BT-Drucksache 18/6772

Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Fluchtkrise in Drittstaaten verbessern

Vom 24. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6772
18. Wahlperiode 24.11.2015

Antrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Claudia Roth (Augsburg), Omid
Nouripour, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise
Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias
Lindner, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin, Doris Wagner,
Kai Gehring und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Fluchtkrise
in Drittstaaten verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest,

die aktuellen Herausforderungen durch Flucht und Vertreibung erfordern neue An-
sätze und verstärkte Kooperation zwischen Gebern, Aufnahmeländern, humanitären
und Entwicklungsorganisationen sowie der Zivilgesellschaft und nicht zuletzt den
Betroffenen selbst. Nach wie vor gelingt es Hilfsorganisationen kaum, die Grund-
versorgung der Flüchtenden zu gewährleisten. In den Nachbarländern der Konflikt-
herde sind Infrastrukturen und Aufnahmekapazitäten überstrapaziert. Während der
Bedarf für humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge selbst kontinuierlich steigt, werden
vielerorts längerfristige Strukturanpassungsmaßnahmen immer bedeutsamer, um die
Resilienz der aufnehmenden Länder und Gemeinden zu stärken und damit auch den
ankommenden Flüchtlingen bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen. Dabei
müssen auch menschenrechtliche Aspekte berücksichtigt werden, insbesondere was
die rechtliche Stellung und Absicherung der Flüchtlinge angeht.

Die internationalen Geber müssen daher ihre Anstrengungen zur Unterstützung der
Länder, die die Großzahl der Flüchtlinge weltweit aufnehmen, intensivieren. Insbe-
sondere die frühzeitige Verzahnung von humanitären mit längerfristigen strukturbil-
denden Maßnahmen ist für die Aufnahmeländer wesentlich. Dies spiegelt sich auch
in nationalen bzw. regionalen Planungsprozessen wider, wie z. B. dem Jordan
Response Plan oder dem Lebanon Crisis Response Plan, mit denen Maßnahmen, die
der lokalen Bevölkerung zugutekommen, mit Maßnahmen für die ankommenden
Flüchtlinge verknüpft werden.

Der Kabinettsbeschluss vom 7. Oktober 2015 hat festgelegt, dass die Ressortverant-
wortung im Lenkungsausschuss „Bewältigung der Flüchtlingslage“ im Bereich „In-
ternationale Migrations- und Fluchtursachen“ zwischen dem Auswärtigen Amt (AA)
und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) geteilt wird. Das AA ist demnach zuständig für die Bereiche Stabilisierung,
Zivile Krisenprävention und Humanitäre Hilfe, während das BMZ für Übergangs-
hilfe und Entwicklungszusammenarbeit verantwortlich zeichnet. Der Deutsche Bun-

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destag begrüßt, dass, wenn auch viel zu spät, damit endlich eine zentrale und ress-
ortübergreifende Koordinierung der Herausforderungen versucht wird. In der Ver-
gangenheit hat die Koordinierung zwischen den verschiedenen Politikfeldern in gro-
ßen Teilen versagt. Besonders deutlich wird das in der aktuellen Krise, insbesondere
beim Übergang zwischen Humanitärer Hilfe, Übergangshilfe und Entwicklungszu-
sammenarbeit.

Beim Übergang von Sofort- und Nothilfe zu langfristiger Entwicklungszusammen-
arbeit, der eigentlich durch die Übergangshilfe geschehen soll, kommt es immer wie-
der zu Koordinierungsproblemen, da die Instrumente in der Praxis nur schwer vor-
einander zu trennen sind und sinnvollerweise teils gleichzeitig anlaufen müssen. Da-
bei wird von einem Kontiguum (Nachbarschaft) statt einem Kontinuum der verschie-
denen Instrumente ausgegangen, die jedoch unterschiedlichen Prinzipien und Logi-
ken folgen. Dies wird deutlich etwa bei den derzeit entstehenden „neuen Städten“,
Flüchtlingslager, die bereits wie auf Dauer angelegte Städte konzipiert werden müss-
ten. Flüchtlingslager wie Zaatari in Jordanien mit fast hunderttausend Einwohnern
werden viele Jahrzehnte bestehen bleiben und brauchen bereits von Anfang an eine
sehr langfristige Planung und Abstimmung der Vielzahl vor Ort engagierter bi- und
multilateraler Geber sowie der Institutionen der Partnerländer. Bereits in der Phase
der unmittelbaren Nothilfe müssen langfristige Planungen etwa für Infrastrukturen
wie Schulen, Drainagesysteme oder Verkehrssysteme mit den humanitären Maßnah-
men verschränkt werden.

Beim Übergang von Sofort- über Nothilfe zu Übergangshilfe und Entwicklungszu-
sammenarbeit hat es in der Vergangenheit immer wieder gehakt. So kam die Ge-
meinschaftsevaluierung von BMZ und AA „Die deutsche humanitäre Hilfe im Aus-
land“ von 2011 zu dem Ergebnis, dass ein „Anschluss der Soforthilfe an die Über-
gangshilfe und der Übergangshilfe an die EZ bisher nur unzureichend“ funktioniert.
Auch der DAC Peer Review von 2010 kam zu dem Schluss, dass Probleme beim
Schnittstellenmanagement mit Ressortstreitigkeiten statt einem konzertierten „Zie-
hen an einem Strang“ fortbestehen würden. Infolge der in 2012 in Kraft gesetzten
Vereinbarung über die Aufgabenteilung wurde die Abgrenzung zwar klarer gezogen
und führte das AA für sein Ressort ein Konzept für die Humanitäre Hilfe ein. Ein
ressortübergreifendes Konzept mit einem Whole-of-Government-Ansatz liegt je-
doch bis heute nicht vor. Dementsprechend warnte der Dachverband der entwick-
lungspolitischen Nichtregierungsorganisationen Venro davor, dass durch Neustruk-
turierung der Instrumente die bisherige Schnittstellenproblematik lediglich verscho-
ben werde. Dies bestätigt nun auch der „DAC-Prüfbericht über die Entwicklungszu-
sammenarbeit: Deutschland 2015“ der OECD, der die Bundesregierung für man-
gelnde Klarheit bei der Übergangsphase kritisiert, insbesondere, da „die Instrumente
und Partnerschaften, auf denen sie basiert, nicht eindeutig dargelegt werden“ (S. 87).
Zusammenfassend heißt es im Bericht: „Die fehlende Klarheit im Hinblick auf die
Übergangsstrategie des BMZ schränkt Deutschlands Möglichkeiten ein, ganzheitli-
che Reaktionen auf anhaltende Krisen und Übergangssituationen systematisch zu
unterstützen“ (S. 87). Es wird deutlich, dass, so lange die beiden Häuser jeweils für
ihre Instrumente eigene Strategien vorlegen, ein reibungsloser Übergang nicht gege-
ben sein kann.

Die Bundesregierung muss hier mit gutem Beispiel vorangehen und zumindest die
regierungsinterne Abstimmung deutlich besser als bisher koordinieren. Dazu gehört
auch ein von der jeweiligen deutschen Auslandsvertretung vor Ort koordinierter ko-
härenter Auftritt der Bundesregierung gegenüber den Partnerländern und den ande-
ren Gebern. Alle Angehörigen einer deutschen Auslandsvertretung müssen als Ver-
treter der Bundesregierung und nicht etwa eines einzelnen Ressorts auftreten. Einem
kohärenten Auftritt ebenso nicht dienlich ist die Tatsache, dass mit zahlreichen Part-
nerländern entwicklungspolitische Regierungsverhandlungen geführt werden, die le-

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diglich die aus dem BMZ-Haushalt stammenden Mittel betreffen, ohne dass die Mit-
tel und Maßnahmen anderer Häuser wie des BMWi, des BMELV oder des BMUB
mit einbezogen werden. Auch werden die Botschaften immer wieder nicht von Ak-
tivitäten anderer Ministerien in den Ländern informiert. Mit einem solchen Ansatz
wird die Inkohärenz des Handelns der Bundesregierung auch nach außen sichtbar
und beeinträchtigt Effektivität und Effizienz des Einsatzes deutscher Mittel.

Der Deutsche Bundestag sieht aufgrund der aktuellen Krisensituation sowie des da-
mit verbundenen stark gestiegenen Mittelbedarfs und des Anstiegs der Mittel in den
Einzelplänen des AA und des BMZ die dringende Notwendigkeit die Abstimmung
zwischen den Ressorts und durch eine kohärente Vergabe zu verbessern. Auf diese
Weise wird nicht nur die Verständigung auf gemeinsam für relevant erachtete Pro-
jekte vorangetrieben, sondern es kann sich auch von vornherein auf ein sinnhaftes
Ineinandergreifen des Engagements der verschiedenen Ministerien verständigt wer-
den.

Um die Abstimmungsschwierigkeiten von AA und BMZ in der Unterstützung von
Staaten bei der Bewältigung der Versorgung von Flüchtlingen zu beheben, die Zu-
sammenarbeit beider Bundesministerien zu stärken sowie um die starken Mittelauf-
wüchse besser zu koordinieren, fordert der Deutsche Bundestag mit dem Haushalt
2016 die Einrichtung eine Task Force zwischen beiden Bundesministerien zur Un-
terstützung von Drittstaaten bei der humanitären Bewältigung der Fluchtkrise einzu-
richten. Dieses Gremium soll die Maßnahmen der Bundesregierung an der Schnitt-
stelle von humanitärer Hilfe, Übergangshilfe und langfristigen Maßnahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit besser koordinieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

− aufgrund des enormen Anstiegs von humanitären Flüchtlingskrisen überall auf
der Welt die Abstimmung zwischen dem BMZ und dem AA bei der Unterstüt-
zung von Drittstaaten bei der humanitären Bewältigung der Fluchtkrise zu stär-
ken und alle bestehenden Instrumente, insbesondere bei der Zusammenarbeit im
Bereich des Übergangs von der humanitären Hilfe zur langfristigen Entwick-
lungszusammenarbeit besser aufeinander abzustimmen;

− auf Regierungsebene eine Task Force von AA und BMZ zur Unterstützung von
Drittstaaten bei der humanitären Bewältigung der Fluchtkrise einzurichten und
diese mit entsprechenden Mitteln auszustatten;

− einen ganzheitlichen Ansatz der deutschen humanitären Hilfe zu gewährleisten
und dementsprechend ein ressortübergreifendes und umfassendes Konzept für
die humanitären Instrumente vorzulegen;

− dabei sicherzustellen, dass das BMZ transparenter darstellt, wie die Mittel für die
Übergangshilfe und die Sonderinitiativen genau eingesetzt werden;

− dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel, die für die Bewältigung der Flüchtlings-
krise in Drittstaaten bereitgestellt werden, vorhersehbarer, besser planbar und
leichter zugänglich werden;

− bessere Abstimmung innerhalb der betroffenen Botschaften vor Ort sicherzustel-
len, so dass alle Angehörigen einer deutschen Auslandsvertretung als Vertreter
der Bundesregierung und nicht eines einzelnen Ressorts auftreten.

Berlin, den 23. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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