BT-Drucksache 18/6364

Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge - Doppelverbeitragung vermeiden

Vom 14. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6364

18. Wahlperiode 14.10.2015

Antrag

der Abgeordneten Harald Weinberg, Matthias W. Birkwald, Sabine

Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann,

Azize Tank, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann

und der Fraktion DIE LINKE.

Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und

Versorgungsbezüge – Doppelverbeitragung vermeiden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit den durch die rot-grüne Bundesregierung seit der Jahrtausendwende eingeleite-
ten Reformen wurde ein fundamentaler Kurswechsel in der Alterssicherungspolitik
vollzogen. Ziel der Reformen war nicht mehr, den erarbeiteten Lebensstandard im
Alter durch die gesetzliche Rentenversicherung sicherzustellen, sondern den Anstieg
des Beitragssatzes bis zum Jahr 2030 auf höchstens 22 Prozent zu begrenzen. Als
unmittelbare Folge dieser Entscheidung sinkt seitdem das Rentenniveau kontinuier-
lich. Um den Rückgang des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung
annährend kompensieren zu können, besteht die Notwendigkeit der zusätzlichen pri-
vaten und betrieblichen Vorsorge. Diese subventioniert der Staat über Zulagen und
Steuervergünstigungen jährlich mit Milliardenbeträgen.

Dabei hat sich jedoch gezeigt, dass die Ausweitung der betrieblichen Altersversor-
gung durch die Entgeltumwandlung über Direktversicherungen und andere Durch-
führungswege ein schlechtes Geschäft für die Versicherten war und ist. Aufgrund
der hohen Kostenbelastung u. a. durch Abschluss- und Bestandsprovisionen sind die
Altersvorsorgeprodukte nicht nur ineffizient und intransparent, auch die erhofften
Erträge bleiben aus. Hinzu kommen die Risiken der Kapitalmärkte und die anhal-
tende Niedrigzinsphase. Die Entgeltumwandlung führt außerdem dazu, dass die Ein-
nahmebasis der gesetzlichen Rentenversicherung geschmälert wird und somit die
späteren Rentenansprüche für alle Versicherten niedriger ausfallen werden. Für die
betriebliche Altersvorsorge schätzt die Bundesregierung die Beitragsausfälle in der
gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2015 auf etwa drei Milliarden Euro jähr-
lich (Bundestagsdrucksache 18/4557, Antwort zu Frage 1). Hinzu kommen beträcht-
liche Steuerausfälle.

Zugleich wurde das Vertrauen der Versicherten in die betriebliche Altersversorgung
weiter beschädigt. Denn seit dem 1. Januar 2004 unterliegen die aus einer Direktver-
sicherung als Kapitallebensversicherung erbrachten Versorgungsbezüge wie alle
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung der vollen Beitragspflicht zur gesetz-
lichen Krankenversicherung (§ 248 SGB V), die von den Rentnerinnen und Rentnern

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alleine zu tragen ist (§ 250 Abs. 1 SGB V). Die oftmals in Zeiten historisch niedriger
Zinsen schon mageren Renditen werden dadurch zusätzlich geschmälert oder gar
völlig aufgezehrt (vgl. „Schlechter als der Sparstrumpf“ Süddeutsche Zeitung vom
25.3.2014).

Diese Gesetzesänderung erfolgte im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes
(GMG), das gemeinsam von den Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN in den Bundestag eingebracht und verabschiedet worden war. Die
Neuregelung des § 229 GB beendete eine bis dahin bestehende Möglichkeit, Kran-
kenversicherungsbeiträge auf die Versicherungsleistungen zu umgehen, indem die
Vertragsgestaltung ein Kapitalwahlrecht vorsah. Die Ungerechtigkeit, dass auf re-
gelmäßige Zahlungen aus Lebens- und Rentenversicherungen (z. B. Leibrenten),
nicht aber auf die einmalige Auszahlung einer Kapitalabfindung Beiträge zur Kran-
kenversicherung erhoben wurden, wurde mit dem GMG beseitigt. Die Neuregelung
führt seit 2004 aber bei vielen Versicherten dazu, dass eine vom Unternehmen zu
ihren Gunsten etwa in Form einer Kapitallebensversicherung abgeschlossene Direkt-
versicherung und die daraus resultierenden Vorsorgebezüge im Versicherungsfall
auch dann zu verbeitragen sind, wenn die erbrachten Versicherungsbeiträge zuvor
bereits Krankenversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Im Ergebnis ist fest-
zustellen, dass Millionen von Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsneh-
mern doppelte Krankenversicherungsbeiträge auf ihre Lebens- oder Rentenversiche-
rung zahlen müssen, und zwar auch dann, wenn der Vertrag über die Betriebsrente
bereits vor Inkrafttreten des GMG am 1. Januar 2004 abgeschlossen worden war.

Vollkommen zu Recht fühlen sich die Betroffenen vom Gesetzgeber betrogen. Für
sie ist die Doppelverbeitragung nichts anderes als eine „kalte Enteignung“ durch ei-
nen ungerechtfertigten Eingriff in ihre finanzielle Lebensplanung zu Lasten der von
ihrem Gehalt abgeführten Altersvorsorge. Denn nicht selten haben sie durch die an
die Krankenkasse abzuführenden Beiträge ein Verlustgeschäft gemacht, da die Ka-
pitalabfindung so nicht einmal mehr den eingezahlten Versicherungsbeiträgen ent-
spricht (vgl. „Betriebliche Altersvorsorge. Wie Rentner vom Staat abkassiert wer-
den“, „Plusminus“-Sendung vom 25.03.2015).

Das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge
ist gescheitert (vgl. z. B.: „Die Illusion von der Lebensstandardsicherung. Eine Ana-
lyse der Leistungsfähigkeit des ‚Drei-Säulen-Modells‘‘‘, Arbeitnehmerkammer Bre-
men 2015). Gleichwohl hält die Regierung daran fest. Ein Großteil der gesetzlich
Versicherten ist auf die zusätzliche Altersvorsorge angewiesen, um die Lücke zu
schließen, die durch die fortschreitende Senkung des Niveaus der gesetzlichen Ren-
tenversicherung bedingt ist. Die Versicherten müssen sich darauf verlassen können,
dass die von dem Gesetzgeber geschaffenen Rahmenbedingungen für ihrer Zusatz-
versicherung nicht nach Kassenlage der Krankenversicherung verändert werden.
Stattdessen wäre die konsequente Stärkung der gesetzlichen Sozialversicherungs-
systeme geboten. Die Einführung einer solidarischen Gesundheitsversicherung
(Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege) würde soziale Ge-
rechtigkeit schaffen, die Finanzierung der Krankenversicherung auf ein solides Fun-
dament stellen und die Absenkung der Beiträge für alle Versicherten ermöglichen.

So oder so muss gelten: Die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung
darf bei Versorgungbezügen nur einmal anfallen. Demzufolge sollten entweder auf
das Einkommen in der Ansparphase oder auf die Auszahlung der Versicherungsleis-
tungen Beiträge gezahlt werden. Wurden die Beiträge für die betriebliche Altersver-
sorgung aus nicht beitragspflichtigem Einkommen aufgebracht, dann sind nachträg-
lich Beiträge zu zahlen. Wurden die Beiträge aus Einkommen gezahlt, für das bereits
Krankenversicherungsbeiträge abgeführt wurden, darf die Versicherungsleistung
nicht erneut verbeitragt werden. Hier muss die Bundesregierung endlich Gerechtig-
keit herstellen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6364
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf

vorzulegen,

1. der die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Versorgungs-
bezüge beendet. Sollten bereits während der Ansparphase Sozialversicherungs-
beiträge abgeführt worden sein, dürfen in der Leistungsphase bzw. für die Ka-
pitalabfindung keine Krankenversicherungsbeiträge mehr fällig werden;

2. um eine solidarische Gesundheitsversicherung (Bürgerinnen- und Bürgerversi-
cherung) einzuführen und gerechte und finanzierbare Krankenversicherungs-
beiträge für alle in Deutschland lebenden Menschen langfristig zu gewährleis-
ten.

Berlin, den 14. Oktober 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Begründung

Was der damalige Verhandlungsführer der Unionsparteien und heutige bayerische Ministerpräsident Horst
Seehofer nach durchdiskutierten Nachtsitzungen mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD)
als „eine der schönsten Nächte meines Lebens“ kommentierte, entpuppte sich bald für viele Versicherte als
finanzieller Albtraum. Nach der Gesetzesbegründung des GMG werden „Rentner, die Versorgungsbezüge er-
halten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen für sie beteiligt.“ Da die
eigenen Krankenversicherungsbeiträge der Rentnerinnen und Rentner nur noch circa 43 Prozent der Leistungs-
aufwendungen für sie decken, sei es daher – so wörtlich im Gesetzentwurf – „ein Gebot der Solidarität der
Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht
noch höher werden zu lassen“ (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1525, S. 140).

Betroffen von der doppelten Verbeitragung sind Millionen von Rentnerinnen und Rentnern. So gab es am Jah-
resende 2014 laut Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV allein 7,636
Mio. Direktversicherungsverträge.

Bei bis Ende 2004 abgeschlossenen Verträgen, bei denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die wirt-
schaftliche Last tragen (als Entgeltumwandlung), galt die Regel, dass während der Ansparphase dann keine
Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen waren, wenn die Beiträge aus Sonderzahlungen wie z. B. Weihnachts-
geld oder Bonuszahlungen entrichtet wurden. In diesen Fällen müssten in der Bezugsphase Krankenversiche-
rungsbeiträge fällig werden. Sofern eine Entgeltumwandlung über laufende Monatsbeiträge erfolgt ist, wurden
in der Regel bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. In diesem Fall sollten die
Rentenleistungen oder die Kapitalabfindung bei Auszahlung beitragsfrei sein. Bei Direktversicherungen und
Versorgungsleistungen, bei denen die Arbeitgeber die wirtschaftliche Last tragen (als zusätzliche Arbeitgeber-
leistung), fielen während der Ansparphase grundsätzlich keine Sozialversicherungsbeiträge an. In diesem Fällen
müssten in der Auszahlphase auf Rentenleistungen bzw. die Kapitalabfindung Beiträge abgeführt werden. Seit
2005 sind Beiträge für die betriebliche Altersversorgung bei Entgeltumwandlung bis zur Höhe von vier Prozent
der Beitragsbemessungsgrenze (West) der Rentenversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung sozial-
abgaben- und steuerfrei. Beiträge, die über die vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze hinausgehen, sind
dagegen sozialabgabenpflichtig. Auch hier müsste in Bezug auf die Abführung der Krankenversicherungsbei-
träge entsprechend differenziert werden.

Den Versicherungsgesellschaften liegen Informationen über die Art der Vertragsgestaltung vor, denn bei Ein-
richtung einer betrieblichen Versorgung wird eine Vereinbarung zwischen Betrieb und Angestellten nötig.
Diese ist Vertragsbestandteil, so dass die Versicherer die entsprechenden Daten an die Krankenkassen melden
können.

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