BT-Drucksache 18/8130

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Vom 15. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8130
18. Wahlperiode 15.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, Caren
Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter,
Kerstin Kassner, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Thomas
Lutze, Birgit Menz, Petra Pau, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE
LINKE.

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hat sich mit der Neufassung des Artikels 22 des Grundge-
setzes nachdrücklich zu Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland be-
kannt und die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt als Aufgabe des
Bundes festgeschrieben.
Das Berlin/Bonn-Gesetz (Berlin/BonnG, BGBl. 1994 I S. 918) wirkt seit 1994 und
hat seinen Sinn erfüllt. Die Verpflichtung des Bundes, die Bundesstadt Bonn in An-
erkennung dessen, dass sie „Wesentliches zum Aufbau und zur Identifikation des
demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutschlands geleistet
hat“ (Präambel Berlin/BonnG), besonders zu fördern und dafür zu sorgen, dass für
die Region Bonn „die Folgen des Verlustes des Parlamentssitzes und des Regie-
rungssitzes … durch Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutio-
nen von nationaler und internationaler Bedeutung im politischen, wissenschaftlichen
und kulturellen Bereich sowie durch Unterstützung bei notwendigen Umstrukturie-
rungsmaßnahmen angemessen ausgeglichen [werden]“ (§ 6 Berlin/BonnG), ist in
der vom Deutschen Bundestag beabsichtigten Weise eingelöst worden.
Die Maßgaben des Berlin/BonnG zur „Sicherstellung einer dauerhaften und fairen
Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn“
und zur „Ansiedlung des Kernbereichs der Regierungsfunktionen in der Bundes-
hauptstadt Berlin“ sind seit der Annahme des Gesetzes im Jahr 1994 umgesetzt wor-
den, werden aber einer zukunftsfähigen Politikgestaltung längst nicht mehr gerecht.
Die rasant gestiegene Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen und die außenpo-
litische Krisenanfälligkeit von Europäischer Union und Bundesrepublik Deutsch-
land erfordern eine hohe operative Fähigkeit von der Bundesregierung, die durch die
permanente Teilung der Regierung in zwei Regierungssitze mit Ministerialbeamten
aller Bundesministerien an beiden Standorten nicht gegeben ist.
Die Verteilung der Arbeitsstellen der Regierung laut aktuellem Teilungskostenbe-
richt der Bundesregierung 2015 (Ausschussdrucksache 18(8)3115; vom Bundesfi-
nanzministerium vorgelegt am 23. März 2016) entwickelt sich weiterhin nur müh-
sam zu Gunsten der Bundeshauptstadt Berlin. Die Trennung der Regierungstätigkeit

Drucksache 18/8130 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
ist aber 25 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit deutlich überholt und unter
dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung der Hauptstadtrolle Berlins, der Koordinie-
rung der Regierungsarbeit sowie der Beziehungen zwischen Parlament und Regie-
rung in höchstem Maße ineffizient. Zugleich behindert die Teilung der Regierung in
zwei Standorte die notwendige Nachwuchsarbeit in den Bundesministerien, da es
junge Spitzenkräfte viel eher nach Berlin als nach Bonn zieht.
Der aktuelle Teilungskostenbericht der Bundesregierung verdeutlicht, dass die Kos-
ten der anhaltenden Trennung der Regierungsstellen für das Haushaltsjahr 2016 mit
7,472 Millionen Euro im Vergleich zu vergangenen Jahren nur unwesentlich
(2013: 7,711 Millionen Euro; 2010: 10,64 Millionen Euro; 2009: 8,82 Millio-
nen Euro) gesunken sind und sich prinzipiell kaum noch rechtfertigen lassen. Insbe-
sondere gibt es keinerlei Rechtfertigung für immer noch zehntausende von Dienst-
reisen, die mit Flugzeug, Bahn und Auto vollzogen werden, im Teilungskostenbe-
richt 2015 mit 4,707 Millionen Euro ausgewiesen sind und eine erhebliche Umwelt-
belastung darstellen.
Im November 2015 hat auch der Bund der Steuerzahler erneut darauf aufmerksam
gemacht, dass 83 Prozent der Bevölkerung einen Komplettumzug aller Bundesmi-
nisterien nach Berlin befürworten (Quelle: Repräsentative Bevölkerungsumfrage für
die Bundesrepublik Deutschland ab 16 Jahren, Studiensteckbrief Mente Factum von
Oktober 2015). Da inzwischen sogar das Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit eine Initiative zur Beendigung der Aufteilung der
Regierungsstandorte erwägt und § 4 Berlin/BonnG den Bundesministerien selbst
Spielraum zur Änderung der Standortregelungen gewährt, ist ein Beendigungsgesetz
zum Berlin/Bonn-Gesetz sachlich und politisch mehr als gerechtfertigt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Entwurf für ein Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz vorzulegen,
das den jetzigen Zustand der Zweiteilung der Regierung zwischen Berlin und
Bonn endgültig aufhebt;

2. einen Umzugsplan für alle Bundesministerien aufzustellen, nach dem bis etwa
zum Jahr 2020 die Zusammenführung der Bundesministerien in Berlin erfolgen
soll;

3. in Zusammenarbeit mit dem Senat der Bundeshauptstadt Berlin eine Machbar-
keitsstudie zur Verlegung der Bundesministerien mit Erstsitz und Zweitsitz aus
der Bundesstadt Bonn in die Bundeshauptstadt Berlin zu erstellen;

4. von dem Umzug jene Einrichtungen auszunehmen, die
a) in ihrem Wirken ausdrücklich mit der Region Köln/Bonn verbunden sind

(z. B. Haus der deutschen Geschichte),
b) durch die Anwendung moderner Kommunikationsmittel ihre Funktion gegen-

über der Bundesregierung ohne Einschränkung erfüllen können (z. B. Bun-
deszentralregister);

5. einen Entwurf für ein Begleitgesetz zum Berlin/BonnG vorzulegen, das bei kon-
sequenter Wahrung des Mitbestimmungsrechts der Belegschaften alle personal-
rechtlichen Konsequenzen des Berlin/BonnG regelt.

Berlin, den 14. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8130
Begründung

Das Berlin/BonnG hatte die historische Aufgabe, den Umzug des Deutschen Bundestages und der Bundesre-
gierung von Bonn nach Berlin so zu gestalten, dass Bonn aus diesem Umzug keine Nachteile erwachsen würden.
Diese Aufgabenstellung ist laut Bundesregierung bereits in der von ihr im April 2006 gezogenen Bilanz erfüllt
worden (vgl. Bundestagsdrucksache 16/1241).
Bonn erhielt den in Deutschland einmaligen Status einer Bundesstadt und ist – so die genannte Bilanz – „in den
letzten Jahren mit Hilfe des Bundes in eine Phase der Umstrukturierung getreten und hat sich erneuert“. Die
Region Bonn hat sich nach dem teilweisen Umzug der Regierung nach Berlin mit großzügiger finanzieller Un-
terstützung des Bundes (vgl. Bundestagsdrucksache 16/5708, Anlage 7 und 8) zu einer Region der Qualifika-
tion, Bildung und Forschung, zu einem bedeutenden Kulturstandort und zugleich zum bedeutendsten Standort
der Vereinten Nationen in Deutschland entwickelt. In dieser Region bündeln sich also bedeutende politische,
kulturelle und zukunftsgerichtete Potenziale, die die Bundesstadt deutlich positiv von vielen anderen Regionen
und Kreisen in Deutschland abhebt (vgl. Prognos-Zukunftsatlas Regionen 2013; Bonn Platz 24, Bundeshaupt-
stadt Berlin Platz 224).
Trotz dieser für Bonn und die Region Bonn überaus positiven Entwicklungen hält die Bundesregierung an einer
Aufteilung der Regierungsfunktionen zwischen Bonn und Berlin fest, wie sie 1994 für notwendig erachtet wor-
den war. Diese Aufteilung beträgt zurzeit 36,26 Prozent der Regierungsstellen in der Bundesstadt Bonn und
63,74 Prozent in der Bundeshauptstadt Berlin (vgl. Teilungskostenbericht 2015, Ausschussdrucksa-
che 18(8)3115, S.11). Nach wie vor sind von den in der laufenden 18. Wahlperiode existierenden Bundesmi-
nisterien (einschließlich des Bundespresseamtes und des Bundeskanzleramtes inklusive des Beauftragten der
Bundesregierung für die Angelegenheiten von Kultur und Medien) wesentliche Kontingente der Angestellten
in Bonn angesiedelt. Auch die Beantwortung der Bundesregierung auf die Berichtsanforderung des Haushalts-
ausschusses zum Thema „Personalbewegungen zwischen Bundesministerien und Bundesbehörden“ vom
30. November 2015 weist nur marginale Personalveränderungen in nachgeordnete Bundesbehörden im Zusam-
menhang mit der Verlagerung von Dienstposten von Bonn nach Berlin auf.
Dieser Zustand ist 25 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit bei weitem nicht mehr zu rechtfertigen.
Die Zweiteilung der Bundesregierung in eine Bonner und eine Berliner Sektion schwächt die Rolle Berlins als
Bundeshauptstadt und widerspricht allen Grundsätzen einer effizienten Gestaltung der Arbeitsabläufe. Verweise
darauf, dass die Zweiteilung der Stärkung des föderalen Systems in der Bundesrepublik Deutschland diene,
greifen nicht. Wollte man das föderale System durch eine Verteilung einzelner Ressorts auf Standorte außerhalb
Berlins tatsächlich stärken, müsste man mehrere Standorte in den alten und neuen Bundesländern ins Auge
fassen. Das kann für bestimmte Teilressorts einzelner Bundesministerien auch durchaus realisiert werden, wo-
bei positive Erfahrungen wie etwa die Komplettansiedlung des Patentamts in München genutzt werden sollten.
Die Beschäftigung von immer noch knapp 40 Prozent der Regierungsangestellten außerhalb der Bundeshaupt-
stadt jedoch ist ein Anachronismus, und die Konzentration dieser Arbeitsstellen in einer einzigen
Stadt – Bonn – ist es erst recht. Damit wird dem Föderalismus nicht gedient, sondern seine Grundidee entwertet.
Ein Beendigungsgesetz zum Berlin/BonnG begründet sich schließlich mit der Präambel zum Berlin/BonnG
selbst. Die Leistungen für Bonn wurden mit dem Hinweis begründet, dass Bonn „Wesentliches zum Aufbau
und zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutschlands geleistet
hat“, die Begründung der Leistungen für Berlin indes bezog sich nicht auf bereits von der Stadt Geleistetes,
sondern darauf, dass Berlin „in über 40 Jahren deutscher Teilung ein Symbol des Willens zur deutschen Einheit
war“. Heute ist die Situation eine andere: Berlin ist nicht mehr nur ein solches Symbol, sondern hat von Bonn
die Aufgabe übernommen, Wesentliches zum Aufbau und zur Identifikation des demokratischen, an bundes-
staatlichen Prinzipien orientierten Deutschlands zu leisten, und es erfüllt diese Aufgabe erfolgreich.
Aus all diesen Gründen ist es endlich höchste Zeit, die Regierung mit Ausnahme weniger ausgewählter Ressorts
einzelner Bundesministerien komplett in der Bundeshauptstadt Berlin anzusiedeln.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.