BT-Drucksache 18/6964

Insolvenzfolgen in der Lebensversicherung und Anlegerschutz bei Zertifikaten und Investmentvermögen

Vom 2. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6964
18. Wahlperiode 02.12.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Nicole Maisch, Dr. Thomas Gambke,
Britta Haßelmann, Lisa Paus, Beate Müller-Gemmeke und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Insolvenzfolgen in der Lebensversicherung und Anlegerschutz bei Zertifikaten
und Investmentvermögen

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Können die Ansprüche von Lebensversicherungskunden nach Übertragung
des Versicherungsbestandes auf den Sicherungsfonds gemäß § 125 Absatz 2
des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) um mehr als 5 Prozent gekürzt
werden, wenn diese Maßnahme nicht ausreicht, um die Fortführung der Ver-
träge zu gewährleisten und auch die freiwillige Selbstverpflichtung der Ver-
sicherungsunternehmen, Mittel von bis zu 1 Prozent der versicherungstech-
nischen Netto-Rückstellungen der Mitglieder bereitzustellen, nicht ausreicht
oder nicht durchsetzbar ist?

2. In welchem Verhältnis stehen § 89 Absatz 2 und § 125 Absatz 2, 5 VAG?

3. Sieht die Bundesregierung einen gesetzlichen Klarstellungsbedarf, mit wel-
cher (maximalen) Kürzung ihrer Ansprüche Lebensversicherungskunden im
Fall des § 125 Absatz 5 VAG zu rechnen haben, wenn die Herabsetzung um
5 Prozent nicht ausreicht?

4. Welche gesetzlichen Pflichten haben Lebensversicherungen, ihre Kunden
vor Vertragsschluss über die Möglichkeit der Kürzung von Ansprüchen zu
informieren, und wie sieht die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht (BaFin) festgestellte Praxis der Lebensversicherungen aus?

5. Welche gesetzlichen Folgen hat die Zahlungsunfähigkeit eines Anbieters von
Altersvorsorgeverträgen auf die Ansprüche der Kunden bei den unterschied-
lichen Altersvorsorgeverträgen nach § 1 des Altersvorsorgeverträge-Zertifi-
zierungsgesetzes (AltZertG)?

6. Sollten sich nach Ansicht der Bundesregierung die unterschiedlichen Insol-
venzfolgen bei geförderten Altersvorsorgeverträgen auf die staatliche Förde-
rung auswirken?

7. Welchen Schutz haben Verbraucherinnen und Verbraucher bei den ihnen in
Deutschland durch Finanzintermediäre (u. a. Kreditinstitute, Wertpapier-
dienstleistungsinstitute, Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaften, Pen-
sionskassen, Pensionsfonds) direkt oder indirekt angebotenen Geldanlage-
und Altersvorsorgeprodukten in der Insolvenz des Finanzintermediärs (bitte
nach der jeweiligen Produktgruppe aufschlüsseln)?

Wie unterscheidet sich bei den einzelnen Produktgruppen die Absicherung
der Verbraucherinnen und Verbraucher im Insolvenzfall?

Drucksache 18/6964 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
8. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung ein anderes von Finanzinterme-
diären direkt oder indirekt Verbraucherinnen und Verbrauchern angebotenes
Geldanlage- oder Altersvorsorgeprodukt neben Zertifikaten, bei dem im Fall
der Insolvenz des Finanzintermediärs ein Totalverlust droht?

9. Wie hoch ist das Open Interest der in Deutschland emittierten Zertifikate ins-
besondere auch unter Einschluss der nicht mindestens an einer deutschen
Börse gelisteten Zertifikate?

10. Fallen nach Auffassung der Bundesregierung, der BaFin oder der Europäi-
schen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA)

a) Zertifikate, insbesondere in Form von Inhaberschuldverschreibungen und

b) Bonitätsanleihen unter Anhang I Abschnitt C Nummer 4 bis 10 der Richt-
linie 2014/65/EU (MiFID-2-RL)?

Wenn nein, warum nicht ?

Wenn die ESMA noch keine Festlegung getroffen hat, wie ist die Position
der Bundesregierung?

11. Fallen den deutschen Zertifikaten ähnliche oder vergleichbare Derivatestruk-
turen in anderen Mitgliedstaaten der EU, die auch an Kleinanleger vertrieben
werden, unter Anhang I Abschnitt C Nummer 4 bis 10 der MiFID-2-RL?

12. Wenn Zertifikate unter Anhang I Abschnitt C Nummer 4 bis 10 der
MiFID-2-RL fallen würden, bestünde dann eine Clearingpflicht über zentrale
Kontrahenten nach der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (EMIR-VO)?

13. Hat aus Sicht der Bundesregierung der Schutz der Verbraucherinnen und
Verbraucher vor dem Emittentenrisiko eines Zertifikateemittenten einen ge-
ringeren Stellenwert als der zur Wahrung der Finanzstabilität geschaffene
Schutz von finanziellen Gegenparteien und großen Unternehmen vor dem
Bonitätsrisiko des Vertragspartners eines Derivategeschäfts?

14. Wie kann aus Sicht der Bundesregierung ein vergleichbares Schutzniveau für
Kleinanleger vor dem Insolvenzrisiko des Zertifikateemittenten, z. B. bei
Bonitätsanleihen, geschaffen werden, wie es nach der EMIR-VO für finan-
zielle Gegenparteien bei OTC-Derivaten (OTC – over the counter), z. B. bei
CDS-Derivaten, gewährt wird?

15. Welche Erwägungen rechtfertigen aus Sicht der Bundesregierung, dass an-
ders als bei Einlagen und Investmentvermögen seit der Finanzkrise bei Zer-
tifikaten keine Verbesserung der Stellung der Verbraucher im Fall der Insol-
venz des Finanzintermediärs erfolgt ist?

Wie ist dies insbesondere damit vereinbar, dass eine der spürbarsten negati-
ven Auswirkungen der Finanzkrise für Verbraucherinnen und Verbraucher
im Segment der Zertifikate mit der Insolvenz der Lehman Brothers Bankhaus
AG bzw. einer Tochterfirma des amerikanischen Lehman-Brothers-Kon-
zerns in den Niederlanden aufgetreten ist?

16. Wäre der für Anleger von Lehman-Zertifikaten eingetretene Schaden auch
eingetreten, wenn ein Clearing der Lehman-Zertifikate über einen zentralen
Kontrahenten erfolgt wäre oder Lehman-Zertifikate mit Sicherheiten besi-
chert gewesen wären?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6964
17. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. der BaFin die Kos-
ten

a) bei einem Clearing von Zertifikaten beim Verkauf an einen Verbraucher
über einen zentralen Kontrahenten,

b) einer Besicherung des Zertifikates durch Sicherheiten wie z. B. im COSI-
und ETP-Segment (COSI – ständiger Ausschuss für operative Zusam-
menarbeit im Bereich der inneren Sicherheit; ETP – Exchange Traded
Funds) der Schweizer Börse in Prozent des Anlagewertes pro Jahr?

18. Sind aus Sicht der Bundesregierung sog. Bonitätsanleihen, wie z. B. DZ-
BANK-First-to-default-Credit-Linked-Note- und Commerzbank-Colibri-
Plus-Anleihen, bei denen die Rückzahlung und Kuponzahlung von der Kre-
ditwürdigkeit von bis zu fünf Referenzunternehmen derart abhängen, dass
bereits das Kreditereignis bei einem Referenzunternehmen zum Totalverlust
bzw. zur Andienung einer Schuldverschreibung dieses insolventen Unter-
nehmens führen kann, für Verbraucher geeignet?

19. In welchem Umfang (Emissionsvolumen, Open Interest) waren im Jahr 2008
Anleger derartiger Anleihen, bei denen ein Referenzschuldner ein Unterneh-
men des Lehman-Brother-Konzerns war (z. B. DZ-Bank-Cobold-Anleihen),
von der Insolvenz des Lehman-Brother-Konzerns betroffen?

20. Plant die Bundesregierung die Möglichkeit, das für Verbraucher durch die
OGAW-Regulierung (Richtlinie 2009/65/EG; OGAW – gemeinsame Anla-
gen in Wertpapieren) geschaffene Schutzniveau für Verbraucher durch Zer-
tifikate-Strukturen (u. a. Index-Tracker, Basket-Zertifikate) zu umgehen,
einzuschränken?

Wenn nein, warum nicht?

21. Welche Regelungen zum Schutz der Anlegerinnen und Anleger bezüglich
des Angebotes und Vertriebes von Zertifikaten wurden seit 2008 geschaffen,
insbesondere bezüglich

a) Emittentenrisiko,

b) Produkttransparenz,

c) Geeignetheit für Kleinanleger,

d) Kosten und Kostentransparenz,

e) Handel und Handelstransparenz?

22. Bei welchen der in Frage 21 erfragten Regelungen besteht ein höheres
Schutzniveau als bei Investmentvermögen?

23. Welche Sachverhalte hat die BaFin auf das Ergreifen einer Maßnahme nach
§ 4b des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) bisher mit welchem Ergebnis
untersucht?

24. Welche Maßnahmen hat die BaFin nach § 4b WpHG bisher ergriffen?

25. Welche internen Verwaltungsvorschriften hat die BaFin zu § 4b WpHG er-
lassen?

26. Hat die BaFin bei derzeit am Markt beobachtbaren Zertifikatestrukturen
(u. a. bei Bonitätsanleihen, wie in Frage 18 dargestellt) erhebliche Bedenken
für den Anlegerschutz?

Wenn ja, welche und warum?

Wenn nein, warum nicht?

27. Kann die BaFin aufgrund von § 4b WpHG das Angebot und den Vertrieb
von Zertifikaten verbieten?

Drucksache 18/6964 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
28. Welches Gesamt-Anlagevolumen verwalten AIF-Kapitalverwaltungsgesell-
schaften (AIF – alternative Investmentfonds), die

a) unter § 2 Absatz 4b des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB),

b) unter § 2 Absatz 5 KAGB

fallen und

c) welche Überschneidungen beim Gesamt-Anlagevolumen bestehen bei
den unter a und b fallenden AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften?

29. Welches Leverage war nach § 263 Absatz 1 KAGB in der vom 22. Juli 2013
bis zum 18. Juli 2014 geltenden Fassung möglich (bitte an Hand des Bei-
spiels der Begründung zum Änderungsbefehl zu Artikel 1 Nummer 65 des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie
2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014
zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame
Anlagen in Wertpapieren – OGAW – im Hinblick auf die Aufgaben der Ver-
wahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen –OGAW-V-Umsetzungs-
gesetz –; Bundestagsdrucksache 18/6744 erklären)?

Gibt es hierzu mehrere Auslegungsvarianten?

Wenn ja, welche?

30. Gibt es inländische Spezial- oder Publikums-AIF, die so strukturiert sind (ge-
gebenenfalls auch in Ausgestaltung von Nachschusspflichten), dass noch
nicht eingefordertes, aber zugesagtes Kapital über einen längeren Zeitraum
nicht eingefordert wird, und wenn ja, wie hoch ist das betroffene Anlagevo-
lumen?

31. Welches Leverage wäre bei den in Frage 30 erfragten inländischen Publi-
kums-AIF – bezogen auf das eingebrachte Kapital – nach der im OGAW-V-
Umsetzungsgesetz enthaltenen Neuregelung von § 263 Absatz 1 KAGB ma-
ximal möglich?

32. Welches Leverage wäre bei der Kreditvergabe nach § 285 Absatz 2 KAGB-E
bei den in Frage 30 erfragten geschlossenen Spezial-AIF – bezogen auf das
eingebrachte Kapital – möglich?

33. Sind die Banken nach Auffassung der Bundesregierung vor dem Hintergrund
der Presseberichte, wonach Kapitalanlagegesellschaften aus den verwalteten
Investmentvermögen u. a. Bestandsprovisionen an (Direkt-)Banken zahlen,
die Depots für Kunden verwalten, in denen entsprechende Anteile an einem
Investmentvermögen enthalten sind (Finanztest 5/2015, S. 30 f.), verpflich-
tet, diese Provisionen gemäß § 675 Absatz 1, § 667 des Bürgerlichen Gesetz-
buches (BGB) an die Kunden herauszugeben?

34. Ist die in Frage 33 beschriebene Praxis der Kapitalanlagegesellschaften mit
den von der BaFin nach den §§ 163,162 KAGB genehmigten Anlagebedin-
gungen vereinbar?

35. Welchen gesetzlichen Anforderungen müssen Anlagebedingungen entspre-
chen, damit sie von der BaFin gemäß § 163 KAGB genehmigt werden kön-
nen?

Gehört zu den gesetzlichen Anforderungen auch § 305 BGB?

Wenn ja, warum sind Anlegebedingungen, die Zahlungen an Dritte enthal-
ten, die weder Vergütung noch Aufwendungsersatz sind, nicht überraschend
im Sinne von § 305c BGB, so dass eine Genehmigung derartiger Anlagebe-
dingungen nicht erfolgen dürfte?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6964
36. Stellt die eben dargestellte Praxis der Kapitalanlagegesellschaften und der
Depotbanken einen Missstand im Sinne von § 4 Absatz 1 a des Finanzdienst-
leistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) dar?

Berlin, den 2. Dezember 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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