BT-Drucksache 18/7875

Risiko-Reaktoren abschalten - Atomausstieg in Europa beschleunigen

Vom 15. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7875
18. Wahlperiode 15.03.2016
Antrag
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Andrej Hunko, Karin Binder, Caren Lay,
Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Kerstin
Kassner, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch,
Thomas Lutze, Birgit Menz, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Alexander
Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Risiko-Reaktoren abschalten – Atomausstieg in Europa beschleunigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 11. März 2016 jährte sich zum fünften Mal die Atomkatastrophe von Fuku-
shima, am 26. April 2016 ist der 30. Jahrestag des Super-GAUs von Tschernobyl.
Bis heute sind große Gebiete rund um die Unglücks-Reaktoren radioaktiv verseucht
und dürfen nicht betreten werden. Für viele Hunderttausende Menschen hatten und
haben diese beiden Nuklearkatastrophen weitreichende gesundheitliche und soziale
Folgen bis hin zum Tod oder Verlust der Heimat. Tschernobyl und Fukushima sind
eine Mahnung, dass die unverantwortliche Nutzung der Atomenergie weltweit Ge-
schichte werden muss.
Die Risiken der Atomenergie machen nicht an Grenzen halt. Rund um Deutschland
befinden sich in den grenznahen Regionen von Belgien, Frankreich, der Schweiz
und der Tschechischen Republik Reaktoren, die besonders störanfällig sind und de-
ren Risiken mit zunehmendem Alter größer werden. Dies macht der über zwei Jahre
vertuschte schwere Störfall im grenznahen französischen Atomkraftwerk Fessen-
heim noch einmal besonders deutlich.
Der Bundestag teilt angesichts der Rissbefunde in den Druckbehältern der beiden
belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 insbesondere die Sorgen der Bevölke-
rung in den grenznahen Regionen vor schweren Atomunfällen und unterstützt die
Forderung nach einer umgehenden Stilllegung dieser Reaktoren. Er begrüßt die von
der Bundesregierung eingeleiteten Initiativen zur weiteren Sicherheitsüberprüfung
der beiden Reaktorblöcke und zu damit verbundenen Maßnahmen mit der belgischen
Regierung und erwartet, dass diese intensiviert werden. Es sind alle politisch und
rechtlich möglichen Schritte zu unternehmen, um eine Gefährdung für Mensch und
Umwelt auszuschließen.

Drucksache 18/7875 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Atomausstieg in Deutschland zu beschleunigen und sich im Rahmen ihrer
Möglichkeiten in der EU und in den internationalen Beziehungen für einen
schnellstmöglichen Atomausstieg sowie gegen den Neubau von Atomkraftwer-
ken einzusetzen;

2. sich für die Auflösung des EURATOM-Vertrags und für den Abschluss eines
neuen Vertrags als Grundlage für die Einrichtung einer alternativen Europäi-
schen Gemeinschaft zur Förderung von erneuerbaren Energien und Energieein-
sparung einzusetzen. Solange die Auflösung von EURATOM nicht durchzu-
setzen ist, soll auf EU-Ebene eine Initiative zur Entflechtung der vertraglichen
Grundlagen von EU und EURATOM ergriffen und der EURATOM einseitig
gekündigt werden;

3. die „Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg“ zu unterstüt-
zen und ihr beizutreten;

4. aktuell insbesondere auf die schnellstmögliche Stilllegung der veralteten und
besonders störanfälligen Reaktoren in den grenznahen Regionen von Belgien,
Frankreich, der Schweiz und der Tschechischen Republik hinzuwirken;

5. der Öffentlichkeit sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die zur Be-
wertung der Sicherheit der Atomanlagen in Deutschland notwendig sind, und
in diesem Sinne auch auf europäischer Ebene auf größere Transparenz hinzu-
wirken;

6. eine Verteilung von Jodtabletten an die Bevölkerung (insbesondere Kinder und
Schwangere) in einem Umkreis von 100 Kilometern um Atomkraftwerke (im
In- und Ausland) sicherzustellen;

7. die Bemühungen zahlreicher bundesdeutscher Städte und Kommunen mit dem
Ziel der Stilllegung der Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 bis hin zu Klagen nach
Kräften zu unterstützen bzw. diesen Aktivitäten beizutreten;

8. geeignete Schritte zu unternehmen, um auch im Rahmen der EU und der EU-
Kommission eine umfängliche und zweifelsfreie Aufklärung der Risiken durch
den Betrieb der beiden belgischen AKWs zu erreichen und bis zum Abschluss
dieser Maßnahmen die Abschaltung der Reaktoren zu erwirken;

9. zu prüfen, ob im Zuge der Laufzeitverlängerungen von Tihange und Doel gegen
europäisches Recht verstoßen wurde, und darüber möglichst umgehend den
Bundestag zu informieren;

10. zum Schutz der Bevölkerung vor den Auswirkungen eines Atomunfalls in den
belgischen Atommeilern oder anderen grenznahen Reaktoren im Ausland und
angesichts der vom Bundesamt für Strahlenschutz aufgezeigten Folgen hin-
sichtlich erforderlich werdender Evakuierungen in einer Entfernung von bis zu
170 Kilometern vom atomaren Unfallort wirksame Schutzmaßnahmen vorzu-
bereiten, die auch im internationalen Rahmen im Katastrophenfall wirksam um-
gesetzt werden können, bzw. gemeinsam mit den zuständigen Stellen im Inland
und Ausland entsprechende Schutzmaßnahmen zu entwickeln sowie über die
getroffenen Maßnahmen möglichst schnell den Bundestag zu informieren;

11. Maßnahmen zu ergreifen, damit die Uranfabriken in Gronau (Anreicherung)
und Lingen (Brennelementeherstellung), die maßgeblich zum weltweiten Be-
trieb von Atomkraftwerken beitragen, schnellstmöglich stillgelegt werden kön-
nen.

Berlin, den 15. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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