Raketenabwehrsystems einzusetzen;
3. den berechtigten Sicherheitsinteressen der östlichen NATO-Partner durch ge-

eignete Rückversicherungsmaßnahmen, wie das Air Policing im Baltikum und
die rotierende Präsenz der NATO in Osteuropa, gerecht zu werden;

4. eine dauerhafte Stationierung von Truppen in substantiellem Umfang im östli-
chen NATO-Bündnisgebiet abzulehnen, so wie es in der NATO-Russland-
Grundakte festgehalten ist;

5. sich gegen den Einsatz der NATO in der Ägäis und einen möglichen Einsatz
im Mittelmeer zur Abwehr von Geflüchteten auszusprechen und sich für eine
zivile Seenotrettung einzusetzen, die die NATO Mission schnellstmöglich er-
setzt;

6. sich dafür einzusetzen, dass Mitgliedstaaten der NATO keine Waffen an die
Konfliktparteien in Krisenregionen, wie etwa in die Ukraine, nach Saudi-Ara-
bien und in die übrigen Golfstaaten, liefern;

7. daran festzuhalten, dass ein NATO-Beitritt für die Ukraine, Georgien und die
Republik Moldau kurz- und mittelfristig als Option ausscheidet, von dem Vor-
haben Abstand zu nehmen, den Verteidigungsetat auf 2 Prozent des BIP anzu-
heben, und stattdessen endlich ihre Zusagen zu erfüllen, 0,7 Prozent des BNE
in die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu investieren;

8. sich für konventionelle sowie nukleare Abrüstung einzusetzen, unter anderem
indem sie für den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland
und Europa und eine klare Abkehr von den Modernisierungsplänen eintritt, die
Erklärung der Humanitären Initiative unterzeichnet und die Ziele des OSZE-
Vorsitzes im Bereich konventioneller Rüstungskontrolle konsequent verfolgt
und sich in diesem Zusammenhang für die Wiederbelebung, den Ausbau und
die Modernisierung der konventionellen Rüstungskontrolle einsetzt.

Berlin, den 5. Juli 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9086
Begründung

Die NATO führt derzeit die „größte militärische Anpassung seit dem Ende des Kalten Krieges“ durch
(http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_130923.htm). Diese Neuausrichtung wird damit begründet, dass
die Allianz sich „beispiellosen Sicherheitsherausforderungen im Osten und im Süden“ gegenübersieht. Beim
NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli 2016 werden deshalb laut Generalsekretär Jens Stoltenberg Ent-
scheidungen getroffen, um „unsere Abschreckung und Verteidigung gegen Bedrohungen aus allen Richtungen“
zu stärken (http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_132351.htm).
Seit 2014 haben Russland und die NATO vermehrt Übungen und Manöver durchgeführt, wobei Russlands
Übungen vor allem in direkt angrenzenden Gebieten zur NATO stattgefunden haben. Russland hat dabei über-
wiegend auf unangekündigte „Snap Excercises“ gesetzt. Das trägt nicht zu mehr Sicherheit in Europa bei. In
dieser angespannten Situation halten wir strikt an der NATO-Russland-Grundakte fest.
In diesem Rahmen unterstützten wir Rückversicherungsmaßnahmen wie das verstärkte Air Policing über den
baltischen Mitgliedstaaten der NATO und eine rotierende Präsenz der NATO in Osteuropa. Eine dauerhafte
Truppenstationierung in substantieller Größe im östlichen Bündnisgebiet hingegen lehnen wir ab. Eine Eska-
lationsspirale muss verhindert werden. Dass der ursprünglich gegen den Iran gerichtete Raketenschild auch
nach dem Abschluss eines Atom-Abkommens mit dem Iran weiter vorangetrieben wird, ist ein Fehler und be-
lastet die Beziehungen zu Russland unnötig. Ein Festhalten am 2-Prozent-Ziel der NATO würde für Deutsch-
land Aufstockung um 25 Milliarden Euro für den Verteidigungsetat bedeuten. Zusammen mit der bereits an-
gekündigten Anschaffung neuer Kampfpanzer beteiligt die Bundesregierung sich damit an einem gefährlichen
Rüstungswettlauf. Stattdessen müssen wir offen für einen Dialog mit Russland bleiben, um auf eine Verstän-
digung hinzuarbeiten. Deswegen bestärken wir die Bundesregierung darin, an der Position festzuhalten, dass
ein NATO-Beitritt der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldaus kurz- und mittelfristig keine Option ist.
Diese Staaten Ostmitteleuropas benötigen dringend eine neue Option, eine internationale Sicherheitsgarantie
jenseits des nordatlantischen Bündnisses, die es ihnen ermöglicht, aus der unbequemen und gefährlichen Situ-
ation eines Puffers zu entkommen. Diese Perspektive muss eine gangbare zusätzliche Alternative zur freien
Bündniswahl darstellen. Darüber hinaus müssen alle Seiten durch eine deeskalierende Rhetorik zur Entspan-
nung und Vertrauensbildung beitragen. Die NATO und Russland müssen den NATO-Russland-Rat dauerhaft
wiederbeleben.
Außerdem müssen die Abrüstungsverhandlungen wiederaufgenommen werden. Wenn die NATO ihren eige-
nen Anspruch als Sicherheitsallianz für den Frieden erfüllen will, muss sie ihren Beitrag für die weltweite
Abrüstung im nuklearen wie im konventionellen Bereich leisten und die Ziele des OSZE-Vorsitzes im Bereich
konventioneller Rüstungskontrolle konsequent unterstützen.
Im Hinblick auf die Instabilität, die von zerfallenen und zerfallenden Gesellschaften ausgeht, hat die NATO
keine Antwort. Sie beteiligt sich an der kurzsichtigen Abriegelung Europas – in der Ägäis und nach dem NATO
Gipfel in Warschau möglicherweise auch im Mittelmeer und damit an einer Militarisierung der europäischen
Flüchtlingspolitik. Das Bündnis hat die Lektion immer noch nicht gelernt: Asymmetrischen Herausforderungen
kann man mit symmetrischen Mitteln nicht beikommen.

http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_132351.htm
Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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