BT-Drucksache 18/8241

Mehr Zeitsouveränität - Damit Arbeit gut ins Leben passt

Vom 27. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8241
18. Wahlperiode 27.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae,
Katja Dörner, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, Corinna Rüffer,
Dr. Franziska Brantner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Britta Haßelmann,
Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth
Scharfenberg, Ulle Schauws, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris
Wagner, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Zeitsouveränität ‒ Damit Arbeit gut ins Leben passt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zeit ist reif für eine neue Arbeitszeitkultur, denn die Ansprüche an Arbeit und
Leben wandeln sich. Viele Beschäftigte fordern heute mehr Zeitsouveränität, um Er-
werbsarbeit und private Anforderungen besser unter einen Hut zu bekommen. Die
Beschäftigten brauchen Zeit gemeinsam mit den Kindern, oder um sich in Ruhe um
die alten Eltern kümmern zu können. Zugleich wollen sie ihr Arbeitspensum schaf-
fen, ohne ständig zu hetzen. Sie wünschen sich aber auch Zeit, um mal durchzuatmen
oder um zu helfen, wenn beispielsweise Geflüchtete Unterstützung brauchen.
Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die gern mehr arbeiten möchten, als sie es der-
zeit tun.
Die Beschäftigten erhoffen sich deshalb mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Ar-
beitszeit. Sie brauchen bessere Mitspracherechte beim Umfang, der Lage und dem
Ort ihrer Erwerbstätigkeit. Bisher haben vor allem die Arbeitgeber Ansprüche an die
Flexibilität ihrer Angestellten gestellt. Doch Flexibilität ist keine Einbahnstraße,
sondern ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Statt starrer Arbeitszeitmodelle braucht es
mehr Beweglichkeit. Eine moderne Arbeitszeitkultur beruht auf größtmöglicher
Zeitsouveränität von Beschäftigten und einem wirksamen Schutz vor Entgrenzung
der Arbeit. Mehr Freiheiten bei der Gestaltung der eigenen Arbeitszeit vermindern
Stress und Überlastung. Sie erhöhen Gesundheit, Wohlbefinden und Produktivität
und tragen darüber hinaus dazu bei, Fachkräftepotenziale zu heben, die bisher uner-
schlossen geblieben sind.
Nicht einmal jeder Zweite ist heute mit seinem Arbeitszeitumfang zufrieden. Voll-
zeitbeschäftigte wollen oft weniger arbeiten, als sie es gegenwärtig tun. Viele Teil-
zeitkräfte, insbesondere mit Minijobs, dagegen würden gern mehr arbeiten, weil sie
beruflich durchstarten wollen oder mehr verdienen möchten. Doch viel zu oft gelingt
es nicht, Arbeitszeiten zu vereinbaren, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht
werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig. So sorgt das Zusammenspiel von Mi-
nijobs, Ehegattensplitting und nicht bedarfsgerechter Kinderbetreuung dafür, dass

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die Zahl kleinster und kleiner Teilzeitjobs in Deutschland hoch bleibt. Auch gibt es
Arbeitgeber, die lieber weitere Minijobs schaffen, als die Arbeitszeit ihrer Beschäf-
tigten aufzustocken. Vor allem Frauen werden daran gehindert, ihre Beschäftigung
auszuweiten, obwohl sie sich das wünschen. Viele Männer dagegen meiden Teilzeit,
weil sie Karriereeinschnitte und andere Nachteile fürchten. Grund dafür ist die nach
wie vor ausgeprägte Vollzeit- und Präsenzkultur in deutschen Betrieben, bei der
lange Anwesenheiten am Arbeitsplatz als besonderes Leistungskriterium gelten. Um
einfacher zu passgenauen Lösungen zu kommen, ist es notwendig, Vollzeit neu zu
definieren und zu einem flexiblen Arbeitszeitkorridor umzugestalten. Durch Wahl-
arbeitszeit zwischen 30 und 40 Wochenstunden wird die Grenze zwischen Teilzeit
und Vollzeit durchlässiger. Damit ist nicht mehr jede Arbeitszeit unterhalb der tra-
ditionellen Vollzeitnorm gleichbedeutend mit dem Abschied von Leitungsfunktio-
nen und Karrierechancen. Zudem muss das Recht auf Teilzeit endlich um ein Rück-
kehrrecht auf die vorherige Stundenzahl ergänzt werden.
Manchmal ist aber nicht der Arbeitsumfang das entscheidende Flexibilisierungsmo-
ment, sondern die Frage, wann und wo gearbeitet werden kann. Dies gilt vor allem
für Beschäftigte, die aus finanziellen Gründen Vollzeit arbeiten müssen. Manche
wollen gern etwas später anfangen, damit sie die Kinder zur Schule bringen können.
Andere wollen früher zu Hause sein, um am späten Nachmittag für einen kranken
Elternteil sorgen zu können. Häufig fehlen genau diese passgenauen Lösungen. Des-
halb sollen die Beschäftigten mehr Zeitsouveränität erhalten. Die Arbeitszeiten müs-
sen beweglicher werden. Neben besseren gesetzlich geregelten individuellen Mit-
spracherechten soll es darüber hinaus durch Betriebsvereinbarungen einfacher wer-
den, spezifische betriebliche Lösungen für die bessere Vereinbarkeit und größere
Zeitsouveränität von Beschäftigten zu erreichen. Flexibles Arbeiten ist im besten
Fall so ausbalanciert, dass sowohl Beschäftigte als auch Betriebe davon profitieren.
Wenn die Beschäftigten mitentscheiden können, wann der Arbeitstag beginnt, wann
er endet und ob für sie Homeoffice besser passt, dann können sie Beruf und Familie
besser vereinbaren. Zufriedene Beschäftigte sind produktiver, weniger gestresst, ge-
sünder und enger an ihren Arbeitgeber gebunden. Wenn Arbeit und Leben besser
zusammenpassen, dann ermöglicht dies insbesondere Frauen in größerem Umfang
zu arbeiten. Paare können ihre Erwerbstätigkeit partnerschaftlicher gestalten.
Gleichzeitig gehört zu einer neuen Arbeitszeitkultur auch ein wirksamer Schutz vor
Stress und entgrenzter Arbeit. Der Alltag vieler Menschen ist heutzutage von Zeit-
druck und Hetze geprägt. Unser Leben hat sich beschleunigt und verdichtet – privat
und beruflich. Mobile Kommunikationsmittel lassen die Grenze zwischen Arbeit
und Freizeit verschwimmen. Vertrauensarbeitszeit verdrängt die exakte Arbeits-
zeiterfassung. Die Zahl der Beschäftigten, die in Randzeiten, nachts oder an Wo-
chenenden arbeiten, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Knapp zwei Drittel
der Beschäftigten in Deutschland arbeiten länger, als in ihrem Arbeitsvertrag verein-
bart. Wenn sich Arbeit in vielen Bereichen zunehmend verdichtet, Überlastung,
Stress und Zeitnot entstehen und immer mehr Aufgaben von immer weniger Men-
schen geschafft werden müssen, sind Erholung, Ausgleich und Zeitsouveränität ent-
scheidend. Die Beschäftigten brauchen Zeit, um aufzutanken und um neue Energie
zu bekommen. Deshalb muss mehr Zeitsouveränität mit besserem Schutz vor Stress
und grenzenloser Arbeit einhergehen. Denn Arbeitszeit ist Lebenszeit.
Geht es um mehr Zeitsouveränität, dann kann es nicht nur um „Normalarbeitsver-
hältnisse“ gehen. Notwendig ist es im Rahmen einer neuen Arbeitszeitkultur auch,
die Arbeitsformen in den Blick zu nehmen, die bislang den Beschäftigten besonders
wenige Freiheiten ermöglichen – also Schichtarbeit und Arbeit auf Abruf. Auch die
so Beschäftigten sollen mehr Zeitsouveränität erhalten. Schichtpläne sollen die
Wünsche der Beschäftigten stärker berücksichtigen. Die Arbeit auf Abruf muss be-
rechenbarer werden, damit sie eine selbstbestimmte Lebensgestaltung ermöglicht.
Bundesarbeitsministerin Nahles weckt im Zuge des Dialogs „Arbeit 4.0“ viele Er-
wartungen. Sie fordert eine Abkehr von der Anwesenheitskultur, mehr Homeoffice

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und andere Möglichkeiten bis hin zur Wahlarbeitszeit. Die Umsetzung dieser An-
kündigungen aber steht in den Sternen. Bis heute wurde noch nicht einmal die im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD verankerte Einführung eines An-
spruchs auf befristete Teilzeit (Rückkehrrecht) in Angriff genommen. Von Ankündi-
gungen und ungehaltenen Versprechen haben die Beschäftigten allerdings nichts.
Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen.
Es ist an der Zeit, Beschäftigten mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeit zu geben. Passge-
naue Arbeitszeitarrangements verbessern die Lebensqualität der Beschäftigten und
sorgen dafür, dass Arbeit gut ins Leben passt. Sie können gleichzeitig den Betrieben
helfen, ihren Fachkräftebedarf nachhaltig zu decken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gesetzliche Rahmenbedingungen zu entwickeln, die dafür sorgen, dass Beschäftigte
mehr Arbeitszeitsouveränität erhalten und besser vor entgrenzter Arbeit geschützt
werden. Die Bundesregierung soll ein Maßnahmenpaket entwickeln, das sich an fol-
genden Eckpunkten orientiert:
1. Die Beschäftigten bekommen mehr Mitsprache über den Umfang, die Lage und

den Ort ihrer Erwerbstätigkeit, damit Arbeit gut ins Leben passt. Darüber hinaus
wird die betriebliche Mitbestimmung in diesen Fragen gestärkt.
a. Im Teilzeit- und Befristungsgesetz wird ein Vollzeitkorridor mit Wahlarbeits-

zeiten geschaffen. Im Bereich von 30 bis 40 Stunden pro Woche können Be-
schäftigte dadurch – unter Einhaltung von Ankündigungsfristen – leichter ih-
ren Arbeitszeitumfang bedarfsgerecht nach oben oder nach unten anpassen.
Diese Arbeitszeitwünsche können nur aus dringenden betrieblichen Gründen,
die vom Arbeitgeber darzulegen sind, zurückgewiesen werden.

b. Der bestehende Rechtsanspruch auf Teilzeit wird um ein Rückkehrrecht auf
den früheren Stundenumfang ergänzt. Dies kann durch die Befristung der
Teilzeitphase erreicht werden.

c. Beschäftigte erhalten die Möglichkeit, in Abstimmung mit ihren Arbeitgebe-
rinnen und Arbeitgebern die Lage und den Ort ihrer Arbeit mitzugestalten,
sofern dem keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Das kann Beginn,
Ende und die Verteilung der Arbeit über Tag, Woche oder Monat umfassen.
Die Nutzung von Homeoffice wird, alternierend und als Ergänzung zum Bü-
roarbeitsplatz, erleichtert.

d. Betriebs- und Personalräte erhalten die Möglichkeit, eine Betriebsvereinba-
rung zu Vereinbarkeitsfragen und für mehr Zeitsouveränität bei der Lage der
Arbeitszeit und beim Arbeitsort von der Geschäftsführung zu verlangen, da-
mit passgenaue Lösungen für das jeweilige Unternehmen und dessen Be-
schäftigte gefunden werden können.

2. Beschäftigte werden vor entgrenzter Arbeit effektiv geschützt, denn Zeitsouve-
ränität darf nicht zu Überforderung, psychischen Belastungen und unbezahlter
Mehrarbeit, sondern tatsächlich zu mehr Lebensqualität führen.
a. Betriebs- und Personalräte erhalten ein Mitbestimmungsrecht über die Menge

der Arbeit bzw. über Zielvorgaben, wenn Vertrauensarbeitszeit die Arbeit
entgrenzt und Mehrarbeit entsteht.

b. Urlaubstage, an denen Beschäftigte durch Weisung von Vorgesetzten beruf-
liche Tätigkeiten erledigen müssen, sollen zukünftig nicht auf den Jahresur-
laub angerechnet werden können, sondern als Arbeitstage gelten.

Drucksache 18/8241 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

c. In Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und der Wissenschaft soll das Ar-
beitsschutzgesetz mit einer Verordnung konkretisiert werden, damit die Ar-
beitgeberinnen bzw. Arbeitgeber, Betriebs- und Personalräte und Mitarbeiter-
vertretungen ein Werkzeug an die Hand bekommen, um geeignete und pass-
genaue Lösungen gegen Stress durch ständige Erreichbarkeit und Arbeitsver-
dichtung zu entwickeln.

3. Beschäftigte mit besonders starren oder mit wenig geregelten Arbeitszeiten er-
halten mehr Zeitsouveränität.
a. Für die Beschäftigten soll Arbeit auf Abruf berechenbarer werden und sie sol-

len mehr Zeitsouveränität erhalten, auch um ggf. ein weiteres Arbeitsverhält-
nis annehmen zu können:
– Die Dauer und eine Eingrenzung der Lage der täglichen und wöchentli-

chen Arbeitszeit muss im Arbeitsvertrag verbindlich festgeschrieben wer-
den.

– Die Zeit, in der Beschäftigte für die Arbeit abrufbereit sind, darf das An-
derthalbfache der vereinbarten Wochenarbeitszeit nicht übersteigen. Da-
rüber hinausgehende Regelungen sind nur durch tarifliche Regelungen
oder Betriebsvereinbarungen möglich.

– Bei Arbeit auf Abruf soll sich die Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an
Feiertagen an dem orientieren, was die Beschäftigten in den vorangegan-
genen drei Monaten durchschnittlich verdient haben.

b. Bei Schichtarbeit soll ein freiwilliger Schichttausch ermöglicht werden, wenn
keine betrieblichen Gründe dagegensprechen. Bei der Aufstellung von
Schichtplänen sollen die Wünsche der betroffenen Beschäftigten berücksich-
tigt werden, damit die Beschäftigten unkomplizierte Lösungen für mehr Zeit-
souveränität finden können.

Berlin, den 26. April 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8241
Begründung

Die Ansprüche an Arbeit und Leben wandeln sich. Viele Beschäftigte fordern mehr Zeitsouveränität, um Arbeit
und private Anforderungen besser unter einen Hut zu bekommen. Ihre Wünsche sind dabei so unterschiedlich
wie die Menschen selbst. Viele Teilzeitbeschäftigte möchten ihre Arbeitszeit ausweiten, vollzeiterwerbstätige
Väter und Mütter wünschen sich eher kürzere Arbeitszeiten. Andere sind mit dem Umfang zufrieden, aber wün-
schen sich beweglichere Arbeitszeiten. Diese Bedürfnisse ändern sich zudem im Lebensverlauf. Wer Kinder
bekommt, will anders arbeiten als ein Berufseinsteiger. Ein einziges Arbeitszeitmodell für ein ganzes Erwerbs-
leben reicht für diese unterschiedlichen Bedürfnisse nicht aus. Das wird auch den veränderten Partnerschafts-
modellen nicht gerecht: Viele Frauen wollen sich nicht mehr aufs berufliche Abstellgleis stellen lassen und auf
eine eigenständige Existenzsicherung verzichten, weil sie sich für Kinder entscheiden; gleichzeitig wollen viele
Männer nicht mehr nur Feierabend- und Wochenendväter sein, sondern sich gleichberechtigt an der Kinderer-
ziehung beteiligen.
Eine neue Arbeitskultur ist auch im Interesse der Arbeitgeber selbst. Das bestätigt das Institut der deutschen
Wirtschaft (IW). Gerade kleine Unternehmen können durch flexible Arbeitszeiten qualifizierte Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter an sich binden und mit weniger Fluktuation, zufriedeneren, eigenständigeren und produktiveren
Beschäftigten rechnen. Das IW warnt gleichzeitig vor einer Ausweitung der gesetzlich möglichen Arbeitszeit,
wie sie kürzlich von Arbeitgeberpräsident Kramer gefordert wurde, weil dies auf Dauer nicht förderlich für die
Produktivität sei (vgl. Handelsblatt vom 30.03.16).

Zu 1a:
Für eine moderne Arbeitszeitkultur ist es erforderlich, Vollzeit flexibel zu gestalten. Dies kann über die Setzung
eines Vollzeitkorridors im Teilzeit- und Befristungsgesetz erreicht werden, über den Beschäftigte leichter im
Stundenbereich von 30 bis 40 Stunden passgenaue Arbeitszeiten vereinbaren können. Diese Wünsche der Ar-
beitszeitanpassung nach oben oder unten im Rahmen des Korridors können nur aus dringenden betrieblichen
Gründen von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zurückgewiesen werden. Die flexible Vollzeit hat viele
Vorteile: Sie ist auf praktisch alle Arbeitsplätze anwendbar. Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und privaten
Bedürfnissen und Verpflichtungen wird erleichtert. Die Grenze zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit wird flie-
ßender, weil die herkömmliche Vorstellung von Teil- und Vollzeit aufgelöst wird. Dadurch wird auch der Dis-
kriminierung der Teilzeit entgegengewirkt. Eine vorübergehende Arbeitszeitreduzierung bedeutet nicht gleich
das Karriere-Aus. Ein Arbeitsumfang von 30 Stunden plus wird interessanter, dagegen verlieren Halbtagsjobs
an Attraktivität. Im Ergebnis wird das Arbeitszeitvolumen tendenziell ausgeweitet. Motivation und Engagement
der Beschäftigten wachsen zugunsten des wirtschaftlichen Ergebnisses; dies zeigen auch Erfahrungen aus der
Praxis. Diese Vorteile überwiegen den Organisationsaufwand bei Weitem.

Zu 1b:
Der bestehende Rechtsanspruch auf Teilzeit des § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz wird um eine Befristungs-
möglichkeit ergänzt. Mit dem Rückkehrrecht auf den früheren Stundenumfang wird die Formel „einmal Teil-
zeit, immer Teilzeit“ der Vergangenheit angehören. Die Spielräume für bedarfsgerechte, temporäre Arbeitszeit-
arrangements – auch für Männer – werden größer. Die Teilzeit wird entstigmatisiert, und Paare können ihre Er-
werbstätigkeit partnerschaftlicher gestalten.

Zu 1c:
Das Recht auf selbstbestimmte Arbeitszeit, also die Lage der eigenen Arbeitszeit beeinflussen zu können, soll
Beschäftigte in die Lage versetzen, flexibel auf Anforderungen reagieren zu können, die ihr Leben außerhalb
der Arbeit an sie stellt. So erhalten die Beschäftigten die Möglichkeit, in Abstimmung mit den Arbeitgeberinnen
und Arbeitgebern für einen vereinbarten Zeitraum die Lage ihrer Arbeitszeit mitzugestalten, sofern dem keine
betrieblichen Gründe entgegenstehen. Das kann Arbeitsbeginn und -ende sowie die Verteilung der Arbeit über
den Tag, die Woche oder den Monat umfassen. Flexible Arbeitszeitmodelle existieren in der Regel in großen
Unternehmen und Verwaltungen, die mitbestimmt sind. Beschäftigte in Betrieben ohne Betriebsrat verfügen in
der Regel über wenige oder gar keine Möglichkeiten, ihre Arbeitszeit zu gestalten. Das soll geändert werden.
In Deutschland ist der Anteil derjenigen, die im Homeoffice arbeiten, seit 2004 rückläufig. In der gesamten EU
zeigt sich eine gegenläufige Entwicklung und Deutschland liegt im europäischen Vergleich im unteren Mittel-
feld. Viel stärker verbreitet als hierzulande ist Homeoffice insbesondere in den skandinavischen Ländern, in

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Frankreich, Großbritannien und in mitteleuropäischen Ländern wie der Schweiz, Österreich, Belgien und Lu-
xemburg. Nur eine Minderheit der Beschäftigten in Deutschland – gerade einmal 1½ Prozent – arbeitet über-
wiegend zu Hause, weitere 6 Prozent tun dies manchmal (DIW Wochenbericht 8 2014). Nicht jede Arbeit ist
geeignet für Homeoffice und es ist auch nicht wünschenswert, komplett von zu Hause zu arbeiten. Homeoffice
als tageweise Ergänzung zum Büroarbeitsplatz kann aber den Beschäftigten helfen, Arbeit und Privatleben bes-
ser unter einen Hut zu bringen. Zeitsouveränität durch Homeoffice soll deshalb stärker ermöglicht werden.

Zu 1d:
Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit besteht im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in § 80 nur
als allgemeine Aufgabe. Diese wichtige Aufgabe soll gestärkt werden. Deshalb sollen Betriebsräte die Mög-
lichkeit erhalten, eine Betriebsvereinbarung zu Vereinbarkeitsfragen und für mehr Zeitsouveränität bei der Lage
der Arbeitszeit und dem Ort der Arbeit von der Geschäftsführung verlangen zu können, damit passgenaue Lö-
sungen für das jeweilige Unternehmen und dessen Beschäftigte gefunden werden können. Neben den konkreten
kollektiven Regelungen würde diese gesetzliche Regelung auch die Betriebe sensibilisieren, das Problembe-
wusstsein stärken und Vereinbarkeitsfragen als kollektive Aufgabe etablieren.

Zu 2a:
Die Vertrauensarbeitszeit ist ein recht weitgehendes Arbeitszeitmodell, das viel Flexibilität zulässt. Vertrauens-
arbeitszeitmodelle gewähren den Beschäftigten das Recht, innerhalb vorab definierter Grenzen Beginn, Dauer
und Ende der persönlichen Arbeitszeit festzulegen. Vertrauensarbeitszeit orientiert sich an Zielvorgaben und
der Arbeitsmenge, die in einem festgelegten Zeitraum erledigt sein muss. Eine Arbeitszeiterfassung findet in
der Regel nur noch durch die Beschäftigten selbst oder gar nicht mehr statt. Ein Mitbestimmungsrecht des Be-
triebsrats entfällt ebenfalls. Die Vertrauensarbeitszeit wird von Beschäftigten geschätzt, weil sie ihre Arbeit
selbstverantwortlich gestalten können. Sie führt aber auch nicht selten zu sehr viel längeren Arbeitszeiten, als
sie im Arbeitsvertrag oder tariflich vorgesehen sind. Häufig ist die Arbeitsmenge so hoch, dass sie in der ver-
traglichen Arbeitszeit gar nicht bewältigt werden kann. Auf diese Weise trägt die Vertrauensarbeitszeit zum
wieteren Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit bei. Arbeit, die zu jeder Zeit und an
jedem Ort geleistet werden kann, lässt sich mit traditionellen Mitteln nicht mehr kontrollieren. Dennoch brau-
chen auch die Beschäftigten mit Vertrauensarbeitszeit Schutz vor Stress und gesundheitsschädlicher Überfor-
derung. Für diese Arbeitszeitmodelle ist es notwendig, dass der Betriebsrat neue angepasste Befugnisse erhält.
Deshalb sollen Betriebs- und Personalräte ein Mitbestimmungsrecht über die Menge der Arbeit bzw. über Ziel-
vorgaben erhalten, wenn durch Vertrauensarbeitszeit die Arbeit entgrenzt wird und Mehrarbeit entsteht.

Zu 2b:
Während des Urlaubs sind die Beschäftigten von sämtlichen Arbeitspflichten freigestellt und müssen nicht er-
reichbar sein. Die digitale Arbeitswelt mit mobilen Geräten samt Internetzugang führt allerdings häufig dazu,
dass Beschäftigte auch im Urlaub „nach dem Rechten sehen“ und E-Mails oder andere dienstliche Aufgaben
erledigen. Soweit sie dies aus eigenem Antrieb tun, kann und sollte man sie daran nicht hindern. Anders ist die
Situation, wenn sie von Vorgesetzten im Urlaub Aufgaben erteilt bekommen. Das unbestrittene Recht, eine
solche Arbeit zu verweigern, steht für die allermeisten jedoch nur auf dem Papier. Notwendig ist deshalb eine
Regelung, die die Beschäftigten stärkt. Wenn Vorgesetzte die Beschäftigten im Urlaub anweisen, dienstlich
tätig zu werden, dann sollen diese Urlaubstage zukünftig analog zu § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) wie bei
Krankheit während des Urlaubs nicht mehr auf den Jahresurlaub angerechnet werden.

Zu 2c:
Gute und gesunde Arbeitsbedingungen sind eine Zukunftsinvestition, die sich für die Betriebe und die Men-
schen gleichermaßen lohnen. Sie sind nicht nur eine Verpflichtung den Menschen gegenüber, sondern auch
betriebs- und volkswirtschaftlich sinnvoll. Nur mit guten und gesunden Arbeitsbedingungen sowie angemessen
ausgestalteten Arbeitsplätzen werden die Beschäftigten ihrer Arbeit bis zum Renteneintrittsalter nachgehen kön-
nen. Bedenklich in diesem Zusammenhang ist aber, dass in den vergangenen Jahren vor allem die psychischen
Belastungen am Arbeitsplatz zugenommen haben. Es ist ein eindeutiges Warnsignal, wenn psychische Erkran-
kungen mit zurzeit 43,1 Prozent die Hauptursache für Frühverrentung sind („Rentenversicherung in Zeitreihen“
der Deutschen Rentenversicherung, 2015). Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Arbeitsintensität ist angestie-
gen und Arbeit hat sich verdichtet, gleichzeitig haben sich die Arbeitszeiten wieder verlängert. Flexible, nicht
planbare Arbeitszeiten sowie Schicht- und Nachtarbeit nehmen zu und immer mehr Menschen arbeiten auch
am Wochenende. Die Folgen sind hohe Arbeitsbelastung, permanente Veränderungen und Neuanforderungen,

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dauernde Erreichbarkeit und fehlende Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben. Die menschengerechte Ge-
staltung der Arbeit ist aber Grundlage des Arbeitsschutzes und stellt den Menschen, seine Gesundheit und Leis-
tungsfähigkeit in den Mittelpunkt. Aus diesem ganzheitlichen Ansatz ergibt sich letztlich implizit die Verpflich-
tung, auch die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen. Dies gilt es im System des deut-
schen Arbeitsschutzgesetzes mit seinen Verordnungen und den darunter liegenden Regelungen zu konkretisie-
ren. Deshalb soll die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit Sozialpartnern und der Wissenschaft das Ar-
beitsschutzgesetz mit einer Verordnung konkretisieren, damit die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Betriebs-
und Personalräte und Mitarbeitervertretungen ein Werkzeug an die Hand bekommen, um geeignete und pass-
genaue Lösungen gegen Stress durch ständige Erreichbarkeit und Arbeitsverdichtung zu entwickeln.

Zu 3a:
Es gibt Beschäftigungsformen, bei denen sich die Beschäftigten zeitlich den Ansprüchen des Betriebs völlig
unterordnen müssen. Bei der Arbeit auf Abruf entscheidet der Vorgesetzte frei über die zeitliche Lage und Dau-
er des Arbeitseinsatzes und kann die Arbeitszeit je nach Bedarf erhöhen. Für die Beschäftigten hat das eine um-
fassende Abrufbereitschaft zur Folge. Damit schränkt die Arbeit auf Abruf die Zeitsouveränität der Beschäftig-
ten erheblich ein. Das kann sogar dazu führen, dass es für Beschäftigte nicht möglich ist, einen weiteren Job
anzunehmen, weil ihnen die notwendige Zeitsouveränität dazu fehlt. Das ist fatal, denn gerade sie erhalten einen
nicht kalkulierbaren und in vielen Fällen auch einen niedrigen Lohn, bei dem noch nicht einmal die Entgeltfort-
zahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen geregelt ist. Notwendig sind deshalb gesetzliche Regelungen, die
Beschäftigte bei der Arbeit auf Abruf stärken. Die Dauer und eine Eingrenzung der Lage der täglichen und
wöchentlichen Arbeitszeit muss im Arbeitsvertrag verbindlich festgeschrieben werden. Wichtig ist dabei, dass
die abrufbare Zeit das Anderthalbfache der vereinbarten Wochenarbeitszeit nicht übersteigen darf. Darüber hi-
nausgehende Bandbreitenregelungen sind zukünftig nur durch tarifliche Regelungen oder Betriebsvereinbarung
möglich. Vor allem muss endlich die Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen geregelt werden. Die
Entlohnung soll sich an dem orientieren, was die Beschäftigten in den vorangegangenen drei Monaten durch-
schnittlich verdient haben. Mit diesen Regelungen wird auch die Arbeit auf Abruf für die Beschäftigten bere-
chenbarer, selbstbestimmter und ermöglicht eine bessere Lebensplanung.

Zu 3b:
Bei der Schichtarbeit sind die Beschäftigten – ganz anders als bei der Vertrauensarbeitszeit – in feste Schichtplä-
ne eingebunden. Anfang, Ende und Dauer der Arbeit sind starr festgelegt. Das kann sowohl zu sozialen, als
auch zu gesundheitlichen Problemen führen. Das Familienleben leidet nicht selten, kulturelle Aktivitäten oder
soziales und anderes Engagement werden durch Schichtarbeit erschwert. Den Beschäftigten im Schichtbetrieb
soll mehr Zeitsouveränität durch die Möglichkeit eines freiwilligen Schichttauschs gegeben werden, wenn keine
betrieblichen Gründe dagegen sprechen. Zudem sollten die Wünsche der Beschäftigten bei der Aufstellung von
Schichtplänen besser berücksichtigt werden, damit die Beschäftigten unkomplizierte Lösungen für mehr Zeit-
souveränität finden können. In der Praxis wird dies vielerorts schon so gehandhabt. Prominentes Beispiel ist der
Betreiber des Frankfurter Flughafens Fraport. Dieser Schichttausch sollte für alle Beschäftigten möglich sein.
Idealerweise kann ein solches Gesetz sensibilisieren und zu einer neuen Betriebskultur beitragen.

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