BT-Drucksache 18/5985

Erfahrungen beim Arbeitsmarktzugang und der Arbeitsförderung von Asylsuchenden und Flüchtlingen - Integrationsunterstützende und -hemmende Faktoren

Vom 10. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5985
18. Wahlperiode 10.09.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta Krellmann, Jan Korte,

Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Katja Kipping,

Katrin Kunert, Cornelia Möhring, Dr. Petra Sitte, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler,

Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Pia Zimmermann und

der Fraktion DIE LINKE.

Erfahrungen beim Arbeitsmarktzugang und der Arbeitsförderung von
Asylsuchenden und Flüchtlingen – Integrationsunterstützende und -hemmende
Faktoren

Krieg, Armut und Verfolgung führen weltweit zu einer steigenden Zahl von
Flüchtlingen. Viele der Flüchtlinge, die es nach Deutschland schaffen, werden
hier dauerhaft oder für eine längere Zeit bleiben. Die Politik und die Gesellschaft
sind gefordert, ihnen eine Perspektive zur Teilhabe und Integration zu bieten.
Zentral ist dabei eine Teilnahme am Arbeitsleben entsprechend ihrer Fähigkeiten,
Potentiale und eine Weiterbildung und -qualifikation zur Verbesserung ihrer Er-
werbschancen. Denn dann können die Betroffenen eigenständig für ihren Lebens-
unterhalt sorgen, sie erfahren Anerkennung und Bestätigung, gewinnen Selbst-
vertrauen und stärken mit ihren Ideen, ihrer Arbeitsleistung und ihren Steuer- und
Sozialversicherungsbeiträge das Gemeinwesen.

Die Arbeitsförderung muss einen wichtigen Beitrag für einen erfolgreichen Neu-
start und eine gelungene Integration leisten. Trotz gewisser Erleichterungen beim
Arbeitsmarktzugang in den letzten Jahren und Monaten sind die Möglichkeiten
der Arbeitsaufnahme für Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge weiterhin stark
beschränkt. Einerseits gilt ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot von drei
Monaten, und die Vorrangprüfung bis zu einem 15-monatigen Aufenthalt führt
meist zu einer faktischen „Nicht-Beschäftigung“ in dieser Zeit. Anderseits gibt es
in der praktischen Förderung zahlreiche Probleme, die sich als große Hürden er-
weisen, bevor die vorgesehenen Möglichkeiten der Arbeitsförderung überhaupt
greifen können. Dazu gehören unter anderem die lange Dauer der Asylverfahren,
ein völlig unzureichender Zugang zu Sprachkursen, unzureichende therapeuti-
sche Behandlungsmöglichkeiten für Flüchtlinge mit traumatischen Erfahrungen,
die Unterbringung in isolierenden, oft krank machenden Massenunterkünften
ohne Privatsphäre, aufwendige, kostenintensive und nicht selten langwierige Ver-
fahren zur Anerkennung der Berufsqualifikation, zu wenig Personal in den Job-
centern insbesondere mit Migrationshintergrund und interkultureller Kompetenz.
Das restriktive Aufenthaltsrecht, das Betroffene oft von familiären und sozialen
Netzwerken, die einer Integration förderlich sind, abschneidet, etwa durch Um-
verteilungen ohne Berücksichtigung bestehender Kontakte, unterläuft ebenso die
Möglichkeiten einer guten Arbeitsförderung sowie unklare Bleibeperspektiven
und ein Wechsel zwischen verschiedenen Rechtskreisen.

Drucksache 18/5985 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Mit einer Serie von vier zusammenhängenden Kleinen Anfragen will die Fraktion
DIE LINKE. eine Bestandsaufnahme unternehmen und die Haltung der Bundes-
regierung zu möglichen Reformschritten in der Arbeitsmarktintegration und Ar-
beitsförderung von Flüchtlingen erfragen (Hinweis: Sofern keine verfügbaren
Daten zu den abgefragten Personengruppen existieren, bitte die Fragen mit Daten
beantworten, die näherungsweise die Personengruppen erfassen).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Bedeutung für eine gute Arbeitsmarktintegration misst die Bundes-
regierung dem Zugang von geduldeten Flüchtlingen und Asylsuchenden zu
Fördernetzwerken bei?

2. Wie unterstützt die Bundesregierung die vorhandene Netzwerkarbeit, und
wie will sie die Arbeit der verschiedenen Einrichtungen und Initiativen künf-
tig stärker unterstützen?

3. Inwieweit gibt es seitens der Bundesregierung regelmäßige Kontakte zu
Flüchtlingsorganisationen und -initiativen, um die dort gesammelten Erfah-
rungen der bisherigen Praxis der Arbeitsförderung und Integration in den Ar-
beitsmarkt zu nutzen?

4. Für wie förderlich für die Integration hält die Bundesregierung das derzeitige
System der Zwangsverteilung der Asylsuchenden in Erstaufnahmeeinrich-
tungen und Gemeinschaftsunterkünfte, welches nach Auffassung der Frage-
steller die Flüchtlinge oft von der Bevölkerung in Deutschland separiert, auf
mögliche familiäre Netzwerke oder Ähnliches keine Rücksicht nimmt und
sie so von dem für eine gute Arbeitsmarktintegration notwendigen Zugang
zu Netzwerken abschneidet?

5. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag der freien Wahl des Woh-
norts – in der Europäischen Union (EU) sowie in Deutschland – womit nach
Aussagen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB, aktuelle
Berichte 8/2015) die humanitären und sozialen Kosten der Flüchtlingsmig-
ration verringert werden könnten, zum Beispiel weil Familien und Freunde
nicht auseinandergerissen werden und sich leichter soziale Netzwerke bil-
den, die die sozialen und psychischen Kosten der Flüchtlingsmigration redu-
zieren (Antwort bitte begründen)?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass sich
nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in der Arbeitsberatung die früh-
zeitige Kompetenzfeststellung bei potenziellen Teilnehmerinnen und Teil-
nehmern in vielen Fällen schwierig gestaltet, u. a. weil Dokumente über den
Bildungsstand und die Berufserfahrungen fehlen und Sprachbarrieren zu die-
sem frühen Zeitpunkt die Gesprächsdiagnostik und auch die Einschaltung
des Berufspsychologischen Service erschweren (IAB, aktueller Bericht
3/2015)?

7. Wie hoch ist die Zahl und der Anteil von Asylsuchenden und geduldeten
Flüchtlinge, die bisher Sprachkurse besucht haben (für das Jahr 2014 und
verfügbare Daten für das Jahr 2015; falls keine Statistiken vorliegen bitte
Schätzungen)?

Welche Aussagen kann die Bundesregierung über die durchschnittliche
Dauer machen, und wie beurteilt sie diese im Hinblick auf die notwendigen
Rahmendaten für einen erfolgreichen Spracherwerb?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wartezeiten auf ei-
nen Sprachkurs (bitte entsprechende Daten für Sprachkurse in und außerhalb
der Arbeitsförderung ausweisen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5985

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über spezifische Hürden für
Frauen bei der Beteiligung an den Sprachkursen (beispielsweise ein Mangel
an Kinderbetreuung), und wie plant sie, diesen Rechnung zu tragen?

10. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Aussage des IAB (aktueller
Bericht 8/2015), dass „grundsätzlich […] eine verbindliche und bedarfsori-
entierte Sprach- und Integrationsförderung von Asylbewerbern und Flücht-
lingen unmittelbar nach der Einreise sinnvoll“ sei?

11. Welche gesetzlichen Änderungen wären nötig, um Asylsuchenden gleich
nach ihrer Antragstellung einen Sprachkurs anzubieten, und zieht die Bun-
desregierung solche Änderungen in Betracht (bitte begründen)?

12. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag einer alternativen
Struktur, „die intensive, flächendeckende Sprachförderung und Eingewöh-
nung in die bundesdeutschen Verhältnisse für alle Asylbewerber organisato-
risch und finanziell beim Bund anzusiedeln“ (IAB, Forschungsbericht
3/2015)?

13. Wie hoch wären die geschätzten Kosten für die Vermittlung von Deutsch-
kenntnissen für Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge im erwerbsfähigen
Alter (mit und ohne Zugang zum Arbeitsmarkt), wenn man die geschätzten
Asylanträge auf Basis der derzeitigen Prognosen für das Jahr 2015 zugrunde
legt (bitte Zahlen ausweisen und wenn möglich näher ausdifferenzieren)?

Welche zusätzlichen Mittel würde dies nach sich ziehen?

14. Wie hoch ist die Zahl der potentiell Anspruchsberechtigten am ESF-BAMF-
Sprachprogramm zur berufsbezogenen Sprachförderung für Personen mit
Migrationshintergrund, und ist damit zu rechnen, dass die jährlich begrenzte
Zahl von 26 000 Teilnehmerplätze für dieses Jahr und die darauffolgenden
Jahre nicht ausreicht (bitte ausführlich darlegen)?

15. Ist die Prüfung des Bundes, „ob die finanzielle Ausstattung des Programms
zur berufsbezogenen Sprachförderung für Personen mit Migrationshinter-
grund (sog. ‚ESF-BAMF-Sprachkurse‘) auf Dauer ausreicht oder ob Anpas-
sungen auch aufgrund dieser neuen Herausforderungen in der Arbeitsmarkt-
politik erforderlich sind“ (Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin
mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am
18. Juni 2015, TOP 3 Asyl- und Flüchtlingspolitik), abgeschlossen? Wenn ja
mit welchen Ergebnis, und wenn nein, wann ist mit einer Entscheidung zu
rechnen?

16. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zum Problem der Trauma-
tisierung von Flüchtlingen vor und nach deren Behandlung vor?

a) Welche Erkenntnisse hat sie zur Zahl und dem Anteil der traumatisierten
Flüchtlinge (bitte nach Geschlecht aufschlüsseln)?

b) Welche Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Flücht-
linge gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung, und wie stellt sich das An-
gebot und der Bedarf von Unterstützungs- und Beratungsleistungen dar?
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über spezifische Traumatisie-
rungen von Frauen, und wie trägt sie diesen in besonderen Unterstützungs-
und Beratungsleistungen Rechnung?

c) Ist die Bundesregierung mit dem derzeitigen Stand der Versorgung trauma-
tisierter Flüchtlinge zufrieden, und was will sie gegebenenfalls unterneh-
men?

Drucksache 18/5985 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

17. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine lange Dauer von Asyl-
verfahren eine zentrale Hürde für die Arbeitsmarkintegration ist, vor dem
Hintergrund, dass die Betroffenen aufgrund der unsicheren Perspektive
kaum planen können und Arbeitgeber oft davor zurückschrecken, jemanden
einzustellen, der kurzfristig abgeschoben werden kann, und welche Schluss-
folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

18. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass die lange
Dauer von Asylverfahren mit einer isolierten Massenunterbringung die Be-
troffen physisch und psychisch belastet und krank macht und zudem durch
lange Untätigkeit Dequalifikation gefördert wird, und welche Schlussfolge-
rungen zieht die Bundesregierung daraus?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, ob ausreichende Informatio-
nen für Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge bezüglich eines Rechtsan-
spruchs auf Kinderbetreuung zur Verfügung stehen?

20. Ab wann stehen Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen nach Kenntnis
der Bundesregierung reguläre Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfü-
gung (bitte ab dem Zeitpunkt der Anwesenheit in Deutschland bis zum An-
fang der Betreuung aufgliedern)?

21. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung der Zugang zu einem Betreu-
ungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr, insbesondere bei Fami-
lienunterkünften außerhalb von Ortschaften, gewährleistet?

Berlin, den 10. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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