BT-Drucksache 18/8343

China und der Marktwirtschaftsstatus

Vom 27. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8343
18. Wahlperiode 27.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katharina Dröge, Cem Özdemir, Kerstin Andreae,
Dr. Frithjof Schmidt, Dieter Janecek, Dr. Thomas Gambke, Anja Hajduk,
Sven-Christian Kindler, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke,
Omid Nouripour, Corinna Rüffer, Markus Tressel und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

China und der Marktwirtschaftsstatus

Im Dezember 2001 trat China nach langen Verhandlungen der World Trade
Organization (WTO) bei. Das damals unterzeichnete Protokoll beinhaltet eine
Übergangsregelung, der zufolge China zunächst nicht der Status einer Marktwirt-
schaft zugesprochen werden soll. Diese Einstufung wäre für die europäische Han-
delspolitik und die Wirksamkeit ihrer Instrumente von großer Bedeutung. Am
11. Dezember 2016, 15 Jahre nach Chinas WTO-Beitritt, läuft diese Übergangs-
regelung jedoch aus. Sollte die Europäische Union infolgedessen China den
Marktwirtschaftsstatus zuerkennen, würde das die Möglichkeit handelspoliti-
scher Schutzmaßnahmen gegen China massiv erschweren, sofern nicht zusätzli-
che Handelsschutzmechanismen genutzt werden.
Das Regelwerk der WTO erlaubt es Staaten, sich gegen unfairen Wettbewerb mit
Antidumpingmaßnahmen (AD-Maßnahmen) zur Wehr zu setzen. Dafür muss
nachgewiesen werden, dass die importierten Waren zu Dumpingpreisen einge-
führt werden und damit die heimische Wirtschaft schädigen. Für Herkunftsländer
mit Marktwirtschaftsstatus wird hierfür nach der Standardmethode der Export-
preis des Gutes mit dem Preis im Herkunftsland oder mit den Herstellungskosten
verglichen.
Für Länder, die nicht unter diesen Status fallen, kommt in der Europäischen
Union bisher die Analogmethode zum Tragen: Da die Preise und Herstellungs-
kosten im Exportland aufgrund starker Staatseingriffe als nicht zuverlässig be-
trachtet werden können, dürfen stattdessen Daten eines vergleichbaren marktwirt-
schaftlich organisierten Landes als Referenzwert genutzt werden. Würde die Eu-
ropäische Union China den Marktwirtschaftsstatus verleihen, wäre diese Metho-
dik nicht mehr anwendbar. Damit wäre Dumping deutlich schwerer nachweisbar
und damit auch schwieriger zu bekämpfen.
Ende des Jahres 2015 waren 52 AD-Maßnahmen der Europäischen Union gegen
chinesische Importe in Kraft (Europäische Kommission – Factsheet, „Sondierungs-
gespräche im Kollegium über die Behandlung Chinas in Antidumping-Untersu-
chungen“, Link: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-16-61_de.htm). Ein
Wegfall der AD-Maßnahmen durch das Verleihen des Marktwirtschaftsstatus an
China könnte zu einem deutlichen Verlust von Arbeitsplätzen in der Europäischen
Union führen. Selbst eine vorsichtige Schätzung einer von der Europäischen Kom-
mission in Auftrag gegebenen Studie rechnet mit mindestens 250 000 verlorenen

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Arbeitsplätzen. In Deutschland wären Untersuchungen zufolge vor allem Nord-
rhein-Westfalen und das Saarland betroffen, da insbesondere die Stahlindustrie
massiv unter den billigen Importen leiden würde.
Die Volksrepublik China hat in den letzten 15 Jahren viele der zugesagten Refor-
men nicht oder nur unzureichend umgesetzt (Directorate-General for External Po-
licies, In-depth Analysis, „One year to go: The debate over China’s market eco-
nomy status [MES] heats up“, S. 10, Link: www.eesc.europa.eu/resources/docs/
one-year-to-go.pdf). Expertinnen und Experten zweifeln vor diesem Hintergrund
an, dass es sich bei China um eine Marktwirtschaft handelt. Von den fünf von der
Europäischen Union genutzten Kriterien für eine Marktwirtschaft erfüllt China
nur ein Kriterium.
In der bisherigen Debatte hat sich, neben den beiden Szenarien einer einfachen
Anerkennung oder Ablehnung des Marktwirtschaftsstatus, noch eine dritte Op-
tion aufgetan. Hierbei wird China der Marktwirtschaftsstatus zwar zuerkannt, so-
dass sich auch die Methodik zum Nachweis von Dumping ändert, gleichzeitig
werden jedoch andere handelspolitische Schutzmaßnahmen gestärkt, um die wirt-
schaftlichen Folgen der Anerkennung zu mindern.
Die Bundesregierung hat sich in dieser Frage bisher vollkommen passiv verhal-
ten. Sie scheut aus Sicht der Fragesteller die Initiative und hat nicht erkennen
lassen, dass sie bereit wäre, über den Europäischen Rat die Europäische Union
bei der Suche nach einer Lösung zu unterstützen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Optionen in Bezug auf die Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus

prüft die Bundesregierung?
a) Ist eine unkonditionierte Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus Chinas

(ohne gleichzeitiges Stärken anderer handelspolitischer Schutzmaßnah-
men) eine Option?
Was spricht für und gegen diese Option?

b) Ist eine Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus Chinas und ein gleich-
zeitiges Stärken anderer handelspolitischer Schutzmaßnahmen eine Op-
tion?
Was spricht für und gegen diese Option?

c) Ist die Aufrechterhaltung des Status quo, also der weiteren Anwendung
strengerer Handelsschutzregeln, eine Option?
Was spricht für und gegen diese Option?

2. Hat die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission oder ge-
genüber anderen Mitgliedstaaten bereits eine Stellungnahme hierzu abgege-
ben oder ihre Sichtweise deutlich gemacht?

3. Sind der Bundesregierung Positionen anderer EU-Staaten zum Sachverhalt
bekannt, und wenn ja, welche?

4. Sind der Bundesregierung Positionen anderer Nicht-EU-Staaten zum Sach-
verhalt bekannt, und wenn ja, welche?

5. Ist die Bundesregierung mit dem Format der öffentlichen Konsultation, wel-
ches die Europäische Kommission gewählt hat, einverstanden, und wenn
nein, welche konkreten Änderungs- bzw. Verbesserungsvorschläge wären
aus Sicht der Bundesregierung nötig?

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6. Sieht die Bundesregierung die von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bei
ihrem Besuch in China im Oktober 2015 erwähnten Aufgaben, die China
vor einer Vergabe des Marktwirtschaftsstatus noch zu erledigen habe (www.
bundesregierung.de/Content/DE/Reiseberichte/2015-10-29-merkel-china.html),
mittlerweile als erledigt an, und wenn nein, spricht sich die Bundesregierung
deshalb zum jetzigen Zeitpunkt gegen eine Vergabe des Marktwirtschafts-
status an China durch die Europäische Union aus?

7. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die lesser duty rule abzuschaffen,
und wenn ja, wie plant sie, dies im Europäischen Rat durchzusetzen?

8. Teilt die Bundesregierung die Einschätzungen des Industrieverbandes AEGIS
Europe, wonach die Vergabe des Marktwirtschaftsstatus an China durch
die Europäische Union Dumping in Europa Tür und Tor öffnen würde (www.
aegiseurope.eu/news/deutsche-industrie-gegen-vorschnelle-entscheidungen-
zu-mes-china)?

9. Welche Abwägungen liegen der Positionierung zu Grunde bzw. welche Ab-
wägungen wird die Bundesregierung vornehmen, um eine Entscheidung zu
fällen?

10. Hält die Bundesregierung es für unerlässlich, dass die Entscheidung über die
Vergabe des Marktwirtschaftsstatus an China durch die Europäische Union
bis spätestens Dezember 2016 getroffen und umgesetzt wird?

11. Welche Auswirkungen hätte die Vergabe des Marktwirtschaftsstatus an
China nach Einschätzung der Bundesregierung auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung der Bundesrepublik Deutschland, und auf welchen Erkenntnissen
und Analysen beruht diese Einschätzung?

12. Welche Schritte wurden bisher eingeleitet, um die Auswirkungen auf die
Bundesrepublik Deutschland zu bestimmen, und welche Schritte sind für die
Zukunft geplant?

13. Welche Auswirkungen hätte die Vergabe des Marktwirtschaftsstatus an
China nach Einschätzung der Bundesregierung auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung der Länder der Bundesrepublik Deutschland, und auf welchen Er-
kenntnissen und Analysen beruht diese Einschätzung (bitte einzeln auflis-
ten)?

14. Welche Auswirkungen hätte eine Nicht-Vergabe des Marktwirtschaftsstatus
an China durch die Europäische Union nach Einschätzung der Bundesregie-
rung sowohl auf die deutsche als auch auf die europäische Wirtschaft, und
auf welche Erkenntnisse und Analysen beruht diese Einschätzung?

15. Welche Auswirkungen hätte eine Nicht-Vergabe des Marktwirtschaftsstatus
an China nach Einschätzung der Bundesregierung auf die politischen Bezie-
hungen zu China, und auf welche Erkenntnisse und Analysen beruht diese
Einschätzung?

16. Welche Auswirkungen hätte die Vergabe des Marktwirtschaftsstatus an
China nach Einschätzung der Bundesregierung auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung der folgenden Branchen in Deutschland mit Blick auf die Anzahl
an Arbeitsplätzen sowie die Umsätze, und auf welchen Erkenntnissen und
Analysen beruht diese Einschätzung:
a) Stahl,
b) Automobilwirtschaft,
c) Papier,
d) Zement?

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17. Welche Beschäftigungseffekte auf die Bundesrepublik Deutschland erwartet

die Bundesregierung von den unterschiedlichen Szenarien zu einer Anerken-
nung des Marktwirtschaftsstatus (bitte nach Bundesländern einzeln auflisten)?

18. Sieht die Bundesregierung in der Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus
ohne gleichzeitiges Stärken anderer handelspolitischer Schutzmaßnahmen
eine Gefahr für die deutsche und europäische Wirtschaft?

19. Hält die Bundesregierung die Aufrechterhaltung des Status quo rechtlich für
möglich, und erwartet die Bundesregierung in diesem Fall eine Auseinander-
setzung bei der WTO?

20. Welche handelspolitischen Schutzmaßnahmen hält die Bundesregierung für
potentiell geeignet, um den Auswirkungen des Wegfalls von AD-Maßnahmen,
im Falle einer Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus, entgegenzuwirken?

21. Welche Branchen in Deutschland wären nach Auffassung der Bundesregie-
rung gegebenenfalls von einer Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus be-
troffen?

22. Sieht die Bundesregierung im Falle einer Anerkennung, spezifische handels-
politische Schutzmaßnahmen für die besonders betroffenen Branchen als
notwendig an?

23. Welche Forderungen hat die chinesische Regierung an die Bundesregierung
herangetragen, was eine mögliche Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus
betrifft?
Welche Rolle spielt dieses Thema derzeit in bilateralen Gesprächen mit der chi-
nesischen Regierung, und wie hat sich die Bundesregierung dabei positioniert?

Berlin, den 27. April 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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