BT-Drucksache 18/7536

Personalbemessung in der stationären und ambulanten Altenpflege

Vom 15. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7536
18. Wahlperiode 15.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Nicole Gohlke, Katja Kipping, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring,
Norbert Müller (Potsdam), Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Azize Tank,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Katrin Werner, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Personalbemessung in der stationären und ambulanten Altenpflege

Arbeitsverdichtung, Hektik und fehlende Zeit für Zuwendung und Gespräche mit
den zu Pflegenden, bedingt durch Personalmangel, prägen den Arbeitsalltag von
Beschäftigten in der Pflege. Zusätzlich zu den ohnehin hohen physischen Belas-
tungen entstehen dadurch für viele Pflegekräfte psychischer Druck und Unzufrie-
denheit, weil sie in der Ausbildung gelernte Fachkenntnisse und Fähigkeiten nicht
anwenden und auch eigene Ansprüche an eine qualitativ hochwertige Pflege nicht
umsetzen können (vgl. DGB-Index Gute Arbeit – Der Report, 2013, www.dgb-
bestellservice.de/besys_dgb/pdf/DGB501010.pdf; DGB-Index Gute Arbeit –
Sonderauswertung, 2012, www.verdi-gute-arbeit.de/upload/m51d11e5e1fb38
_verweis1.pdf).
Für die personelle Ausstattung in der stationären Pflege gibt es in jedem Bundes-
land unterschiedliche Richtwerte und kein bundeseinheitliches Bemessungsver-
fahren. Ob die Richtwerte von den Leistungserbringern tatsächlich eingehalten
werden, ist unklar und wird kaum untersucht. Vorgaben für die ambulante Pflege
fehlen weitgehend.
Aber nicht nur fehlendes Personal stellt ein Problem für eine qualitativ hochwer-
tige Pflege dar. Auch ein zunehmender Wildwuchs der Pflegeassistenzberufe und
zusätzlicher Qualifikationsstufen in der Pflege führen zu einer Dequalifizierung
der Pflege: Die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche sind nicht ausreichend von-
einander abgegrenzt. Es häufen sich Berichte, dass immer öfter Betreuungskräfte
Aufgaben der Grundpflege erfüllen und Pflegefachkräfte durch kostengünstigere
Arbeitskräfte ersetzt werden (vgl. www.welt.de/wirtschaft/article142055785/So-
gefaehrlich-sind-Amateur-Pfleger-im-Altenheim.html).
Für die stationäre Altenpflege gibt es in jedem Bundesland unterschiedliche Per-
sonalrichtwerte. In den meisten Bundesländern wird eine Fachkraftquote von
mindestens 50 Prozent zugrunde gelegt. Wissenschaftlich belegbare Grundlagen
für Richtwerte und Quoten fehlen jedoch. Es handelt sich um Orientierungswerte.
Beide bilden zudem die steigenden und unterschiedlichen Pflegebedarfe in den
einzelnen Pflegestufen sowie für demente und multimorbide zu Pflegende nicht
ab. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe – DBfK Bundesverband e. V.
kritisiert, dass sich diese eigentlich als Mindestanforderung vorgesehene Quote
als offizieller Standard etabliert habe (vgl. Position des DBfK zur Fachkraftquote
in stationären Pflegeeinrichtungen www.dbfk.de/media/docs/download/DBfK-

Drucksache 18/7536 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Positionen/Position-Fachkraftquote-2014-11-26.pdf). Dennoch mehren sich Hin-
weise darauf, dass selbst dieser Anhaltswert zunehmend unterlaufen wird. („Per-
sonalpolitik in der Altenpflege“– Positionspapier des Pflege-Selbsthilfeverban-
des e. V. St. Katharinen, www.pflege-shv.de/uploads/pflege-shv/Stellungnahmen-
Ratgeber/Personalschluessel_Altenheim_032013_0_.pdf).
Der wachsende Pflegebedarf ergibt sich nicht nur aus der zunehmenden Zahl von
Menschen, die Pflege benötigen. Die Pflegeanforderungen selbst steigen in jeder
Pflegestufe (Pflegegrad), in jeder Einrichtung und in jedem ambulanten Pflege-
dienst mit der steigenden Zahl demenziell erkrankter und multimorbider Men-
schen sowie dem höheren Eintrittsalter in den Lebensabschnitt Pflege. Eine an
diesem tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichtete Personalpolitik in der Pflege
scheitert aus Sicht der Fragesteller bisher an dem Kostenwettbewerb der Leis-
tungserbringer und am Teilkostenprinzip der Pflegeversicherung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell das Betreuungsver-

hältnis, gemessen in zu pflegende Personen je Pflegekraft als Vollzeitäqui-
valent (VZÄ) jeweils im ambulanten Bereich und im stationären Bereich
(bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

2. Für wie viele Menschen mit Pflegebedarf ist nach Kenntnis der Bundesre-
gierung eine Pflegefachkraft in einer (teil-)stationären Einrichtung pro
Schicht im Durchschnitt verantwortlich?

3. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der durchschnittliche An-
teil von Menschen mit Pflegebedarf aufgrund einer demenziellen Erkran-
kung und der Anteil multimorbider Menschen mit Pflegebedarf pro Einrich-
tung (bitte für die Fragen 1 und 2 sowohl den Bundesdurchschnitt als auch
den für die einzelnen Länder angeben und auch nach Art der Trägerschaft
differenzieren)?

4. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Bewohnerinnen- und
Bewohnerstruktur in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen seit dem Jahr
2008 verändert (bitte nach Pflegestufen, Geschlecht und Alter aufschlüsseln
und nach Art der Trägerschaft darstellen)?

5. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil von Menschen
mit Pflegebedarf aufgrund demenzieller Erkrankungen und/oder Multimor-
bidität seit dem Jahr 2008 in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen entwi-
ckelt?

6. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung das reale durchschnittliche Ver-
hältnis von insgesamt in der Pflege Beschäftigten zu Menschen mit Pflege-
bedarf je nach Pflegestufe I bis III im Bundesdurchschnitt und in den einzel-
nen Ländern (bitte auch jeweils nach Art der Träger aufschlüsseln)?

7. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil von Pflegefach-
kräften und der von Pflegekräften am gesamten Pflege- und Betreuungsper-
sonal in der
a) (teil-)stationären Pflege und
b) ambulanten Pflege,
seit dem Jahr 2008 entwickelt (bitte für die einzelnen Jahre darstellen und
nach Art der Trägerschaft und Bundesländern differenzieren)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7536
 

8. Für wie viele Menschen mit Pflegebedarf ist nach Kenntnis der Bundesre-
gierung eine Pflegefachkraft in einer (teil-)stationären Einrichtung im Nacht-
dienst im Durchschnitt verantwortlich (bitte sowohl den Bundesdurchschnitt
als auch den für die einzelnen Länder angeben und auch nach Art der Trä-
gerschaft differenzieren)?

9. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung das reale durchschnittliche Ver-
hältnis von Pflegefachkräften zu Menschen mit Pflegebedarf (Betreuungs-
verhältnis) je nach Pflegestufe I bis III im Bundesdurchschnitt und in den
einzelnen Ländern (bitte auch jeweils nach Art der Träger aufschlüsseln)?

10. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil an Betreuungs-
kräften nach § 87b des Elften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XI und von
Pflegeassistenten (Pflegehelfern) am gesamten Pflege- und Betreuungsper-
sonal in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen seit dem Jahr 2008 entwickelt
(bitte für die einzelnen Jahre darstellen, nach Geschlecht aufschlüsseln und
nach Art der Trägerschaft und Bundesländern differenzieren)?

11. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Beschäftig-
ten in der ambulanten bzw. stationären Pflege, die nicht unmittelbar in der
Pflege am Menschen (Grundpflege und Haushaltsführung bzw. Grund-
pflege/Aktivierung/Betreuung) tätig sind (bitte nach Geschlecht differenzie-
ren)?

12. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, bei denen Betreuungs-
kräfte Aufgaben der Grundpflege übernommen haben bzw. übernehmen
(bitte nach Bundesländern und Art der Trägerschaft differenzieren), und wel-
chen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung daraus ab?

13. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der in den Rahmenverträ-
gen zur pflegerischen Versorgung nach § 75 Absatz 3 SGB XI vereinbarte
Anteil an Fachkräften am Pflege- und Betreuungspersonal (Fachkraftquote;
bitte nach Ländern und für Tages- und Nachtdienste aufschlüsseln)?

14. Wie viele stationäre Einrichtungen unterschreiten nach Kenntnis der Bun-
desregierung eine Fachkraftquote von 50 Prozent (bitte nach Art der Träger-
schaft und nach Bundesländern differenzieren), und welche Konsequenzen
leitet die Bundesregierung daraus ab?

15. Welche Länder haben nach Kenntnis der Bundesregierung in den Rahmen-
verträgen eine Höchstgrenze für den Anteil geringfügig Beschäftigter beim
Pflege- und Betreuungspersonal festgelegt, und wie hoch ist diese jeweils?

16. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der tatsächliche Anteil ge-
ringfügig Beschäftigter beim Pflege- und Betreuungspersonal in der
a) (teil-)stationären Pflege und
b) ambulanten Pflege,
im Bundesdurchschnitt und in den einzelnen Ländern (bitte nach Geschlecht
differenzieren und auch nach Art der Träger darstellen)?

17. Welche Länder haben nach Kenntnis der Bundesregierung in den Rahmen-
verträgen zur pflegerischen Versorgung nach § 75 Absatz 3 SGB XI oder
anderweitig landesweite Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder
zur Bemessung der Pflegezeiten vereinbart?

18. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die in den Rahmenver-
trägen vereinbarten Personalrichtwerte bzw. Bandbreiten (bitte nach Ländern
und Pflegestufen aufschlüsseln)?

Drucksache 18/7536 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

19. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig im realen Pfle-
geprozess die durchschnittliche Abweichung von den vereinbarten Personal-
richtwerten bzw. Bandbreiten (bitte nach Ländern, Pflegestufen sowie Ta-
ges- und Nachtdiensten aufschlüsseln)?

20. Wie viele Überstunden wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von Be-
schäftigten in der
a) (teil-)stationären Pflege und
b) ambulanten Pflege,
seit dem Jahr 2008 geleistet (bitte für die einzelnen Jahre und Berufsgruppen
darstellen und nach Geschlecht, Art der Trägerschaft und Bundesländern dif-
ferenzieren)?

21. Wie viele Überlastungsanzeigen wurden von Beschäftigten in der
a) (teil-)stationären Pflege und
b) ambulanten Pflege,
seit dem Jahr 2008 gestellt, und welche Gründe wurden in welcher Reihen-
folge nach Kenntnis der Bundesregierung angegeben (bitte für die einzelnen
Jahre darstellen, nach Geschlecht aufschlüsseln und nach Art der Träger-
schaft und Bundesländern differenzieren)?

22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur durchschnittlichen Ver-
weildauer von Beschäftigten in ihrem Beruf in der
a) (teil-)stationären Pflege und
b) ambulanten Pflege,
und zu den Gründen für einen Berufsabbruch bzw. Berufswechsel (bitte für
die einzelnen Berufsgruppen darstellen und nach Geschlecht, Art der Träger-
schaft und Bundesländern differenzieren)?

23. Wie viele ausgebildete Altenpflegefachkräfte wandern nach Kenntnis der
Bundesregierung jährlich seit dem Jahr 2008 aus ihrem Beruf bereits im ers-
ten bzw. zweiten Berufsjahr ab, und wie hoch ist ihr Anteil innerhalb der
jeweiligen jährlichen Abwanderungsquote in der Altenpflege (bitte nach Ge-
schlecht differenzieren)?

24. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Verhältnis von Ausbildungs-
und Abwanderungsquote im stationären und im ambulanten Pflegebereich,
und wie hat sich die durchschnittliche Verweildauer von Altenpflegekräften
im Beruf gegenüber anderen Pflegeberufen und dem Bundesdurchschnitt seit
dem Jahr 2008 entwickelt?

25. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die jährliche Abbruchquote
in der Altenpflegeausbildung im Vergleich zu anderen Pflegeberufen und
zum Bundesdurchschnitt seit dem Jahr 2008?

26. Wie viele Arbeitsunfähigkeitstage gab es nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit dem Jahr 2008 in
a) der (teil-)stationären Pflege und
b) in ambulanten Pflegediensten
jeweils unterschieden nach Diagnosegruppen, Voll- und Teilzeitbeschäfti-
gung, Alter und Geschlecht (bitte für die einzelnen Jahre und nach Art der
Trägerschaft und Bundesländern darstellen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7536
 

27. Wie viele Pflegekräfte und Pflegefachkräfte sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung seit dem Jahr 2008 wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund
psychischer oder körperlicher Erkrankungen vorzeitig in die Rente eingetre-
ten, und wie stellen sich diese Werte jeweils im Vergleich zum bundesdeut-
schen Durchschnitt dar (bitte für die einzelnen Jahre sowohl in absoluten
Zahlen als auch als Anteil an allen Renteneintritten darstellen, bitte nach Ge-
schlecht, Alter und nach Bundesländern differenzieren)?

Berlin, den 10. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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