BT-Drucksache 18/738

Wirtschaftliche Lage der Hebammen und Entbindungspfleger

Vom 6. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/738
18. Wahlperiode 06.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Eva Bulling-Schröter, Diana Golze,
Dr. Rosemarie Hein, Inge Höger, Sigrid Hupach, Susanna Karawanskij,
Kerstin Kassner, Katja Kipping, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Dr. Gesine
Lötzsch, Petra Pau, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann,
Azize Tank, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Hubertus Zdebel,
Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Wirtschaftliche Lage der Hebammen und Entbindungspfleger

Die flächendeckende Versorgung mit Hebammenleistungen ist in Deutschland
nicht mehr gewährleistet. Freiberufliche Hebammen können die verpflichtende
Haftpflichtversicherung häufig nicht mehr bezahlen (vgl. z. B. „Freiberuflichen
Hebammen droht das Aus“, STUTTGARTER NACHRICHTEN vom 18. Fe-
bruar 2014; „Hebammen droht Berufsverbot“, Kölner Stadt-Anzeiger vom
19. Februar 2014; „Hohe Beiträge: Hebammen in MV vor dem Aus?“, OST-
SEE-ZEITUNG vom 18. Februar 2014). Die Prämien sind explodiert und der
Markt zusammengebrochen („Warum freiberuflichen Hebammen das Aus
droht“, Wirtschafts-Woche vom 18. Februar 2014; „Zukunft ohne Hebammen?
Ganzer Berufsstand ist in Gefahr/Versicherer wollen die Frauen nicht als Kun-
den“, Frankfurter Rundschau vom 19. Februar 2014).
In immer mehr Gebieten stehen Frauen Alternativen zur Klinikgeburt (zu Hause
oder in Geburtshäusern) gar nicht mehr zur Verfügung („Suche nach Hebammen
oft schwierig“, neues deutschland vom 27. Februar 2014). Auch die Vor- und
Nachsorge von Wöchnerinnen ist nicht mehr flächendeckend gesichert. Hinter-
grund sind die niedrigen Honorare der Krankenkassen. Immer weniger Heb-
ammen sind finanziell in der Lage, eine Wochenbettbetreuung anzubieten. Die
wenigen Hebammen, die diese Leistungen noch anbieten, können den Betreu-
ungsbedarf nicht erfüllen. Die Folge ist eine Mangelversorgung der Frauen und
Neugeborenen bei der aufsuchenden Wochenbettbetreuung. Dabei ist der Bedarf
gestiegen. Wöchnerinnen werden meist schnell aus der Klinik entlassen, da
diese über Fallpauschalen abrechnet. Die Hebamme übernimmt die medizi-
nische und psychosoziale Nachbetreuung von Mutter und Kind.
Freiberufliche Hebammen arbeiten auch als Beleghebammen in Kranken-
häusern. Wie bei Hausgeburten oder in Geburtshäusern wird so meist eine Eins-
zu-eins-Betreuung von Hebamme zu Wöchnerin möglich, die zur optimalen
Versorgung wünschenswert ist. Doch nach und nach schließen immer mehr
Kliniken ihre Geburtshilfestation.
Insgesamt ist ein ganzer Berufsstand qualifizierter und hochmotivierter Hebam-
men und Entbindungspfleger existenziell gefährdet. Die bundesweite Versor-
gung mit qualitativ hochwertiger Geburtshilfe und sonstigen Hebammenleistun-
gen steht auf der Kippe.

Drucksache 18/738 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Frauen bringen ihr Kind nach Kenntnis der Bundesregierung in

Kliniken, in Einrichtungen der außerklinischen Geburtshilfe oder durch
Hausgeburt zur Welt, und wie haben sich diese Zahlen in den letzten zehn
Jahren einschließlich des Jahres 2013 entwickelt (bitte aufschlüsseln)?

2. Welche Kosten entstehen den Krankenkassen im Durchschnitt pro Ent-
bindung in einer Klinik, in einer Einrichtung der außerklinischen Geburts-
hilfe oder bei einer Hausgeburt?

3. Wie viele freiberufliche Hebammen und Entbindungspfleger gibt es nach
Kenntnis der Bundesregierung aktuell, und wie hat sich die Zahl der
Hebammen einschließlich des Jahres 2013 in den letzten zehn Jahren ent-
wickelt?

4. Wie viele freiberufliche Hebammen und Entbindungspfleger sind nach
Kenntnis der Bundesregierung aktuell als Beleghebammen in Kranken-
häusern tätig?

5. Wie viele Hebammen und Entbindungspfleger sind nach Kenntnis der
Bundesregierung in der außerklinischen Geburtshilfe tätig (bitte aufgliedern
nach Hausgeburtshilfe, Geburtshäusern und Arztpraxen)?

6. Wie viele freiberufliche Hebammen und Entbindungspfleger gibt es nach
Kenntnis der Bundesregierung zur Vor- und Nachsorge der Frauen bei
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett?
Wie hat sich diese Zahl in den letzten zehn Jahren einschließlich des Jahres
2013 entwickelt?

7. Wie viele Hebammen und Entbindungspfleger sind nach Kenntnis der
Bundesregierung aktuell tätig in der Versorgung von Frauen in der auf-
suchenden Wochenbettbetreuung?
Wie hat sich diese Zahl einschließlich des Jahres 2013 in den letzen zehn
Jahren entwickelt (bitte aufschlüsseln)?

8. Ist es Ziel der Bundesregierung, die Zahl der Hebammen und Entbindungs-
pfleger in der außerklinischen Geburtshilfe und der Wochenbettbetreuung
zukünftig zu erhöhen oder zu senken?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Frauen eine aufsuchende
Wochenbettbetreuung nachfragen und wie viele Frauen sie tatsächlich in
Anspruch nehmen?

10. Hält die Bundesregierung die Zahl der freiberuflichen Hebammen und
Entbindungspfleger vor dem Hintergrund der reduzierten Verweildauer in
Klinken nach Geburten für ausreichend (bitte begründen)?

11. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Unterschiede in der Verfügbar-
keit von Hebammenleistungen zwischen ländlichen Gebieten und Ballungs-
räumen?
Falls ja, inwiefern?
Falls nein, weshalb nicht?

12. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Postleitzahlengebiete, in denen
keine oder eine nicht ausreichende Wochenbettbetreuung angeboten wird?

13. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Unterschiede in der Inanspruch-
nahme von Hebammenleistungen im Hinblick auf benachteiligte Stadtteile
oder auf verschiedene Bevölkerungsgruppen (z. B. Migrantinnen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/738
14. Liegen der Bundesregierung Kenntnisse vor hinsichtlich einer Korrelation
von sozialen Statusfaktoren und der Inanspruchnahme von klinischer und
außerklinischer Geburtshilfe bzw. Hausgeburtshilfe?

15. Liegen der Bundesregierung Kenntnisse vor über eine Korrelation zwischen
der Häufigkeit von Kaiserschnitten und dem sozialen Status?

16. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung das Einkommen freiberuf-
licher Hebammen und Entbindungspfleger seit dem Jahr 2010 entwickelt
(Gewinn vor Steuern)?

17. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass das Ergebnis der Honorar-
verhandlungen vom 9. Juli 2012 den gestiegenen Haftpflichtversicherungs-
prämien hinreichend Rechnung trägt, insbesondere unter Berücksichtigung
von Hebammen und Entbindungspflegern, die nicht in Vollzeit tätig sind
(wenn ja, bitte begründen)?
Wenn nein, warum nicht?

18. Hält die Bundesregierung die Regelungen des § 134a des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch für ausreichend, die besagen, dass die Vertragspartner
(GKV-Spitzenverband und die maßgeblichen Hebammenverbände) bei den
Verhandlungen über die abrechnungsfähigen Hebammenleistungen und ihre
Vergütung die „berechtigten wirtschaftlichen Interessen“ der Hebammen zu
berücksichtigen haben, wozu auch die Haftpflichtprämien gehören, oder ist
die Bundesregierung der Meinung, dass die Berücksichtigung der Haft-
pflichtprämien bei den Gesamtkosten der Hebammen durch gesetzliche
Regelungen besser gewährleistet werden könnte (bitte begründen)?

19. Sieht die Bundesregierung die Wahlfreiheit von Frauen in Bezug auf die Art
der Entbindung (Klinik, Geburtshaus, ärztliche Praxis, zu Hause) angesichts
der Ergebnisse der Studie „Versorgungs- und Vergütungssituation in der
außerklinischen Hebammenhilfe“ der IGES Institut GmbH aus dem Jahr
2012 nach wie vor als tatsächlich gegeben an?
Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, warum nicht, und welche Schritte hält die Bundesregierung für
erforderlich, um eine tatsächliche Wahlfreiheit herzustellen?

20. Sieht die Bundesregierung die Versorgung von Frauen im Bereich der Vor-
und Nachsorge von Schwangeren und Wöchnerinnen angesichts der Ergeb-
nisse der IGES-Studie nach wie vor als tatsächlich gegeben an?
Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, warum nicht, und welche Schritte hält die Bundesregierung für
erforderlich, um die flächendeckende Versorgung herzustellen?

21. Sieht die Bundesregierung die Versorgung von Frauen im Bereich der
Betreuung von Geburten in Eins-zu-eins-Betreuung angesichts der Ergeb-
nisse der IGES-Studie nach wie vor als tatsächlich gegeben an?
Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, warum nicht, und welche Schritte hält die Bundesregierung für
erforderlich, um die Versorgung zu verbessern?

22. Wie viele Geburtshäuser und Hebammenpraxen wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung zwischen den Jahren 2002 und 2012 geschlossen und wie
viele neu eröffnet?

23. Wie viele Geburtshilfestationen an Kliniken und Krankenhäusern gibt es
nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell, und wie viele wurden seit dem
Jahr 2003 geschlossen?

Drucksache 18/738 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
24. In welcher Trägerschaft befanden sich diese Kliniken nach Kenntnis der
Bundesregierung zum Zeitpunkt der Schließung der jeweiligen Entbin-
dungsstation?

25. Wie hat sich die Verweildauer von Frauen in der klinischen Geburtshilfe
nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2003 entwickelt?

26. Wie viele Geburten betreuen Hebammen und Entbindungspfleger in Klini-
ken nach Kenntnis der Bundesregierung durchschnittlich parallel?

27. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Kaiserschnitte
seit dem Jahr 2003 entwickelt (bitte nach Bundesländern und im euro-
päischen bzw. internationalen Vergleich aufschlüsseln)?

28. Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für diese Entwicklung
der Kaiserschnittrate, und kann die Bundesregierung ausschließen, dass es
mit durch die Fallpauschalen gesetzten Anreizen zu tun hat?

29. Wie viele gynäkologische Notfallambulanzen gibt es nach Kenntnis der
Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland?
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wie diese von
Schwangeren in Anspruch genommen werden?

30. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass der Versicherungswettbewerb
im Bereich der Haftpflichtversicherungen für Geburtshilfe durch Ärztinnen
und Ärzte sowie Hebammen und Entbindungspfleger nach wie vor funktio-
niert?
Wenn nein, welche Konsequenzen ergeben sich aus Sicht der Bundesregie-
rung?

31. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Kalkulationsgrundlagen
der Prämien zur Berufsunfähigkeitsversicherung in der Geburtshilfe durch
die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) prüfen zu las-
sen (wenn nein, bitte begründen)?

32. Worin sieht die Bundesregierung die Ursachen für die stark steigenden Haft-
pflichtversicherungsprämien der Hebammen und Entbindungspfleger?

33. In wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den letz-
ten zehn Jahren Schadensersatzansprüche gegen freiberufliche Hebammen
und Entbindungspfleger geltend gemacht (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

34. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Haft-
pflichtschäden und deren Anteil an allen Geburten in der klinischen und au-
ßerklinischen Geburtshilfe und bei der Vor- und Nachsorge der Geburten in
den letzten zehn Jahren entwickelt (bitte aufschlüsseln)?

35. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Höhe der Schadens-
ersatzansprüche entwickelt?
Um welche Summen ging es dabei im Einzelnen (bitte nach Jahren auf-
schlüsseln)?

36. In wie vielen Fällen haben Sozialversicherungsträger nach Kenntnis der
Bundesregierung Regressansprüche gegenüber Hebammen und Entbin-
dungspflegern geltend gemacht, und um welche Summen ging es im Einzel-
nen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

37. In wie vielen Fällen lagen nach Kenntnis der Bundesregierung die geltend
gemachten Ansprüche inklusive Schmerzensgeld, Leibrenten und Regress-
ansprüchen über der Summe von 1 Mio., 2 Mio. bzw. 5 Mio. Euro?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/738
38. Wie viele Fälle wurden in welcher jeweiligen Höhe bereits durch Haft-
pflichtversicherungen reguliert, und wie viele Fälle sind noch in der Prüfung
bzw. in gerichtlicher Auseinandersetzung?

39. Kann die Bundesregierung Angaben zur regionalen Verteilung der Haft-
pflichtfälle machen?
Gibt es Regionen, in denen signifikant mehr oder weniger Schadensfälle in
der Geburtshilfe aufgetreten sind als im Durchschnitt?

40. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Forderung der Hebammen-
verbände, einen staatlich finanzierten Haftungsfonds einzurichten, der die
über die private Haftpflichtversicherung abzusichernde Versicherungs-
summe begrenzt (z. B. auf 1 Mio. Euro, vgl. Pressemitteilung des Deutschen
Hebammenverbandes e. V. vom 18. November 2013; Pressemitteilung des
Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands e. V. vom 13. Februar
2014; „Der Staat muss haften“, Berliner Zeitung vom 19. Februar 2014)?

41. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Forderung nach einem ge-
meinsamen Haftungsfonds für alle Heilberufe, um einen Risikoausgleich zu
schaffen zwischen Fachgebieten und Tätigkeiten mit höherem und niedrige-
rem Risiko?

Berlin, den 6. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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