BT-Drucksache 18/7091

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/6281, 18/7086 - Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz - VergRModG)

Vom 16. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7091
18. Wahlperiode 16.12.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Katharina Dröge, Kerstin Andreae,
Markus Kurth, Lisa Paus, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Ekin Deligöz, Dr. Thomas Gambke, Dr. Tobias Lindner,
Corinna Rüffer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/6281, 18/7086 –

Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts
(Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Personenbezogene Dienstleistungen müssen individuell und passgenau ausgestaltet
sein, um erfolgreich zu wirken. Dies gilt vor dem Hintergrund heterogener und zu-
nehmend komplexer Problemlagen vieler Arbeitsloser gerade auch im Bereich der
Arbeitsförderung. Aus diesem Grund steht die Anwendung des jetzigen Vergabe-
rechts bei arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen seit langem in der Kritik. Dabei
werden Verfahren angewendet, die für technische Aufträge oder die Anschaffung
von Computern und Büromöbeln konzipiert wurden – nicht aber dafür, Menschen
nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Durch das Nachfragemonopol der Bundesagentur für Arbeit bzw. der Jobcenter und
die Zentralisierung des Einkaufs hat ein Qualitäts- und Preisverfall stattgefunden,
der zu standardisierten Massenmaßnahmen und einem Innovationsstau statt zu hoch-
wertigen Angeboten führt. Die Prozesse sind intransparent, und bei der Zuschlagser-
teilung ist vornehmlich der Preis und nicht die Qualität der Angebote ausschlagge-
bend. Zu beobachten ist eine Marktkonzentration. Dies drückt sich unter anderem
darin aus, dass – regional unterschiedlich stark ausgeprägt – im Bereich der Regio-
naldirektionen bis zu 60 Prozent des Auftragsvolumens an lediglich fünf Bildungs-
träger geht. Der zunehmende Preisdruck hat darüber hinaus zu einer spürbaren Ver-
schlechterung der Arbeitsbedingungen bei den Anbietern von Arbeitsmarktdienst-
leistungen geführt. Etliche Anbieter haben sich sogar vom Markt zurückgezogen.

Diese Kritik teilen nahezu alle Akteure, Verbände, Institutionen und Gewerkschaf-
ten, die an der Erbringung von Arbeitsmarkt- und sozialen Dienstleistungen beteiligt
sind. Diese haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um die anstehende
Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien zur Modernisierung des europäischen Verga-
berechts in Deutschland zu begleiten. Die EU-Richtlinien werden grundsätzlich sehr

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begrüßt. Darin werden die Besonderheiten von sozialen Dienstleistungen anerkannt
und neue Spielräume eröffnet, mit denen diesen spezifischen Bedarfen Rechnung
getragen werden kann.

Im nun vorgelegten Entwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes werden die
gegebenen Spielräume jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Damit wird die Bun-
desregierung auch ihren selbst gesteckten Zielen nicht gerecht. Sie hatte in ihren im
Januar 2015 im Kabinett beschlossenen Eckpunkten zum einen die „Eins zu eins“-
Umsetzung der EU-Richtlinien in deutsches Recht und zum anderen ein deutlich
erleichtertes Vergabeverfahren für soziale Dienstleistungen angekündigt. Beide Ver-
sprechen werden mit dem Gesetzentwurf nicht eingelöst. Das kritisiert auch das
Bündnis.

Der Verweis auf Regelungsmöglichkeiten in der Vergabeverordnung stellt keine
Verbesserung dar, zumal die Verordnung ohne Beteiligung des Parlaments auf den
Weg gebracht werden wird. Ohne verbindliche gesetzliche Regelungen besteht die
große Gefahr, dass es bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen kaum zu
Verbesserungen gegenüber dem Status quo kommen wird. Angesichts der verhärte-
ten Langzeitarbeitslosigkeit, der vielen Langleistungsbezieher und der nach wie vor
großen Zahl benachteiligter Jugendlicher in Deutschland wäre das fatal.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

für Arbeitsmarktdienstleistungen und andere soziale Dienstleistungen Regelungen
zu schaffen, die dem Grundsatz „So viel Vergaberecht wie nötig und so viel Sozial-
recht wie möglich“ gerecht werden und dadurch passgenaue und qualitativ hochwer-
tige Angebote erlauben. Dafür müssen im Vergabemodernisierungsgesetz die fol-
genden Punkte umgesetzt werden:

1. Für soziale Dienstleistungen wird ein eigenes vereinfachtes Vergaberegime ge-
schaffen, das eine flexible Verfahrenswahl und -gestaltung ermöglicht. Damit
soll sichergestellt werden, dass die Ziele des Sozialrechts nicht von der Logik des
Vergaberechts überlagert werden. Eine Gleichrangigkeit der unterschiedlichen
Verfahren einschließlich des wettbewerblichen Dialogs ist sicherzustellen.

2. Das vereinfachte Vergaberegime muss auch unterhalb des Vergabeschwellen-
werts von 750.000 Euro gelten. Dadurch wird verhindert, dass in diesem für die
Vergabe von sozialen Dienstleistungen überwiegend relevanten Bereich ein an-
deres und strengeres Verfahren angewendet wird als oberhalb des Schwellen-
werts.

3. Um den nach wie vor dominierenden Preiswettbewerb durch einem Qualitäts-
wettbewerb abzulösen müssen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität wie Per-
sonalschlüssel oder tarifliche Entlohnung in die Ermittlung des besten Preis-Leis-
tungs-Verhältnisses und damit des wirtschaftlichsten Angebots einbezogen und
bei der Zuschlagserteilung berücksichtigt werden.

4. Auffällig niedrige Angebote müssen überprüft werden, um sicherzustellen, dass
nur Bieter zum Zuge kommen können, die gesetzliche und tarifliche Vorgaben
einhalten. Gravierende Verstöße gegen Umwelt-, Arbeits- und Sozialrecht müs-
sen zwingend zum Ausschluss von Bietern vom Verfahren bzw. zur Aufhebung
des Auftrages führen.

5. Der Verweis auf nach dem Tarifvertragsgesetz für allgemein verbindlich erklärte
Tarifverträge ist als explizite Voraussetzung für die Ausführung von öffentlichen
Aufträgen aufzuführen.

Berlin, den 15. Dezember 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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Begründung

Heterogene und komplexe Problemlagen erfordern passgenaue Unterstützungsangebote. Diese Maxime gilt für
alle sozialen Dienstleistungen, aber auch und gerade für die Arbeitsmarktpolitik. Nur mit individuell zuge-
schnittenen Strategien und Maßnahmen lassen sich nachhaltige Integrationen in den Arbeitsmarkt erreichen.
Auch Bundesarbeitsministerin Nahles erkennt dieses Prinzip an, wenn sie in ihrem Konzept zum Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit schreibt: „Für diese komplexe Realität gibt es kein Patent-Rezept. Für jeden Einzelnen
muss es passgenaue Hilfen geben.“ (vgl. „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern“). Die Praxis zeigt aber,
dass viele Arbeitslose nicht nach dieser Maxime unterstützt werden.

Um das zu ändern, sind u. a. Änderungen bei der Vergabepraxis erforderlich. Die EU-Richtlinien zur Moder-
nisierung des Vergaberechts bieten hierfür eine sehr gute Grundlage. Die Chance wird aber von der Bundesre-
gierung bei der Umsetzung der Richtlinien in deutsches Recht bisher nicht genutzt. Weder der vorgelegte Ge-
setzentwurf, noch der vorliegende Diskussionsentwurf zur Neufassung der Vergabeverordnung (VgV) nutzen
die gegebenen Spielräume für eine gesetzlich festgeschriebene eigenständige und ausdifferenzierte Regelung
der Vergabe von sozialen Dienstleistungen.

Erforderlich ist die Klarstellung, dass die Leistungserbringung im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksver-
hältnisses nicht dem Vergaberecht unterliegt (vgl. dazu auch den Entschließungsantrag der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN zu weiteren Aspekten der Vergaberechtsmodernisierung). Darüber hinaus müssen im
Vergaberecht selbst die unterschiedlichen Verfahrensarten des Vergabeverfahrens gleichberechtigt nebenei-
nander stehen und es muss sichergestellt werden, dass – wie in der EU-Richtlinie verankert – die öffentlichen
Auftraggeber der Notwendigkeit, Qualität, Kontinuität, Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und
Vollständigkeit der Dienstleistungen sowie den spezifischen Bedürfnissen verschiedener Nutzerkategorien,
einschließlich benachteiligter und schutzbedürftiger Gruppen, der Einbeziehung und Ermächtigung der Nutzer
und dem Aspekt der Innovation Rechnung tragen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Vielfalt unterschiedli-
cher Vergabeverfahren in diesem Sinne angewendet werden kann und nicht auf die öffentliche Ausschreibung
reduziert wird. Dringend notwendig ist dafür auch die sogenannte freihändige Vergabe weiter zu ermöglichen.
Nur so ist gewährleistet, dass den im Sozialrecht verankerten Prinzipien, wie etwa dem Wunsch- und Wahlrecht
der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Leistungen, Rechnung getragen wird.

Es ist auch notwendig, bei der Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses und des wirtschaftlich güns-
tigsten Angebots alle Dimensionen von Qualität zu berücksichtigen und sich dabei nicht nur auf die Ergebnis-
qualität bspw. durch Berücksichtigung von Integrations- oder Abbruchquoten zu beschränken. Die Fixierung
allein auf Ergebnisquoten kann entweder ein „Creaming“, d. h. eine Bestenauslese bei der Teilnahmeauswahl
zur Folge haben oder aber die im Integrationsprozess wichtige Erreichung von Zwischenzielen bei der Verbes-
serung von Arbeits- oder Ausbildungsfähigkeit wird bei der Erfolgsbemessung von Maßnahmen ausgeblendet.

Zudem wurde im Governancebericht zum SGB II die Praxis kritisiert, Maßnahmen „voll zu machen“, auch
wenn diese Maßnahmen für die zugewiesenen Teilnehmer nicht als passgenau eingestuft werden (vgl. BMAS,
Forschungsbericht 437, S.79). Darüber hinaus sind bei der Beschränkung auf Integrations- oder Abbruchquoten
auch „Creaming-Effekte“ zu beobachten, d. h. gerade die Arbeitslosen, die einer Förderung besonders bedür-
fen, gehen leer aus. Dies bestätigen auch die unterdurchschnittlichen Aktivierungsquoten von SGB-II-Bezie-
hern, Arbeitslosen über 55 Jahren und Langzeitarbeitslosen (vgl. Antwort des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales vom 10.03.2015 auf die Schriftliche Frage mit der Arbeitsnummer 220).

Um die Qualität von Maßnahmen besser zu gewährleisten, muss daher zukünftig neben der Ergebnisqualität
auch die Strukturqualität (z. B. Ausstattung des Bieters, Angebotsbreite der Organisation, Qualifikation und
Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrages betrauten Personals) und die Prozessqualität (u. a. Organisa-
tion des Ausbildungsablaufs, Einbindung der Anbieter in die Strukturen der örtlichen Hilfeangebote, Gesamt-
konzept) bei der Zuschlagsbewertung herangezogen werden. Auch der Betreuungsschlüssel und die tarifliche
Entlohnung müssen zentral berücksichtigt werden, da der Erfolg von Maßnahmen maßgeblich davon abhängt,
dass die Menschen qualifiziert betreut werden. Bei der Operationalisierung dieser Kriterien kann an die öster-
reichischen Erfahrungen angeknüpft werden. Dort werden bspw. über Vorgaben Kriterien zur Messung des
Maßnahmeerfolgs vorgegeben, die je nach Maßnahmeart und -ziel differieren können. Die Maßnahmen werden
außerdem durch regionale Kursbetreuungen und -kontrollen begleitet, die für die Qualitätssicherung bei der
Durchführung zuständig sind. Möglich ist auch die Setzung von Mindestbedingungen bei den Personalstan-
dards der Bieter.

Der Tendenz von Monopolisierung muss entgegengesteuert werden. Damit den Bedarfen der Arbeitsuchenden

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besser Rechnung getragen wird und die Besonderheiten der lokalen Arbeitsmärkte mehr zum Tragen kommen,
muss das Vergabeverfahren stärker dezentralisiert werden. Dies kann in einem ersten Schritt durch die Erstel-
lung der Leistungsbeschreibungen durch die örtlichen Arbeitsagenturen und Jobcenter erreicht werden. Auch
das Verfahren selbst muss präzisiert, verbindlich und transparent gestaltet werden, etwa im Umgang mit auf-
fällig niedrigen Angeboten und bei Verstößen gegen das Umwelt-, Arbeits- und Sozialrecht. Hierzu gehört
auch der Verweis auf die nach dem Tarifvertragsgesetz für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge als
explizite Voraussetzung für die Ausführung von öffentlichen Aufträgen, um illegales Lohndumping zu verhin-
dern.

Das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz gilt ab einem Schwellenwert ab 750.000 Euro. Es ist konsequent und
notwendig, ein differenziertes Sozialvergaberecht für soziale Dienstleistungen auch für den Unterschwellen-
bereich festzuschreiben und damit sicherzustellen, dass gleiche Regelungen für die Vergabe von sozialen
Dienstleistungen unterhalb und oberhalb des Schwellenwertes gelten.

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