BT-Drucksache 18/7377

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/7207, 18/7376 - Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte

Vom 27. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7377
18. Wahlperiode 27.01.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Frithjof Schmidt, Agnieszka Brugger,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Claudia
Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin, Doris Wagner und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/7207, 18/7367 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur
Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region
Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die autonome kurdische Region im Nordirak ist eine unserer wichtigsten Partnerin-
nen im Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak und in Syrien (ISIS). Zum einen
haben die kurdischen Streitkräfte (Peschmerga) dem Ansturm der Dschihadisten
standhalten können. Zum anderen konnten in der Region auch hunderttausende
Flüchtlinge und Binnenvertriebene Zuflucht finden. Kurdistan-Irak war zudem lange
Zeit eines der wenigen politischen Gebilde in der gesamten Region mit verhältnis-
mäßig demokratischen Strukturen, Minderheitenrechten und Meinungsfreiheit.
Diese Stabilität ist aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen in Gefahr.
Deutschland sollte alles in seiner Macht Stehende tun, um die Menschen im Irak in
ihrer schwierigen Lage humanitär, politisch und wirtschaftlich zu unterstützen.
Am drängendsten ist dabei eine humanitäre Initiative zur Linderung der Not im ge-
samten Land. Von Januar 2014 bis Januar 2016 wurden über 3,3 Millionen Men-
schen aus ihrer Heimat im Irak vertrieben (IOM, Januar 2016). Schätzungen zufolge
halten sich circa eine Million von ihnen in der Region Kurdistan-Irak auf (IOM,
Januar 2016). Dazu kommen circa 250.000 Flüchtlinge vor allem aus Syrien (UN-
HCR, Dezember 2015). Dies bedeutet für die nördliche Region Kurdistan-Irak mit
fünf Millionen Einwohnern eine enorme Belastung.
Die meisten dieser Menschen haben bislang jenseits der offiziellen Flüchtlingslager
eine Bleibe gefunden. Dies dürfte aber für viele keine dauerhafte Lösung sein. Daher
ist zu befürchten, dass die Hilfswerke eine stetig wachsende Zahl von Menschen zu

Drucksache 18/7377 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
versorgen haben. Deutschland bekennt sich zu seiner Verantwortung, die Regional-
regierung Kurdistan-Irak und die Zivilgesellschaft bei dieser Aufgabe nach Kräften
zu unterstützen. Die Stabilität der Region Kurdistan-Irak ist für Deutschland von
zentralem Interesse.
ISIS kann man nur politisch besiegen. Dennoch kann der Kampf gegen ISIS nicht
ohne militärische Mittel geführt werden – allein um eine weitere territoriale Expan-
sion der Terrororganisation zu verhindern. Deshalb ist es richtig und sinnvoll, dass
sich die internationale Gemeinschaft bei der Ausbildung der irakischen Armee und
im Zuge dessen auch bei der Ausbildung der Peschmerga engagiert. Von großer Be-
deutung ist dabei eine Sicherheitssektorreform mit dem langfristigen Ziel, die ver-
schiedenen Gruppen im Irak unter einem einheitlichen militärischen Kommando und
einer starken politischen Führung zu integrieren. Diese Einheiten müssen militärisch
ausgebildet werden, um die Bevölkerung und das dazugehörige Territorium zu
schützen. Doch auch im zweiten Jahr ist die Ausbildungsmission nicht in eine solche
Reform eingebettet.
Einerseits wurden dabei im bisherigen Verlauf der Ausbildung durch die Bundes-
wehr Fortschritte erreicht, die unter anderem zu deutlich gesunkenen Opferzahlen
unter den Peschmerga aufgrund der Sanitätsausbildung geführt haben. Andererseits
darf die Bundesregierung nicht die entscheidenden politischen Fragen wie etwa die
teilweise konträr verlaufenden Interessen und Spannungen sowie die damit verbun-
denen Risiken und Auseinandersetzungen innerhalb der Peschmerga vernachlässi-
gen. Ausbildung alleine reicht daher nicht aus, die Unterstützung darf sich nicht auf
das Militärische beschränken.
Insgesamt fehlt der Mission ein klarer Rahmen, der die politischen Umstände in der
Region Kurdistan-Irak berücksichtigt. Es fehlt eine deutliche Zielvorgabe, an der
sich der Erfolg der Ausbildungsmission messen lassen könnte. Nach wie vor fehlt
jede Rechenschaft darüber, nach welchem Plan die Regierung der autonomen Re-
gion Kurdistan-Irak Truppen der Peschmerga, die teilweise dem Ministerium, teil-
weise den politischen Parteien unterstehen und auch konträre Interessen verfolgen,
zur Ausbildung entsendet.
Nach wie vor ist der Endverbleib eines Großteils der von der Bundeswehr gelieferten
Waffen und Rüstungsgüter, insbesondere der Gewehre vom Typ G3 und G36 unge-
klärt. Zwar hat sich die Regierung der Region Kurdistan-Irak verpflichtet, die gelie-
ferten Waffen ausschließlich im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitä-
ren Völkerrecht einzusetzen, doch es mehren sich Berichte über den Verkauf der von
der Bundeswehr gelieferter Waffen auf Schwarzmärkten, z. B. im Nord-Irak. Die
Bundesregierung war bisher nicht um Aufklärung bemüht.
Entscheidend für die langfristige Stabilität der Region Kurdistan-Irak ist aber ihre
politische und wirtschaftliche Entwicklung. Politisch zeigen sich in der Region seit
einigen Monaten bedenkliche Tendenzen. Die seit jeher durch Parallelstrukturen ge-
schwächten demokratischen Institutionen drohen vollends ausgehöhlt zu werden.
Präsident Barzani regiert seit August 2014 ohne demokratische Legitimation. Das
Parlament hat durch den Ausschluss der zweitgrößten Fraktion Gorran durch Sicher-
heitskräfte, einem eklatanten Bruch mit den demokratischen Prinzipien, de facto auf-
gehört zu existieren.
Die sich verschärfenden innerkurdischen Konflikte, die auf blutige Weise bei der
erfolgreichen Rückeroberung der Region Sindschar sichtbar wurden, sind Anlass zu
Sorge. Es gibt Berichte, nach denen kurdische Gruppierungen sich untereinander be-
kämpften. Dabei waren sowohl Jesidinnen und Jesiden als auch der PKK naheste-
hende Kämpferinnen und Kämpfer unter den Opfern. Besonders zu verurteilen ist
die militärische Offensive der Türkei gegen die PKK auf irakischem Territorium,
zuletzt der Großeinsatz im Dezember 2015, bei dem circa 100 Zivilistinnen und Zi-
vilsten sowie circa 500 Streitkräfte ums Leben kamen. Auch die von Amnesty Inter-
national erhobenen (und von der kurdischen Regionalregierung zurückgewiesenen)

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Vorwürfe, Peschmergaverbände hätten von ISIS zurückeroberte arabische Dörfer
vorsätzlich zerstört, müssen lückenlos aufgeklärt werden. Zudem muss die interna-
tionale Gemeinschaft in der Auseinandersetzung zwischen der autonomen Region
Kurdistan-Irak und dem irakischen Zentralstaat vermitteln. Deutschland muss dabei
mit mehr Nachdruck seine diplomatischen Beziehungen sowie sein hohes Ansehen
in der Region nutzen, um den innerirakischen Versöhnungsprozess zu unterstützen.
Die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung im Besonderen stehen in
der Pflicht, massiv Druck auf die Verantwortlichen auszuüben, damit sie wieder auf
den bislang erfolgreichen demokratischen Weg zurückkehren.
Dazu gehören auch umfangreiche Hilfen bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Die
Bundesrepublik Deutschland sollte in Aussicht stellen, sich noch stärker am wirt-
schaftlichen Wiederaufbau der Region Kurdistan-Irak und des gesamten Landes zu
beteiligen. Angesichts der Endlichkeit der Öleinnahmen, des Klimawandels und des
erheblichen Ölpreisrückgangs muss vor allem die Wirtschaft der Region diversifi-
ziert werden. Insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor fehlt es hierbei häufig an
der nötigen Expertise vor Ort.
Die Integrität des Irak und damit auch eine friedliche Zukunft für die Region Kur-
distan-Irak und den Rest des Landes können nur bei finanzieller Solidarität und Er-
halt der gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Diversität gewährleistet werden.
Bagdad muss die verfassungsgemäßen Zahlungen an Erbil wieder aufnehmen, Erbil
aber ebenfalls eigene Steuerquellen erschließen. Dies ist dringend geboten, weil die
Region Kurdistan-Irak kurz vor einem möglichen Bankrott steht, dessen Folgen fatal
wären. Zu einer Einigung ist es aber ebenso unerlässlich, dass alle Formen der eth-
nischen Neuordnung unterbleiben. Eine umfangreiche Rekurdisierungspolitik in von
ISIS (zurück-)eroberten Gebieten, wie beispielsweise Kirkuk, durch die kurdische
Regionalregierung ist Wasser auf die Mühlen des konfessionellen Konflikts im Irak
und muss unterbleiben.
Die Stärkung einer demokratischen Region Kurdistan-Irak muss ein wichtiger Teil
einer auf den Irak fokussierten Strategie gegen ISIS sein. Im Irak sind die Voraus-
setzungen für politische wie militärische Erfolge gegen ISIS besser als in Syrien.
Die internationale Gemeinschaft sollte daher alles in ihrer Macht Stehende tun, um
den irakischen Staat zu stärken und dabei besonders die Reformpolitik des Präsiden-
ten al-Abadi zu unterstützen. Der irakische Staat kann die Herausforderungen durch
ISIS nur dann bestehen, wenn er alle Bevölkerungsgruppen fair am politischen Pro-
zess beteiligt. Dazu gehört es auch, die kurdische Regionalregierung aktiv einzubin-
den.
Der Ausbildungseinsatz der Bundeswehr soll im Rahmen einer losen Staatenkoali-
tion gegen ISIS stattfinden, der in unterschiedlicher Form derzeit 65 Länder ange-
hören. Die Pariser Erklärung vom 15. September 2014 enthält wichtige allgemeine
Ziele und Prinzipien im Kampf gegen ISIS. Doch ein loser Verbund wie eine Koali-
tion der Willigen kann ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und die Vor-
teile etablierter internationaler Institutionen nicht ersetzen. Mit der Einladung der
irakischen Regierung liegt zwar eine völkerrechtliche Grundlage für die Ausbil-
dungsunterstützung vor. Die Ausbildungsmission entspricht jedoch nicht den
Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zu den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr in der Auslegung des Grundgesetzes aufgestellt
hat. So darf die Bundeswehr nur im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver
Sicherheit eingesetzt werden. Der Deutsche Bundestag sieht daher keine ausrei-
chende verfassungsrechtliche Grundlage für das hier vorgelegte Bundeswehr-Man-
dat. Denn entgegen dem Beschluss des Bundeskabinetts findet der Ausbildungsein-
satz der Bundeswehr nicht im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Si-
cherheit im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 GG statt. Weder die Resolution 2170
(2014) vom August 2014 noch die Aufforderung der Präsidentschaft des Sicherheits-
rates (S/PRST/2014/20) an die VN-Mitgliedstaaten vom September 2014 reichen
aus oder ermächtigen sie ausdrücklich zur Ausübung von militärischer Gewalt. Es

Drucksache 18/7377 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
ist ein Versäumnis der Bundesregierung, dass sie sich nicht intensiv um einen Ein-
satz im Rahmen der Vereinten Nationen oder um eine entsprechende Initiative der
Europäischen Union bemüht hat. Damit schwächt die Bundesregierung die VN, da
so das Modell der Koalition der Willigen als Umgehung internationaler Institutionen
weiter Schule macht.
Außerdem ist bisher eine Koordination der unterschiedlichen militärischen und zi-
vilen Beiträge nicht erkennbar. Von einem politischen und zivilen Ansatz, der den
Rahmen für militärische Maßnahmen bildet, wie die Bundesregierung ihn in Aus-
sicht stellt, kann auch nach einem Jahr des Einsatzes keine Rede sein. Hier sind vor
allem die Vereinten Nationen mit ihrer großen internationalen Legitimation gefragt.
Angesichts der extremen Bedrohung der Zivilbevölkerung im Irak, insbesondere be-
stimmter kultureller oder religiöser Gruppen, ist ein gemeinsames, effektives Vor-
gehen durch die Vereinten Nationen längst überfällig.
Dass der Deutsche Bundestag diesem Mandat nicht zustimmen kann, beruht im Kern
auf den fehlenden verfassungsrechtlichen Grundlagen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für die dauerhafte Einbindung des Handelns der einzelnen internationalen
Akteure in einen VN-geführten Einsatz und eine Stärkung der VN-Mission im
Irak (UNAMI) einzusetzen;

2. sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der Vereinten Nationen eine internati-
onal abgestimmte Strategie erarbeitet wird, die politische, zivile und militäri-
sche Maßnahmen umfasst. Die VN sind weltweit der legitimste Akteur, der die
vielen unterschiedlichen Perspektiven zusammenführen kann;

3. massiv Druck auf die kurdische Regionalregierung auszuüben, damit die de-
mokratischen Institutionen der Region wieder arbeiten können und die Men-
schenrechte, vor allem die Meinungsfreiheit in der Region, gewährleistet wer-
den;

4. die kurdische Regionalregierung bei der Bewältigung der humanitären Heraus-
forderung durch Flüchtlinge und Binnenvertriebene und bei der Entwicklung
ihrer Wirtschaftsstruktur umfangreich zu unterstützen;

5. sich in Zusammenarbeit mit der irakischen Regierung und der internationalen
Gemeinschaft für eine langfristige Reform des irakischen Sicherheitssektors
unter Einbindung der Peschmerga einzusetzen und hierzu konkrete Pläne vor-
zulegen;

6. den Versöhnungsprozess zwischen den Glaubensgemeinschaften im Irak zu un-
terstützen, denn ohne Versöhnung sowie die politische und ökonomische Teil-
habe aller Bevölkerungsgruppen gibt es kein Fundament für einen langfristigen
Frieden im Irak;

7. dem irakischen Staat Unterstützung bei der systematischen Aufarbeitung der
Verbrechen vergangener Diktaturen anzubieten, um die gesellschaftliche
Grundlage für einen Versöhnungsprozess zu schaffen;

8. ihre diplomatischen Anstrengungen zu erhöhen, damit die Verteilung der Öl-
und Staatseinnahmen zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Auto-
nomieregion gemäß irakischer Verfassung durchgeführt wird;

9. Pläne zur Einrichtung einer GSVP-Mission im Bereich Polizei und Rechts-
staatsreform aktiv zu unterstützen;

10. klare Ziele der deutschen Ausbildungsmission zu benennen und die Mission
durch eine unabhängige Evaluierung kontinuierlich überprüfen zu lassen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7377
11. gemäß den Grundsätzen der gültigen Rüstungsexportrichtlinien von weiteren

Waffenexporten oder -lieferungen in den Irak oder eine andere Krisenregion
abzusehen;

12. im Detail darzulegen, wenn weitere Waffenlieferungen durchgeführt werden
sollen und wo sich bereits gelieferte Waffen und Militärgüter befinden.

Berlin, den 26. Januar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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