BT-Drucksache 18/717

Zustandekommen, Charakter und ökonomische Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommens der Europäischen Union mit Kanada

Vom 5. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/717
18. Wahlperiode 05.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Katharina Dröge, Harald Ebner, Matthias Gastel,
Britta Haßelmann, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Cem
Özdemir, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Jürgen Trittin, Dr. Julia Verlinden,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zustandekommen, Charakter und ökonomische Auswirkungen des geplanten
Freihandelsabkommens der Europäischen Union mit Kanada

Seit Juni 2009 verhandelt die Europäische Union (EU) und Kanada über ein um-
fassendes Freihandels- und Investitionsschutzabkommen (CETA – Comprehen-
sive Economic and Trade Agreement). Am 18. Oktober 2013 verkündeten der
Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, und der kana-
dische Premierminister, Stephen Harper, eine politische Einigung. Öffentlich
bekannt wurden infolge der Einigung allerdings nur einige wenige Eckpunkte.
Eine Finalisierung der Rechtstexte steht zurzeit noch aus, der Zeitplan hierfür ist
unklar. Unklar ist auch, wer am Ende Vertragspartner wird. Bisher wurden EU-
Handelsabkommen in aller Regel jeweils als gemischte Abkommen geschlos-
sen, jedoch scheint die Europäische Kommission im Falle des CETA einen
Abschluss als ausschließliches EU-Abkommen anzustreben. Der Deutsche Bun-
destag und Bundesrat wären in diesem Fall nicht am Ratifizierungsprozess eines
Abkommens beteiligt, das weitreichende Auswirkungen in den einzelnen euro-
päischen Mitgliedstaaten haben wird.
Große Sorge haben Verbraucher- und Umweltorganisationen gerade im Hinblick
auf die getroffenen Vereinbarungen zum Investitionsschutz und mögliche Scha-
densersatzforderungen aufgrund nicht eingetroffener Gewinnerwartungen, z. B.
wenn Umwelt-, Sozial- oder Verbraucherstandards angehoben werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
Verhandlungsverlauf
1. Seit wann und in welcher Form war die Bundesregierung bisher in die Ver-

handlungen und in die Vorbereitungen zu den Verhandlungen eingebunden?
2. An welchen Sitzungen oder Arbeitstreffen war die Bundesregierung bisher

direkt oder in Form von Ministerialbeamten an den Verhandlungen beteiligt
(bitte nach Treffen, Anlass und Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufschlüs-
seln)?

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3. Hatte die Bundesregierung während der laufenden Verhandlungen jederzeit
Zugang zu allen Texten, die auch der Europäischen Kommission vorlagen,
inklusive den Verhandlungsangeboten der kanadischen Seite, und wie
wurde bzw. wird der Zugang zu diesen Dokumenten gestaltet?
a) Wenn nein, wurde ein solcher Zugang zu den Texten von der Bundes-

regierung eingefordert, und mit welchem Ergebnis?
b) In welcher Weise und in welchem Umfang wird die Bundesregierung

über Treffen auf „technischer Ebene“ und „Expertensitzungen“ zwischen
den offiziellen Verhandlungsrunden informiert, und wie hat sie diese
Informationen bisher an den Deutschen Bundestag weitergeleitet?

4. Inwieweit sieht die Bundesregierung die bisherige Einbindung der Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union in die Verhandlungen als ausreichend
an auch vor dem Hintergrund, dass die kanadischen Provinzen nach Infor-
mation der Fragesteller zum Teil direkt an den Verhandlungsrunden beteiligt
waren in Bereichen, die ihre Kompetenzen berühren?
Wie waren bzw. sind die Bundesländer und die Kommunen nach Kenntnis
der Bundesregierung in die Verhandlungen in den Bereichen eingebunden,
die ihre Kompetenzen berühren?

5. Waren bzw. sind nach Kenntnis der Bundesregierung Interessenvertreter aus
Industrie oder Verbänden an den Verhandlungen beteiligt, und wenn ja,
wer (Name, Organisation), und in welchen Arbeitsgruppen bzw. Strukturen?

6. Welche Gespräche und/oder Konsultationen hat die Bundesregierung vor
und während der Verhandlungen mit Industrie- bzw. Verbändevertretern in
Bezug auf das CETA bislang geführt (bitte mit Datum, Name des Ge-
sprächspartners bzw. Organisation und Anlass auflisten)?

7. Welche Gespräche und/oder Konsultationen hat die Europäische Kommis-
sion nach Kenntnis der Bundesregierung vor und während der Verhandlun-
gen im Hinblick auf das CETA geführt (bitte mit Datum, Name des Ge-
sprächspartners bzw. Organisation und Anlass auflisten)?

8. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung das quantitative und
qualitative Verhältnis zwischen Industrievertretern und Vertretern von zivil-
gesellschaftlichen Organisationen bei den Gesprächspartnern dar, und wel-
che Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus (Anzahl und
Dauer der Gespräche, Rang der Gesprächspartnerinnen und -partner)?

9. Hält die Bundesregierung die Einbindung von Vertreterinnen und Vertretern
der Zivilgesellschaft bei den CETA-Verhandlungen für ausreichend, und
wenn ja, warum?
Was hat die Bundesregierung ihrerseits bisher unternommen, um die Zivil-
gesellschaft bzw. weitere Interessenvertreter in Deutschland einzubinden?

10. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung vor bzw. während der Ver-
handlungen Vertreterinnen oder Vertreter von Entwicklungs- und Schwel-
lenländer zu dem Vorhaben gehört?
Wenn ja, welche Bedenken wurden vorgebracht, und wie wurde diesen
Rechnung getragen?
Wenn nein, warum nicht?

11. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der weitere Zeitplan für den
Abschluss des Abkommens auf Ebene der Europäischen Union und für die
Ratifizierung?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/717
Charakter des Abkommens
12. Ging die Bundesregierung bei Verhandlungsbeginn davon aus, dass es sich

beim CETA um ein gemischtes Abkommen handeln würde, bei dem die
Mitgliedstaaten neben der EU auch Vertragspartner werden würden?

13. Ergaben sich mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Änderungen hin-
sichtlich der Kompetenzen in Rechtsbereichen, die von dem Abkommen be-
rührt sind?
Wenn ja, in welchen Rechtsbereichen fanden welche Kompetenzverschie-
bungen statt?

14. Geht die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass das CETA
in Form eines gemischten Abkommens abgeschlossen wird?
Wenn ja, warum?
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen, wenn das Abkom-
men nicht als gemischtes Abkommen zustande kommt?

15. Gibt es aktuell unterschiedliche Auffassungen zwischen der Europäischen
Kommission und der Bundesregierung beziehungsweise weiteren Mitglied-
staaten über die Rechtsform des Abkommens, und wenn ja, worin gründen
diese?

16. Ist der Bundesregierung bekannt, für welche Dauer die Investitionsschutz-
kapitel des Vertrags angelegt sind und ob, und wenn ja, welche Kündigungs-
fristen und -bedingungen für die EU oder einzelne Mitgliedstaaten hierfür
vorgesehen sind?
Welche Kündigungsfristen und/oder -bedingungen hielte die Bundesregie-
rung für wünschenswert, beispielsweise auch hinsichtlich der Dauer, für die
der Investitionsschutz nach Kündigung fortbesteht?

Investitionsschutz
17. Unterstützt die Bundesregierung angesichts der öffentlichen Debatte ins-

besondere zu den Investmentklauseln und der von der Europäischen Kom-
mission angekündigten Konsultation zum Investmentkapitel vom TTIP
(Freihandelsabkommen mit den USA) einen Verhandlungsstopp und/oder
die Neuverhandlung einzelner Teile vom CETA, und wenn ja, für welche
Teile?
Wenn nein, warum nicht?

18. War das Abkommen nach Informationen der Bundesregierung von vornhe-
rein als Freihandels- und Investitionsschutzabkommen angelegt, oder kam
der Investitionsschutz im Laufe der Verhandlungen dazu?
Wenn ja, aus welchen Gründen?

19. Sind der Bundesregierung Fälle von Investoren aus den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union bekannt, denen in Kanada Eigentumsrechte verwehrt
wurden?
Wenn nein, wie begründet sich die Notwendigkeit eines Kapitels zum Inves-
titionsschutz im CETA aus Sicht der Bundesregierung?

20. Welche Vorteile und welche Nachteile ergeben sich aus Sicht der Bundes-
regierung aus der Einbeziehung des Investitionsschutzes sowie außer-
gerichtlicher Schiedsverfahren in das Abkommen?

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21. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass entsprechend dem Vor-
schlag der Europäischen Kommission einer Konsultation über Investor-
Staat-Streitigkeiten (ISDS) in den TTIP-Verhandlungen auch eine Konsul-
tation im Rahmen der CETA-Verhandlungen durchgeführt wird?
Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Textpassagen, die
als Grundlage für die Konsultation dienen, in allen Amtssprachen der EU
zur Verfügung gestellt werden?

22. Hat sich die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission
deutlich gegen eine Aufnahme von Investorenschutzklauseln sowie Inves-
tor-Staat-Klagerechten in das CETA-Abkommen eingesetzt?
Wann, wie, und mit welchem Ergebnis?

23. Setzt sich die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission
für einen Abschluss des CETA-Vertrages ohne ein Investitionsschutzkapitel
ein?
Wird die Bundesregierung eine Ratifizierung des CETA-Abkommens auch
dann anstreben, wenn dieses einen ISDS-Mechanismus vorsieht?

24. Darf es nach Auffassung der Bundesregierung zu der Auflegung zur Ratifi-
zierung oder einem vorläufigen Inkrafttreten eines Investitionsabkommens
im Rahmen vom CETA kommen, bevor EU-intern strittige Fragen der fi-
nanziellen Zuständigkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten zwischen dem
Rat und dem Europäischen Parlament abschließend geregelt sind?

25. Für wie groß hält die Bundesregierung die präjudizierende Wirkung des Ab-
kommens im Hinblick auf künftige Standardsetzung?
Wird die Setzung anspruchsvollerer sozialer, ökologischer und anderer
Standards (z. B. Tierschutz) künftig noch möglich sein, ohne dass Investo-
ren Schadensersatz für möglicherweise entgangene Gewinne einfordern?

26. Welche Regelungen werden im CETA getroffen, um zu vermeiden, dass
Unternehmen, die ihren Hauptsitz in der EU haben, über Tochterunterneh-
men in Kanada Investitionsschutzklagen gegen die EU bzw. deren Mitglied-
staaten anstrengen (vgl. den Fall Lone Pine gegen Kanada unter dem Nord-
amerikanische Freihandelsabkommen – NAFTA)?

27. Ist im Investitionsschutzteil vom CETA eine „umbrella clause“ vorgesehen?
Welche Position vertritt die Bundesregierung zu der Frage der Aufnahme
einer solchen Klausel in das Abkommen?

28. Wird der Vertrag nach Kenntnis der Bundesregierung Regelungen zum „fair
and equitable treatment“ sowie zu „indirect expropriation“ enthalten, und
wenn ja, wie werden diese Begriffe im Vertrag definiert?
Inwieweit sieht die Bundesregierung das Potenzial eines Missbrauchs dieser
Formulierungen, um Gesetzesvorhaben zu be- oder verhindern, und welche
Vorkehrungen werden getroffen, um einen Missbrauch zu verhindern?

29. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung Portfolio- und Spekulations-
kapital von den Investitionsschutzvereinbarungen erfasst, und wenn ja,
welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus?

Ökonomische Auswirkungen
30. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Wachstumsberechnungen der Euro-

päischen Kommission im Zusammenhang mit dem CETA (siehe MEMO
der Europäischen Kommission vom 18. Oktober 2013), wonach das Frei-
handelsabkommen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU um bis zu

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/717
11,6 Mrd. Euro jährlich steigern würde, und hat die Bundesregierung da-
rüber hinaus eigene Wachstumsberechnungen angestellt?
a) Welcher Anteil an den prognostizierten BIP-Steigerungen wird nach

Kenntnis der Bundesregierung bei den Berechnungen dem Abbau tarifä-
rer, welcher dem Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse zugerechnet?

b) Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie sich das prognosti-
zierte Wachstum auf die Mitgliedstaaten verteilen würde?

c) Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über mögliche negative Wachs-
tumseffekte durch das Abkommen in den Mitgliedstaaten der EU, und
wenn ja, um welche Effekte in welchen Ländern handelt es sich dabei?

31. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, in welche Richtung und in
welcher Größenordnung sich die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse
durch das CETA verändern würden (bitte insgesamt sowie separat für die
Handels- und Dienstleistungsbilanz angeben)?

32. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Mitgliedstaaten der
EU durch das CETA eine Steigerung ihrer kurz-, mittel- und langfristigen
Leistungsbilanz erfahren würden?

33. Inwiefern und unter welchen Voraussetzungen könnte das CETA nach Ein-
schätzung der Bundesregierung zur Milderung der wirtschaftlichen Un-
gleichgewichte innerhalb der EU und zur Bewältigung der Eurokrise bei-
tragen?
Wären nach Auffassung der Bundesregierung auch negative Auswirkungen
durch das CETA auf die Konsolidierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen
innerhalb der Eurozone möglich, und wenn ja, welche, und welche Vor-
kehrungen werden getroffen, um Risiken für die Konsolidierung zu ver-
meiden?

34. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie die Auswirkungen des
Abkommens auf die Import- und Exportvolumina von Lebensmitteln zwi-
schen der EU und Kanada in Euro und in Kilogramm wären (bitte nach
zweistelliger „Standard International Trade Classification“ – SITC – 00 bis
09 aufschlüsseln)?

35. Welche Studien zu den Auswirkungen auf das europäische Verbraucher-
preisniveau für Waren und für Dienstleistungen sind der Bundesregierung
bekannt, und welche Schlüsse zieht sie daraus?

36. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Auswirkungen das
CETA auf die Handelsströme der EU mit Drittstaaten hätte (bitte nach In-
dustrienationen, Schwellen- und Entwicklungsländern aufschlüsseln)?
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus, insbesondere im Hin-
blick auf entwicklungspolitische Ziele und das Prinzip der Meistbegünsti-
gung im Welthandel?

37. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, welche Sektoren in Deutsch-
land und in der EU besonders vom CETA profitieren und wachsen würden
und welche gegebenenfalls Umstrukturierungen vornehmen müssten bzw.
schrumpfen würden?

38. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie sich das CETA auf die
durchschnittlichen Umsatz- und Beschäftigungszahlen kleiner und mittel-
ständischer Unternehmen (KMU) sowie großer Unternehmen auswirken
würde (bitte nach Sektoren aufschlüsseln)?

Drucksache 18/717 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
39. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie viele Arbeitsplätze
durch das CETA in der gesamten EU und in Deutschland neu entstehen wür-
den und wie viele durch Verdrängung weniger wettbewerbsfähiger Unter-
nehmen verloren gehen würden?
Liegen hierzu Zahlen für sämtliche Mitgliedstaaten der EU vor?

40. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, in welcher Größenordnung
in Euro und in Prozent zum bisherigen Investitionsvolumen kanadische
Direktinvestitionen in Europa und europäische Direktinvestitionen in
Kanada durch das CETA steigen würden?

Berlin, den 5. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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