BT-Drucksache 18/8876

Klimaschutzplan 2050 - Echter Klimaschutz beginnt heute

Vom 22. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8876
18. Wahlperiode 22.06.2016
Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald,
Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke,
Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Stephan
Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag 2013 darauf festgelegt, „im
Lichte der europäischen Ziele und der Ergebnisse der Pariser Klimaschutzkonferenz
2015“ einen Klimaschutzplan zu verabschieden. Nach einem breiten und alle gesell-
schaftlichen Gruppen einbeziehenden Dialogprozess durch das federführende Bun-
desumweltministerium sollte der Klimaschutzplan 2050 ursprünglich bis zur parla-
mentarischen Sommerpause 2016 vom Kabinett verabschiedet werden.
Die Staaten der Welt haben sich in Paris dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf
deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Bereits auf dem G7-Gipfel in Elmau im
Sommer 2015 verpflichteten sich die führenden Industriestaaten auf eine Dekarbo-
nisierung der Weltwirtschaft. Beides macht deutlich, dass eine komplette Umstel-
lung der bislang weitestgehend auf fossilen Energieträgern basierenden Wirtschaft
auf eine CO2-freie, erneuerbare Wirtschaft in den kommenden Dekaden unumgäng-
lich ist. Zum nötigen umfassenden Transformationsprozess unserer Gesellschaft
müssen alle Sektoren maßgebliche Treibhausgasreduktionen beitragen. Deutschland
muss das langfristige Klimaschutzziel von 95 Prozent Treibhausgasminderung
bis 2050 mit kohärenten Umbaustrategien für die einzelnen Sektoren verbinden. Der
im Mai 2016 bekannt gewordene Entwurf eines Klimaschutzplanes des Bundesum-
weltministeriums versucht dieser Anforderung gerecht zu werden. Es liegt nun am
Kabinett als Ganzes sich zu seiner Verantwortung gegenüber unserer Umwelt und
den zukünftigen Generationen zu bekennen und den Klimaschutzplan 2050 kon-
struktiv weiter zu entwickeln und vor allem in allen Verantwortungsbereichen um-
zusetzen.
Eine langfristige Klimaschutzstrategie ist wichtig für die Planungssicherheit aller
beteiligten Akteurinnen und Akteure. Deshalb müssen noch in dieser Legislaturpe-
riode wichtige Weichen gestellt werden. Nur so wird der nötige Übergang in die
CO2-freie, erneuerbare Wirtschaft kosteneffizient umsetzbar und ohne Strukturbrü-
che verlaufen. Denn solche Brüche werden in erster Linie durch ein Festhalten an

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der Kohleverstromung und weitere langfristige Investitionen in fossile Pfade verur-
sacht, die sich angesichts der vereinbarten Dekarbonisierungs-Strategie künftig nicht
mehr rechnen werden.
Die dem Klimaschutzplan zugrunde liegenden Emissionsminderungsziele müssen
zuerst in einem Klimaschutzgesetz rechtlich verbindlich festgelegt werden, indem
konkrete Zielvorgaben für die einzelnen Sektoren vorgegeben werden und der Fort-
schritt kontinuierlich überprüft wird. Nur so können Fehlentwicklungen rechtzeitig
erkannt und notwendige Korrekturen auf den Weg gebracht werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– ein nationales Klimaschutzgesetz noch in dieser Wahlperiode vorzulegen, wel-
ches den Klimaschutz rechtlich verbindlich verankert und jährliche Minderungs-
ziele für die unterschiedlichen Emissionssektoren verbindlich festlegt,

– einen Klimaschutzplan 2050 zu beschließen, welcher den Pfad zur Dekarbonisie-
rung bis zur Mitte des Jahrhunderts beschreibt,

– die Einhaltung dieser Minderungsziele zu überwachen und im Falle der Zielver-
fehlung ein kurzfristiges und wirksames Aktionsprogramm Klimaschutz aufzu-
legen.

Darüber hinaus muss die Umsetzung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen in allen
Sektoren noch in dieser Legislaturperiode beginnen.

III. Daher fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung zudem auf,

Fossile Energiewirtschaft
– die Kohleverstromung innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte zu beenden, u. a.

durch die Einführung von CO2-Budgets für fossile Kraftwerke, und begleitend
einen Fonds zur Stärkung des Strukturwandels in den betroffenen Braunkohlere-
vieren aufzulegen;

– sich für eine wirksame Reform des europäischen Emissionshandels einzusetzen,
bei der zwei Milliarden überschüssige Zertifikate gelöscht werden und bis zur
Einführung eines europäischen Mindestpreises für CO2, einen nationalen Min-
destpreis entsprechend dem grünen Klimaschutzgesetz (KlimSchG) einzuführen;

Energieversorgung und Effizienz
– den Ausbau erneuerbarer Energien wieder zu beschleunigen und an den in Paris

vereinbarten Klimazielen auszurichten sowie die im EEG verankerten Obergren-
zen für den Ökostromausbau zu streichen, verlässliche Investitionsbedingungen
für Wind-, Solar- und Bioenergie zu schaffen und Hindernisse für die Bürger-
energien wieder abzubauen;

– ein Energiespargesetz mit verbindlichen Zielen zur Verringerung des Energie-
verbrauchs vorzulegen, die nun begonnenen wettbewerblichen Ausschreibungen
von Energiesparmaßnahmen auszuweiten sowie die Bundesstelle für Energieef-
fizienz beim BAFA zur zentralen Kompetenzstelle für Energieeffizienz auszu-
bauen, das über seine bisherigen Aufgaben hinaus auch Förderprogramme wei-
terentwickelt;

Industrie
– umweltschädliche Subventionen konsequent abzubauen und insbesondere die

Ausnahmen der Industrie bei der Energiesteuer, der Besonderen Ausgleichsrege-
lung und den Netzentgelten auf die Branchen zu beschränken, denen tatsächlich
Nachteile im internationalen Wettbewerb entstehen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8876
– ein Anreizprogramm zur Substitution von fossilen Rohstoffen wie Erdöl und Erd-

gas zur stofflichen Nutzung in der Chemie- und Kunststoffindustrie aufzulegen
damit in zehn Jahren nur noch Kunststoffe ohne fossile Basis angeboten werden;

– ein Förderprogramm für investive Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung
und Kreislaufwirtschaft in gewerblichen und industriellen Produktionsprozessen
sowie Gewerbegebieten (Zero Emission Parks) aufzulegen und den Einsatz von
Recyclingmaterialien in der Produktion sicherzustellen und weiter auszubauen;

Verkehr
– einen zukunftsfähigen Bundesnetzplan vorzulegen, der für ein nachhaltiges Ver-

kehrssystem die infrastrukturelle Grundlage schafft und in dem insbesondere der
Ausbau des Schienennetzes für zusätzliche Kapazitäten im Schienengüterverkehr
und die infrastrukturellen Voraussetzungen für einen Deutschland-Takt einen
wesentlichen Schwerpunkt bilden;

– die Bahnpolitik endlich auf eine Wachstumsstrategie auszurichten, die insbeson-
dere durch Einführung des Deutschland-Takts eine Verdopplung des Schienen-
verkehrsanteils im Personen- und Güterverkehr bis 2030 zum Ziel hat, sowie ein
„Zukunftsprogramm Nachverkehr“ aufzulegen;

– die Förderung der Elektromobilität im Straßenverkehr zu verstärken; durch För-
derung von Kommunen, die für innerstädtischen Logistikverkehr nur noch E-
Fahrzeuge und Lastenfahrräder einsetzen sowie durch ein zeitlich befristetes
Marktanreizprogramm für Nahverkehrsbusse und Autos;

– mit dem Nationalen Luftverkehrskonzept eine Treibhausgasminderungsstrategie
vorzulegen, eine bundesweite Bedarfsplanung für den Luftverkehr vorzunehmen
und damit eine Standortkonzeption für Flughäfen aufzustellen sowie ein Förder-
programm für alternative Kraftstoffe und Antriebstechnologien vorzulegen;

– der Nationale Radverkehrsplan zu einem ambitionierten Aktionsplan mit Maß-
nahmen und einer Förderstrategie fortzuentwickeln, die geeignet sind, den Rad-
verkehrsanteil bis 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen;

– umweltschädliche Subventionen abzubauen, wie z. B. das Dienstwagenprivileg
oder die steuerliche Begünstigung von Diesel;

Wärme
– die Energiewende im Wärmesektor voranzubringen, indem die Fördermittel auf

insgesamt 7 Mrd. Euro jährlich aufgestockt werden, ein Programm zur energeti-
schen Modernisierung von Stadtvierteln und Dörfern, insbesondere in Gebieten
mit einkommensschwacher Bevölkerung, auferlegt wird und Maßnahmen zur
energetischen Sanierung von selbst genutztem Eigentum steuerlich begünstigt
werden;

– Nahwärmenetze auszubauen und die Wärmenetze für die Einspeisung grüner
Wärme aus erneuerbaren Energien und anderen Quellen wie industrieller Ab-
wärme oder hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung zu öffnen.

– die Verpflichtungen aus dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz auch auf Be-
standsbauten auszudehnen;

Landwirtschaft
– das Grünland vor Umbruch zu schützen, die Beweidung des Grünlands zu för-

dern und die Wiedervernässung von Moorböden und deren Revitalisierung um-
zusetzen, sowie den Umbruch auf Moorstandorten generell zu verbieten;

– einen Aufholplan Ökolandbau aufzulegen und darüber hinaus umstellungsinte-
ressierte Landwirtinnen und Landwirte mit besonders klima- und bodenschonen-
der Landbewirtschaftung zu fördern;

– die ökologische Forstwirtschaft und Wälder als natürliche Senken zu stärken;

Drucksache 18/8876 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
– das Düngegesetz so zu überarbeiten, dass die Anforderungen der Nitrat- und

NEC-Richtlinie erfüllt und die zulässigen Mengen der besonders klimaschädli-
chen Gülledüngung deutlich reduziert werden;

– die Möglichkeit der Umschichtung von Geldern der Gemeinsamen Europäischen
Agrarpolitik in die „2. Säule“, insgesamt 15 Prozent der Direktzahlungen
(750 Millionen Euro), maximal auszuschöpfen;

– durch eine Absenkung der Tierplatzzahlen im Bundesimmissionsschutzgesetz
den Bau weiterer Massentierhaltungsanlagen stark einzuschränken, indem Kom-
munen Planungsinstrumente zur Steuerung des Zubaus auf dem Gemeindegebiet
in die Hand gegeben werden;

Abfall
– die getrennte Abfallerfassung konsequent durchzusetzen, die Müllverbrennung

auch bei Gewerbemüll stärker einzuschränken und generell die Langlebigkeit
von Produkten zu steigern;

– ein effektives Wertstoffgesetz zu beschließen;

Finanzwirtschaft
– die Anlagepolitik öffentlicher Banken, Versicherungen, Pensionskassen und an-

derer Finanzorganisationen des Bundes zu dekarbonisieren;
– Länder und Kommunen bei der Dekarbonisierung ihrer Anlagepolitik gesetzge-

berisch zu unterstützen;
– private Kapitalverwalter zur Transparenz über die Treibhausgasintensität ihrer

Anlagepolitik und Finanzprodukte zu verpflichten.

Berlin, den 21. Juni 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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