BT-Drucksache 18/6497

Steigende Zahl der Erwerbspersonen und Anforderungen an das Wirtschaftswachstum und die Wirtschaftspolitik

Vom 21. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6497
18. Wahlperiode 21.10.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau),

Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Thomas Lutze, Richard Pitterle,

Michael Schlecht, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Harald Weinberg und

der Fraktion DIE LINKE.

Steigende Zahl der Erwerbspersonen und Anforderungen an das
Wirtschaftswachstum und die Wirtschaftspolitik

Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat zuletzt gemeldet,
dass sich das Arbeitsvolumen – die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden – nur
„moderat“ entwickelt. Saison- und kalenderbereinigt ist die Arbeitszeit pro Kopf
der Erwerbstätigen zuletzt im zweiten Quartal 2015 gegenüber dem Vorquartal
sogar leicht gesunken (vgl. IAB, Arbeitsvolumen entwickelt sich moderat, Pres-
seinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 8. Sep-
tember 2015). Zwar hat das Arbeitsvolumen zwischen den Jahren 2005 und 2014
zugelegt, es liegt aber nur leicht über dem Niveau des Jahres 2000 und weit unter
dem Niveau des Jahres 1991, dem Ausgangsjahr der vom IAB ausgewiesenen
Statistik. Der Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen, auf den die Bundesregierung
regelmäßig verweist, ist folglich zu einem wesentlichen Teil lediglich der Um-
verteilung von Arbeit geschuldet. Diese ging mit einem starken Anstieg prekärer
Beschäftigungsverhältnisse einher. Ausschlaggebend für die Veränderung des
Arbeitsvolumens ist vor wie auch nach den Veränderungen der Arbeitsmarkt-Ge-
setzgebung (Agenda 2010) nachweislich das Wirtschaftswachstum: Die Zu-
wachsraten des Arbeitsvolumens folgen über den gesamten Beobachtungszeit-
raum der Jahre 1991 bis 2014 exakt den Zuwachsraten des realen Bruttoinlands-
produkts. So verhält es sich auch mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt insge-
samt: Die Zahl der Arbeitslosen und die Arbeitslosenquote steigen und fallen mit
der Konjunktur bzw. dem Wirtschaftswachstum.

Seit dem Jahr 2012 ist die Arbeitslosenquote nicht nennenswert gesunken. Die
Arbeitslosenquote bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen betrug im
Jahr 2012 6,8 Prozent, im Jahr 2013 6,9 Prozent und im Jahr 2014 6,7 Prozent;
im Jahr 2015 verharrt die saisonbereinigte Arbeitslosenquote seit April bei
6,4 Prozent (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt
in Deutschland – Monatsbericht September 2015, Seite 55). Das heißt, das Wirt-
schaftswachstum war nicht angemessen, um die Arbeitslosigkeit spürbar zu sen-
ken. Damit ist Deutschland weit entfernt von dem Wert, der allgemein als Voll-
beschäftigung angesehen wird. Das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrats
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), Claus Köhler,
sieht Vollbeschäftigung bei einer Arbeitslosenquote von 3 Prozent als gegeben an
(vgl. Claus Köhler, Wirtschaftspolitische Ziele in der globalen Welt, Berlin, 2013,
S. 27). Der SVR bemerkt in seinem Jahresgutachten 2012/2013, dass bei einer
Arbeitslosenquote von 6,8 Prozent „von Vollbeschäftigung noch keine Rede
sein“ könne. Der SVR sieht Vollbeschäftigung bei einem Wert von „rund 4 vH“

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als gegeben an (vgl. Jahresgutachten 2011/2012, Seite 268). In seinem aktuellen
Jahresgutachten 2014/2015 erwartet der Sachverständigenrat eine Arbeitslosen-
quote von 6,7 Prozent und damit keine Veränderung zum Vorjahr.

„Die Bundesregierung möchte Flüchtlinge durch beschleunigte Verfahren schnell
in den Arbeitsmarkt integrieren“ (vgl. Die Bundesregierung, Flucht und Asyl: Die
Woche im Überblick, Flüchtlinge auf Arbeitsmarkt vorbereiten, Artikel vom
18. September 2015 auf www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/09/
2015-09-18-fluechtlinge-kw38.html).

Mit der Zahl der Flüchtlinge steigt die Zahl der zivilen Erwerbspersonen, sollten
diese in den Arbeitsmarkt integriert werden (Erwerbstätige plus Erwerbslose).
Mit der steigenden Zahl der Erwerbspersonen steigt das Produktionspotenzial
(Erwerbspersonen multipliziert mit der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen).
Um die Arbeitslosigkeit zu senken, muss das Wirtschaftswachstum – die reale
Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts (Erwerbstätige multipliziert mit der Ar-
beitsproduktivität je Erwerbstätigen) – stärker steigen, als das Produktionspoten-
zial (vgl. Claus Köhler, Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik, Berlin
2004, S. 27 f.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Von welcher Entwicklung der Zahl der Erwerbspersonen geht die Bundesre-
gierung unter Berücksichtigung der Zahl der Flüchtlinge im Jahr 2015 und
in den kommenden Jahren aus?

2. Von welcher Entwicklung der Zahl der Erwerbslosen geht die Bundesregie-
rung unter Berücksichtigung der Zahl der Flüchtlinge im Jahr 2015 und in
den kommenden Jahren aus?

3. Welche Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts sieht die Bundesre-
gierung als notwendig an, um die vermutlich steigende Zahl der Erwerbslo-
sen in den Arbeitsmarkt integrieren zu können?

4. Welche Lohnentwicklung liegt der mit Frage 3 erfragten notwendigen Zu-
wachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts zugrunde?

5. Welche Arbeitslosenquote strebt die Bundesregierung unter den in den Fra-
gen 1 bis 3 erfragten Voraussetzungen im Jahr 2015 und in den kommenden
Jahren an?

6. Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen zieht die Bundesregierung kon-
kret in Betracht, um eine entsprechende Zuwachsrate des realen Bruttoin-
landsprodukts zu erreichen?

7. In welchem Umfang tragen die Maßnahmen für Flüchtlinge nach Einschät-
zung der Bundesregierung zum Wirtschaftswachstum im Jahr 2015 und in
den folgenden Jahren bei?

Berlin, den 21. Oktober 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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