BT-Drucksache 18/8424

zu dem Antrag der Bundesregierung - Drucksache 18/8091 - Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten Operation EU NAVFOR Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008 und weiterer Resolutionen, zuletzt 2246 (2015) vom 10. November 2015 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009 und weiterer Beschlüsse, zuletzt dem Beschluss 2014/827/GASP vom 21. November 2014

Vom 11. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8424
18. Wahlperiode 11.05.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Doris Wagner,
Agnieszka Brugger, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise
Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Uwe Kekeritz, Dr. Tobias Lindner,
Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/8091, 18/8286 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
durch die Europäische Union geführten Operation EU NAVFOR Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der
Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008 und weiterer Resolutionen, zuletzt
2246 (2015) vom 10. November 2015 und nachfolgender Resolutionen des
Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion
2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom
10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom
8. Dezember 2009 und weiterer Beschlüsse, zuletzt dem Beschluss
2014/827/GASP vom 21. November 2014

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Piraterie am Horn von Afrika stellt eine wesentliche Bedrohung für die humani-
täre Versorgung der Zivilbevölkerung in Somalia und in der Region dar, verhindert
den freien Zugang zur Hohen See, gefährdet Leib und Leben der Seeleute und be-
droht die internationalen Schifffahrtsrouten. Besatzung und Passagiere wurden in
der Vergangenheit teilweise monate- oder jahrelang in Geiselhaft gehalten, mussten
währenddessen um ihr Leben bangen und leiden auch nach ihrer Freilassung häufig
unter starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Auf der Grundlage eines Mandates der Vereinten Nationen begann 2008 deshalb die
EU-geführte Operation Atalanta. Das vorrangige Ziel der Mission besteht darin, die
Schiffe des Welternährungsprogramms (World Food Programme – WFP) vor Pira-
terie zu schützen, um die notwendige humanitäre Versorgung der hungernden Be-
völkerung Somalias zu gewährleisten. Darüber hinaus sieht das Mandat auch den

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Schutz der zivilen Schifffahrt auf den internationalen Wasserstraßen der Region vor.
Angesichts der wachsenden Herausforderungen durch die drohende Dürre in großen
Teilen Ostafrikas und auch durch die anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzun-
gen im Jemen und der mittlerweile seit 13 Monaten bestehenden Seeblockade durch
Saudi-Arabien und seine Verbündeten, durch die die Zivilbevölkerung in hohem
Maß von Hilfslieferungen abhängig ist, ist die Sicherung der Versorgungsschiffe des
WFP in der Region von besonderer Aktualität.
Die Operation Atalanta steht im Kontext verschiedener Maßnahmen im Kampf ge-
gen die Piraterie am Horn von Afrika. Dazu zählen beispielsweise die Best Manage-
ment Practices der Reedereien, die das Kapern von Schiffen erschweren, oder die
Strafverfolgung von Piraten.
Atalanta konnte im Verbund mit anderen Missionen die Bedrohung durch die Pira-
terie eindämmen. Seit 2012 wurde kein erfolgreicher Piratenangriff mehr vermeldet,
obwohl die Piraterie weiterhin eine latente Bedrohung darstellt. Dennoch richtet sich
die Mission lediglich gegen die Symptome der Piraterie. Die Strategie der internati-
onalen Gemeinschaft zum Kampf gegen die Ursachen der Piraterie und zur Stabili-
sierung Somalias dagegen ist nach wie vor ungenügend und inkonsequent.
Zur Beseitigung der Piraterieursachen bedarf es alternativer Verdienstmöglichkeiten
an Land und konsequenter somalischer Anstrengungen. Leider hat die somalische
Bundesregierung diese bislang vermissen lassen – anders als die Regionen Somali-
land und Puntland. Die EU muss hier von der somalischen Regierung ein stärkeres
Engagement einfordern.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Fischereipolitik, denn derzeit fangen ausländi-
sche Fischerinnen und Fischer ohne eine entsprechende Lizenz schätzungsweise drei
Mal so viel Fisch in somalischen Gewässern wie einheimische Fischer – eine wich-
tige Einnahmequelle für das Land bleibt ungenutzt. Deutschland und die EU müssten
in dieser Hinsicht mehr zur Stabilisierung des Landes beitragen.
Die EU muss von der somalischen Regierung hier ein stärkeres Engagement einfor-
dern und gleichzeitig ihre Unterstützungsangebote für den Aufbau einer somalischen
Küstenwache und Strafverfolgungskapazitäten verstärken. Die Bundesregierung
muss sich dafür einsetzen, dass die verschiedenen daran beteiligten Missionen, unter
anderem EUCAP Nestor, gut aufeinander abgestimmt sind, sich an den somalischen
Bedürfnissen orientieren und sich gegenseitig ergänzen.
Eine Vermischung der erfolgreichen Pirateriebekämpfung durch Atalanta auf See
mit Landoperationen in Somalia birgt hohe politische und militärische Eskalations-
risiken und ist kontraproduktiv. Die Bundesregierung hat damit die breite Zustim-
mung, die im Bundestag lange Jahre für das Atalanta-Mandat bestand, unnötiger-
und unverständlicherweise behindert.
Der Bundestag hält darüber hinaus die Ausbildung der somalischen Armee durch die
EUTM Somalia für problematisch, da weiterhin keinerlei Kontrolle über die auszu-
bildenden Soldatinnen und Soldaten besteht und deren Verbleib in der somalischen
Armee nicht sichergestellt werden kann. Deswegen sind die logistische Unterstüt-
zung und die Bereitstellung von Expertise für EUTM Somalia durch EU NAVFOR
Atalanta kritisch zu bewerten.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Absenkung der Mandatsobergrenze auf 600
Soldatinnen und Soldaten, die der Einsatzrealität entspricht. Er begrüßt ebenfalls die
Pläne für eine Reduktion der Mission und das Vorhaben, ein Ausstiegsszenario zu
entwickeln. Er spricht sich vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden Be-
drohung durch die Piraterie und der Lage im Jemen für eine Fortsetzung des inter-
nationalen Einsatzes gegen die Piraterie aus und erwartet, dass für die nächsten Jahre
eine umfassende Strategie, die über reine Symptombekämpfung und Abschreckung
hinausgeht und bei den Ursachen ansetzt, auf den Weg gebracht wird. In diesem
Rahmen ist auch ein neues, angepasstes Mandat von EU NAVFOR Atalanta auch
nach Ende 2016 zu prüfen, insbesondere unter der Bedingung, dass die Ausweitung
des Operationsgebiets auf das Festland endlich beendet wird. Dazu muss auch eine

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8424
unabhängige Evaluation aller Einsätze (Atalanta, EUTM Somalia und EUCAP Nes-
tor) in der Region erfolgen, um basierend auf den Lehren der Vergangenheit eine
engagierte und nachhaltige Antwort zu ermöglichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Ausweitung des Atalanta-Operationsgebietes für die Kräfte der Bundes-
wehr über Land zurückzunehmen und sich im Zuge der Neuverhandlungen des
EU-Mandates auf europäischer Ebene für eine Rücknahme einzusetzen;

2. sich dafür einzusetzen, dass alle Maßnahmen der internationalen Pirateriebe-
kämpfung am Horn von Afrika und im Indischen Ozean so schnell wie möglich
unter dem Dach und der Führung der Vereinten Nationen zusammengeführt
werden;

3. bis zur Neufassung des EU-Mandats das Mandat von November 2011 wieder
zu etablieren und konsequent umzusetzen mit dem vordringlichen Ziel, den
Schutz der humanitären Hilfslieferungen nach Somalia zu gewährleisten und
die Handelsschifffahrt abzusichern;

4. die somalische Regierung beim Aufbau einer eigenen Küstenwache zu unter-
stützen und verstärkt zu eigenen Anstrengungen im Kampf gegen die Piraterie
zu bewegen;

5. die in Ansätzen entstandenen Küstenwachen in den Regionen Somaliland und
Puntland zu fördern und sich bei den Regionalregierungen dafür einzusetzen,
dass die Angehörigen dieser Einheiten auch tatsächlich entlohnt werden;

6. zu prüfen, mit welchen Instrumenten Deutschland und die EU bei der Verfol-
gung illegaler, undokumentierter und unregulierter Fischerei vor den Küsten
Somalias eine aktivere Rolle einnehmen können;

7. die somalische Bundesregierung beim Aufbau einer funktionierenden und
transparenten Fischereipolitik zu unterstützen, die die Interessen der Regionen
und der Küstengemeinden angemessen berücksichtigt und die Nachhaltigkeit
der Fischbestände achtet;

8. im Rahmen der internationalen Gemeinschaft dafür Sorge zu tragen, dass die
zivile und justizielle Verfolgung der Piraten insbesondere auf lokaler und regi-
onaler Ebene verbessert wird, dabei rechtsstaatliche und menschenrechtliche
Standards zu Grunde gelegt werden und das innerstaatliche Trennungsgebot
zwischen Polizei und Militär Beachtung findet;

9. bei Reedereien mit Nachdruck darauf zu drängen, dass die eigenen Schutzmaß-
nahmen, vor allem die Best Management Practices, auch weiterhin eingehalten
werden;

10. sich umfassend für den politischen und wirtschaftlichen Aufbau Somalias ein-
zusetzen;

11. sich für die unverzügliche Aufhebung der Seeblockade des Jemens durch Staa-
ten des Golfkooperationsrates einzusetzen, damit humanitäre Güter auch ohne
militärische Begleitung ins Land gelangen können;

12. dem Deutschen Bundestag im Vorfeld zukünftiger Mandatsverlängerungen ei-
nen Evaluierungsbericht vorzulegen und darin überprüfbare Maßnahmen und
Meilensteine für die Mission und die Beteiligung der Bundeswehr darzulegen.

Berlin, den 10. Mai 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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