BT-Drucksache 18/7547

Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen - Bundesweite Statistik einführen

Vom 17. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7547
18. Wahlperiode 17.02.2016
Antrag
Der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian
Kühn (Tübingen), Corinna Rüffer, Britta Haßelmann, Beate Müller-Gemmeke,
Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, Matthias Gastel, Sven-Christian
Kindler, Steffi Lemke, Markus Tressel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite Statistik einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die menschenwürdige Existenz ist ein Grundrecht und als solches in unserer Ver-
fassung verankert. Das Recht auf Wohnen ist maßgeblicher Teil und Voraussetzung
dieser menschenwürdigen Existenz. In der Lebensrealität setzt sich allerdings seit
Jahren ein Trend fort: die Wohnungs- und Obdachlosigkeit nimmt kontinuierlich zu.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG-W) legt daher
schon seit mehreren Jahren grobe Schätzungen zur Lage der Wohnungs- und Ob-
dachlosen vor. So auch wieder im Oktober 2015. Die aktuellen Zahlen implizieren
auch für die Zukunft einen starken Anstieg der von Wohnungs- und Obdachlosigkeit
betroffenen Personen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre wird sich demnach
weiter fortsetzen.
Nach diesen Schätzungen waren 2014 ca. 335.000 Menschen in Deutschland ohne
Wohnung: 18% mehr als noch zwei Jahre zuvor. In den Jahren 2015-2018 prognos-
tiziert die BAG-W einen weiteren Zuwachs auf 536.000 wohnungslose Personen
(+60% im Vergleich zu 2014). Die Zahl jener Menschen die ohne jede Unterkunft
2014 auf der Straße lebten, schätzt die BAG-W bundesweit absolut auf ca. 39.000.
Auch hier stieg die Zahl seit 2012 um ca. 50% an (ca. 26.000 in 2012).
So wertvoll diese Zahlen auch sind, sie ersetzen nicht eine empirische Untersuchung,
die insbesondere auf die jährliche Erfassung derer abzielt, die entweder unmittelbar
von Wohnungslosigkeit bedroht sind oder bereits wohnungslos geworden sind.
Diese Entwicklung hat vielfältige Gründe, deren Zusammenhänge in einem komple-
xen Gefüge persönlicher und sozialer Prozesse zu verorten sind. Es gibt also auch
keine einfachen Antworten die einerseits zur Verhinderung und andererseits zur Be-
seitigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit führen. Aus diesem Grund fordert
die Fachwelt neben anderen Maßnahmen schon seit Jahren eine bundesweite Woh-
nungsnotfallstatistik, die über Schätzungen hinaus geht und empirisch nachweisbare
Zahlen abbildet. Bisher bezieht sich die Bundesregierung in Teilen auf die Schät-
zungen der BAG-W, stellt aber gleichzeitig auch deren Repräsentativität immer wie-
der in Frage. Obwohl sich die Bundesregierung seit der Föderalismusreform nicht

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mehr in der Zuständigkeit der Wohnungspolitik verortet, gibt es eine Verantwort-
lichkeit ihrerseits, die nicht von der Hand zu weisen ist. In dieser Position hat die
Bundesregierung die Kompetenz und auch die Pflicht hier aktiv zu werden. Aus-
schließlich der Bundesgesetzgeber hat die Möglichkeit einheitliche und damit ver-
gleichbare Statistiken einzuführen, deren Kriterien in einem für alle Bundesländer
geltenden Rahmengesetz festgeschrieben werden.
Nicht nur die Fachwelt ist der Auffassung, dass es höchste Zeit ist eine bundesweite
Statistik einzuführen. Die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
DIE LINKE. haben in der letzten Legislaturperiode mittels einer Kleinen Anfrage
ebenfalls ihre gemeinsame Forderung nach einer bundesweiten Wohnungsnotfall-
statistik (BT-Drs. 17/10414) zum Ausdruck gebracht.
Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat es vorgemacht und bereits 1965 erstmals
eine Wohnungsnotfallstatistik auf Landesebene ins Leben gerufen. Im Jahr 2011 hat
es diese statistische Erhebung aktualisiert erneut durchgeführt. Auch andere Länder
innerhalb der EU zeigen, was möglich ist: Frankreich, Dänemark, Finnland, Irland,
Italien oder auch Spanien haben bereits solch eine Statistik. Eine Erfassung ist also
grundsätzlich möglich. Ein Rahmengesetz des Bundes schafft die Grundlage für eine
einheitliche Vorgabe zur statistischen Erhebung. Auf Basis dieser Daten kann auf
nationaler, Landes- und kommunaler Ebene effizient und nachhaltig an Programmen
und Maßnahmen gearbeitet werden, die sowohl präventiv wirken als auch als Mittel
zur Bekämpfung von Obdach- und Wohnungslosigkeit entwickelt werden können.
Eine bundesweite Statistik ist folglich die Voraussetzung, um auf kommunaler
Ebene eine gute und wirksame Wohnungsnotfallhilfeplanung zu entwickeln und er-
möglicht es außerdem die für die Kommunen entstehenden Kosten besser zu kalku-
lieren und abzuschätzen.
Die BAG-W geht davon aus, dass mittels einer bundesweiten Statistik bis zu 90%
aller von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffenen bzw. gefährdeten Personen
erfasst werden können. Auch für den Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bun-
desregierung regelmäßig durchführt ist eine bundesweite Statistik eine gewinnbrin-
gende Angelegenheit: die bisherigen Erkenntnisse hieraus zur Wohnungs- und Ob-
dachlosigkeit sind aufgrund der fehlenden Datenlage kaum vorhanden. Auch finden
sich in verschiedenen Gutachten zum Armuts- und Reichtumsbericht Hinweise, dass
eine nationale Statistik durchaus wünschenswert sei.
Ein Mehr an Forschung, insbesondere im Bereich extremer Armut, ist dringend ge-
boten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der zum Ziel hat, eine bundesweite nationale Sta-
tistik zur Erfassung der Obdach- und Wohnungslosigkeit einzuführen, um auf dieser
statistischen Grundlage die Basis für die nachhaltige Bekämpfung von Wohnungs-
und Obdachlosigkeit zu schaffen.

Berlin, den 16. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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