BT-Drucksache 18/6194

zu der Schlussabstimmung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/5271, 18/6161 - Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten

Vom 29. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6194
18. Wahlperiode 29.09.2015
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Annette Groth, Kerstin Kassner, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine
Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz, Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Schlussabstimmung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/5271, 18/6161 –

Entwurf eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010
zur Änderung des am 25. und 30. April 2007
unterzeichneten Luftverkehrsabkommens
zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika
und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Durch das Gesetz treten Änderungen des Luftverkehrsabkommens zwischen den USA,
der EU und deren Mitgliedsstaaten in Kraft, welche erhebliche Auswirkungen zu Un-
gunsten des politischen und behördlichen Entscheidungsspielraumes im Bereich des
Luftverkehrs sowie des Umwelt- und Gesundheitsschutzes haben. Dies gilt insbeson-
dere für die Einführung von Betriebsbeschränkungen an Flughäfen, allen voran Nacht-
flugverboten, welche das einzig vollends wirksame Mittel zur Sicherstellung der
Nachtruhe sind.

Das Protokoll bedient einseitig die Interessen der Luftverkehrswirtschaft, indem durch
den neu gefassten Artikel „Umwelt“ jegliche den Emissionsschutz betreffende Maß-
nahme unter den Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit des Luftverkehrs gestellt wird und
die Luftverkehrswirtschaft direkten Einfluss auf standortbezogene Entscheidungen
hinsichtlich betriebsbeschränkender Maßnahmen (z. B. Nachtflugverbote) erhält, da
zukünftig ihre Standpunkte im Entscheidungsprozess Berücksichtigung finden müssen
(siehe Art. 3 des Protokolls). Dies geht über die ohnehin vorhanden, allen betroffenen
Interessengruppen (Umweltverbände etc.) offen stehenden Einflussmöglichkeiten hin-
aus, welche durch fachplanungs- und luftverkehrsrechtliche Bestimmungen geregelt

Drucksache 18/6194 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
sind. Eine solche Privilegierung der Luftverkehrswirtschaft ist sachgrundlos und ver-
hindert die gleichberechtigte Teilhabe der Vertreter öffentlicher Belange und Umwelt-
schutzorganisationen am Entscheidungsprozess über die Betriebsregelungen der Flug-
häfen.

Auch mit der Ausweitung der Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses, welche nun-
mehr von der Auslegung, über die Überwachung der Einhaltung bis zur Änderung des
Abkommens gehen (siehe Art. 5 des Protokolls), gehen Restriktionen bei der Einfüh-
rung von Maßnahmen aktiven Schallschutzes einher. Da das Protokoll diesem Gre-
mium hier ausdrücklich ein Prüfrecht hinsichtlich Betriebsbeschränkungen an Flughä-
fen zuspricht, wird es zu einer „völkerrechtlichen Genehmigungsbehörde“ für auf
Ebene der Bundesländer zu treffende Entscheidungen, was im Widerspruch zum Prin-
zip der Subsidiarität steht.

In Verbindung mit der im Abkommen geregelten Anrufung einer Schiedsgerichtsbar-
keit, die jenseits ordentlicher Gerichte über Streitfälle entscheiden soll, wird die Ein-
führung von Betriebsbeschränkungen auf deutschen Flughäfen fast unmöglich, da Air-
lines damit einhergehende potenzielle Gewinneinbußen einklagen könnten. Diese Re-
gelungssystematik zielt einzig auf eine Sicherung der Gewinne der Luftverkehrswirt-
schaft ohne Rücksicht auf die Belange des Lärm- und Umweltschutzes und hat zudem
stark politisch präjudizierenden Charakter, da angesichts drohender Schadensersatz-
zahlungen von der Einleitung von Verfahren zur Verkürzung der Betriebszeit oder dem
Ausschluss besonders lauter Flugzeuge bereits im Vorfeld Abstand genommen werden
könnte.

Darüber hinaus steht zu befürchten, dass zukünftig selbst gerichtlich angeordnete Be-
triebsbeschränkungen, wie z. B. die durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
4. April 2012, Az: 4 C. 8.09 angeordnete Verlängerung des Nachtflugverbotes am
Flughafen Frankfurt, zu hohen, von Schiedsgerichten an die Luftverkehrswirtschaft
verhängten Strafzahlungen führen können, was das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ad
absurdum führen würde.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine Initiative zu ergreifen, das Gesetz nicht in Kraft treten zu lassen,

2. umgehend gemäß Artikel 9 des Protokolls vom 24. Juni 2010 zur Änderung des
am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen
den vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedsstaaten die USA schriftlich auf dem diplomatischen Wege darüber
in Kenntnis zu setzen, dass sie dieses Protokoll nicht mehr vorläufig anwendet,

3. sich umgehend auf EU-Ebene für die Aufnahme von Verhandlungen über eine
Revision des Luftverkehrsabkommens mit den USA einzusetzen, mit dem Ziel,
die Umweltschutzaspekte des Abkommens zu stärken, die Möglichkeit der An-
rufung von Schiedsgerichten zu streichen und verbindlich zu kodifizieren, dass
der politische und behördliche Entscheidungsspielraum im Bereich der Luftfahrt
nicht von den Bestimmungen des Abkommens eingeschränkt werden kann,

4. sich umgehend auf EU-Ebene für eine Revision der Verordnung über lärmbe-
dingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der EU (EU-Verordnung
Nr. 598/2014) einzusetzen, mit dem Ziel, die dort festgeschriebene verbindliche
Anwendung des „ausgewogenen Ansatzes“ der ICAO zu streichen und aktivem
Lärmschutz, allen voran nächtlichen Betriebsbeschränkungen, Vorrang vor Maß-
nahmen passiven Lärmschutzes einzuräumen.

Berlin, den 29. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6194

Begründung

Zu 1 und 2)

Das neu gefasste Abkommen kann die Konturen nicht nur regionaler, sondern staatlicher Luftverkehrspolitik
gravierend verändern, und zwar in dem Sinne, dass durch das völkerrechtliche Korsett der politische Handlungs-
spielraum auf die Bedienung betriebswirtschaftlicher Interessen eingeengt wird. Wenn wirksame politische Ent-
scheidungen in den Bereichen Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz angesichts drohender Schadenser-
satzzahlungen unterbleiben, ist das Fundament demokratischer Willensbildung selbst berührt.

Diese drohende Form vorauseilender politischer Selbstzensur muss unbedingt verhindert werden – sowohl auf
der Ebene sektoraler Freihandelsabkommen wie z. B. Luftverkehrsabkommen, wie im umfassenden Maßstab bei
CETA, TTIP oder TISA.

Zu 3)

Das Luftverkehrsabkommen zwischen der USA und der EU und ihren Mitgliedstaaten widerstrebt dem Ansatz
nachhaltiger Entwicklung, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte gleichrangig zu behandeln. Mit dem
Abkommen werden a) die Grundlagen für eine massive Ausweitung umweltschädlichen Luftverkehrs geschaffen
und b) wird durch den verfolgte Ansatz „regulatorischer Konvergenz“ die Senkung von Umwelt- und Lärm-
schutzstandards begünstig sowie c) der Dumpingwettbewerb verschärft. Dies gilt insbesondere dadurch, dass mit
dem Beitritt Norwegens zu diesem Abkommen eine Airline (Norwegian) Zugang zum lukrativen Transatlantik-
geschäft erhält, deren Luftverkehrsrechte in den USA wegen bedenklicher arbeitsrechtlicher Standards seitens
der US-Regierung bisher eingeschränkt wurden. Die Feststellung des Art. 4 des Protokolls („Soziale Dimen-
sion“), das Luftverkehrsabkommen sei nicht auf die Gefährdung arbeitsrechtlicher Normen gerichtet, wird in der
Praxis keine schützende Funktion für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben.

Zu 4)

Die Verordnung über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der EU (EU-Verordnung Nr.
598/2014) ist eine direkte Konsequenz des Protokolls zum Luftverkehrsabkommen, welches durch das Gesetz
ratifiziert werden soll. Art. 6 dieses Protokolls, in welchem der Artikel über „Erweiterung der Möglichkeiten“
eingeführt wird, enthält ökonomische Anreize zur politischen Erschwerung der Einführung von Betriebsbe-
schränkungen an europäischen Flughäfen. Sobald die Kommission ermächtigt werde, Betriebsbeschränkungen
zu überprüfen und ggfs. auszusetzen, werden die Luftverkehrsrechte von EU-Airlines erheblich ausgeweitet. Dies
ist mit der Verordnung Nr. 589/2014 umgesetzt worden, denn durch die verbindliche Anwendung des „ausgewo-
genen Ansatzes“ sind Betriebsbeschränkungen kein gleichberechtigtes Mittel der Lärmbekämpfung mehr, son-
dern nur noch die ultima ratio. Sobald nicht alle anderen Mittel (Lärmschutzfenster etc.) ausgeschöpft sind, dür-
fen keine Betriebsbeschränkungen eingeführt werden, welche die EU-Kommission per Vertragsverletzungsver-
fahren dann aufheben kann. Da der „ausgewogene Ansatz“ damit z. B. Nachtflugverbote in der politischen Praxis
schier unmöglich macht, muss er durch einen aus lärmschutzfachlicher Perspektive geeigneteren ersetzt werden.
Die Protokollerklärung der Bundesregierung in Abschnitt B der Denkschrift ist gegenstandslos, weil die „präju-
diziellen Wirkungen des Protokolls“ bereits eingetreten sind.

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