BT-Drucksache 18/8024

Der CETA-Vertrag nach Abschluss der Rechtsförmlichkeitsprüfung

Vom 31. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8024
18. Wahlperiode 31.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann,
Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

Der CETA-Vertrag nach Abschluss der Rechtsförmlichkeitsprüfung

Nach mehrmonatiger Rechtsförmlichkeitsprüfung liegt nun seit Ende Februar
2016 der finale CETA-Vertragstext (CETA: Comprehensive Economic and Trade
Agreement) vor. Da die Europäische Kommission dem Rat der Europäischen
Union voraussichtlich im Juni 2016 bereits einen Vorschlag zur Unterzeichnung
des CETA-Abkommens vorlegen wird, sind dringend signifikante Bestandteile
und inhaltliche Formulierungen des vorliegenden Handels- und Investitions-
schutzabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada zu analysieren
und zentrale Verfahrens- und Rechtsfragen für die weitere parlamentarische Ent-
scheidungsfindung und beginnende Phase der Ratifikation zu klären.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Warum ist die Bundesregierung bislang nicht bereit, nach Artikel 218 Ab-

satz 11 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV
ein Gutachten zur Vereinbarkeit des CETA-Vertrages mit den EU-Verträgen
zu beantragen und hier insbesondere objektiv zu klären, ob die Position des
Deutschen Richterbundes e. V. juristisch belastbar ist, die die „Kompetenz
der Europäischen Union für die Einsetzung eines Investitionsgerichts“ be-
zweifelt (vgl. www.drb.de/cms/fileadmin/docs/Stellungnahmen/2016/DRB_
160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investitionsgericht.pdf)?

2. Wie begründet die Bundesregierung im Detail juristisch ihre Ansicht, dass
„CETA mit den EU-Verträgen vereinbar ist“ (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf die Schriftliche Frage 6 des Abgeordneten Klaus Ernst auf Bundes-
tagsdrucksache 18/7920), welche konträr zur Auffassung des Deutschen
Richterbundes e. V. steht?

3. Wodurch wird nach Auffassung der Bundesregierung konkret die Unabhän-
gigkeit der sogenannten Richter des im CETA-Vertrag verankerten Invest-
ment Court Systems (ICS) garantiert (bitte genaue Textstellen im CETA-
Vertrag angeben) – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Deutsche
Richterbund e. V. eine fehlende Unabhängigkeit der sogenannten Richter
konstatiert (vgl. www.drb.de/cms/fileadmin/docs/Stellungnahmen/2016/DRB
_160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investitionsgericht.pdf)?

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4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Deutschen Richterbun-
des e. V., dass das ICS kein internationales Gericht, sondern der Organisa-
tion und Struktur nach nur ein ständiges Schiedsgericht sei?
Wenn nein, warum nicht (bitte begründen)?
Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

5. Wie wird nach Ansicht der Bundesregierung sichergestellt, dass in der Be-
zahlungskomponente der „Richter“ pro Fall nicht ein struktureller Anreiz
liegt, zugunsten desjenigen zu entschieden, der Klagen einreichen kann, also
des Investors (bitte eine ablehnende Haltung im Detail begründen)?

6. Teilt die Bundesregierung das Bedenken, dass mit einem sogenannten ICS
in CETA dieses System zementiert wird, obwohl aus Sicht der Fragesteller
die Unsicherheiten sehr hoch sind und der Nutzen nicht erkennbar (s. Positi-
onierung der Bundesregierung, dass sie Bestimmungen zum Investitions-
schutz in Abkommen mit OECD-Staaten nicht als erforderlich erachtet, z. B.
Bundestagsdrucksache 18/351; bitte begründen)?

7. Teilt die Bundesregierung das Bedenken, dass sich mit einem ICS in CETA
das Risiko für Schadensersatzzahlungen zulasten der Steuerzahler erheblich
erhöht, da über 40 000 US-Unternehmen (s. „The zombie ISDS“, S. 29) das
Recht auf Investor-Staat-Schiedsverfahren zugesprochen bekommen und ob-
wohl keine Notwendigkeit für dieses System besteht (vgl. o. g. Positionie-
rung der Bundesregierung; bitte begründen)?

8. Aus welchem Grund beinhaltet der CETA-Vertragstext weiter den von Han-
delsexperten kritisierten, weil zu weit und unklar gefassten, Schutzstandard
„Fair and Equitable Treatment“?

9. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die im Investitionschutzkapitel
unter „Fair and Equitable Treatment“ genannte „spezifische Darstellung“
(„specific representation“, Artikel 8.10 Absatz 4), die eine „legitime Erwar-
tung“ („legitimate expectation“, Artikel 8.10 Absatz 4) weckt, nicht definiert
ist und eben damit eine weite Auslegbarkeit gerade nicht verhindert (bitte
eine ablehnende Position im Detail begründen)?

10. Trifft es zu, dass auch unter dem ICS in CETA die Vertragsstaaten in unbe-
grenzter Höhe zu Schadensersatzzahlungen verurteilt werden können (bitte
unter Angabe der genauen Vertragsstellen in CETA begründen)?

11. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit Artikel 8.39 Absatz 3 („Mone-
tary damages shall not be greater than the loss suffered by the investor“) die
Kompensation für entgangene erwartete Gewinne ausgeschlossen (bitte un-
ter Angabe der genauen Vertragsstellen in CETA begründen)?

12. Wie ist die Aussage zu verstehen, dass die Verwendung einer Negativliste
im CETA-Vertrag im Gegensatz zu einer Positivliste „in erster Linie eine
technische Frage“ sei und „grundsätzlich […] mit beiden Ansätzen die glei-
chen Ergebnisse erzielt werden [können]“ (vgl. Bundestagsdrucksache
18/1913, Antwort der Bundesregierung zu Frage 18), wenn es gleichzeitig
der Bundesregierung trotz mehrmaliger Nachfragen nicht möglich ist, die
nach Maßgaben von CETA vollständig liberalisierten Bereiche bzw. voll-
ständig geschützten Bereiche zu nennen (vgl. z. B. Bundestagsdrucksache
18/7168)?

13. Welche sind die nach Maßgaben von CETA vollständig liberalisierten Be-
reiche bzw. vollständig geschützten Bereiche (bitte in CPC [central product
classification]-Codes angeben)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8024
 

14. Wie ist die Aussage zu verstehen, dass die Verwendung einer Negativliste
im Gegensatz zu einer Positivliste „in erster Linie eine technische Frage“ sei
und „grundsätzlich […] mit beiden Ansätzen die gleichen Ergebnisse erzielt
werden [können]“ (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1913, Antwort der Bun-
desregierung zu Frage 18), wenn gleichzeitig laut Bundesregierung Negativ-
listen nicht dazu dienen, bestimmte Bereiche vollständig aus dem Geltungs-
bereich von CETA auszunehmen, wohingegen auf Positivlisten nur be-
stimmte zu liberalisierende Bereiche gelistet werden?

15. Warum unterstützt die Bundesregierung ein Abkommen, das bei der Inlän-
derbehandlung („National Treatment“) einen Negativlistenansatz vorsieht,
vor dem Hintergrund, dass sie – wie sie auf diverse Schriftliche Fragen der
Fragesteller dargestellt hat – bei TTIP und TiSA eine Positivliste favorisiert?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass der Negativlistenansatz die
große Gefahr birgt, „dass die Liberalisierung Produkte mit hoher Daten-
schutzrelevanz umfasst, die erst noch entwickelt werden und bei denen man
die datenschutzrechtlichen Folgen der Liberalisierung noch nicht abschätzen
kann“ (vgl. www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A10_
bdk_scm.pdf, S.8; bitte begründen)?

17. Ist nach Ansicht der Bundesregierung das Vorsorgeprinzip als ein Kernele-
ment der europäischen Regulierungspolitik im CETA-Vertrag verankert?
Wenn ja, wo genau?
Wenn nein, sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, und wie wird sie
sich konkret in den zuständigen Gremien für eine Veränderung des Ver-
tragstextes einsetzen?

18. Wie bewertet die Bundesregierung, dass außer in Bereichen des Arbeits-
schutzes und des Umweltschutzes das Vorsorgeprinzip nicht explizit im
CETA-Vertrag verankert ist und auch durch den Verweis auf bzw. die Inkor-
poration des WTO-Rechts (WTO: Welthandelsorganisation) nicht aufgefan-
gen wird, „da im WTO-Recht nur zeitlich begrenzte Regulierungen auf Vor-
sorgeaspekte gestützt werden dürfen, während im Übrigen ein wissenschafts-
basierter Ansatz zugrunde zu legen ist“ (vgl. Peter-Tobias Stoll/Till Patrik
Holterhus/Henner Gött: Die geplante Regulierungszusammenarbeit zwi-
schen der Europäischen Union und Kanada sowie den USA nach den Ent-
würfen von CETA und TTIP, Rechtsgutachten, erstellt im Auftrag der Ar-
beiterkammer Wien, Juni 2015), und wird sie sich hier für Änderungen im
Vertragstext einsetzen (bitte begründen)?

19. Sieht die Bundesregierung Verbesserungsbedarf hinsichtlich einer über Aus-
nahmebestimmungen hinausgehenden allgemeinen Verankerung des Vor-
sorgeprinzips (bitte begründen), und wie setzt sie sich konkret in den zustän-
digen Gremien dafür ein?

20. Wie sind im CETA-Vertrag konkret die Mitgliedstaaten unmittelbar an der
geplanten Regulierungszusammenarbeit beteiligt (bitte genaue Textstellen
im CETA-Vertrag angeben)?

21. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die Begründungspflicht bei Ver-
weigerung einer Partei zur Regulierungszusammenarbeit in einem Bereich
(vgl. Artikel 21.2 Absatz 6) einen politischen Rechtfertigungsdruck entste-
hen lässt, welcher das „Right to Regulate“ einschränkt (bitte begründen)?

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22. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass „eine umfassendere Ver-
weigerung der Regulierungszusammenarbeit über ein konkretes Vorhaben
hinaus nach allgemeinen völkerrechtlichen Regeln unzulässig“ sein könnte,
weil im CETA-Vertrag Ziele einer Vertiefung und Weiterentwicklung der
Regulierungszusammenarbeit vorgegeben sind, so dass möglicherweise Ver-
stöße gegen das bei völkerrechtlichen Verträgen geltende Frustrationsverbot
und die Pflicht zur Erfüllung des Vertrages nach den Grundsätzen von Treu
und Glauben in Betracht kommen (vgl. Peter-Tobias Stoll et al., 2015)?

23. Sind audiovisuelle Dienstleistungen von Kapitel 21 „Regulatory Coopera-
tion“ ausgenommen (bitte genaue Textstellen im CETA-Vertrag angeben)?
Wenn nein, warum nicht?

24. Wie ist die Übertragung, Verbreitung und Ausstrahlung audiovisueller In-
halte konkret im CETA-Abkommen geschützt (bitte genaue Textstellen im
CETA-Vertrag angeben)?

25. Sind in CETA einzelne Sachbereiche dauerhaft vollständig von der Regulie-
rungszusammenarbeit ausgeschlossen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, welche (bitte genaue Textstellen im CETA-Vertrag angeben)?

26. Wie werden nach Ansicht der Bundesregierung hohe Schutzstandards garan-
tiert, wenn nach Artikel 21.2 Absatz 2 dies in Übereinstimmung mit WTO-
Regelungen zu verfolgen hat, „die ihrerseits nicht auf ein hohes Schutzniveau
ausgerichtet sind“ (vgl. Peter Tobias Stoll et al., 2015) und es in Kapitel 23
(„Trade and Labour“) und 24 („Trade and Environment“) nach Artikel 23.2
bzw. 24.3 nur vage Formulierungen („each party shall seek to ensure…“)
diesbezüglich gibt, die zu schwach sein dürften, „um die Regulierungszu-
sammenarbeit in nennenswertem Maße lenken zu können“ (vgl. Peter-Tobias
Stoll et al., 2015)?

27. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass etwa mit dem expliziten
Verweis in Artikel 5.4 auf das SPS-Übereinkommen (SPS: sanitary and phy-
tosanitary measures) das WTO der wissenschaftsbasierte Ansatz gegenüber
dem Vorsorgeprinzip gestärkt wird, da dieser dort dominiert und „im Falle
ungenügender wissenschaftlicher Erkenntnisse […] nur provisorische Maß-
nahmen“ erlaubt (vgl. Peter-Tobias Stoll et al., 2015)?
Wenn nein, warum nicht (bitte genaue Textstellen im CETA-Vertrag ange-
ben)?
Wenn ja, wie kann das Vorsorgeprinzip künftig gesichert werden?

28. Warum werden die in Kapitel 22 („Sustainable Development“) angelegten
„Aktivitäten nicht mit der Regulierungszusammenarbeit verbunden […], ob-
wohl doch Nachhaltigkeit wesentlich in Form von Regulierungen verwirk-
licht werden muss“ (vgl. Peter-Tobias Stoll et al., 2015)?

29. Aus welchem Grund nimmt Deutschland in Annex II bei Investitionen im
Sektor „Soziale Dienstleistungen“ explizit Pflege- und Altenheime von der
Ausnahme aus („Germany reserves the right to adopt or maintain any measure
with respect to the supply of privately funded social services other than ser-
vices relating to Convalescent and Rest Houses and Old People's Homes“,
S. 1382)?

30. Welche Konsequenzen erwartet die Bundesregierung im Hinblick auf die
vollständige Liberalisierung nach Maßgaben des CETA-Abkommens im Be-
reich Pflege- und Altenheime?

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31. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass eine mögliche zukünftige
Mindestpersonalbemessung im Bereich Pflege, wie sie von Gewerkschafts-
seite gefordert wird, Klagemöglichkeiten für kanadische Investoren eröffnet
(bitte begründen)?

32. Wie hoch muss bei Mischfinanzierungen im Dienstleistungsbereich (wie Öf-
fentlich-privater Partnerschaften – ÖPP) der Anteil der öffentlichen Finan-
zierung sein, damit die Dienstleistung in die Kategorie „Public Services“ und
damit nicht in den Geltungsbereich des CETA-Abkommens fällt?

33. Wie kommt die Bundesregierung zu der Aussage, dass Investitionsschutz nur
für bereits getätigte Investitionen gilt (Antwort zu Frage 24 auf Bundestags-
drucksache 18/7168), während explizit im CETA-Entwurf und jetzigen Ver-
tragstext im Investitionskapitel steht: „investor means a Party, a natural per-
son or an enterprise of a Party, […] , that seeks to make, […] an investment
in the territory of the other Party“?

34. Welche Vorschriften sind im CETA-Vertragstext vorgesehen „bezüglich der
Abwicklung der im Rahmen der vorläufigen Anwendung eingegangenen
Verpflichtungen und Rechte der Vertragspartner“ (vgl. Antwort der Bundes-
regierung auf die Schriftliche Frage 5 des Abgeordneten Klaus Ernst auf
Bundestagsdrucksache 18/7920) abgesehen von Artikel 30.3 Absatz 4 (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf Nachfrage zu eben genannter Schriftlicher
Frage)?

Berlin, den 31. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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