BT-Drucksache 18/8922

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/8041, 18/8909 - Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung

Vom 22. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8922
18. Wahlperiode 22.06.2016
Änderungsantrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Dr. Petra Sitte, Azize
Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/8041, 18/8909 –

Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung

Der Bundestag wolle beschließen:

Artikel 1 wird wie folgt geändert:

1. In Nummer 1 wird nach Buchstabe c folgender Buchstabe d eingefügt:
,d) Die Angaben zu den §§ 31 bis 32 werden wie folgt gefasst:

„§§ 31 bis 32 (weggefallen)“.ʻ
2. Die bisherigen Buchstaben d bis q werden die Buchstaben e bis r.
3. Nummer 25 wird wie folgt gefasst:

„25. Die §§ 31 bis 32 werden aufgehoben.“

Berlin, den 21. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/8922 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

1. Mit der Änderung werden Sanktionen aus dem Recht der Existenzsicherung verbannt. Sanktionen stellen
eine Unterschreitung des gesetzlich festgelegten menschenwürdigen Existenz- und Teilhabeminimums dar. Die
Garantie des menschenwürdigen Existenz- und Teilhabeminimums ist ein Grundrecht jedes Menschen, der sich
in Deutschland aufhält. Dieses Grundrecht ist verankert in der Menschenwürde nach Art 1 Abs. 1 Grundgesetz.
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (Art. 20 GG) verpflichtet den Staat, dieses Grundrecht zu gewähr-
leisten. Diese Garantie ist durch das Bundesverfassungsgericht in dem „Hartz-IV-Urteil“ vom 9. Februar 2010
ausdrücklich bestätigt worden (BVerfG 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010). Mit diesem Grundrecht ist eine Unter-
schreitung des menschenwürdigen Existenz- und Teilhabeminimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren
(vgl. auch: Wolfgang Neskovic/Isabel Erdem: Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV – Zu-
gleich eine Kritik am Bundesverfassungsgericht, in: SGb 3/2012).
2. Sanktionen sind aus der Sicht der Betroffenen Strafen; Strafen für nach Ansicht der Jobcenter falsches Ver-
halten. Sanktionen behandeln demnach erwachsene Menschen wie unmündige Kleinkinder, denen ein Erzie-
hungsberechtigter sagt, was es zu tun und zu lassen hat. Das Jobcenter wird im Auftrag des Gesetzgebers zu
einem „Erziehungsberechtigten“. Diese Funktion kommt dem Jobcenter aber nicht zu. Auch Leistungsberech-
tigte in der Grundsicherung sind keine unmündigen Kinder, sondern vollwertige Mitbürgerinnen und Mitbür-
ger, deren Würde und Autonomie zu respektieren ist. Leistungsberechtigte haben vielfach gute Gründe den
Anforderungen der Jobcenter nicht nachzukommen, sei es die X-te als sinnlos empfundene, aber trotzdem vom
Jobcenter auferlegte Maßnahme, sei es der berechtigte Widerstand gegen einen nicht existenzsichernden Job.
Die betroffenen Menschen wissen selbst am besten, welche Maßnahmen hilfreich und nützlich sind und welche
Auflagen ihrer Würde widersprechen. Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengungen erfahren
die Menschen einen bürokratischen Apparat, der sie durch die Androhung und Verhängung von Sanktionen
entwürdigt und maßregelt. Es fehlt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcentern an Zeit, Handlungs-
spielräumen und teilweise auch Empathie für das Eingehen auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse der hil-
feberechtigten Personen.
3. Schließlich gibt es erhebliche Zweifel, dass die Sanktionen überhaupt in der gewünschten Weise wirken oder
ob sie nicht im Gegenteil sogar kontraproduktiv sind. Studien weisen darauf hin, dass infolge der Sanktionen
verständlicherweise das Vertrauen zu den Jobcentern abnehme. Teilweise werde insbesondere von jungen
Menschen der Kontakt zu der Behörde komplett abgebrochen. Nachhaltige berufliche und soziale Integration
ist so nicht möglich (ISG: Unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und
Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III in NRW, im Auftrag der Ministeriums
für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, 2013). Unbestreitbar ist dagegen, dass
durch Sanktionen die Existenzgrundlage der anerkannt hilfebedürftigen Personen teilweise oder auch komplett
entzogen wird. Es ist nicht zu akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutschland Menschen – trotz an-
erkannter Hilfebedürftigkeit – existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt werden.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.