BT-Drucksache 18/5945

Erfahrungen beim Arbeitsmarktzugang und der Arbeitsförderung von Asylsuchenden und Flüchtlingen - Arbeitsmarktzugang und rechtliche Rahmenbedingungen

Vom 7. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5945
18. Wahlperiode 07.09.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta Krellmann, Jan Korte,

Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Katja Kipping,

Katrin Kunert, Cornelia Möhring, Dr. Petra Sitte, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler,

Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Pia Zimmermann und

der Fraktion DIE LINKE.

Erfahrungen beim Arbeitsmarktzugang und der Arbeitsförderung von
Asylsuchenden und Flüchtlingen – Arbeitsmarktzugang und rechtliche
Rahmenbedingungen

Krieg, Armut und Verfolgung führen weltweit zu einer steigenden Zahl von
Flüchtlingen. Viele der Flüchtlinge, die es nach Deutschland schaffen, werden
hier dauerhaft oder für eine längere Zeit bleiben. Die Politik und die Gesellschaft
sind gefordert, ihnen eine Perspektive zur Teilhabe und Integration zu bieten.
Zentral ist dabei eine Teilnahme am Arbeitsleben entsprechend ihrer Fähigkeiten,
Potentiale und eine Weiterbildung und -qualifikation zur Verbesserung ihrer Er-
werbschancen. Denn dann können die Betroffenen eigenständig für ihren Le-
bensunterhalt sorgen, sie erfahren Anerkennung und Bestätigung, gewinnen
Selbstvertrauen und stärken mit ihren Ideen, ihrer Arbeitsleistung und ihren
Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge das Gemeinwesen.

Die Arbeitsförderung muss einen wichtigen Beitrag für einen erfolgreichen Neu-
start und eine gelungene Integration leisten. Trotz gewisser Erleichterungen beim
Arbeitsmarktzugang in den letzten Jahren und Monaten sind die Möglichkeiten
der Arbeitsaufnahme für Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge weiter stark
beschränkt. Einerseits gilt ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot von drei
Monaten und die Vorrangprüfung bis zu einem 15-monatigen Aufenthalt führt
meist zu einer faktischen „Nicht-Beschäftigung“ in dieser Zeit. Anderseits gibt
es in der praktischen Förderung zahlreiche Probleme, die sich als große Hürden
erweisen, bevor die vorgesehenen Möglichkeiten der Arbeitsförderung überhaupt
greifen können. Dazu gehören unter anderem die lange Dauer der Asylverfahren,
ein völlig unzureichender Zugang zu Sprachkursen, unzureichende therapeuti-
sche Behandlungsmöglichkeiten für Flüchtlinge mit traumatischen Erfahrungen,
die Unterbringung in isolierenden, oft krank machenden Massenunterkünften
ohne Privatsphäre, aufwendige, kostenintensive und nicht selten langwierige
Verfahren zur Anerkennung der Berufsqualifikation, zu wenig Personal in den
Jobcentern insbesondere mit Migrationshintergrund und interkultureller Kompe-
tenz. Das restriktive Aufenthaltsrecht, das Betroffene oft von familiären und so-
zialen Netzwerken, die einer Integration förderlich sind, abschneidet, etwa durch
Umverteilungen ohne Berücksichtigung bestehender Kontakte, unterläuft ebenso
die Möglichkeiten einer guten Arbeitsförderung wie unklare Bleibeperspektiven
und ein Wechsel zwischen verschiedenen Rechtskreisen.

Drucksache 18/5945 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Mit einer Serie von vier zusammenhängenden Kleinen Anfragen will die Frak-
tion DIE LINKE. eine Bestandsaufnahme unternehmen und die Haltung der Bun-
desregierung zu möglichen Reformschritten in der Arbeitsmarktintegration und
Arbeitsförderung von Flüchtlingen erfragen.

Hinweis: Sofern keine verfügbaren Daten zu den abgefragten Personengruppen
existieren, bitte die Fragen mit Daten beantworten, die näherungsweise die Per-
sonengruppen erfassen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse bzw. Schätzungen hat die Bundesregierung darüber,
wie hoch die Zahl und der Anteil von Asylsuchenden und geduldeten Flücht-
lingen ist, die von der Verkürzung des Arbeitsverbotes („Wartezeit“) auf drei
Monate profitieren, und wie viele sind nach wie vor von einem Arbeitsverbot
betroffen (bitte Zahlen und Anteil für den aktuellen und zurückliegenden
Zeitraum nennen, und wenn möglich nach Geschlecht aufschlüsseln)?

2. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, das bestehende Arbeits-
verbot von drei Monaten gänzlich zu streichen, um allen Flüchtlingen einen
uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang zu eröffnen, und wie begründet sie
ihre Antwort?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Ablehnung bzw. Zu-
stimmung der Arbeitsverwaltung zur Ausübung einer Beschäftigung (bitte
jährliche Zahlen seit dem Jahr 2012 nennen), und was sind die zentralen
Gründe dafür?

4. Wie hoch sind die Zahl und der Anteil der Geduldeten, die in den zurücklie-
genden Jahren eine Beschäftigungserlaubnis bekommen haben (bitte jährli-
che Daten seit dem Jahr 2012, für 2015 die verfügbaren Daten, angeben, und
wenn möglich nach Geschlecht aufschlüsseln)?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie häufig Auslän-
derbehörden die Genehmigung einer Erwerbstätigkeit verweigern (bitte jähr-
liche Zahlen seit dem Jahr 2012 nennen, und wenn möglich nach Geschlecht
aufschlüsseln), und über die Gründe, die dafür geltend gemacht werden (bitte
differenzieren nach individuellen Arbeitsverboten gemäß § 33 Beschäfti-
gungsverordnung einerseits und Verweigerungen einer Beschäftigungser-
laubnis im Rahmen des Ermessens aus allgemeinen migrationspolitischen
Gründen andererseits)? Falls hierzu keine Daten vorliegen, ab wann plant die
Bundesregierung die Erhebung der entsprechenden Daten?

6. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, bestehende Regelungen
der Beschäftigungsverbote für Flüchtlinge insbesondere nach § 33 BeschV
abzuschaffen, und wie begründet sie ihre Antwort?

7. Wie viele der Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlinge fielen bzw. fallen
unter bestehende Regelung zur Vorrangvermittlung (bitte Zahl und Anteil
aufgliedern für die Jahre 2012, 2013, 2014 und 2015 für den verfügbaren
Zeitraum, und wenn möglich nach Geschlecht aufschlüsseln)?

8. Wie hoch ist die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von Asylsuchenden und
geduldeten Flüchtlingen, und wie hoch ist die Zahl und der Anteil derer, de-
ren Aufenthaltsdauer länger und kürzer als 15 Monate ist (bitte für das Jahr
2014 und aktuelle verfügbare Zahlen nennen)?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der Vorrang-
prüfungen, die seit dem Jahr 2012 geleistet wurden (bitte Jahreszahlen nen-
nen und wenn möglich nach Branchen bzw. Berufen differenzieren), und
welche Aussagen kann sie über den Ausgang der Prüfungen treffen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5945

10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis ei-
ner Befragung von Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler, wonach
diese die Vorrangprüfung mehrheitlich „als umständlich, bürokratisch, zeit-
aufwändig und insbesondere bei Helfertätigkeiten als kontraproduktiv“ kri-
tisieren, denn diese führe „faktisch in die „Nicht-Arbeit“, da man für unqua-
lifizierte Tätigkeiten fast immer bevorrechtigte Deutsche finde. Die Kritik
geht so weit, die komplette Abschaffung der Vorrangprüfung zu fordern.“
(IAB-Forschungsbericht 3/2015, S.18)?

11. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag die Vorrangprüfung abzu-
schaffen, und wie begründet sie ihre Antwort?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass unbefristete Arbeitsverbote
für Asylsuchende, wie sie etwa das Land Bayern für Personen mit Aufent-
haltsgestattung aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten angeordnet hat,
mit Artikel 15 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) nicht zu ver-
einbaren sind, da diese einen Zugang zum Arbeitsmarkt spätestens nach ei-
nem neunmonatigen Aufenthalt vorsieht?

13. Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung die Verhängung von Arbeits-
verboten mit Artikel 6 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 zu vereinbaren?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das grundsätzliche Verbot
von Leiharbeit für Personen mit einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung
spätestens nach einem 15-monatigen Aufenthalt nicht mehr erforderlich ist,
da ab diesem Zeitpunkt die Vorrangprüfung entfällt?

15. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Asylsuchenden und
Flüchtlingen unkompliziert eine Ausbildung zu ermöglichen, und wie beur-
teilte sie dafür die derzeitigen Möglichkeiten, wo sieht sie Handlungsbedarf?

16. Welche rechtlichen Beschränkungen hinsichtlich der Ausbildungsförderung
und zum Ausbildungszugang gibt es derzeit noch für Asylsuchende und ge-
duldete Flüchtlinge, und wie begründet die Bundesregierung diese?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die geschätzte Anzahl
und den Anteil der Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlinge (im ausbil-
dungsfähigem Alter), denen ein Zugang zu den verschiedenen Formen der
Ausbildungsförderung und begleitenden Hilfen verwehrt ist?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl der Asylsuchen-
den, die bisher verschiedene Instrumente der Ausbildungsförderung nutzen
konnten (wenn möglich bitte die wichtigsten mit Anzahl nennen)?

19. Wie hoch ist die geschätzte Zahl und der geschätzte Anteil der geduldeten
Flüchtlinge (im ausbildungsfähigen Alter), die nicht unter die Neuregelung
des Aufenthaltsgesetzes (§ 60a Absatz 3 AufenthG) zum 1. August 2015 fal-
len?

20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das im IAB-Kurzbericht
1/2015 geschilderte Problem bzw. die unterschiedliche Praxis im Umgang
mit Geduldeten in Ausbildung: „Legen Geduldete […] während der Ausbil-
dung ein Personendokument vor, kann die laufende Ausbildung sie ggf. vor
Abschiebung schützen. Andere Ausländerbehörden würden eine Beschäfti-
gungserlaubnis erst erteilen, nachdem die Geduldeten ein Personendokument
vorgelegt haben. Damit steigt aber gleichzeitig ihr Risiko, abgeschoben zu
werden. Dieses Risiko ist Vielen zu hoch; ohne Beschäftigungserlaubnis
können sie aber keine duale Ausbildung antreten.“, und welche Schlussfol-
gerungen zieht sie daraus?

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Drucksache 18/5945 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

21. Wie verhält sich die Bundesregierung gegenüber dem Vorschlag, geduldeten
Flüchtlingen unabhängig von Alter, Herkunftsstaat und sonstigen Kriterien
für die Zeit einer Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, und wie
begründet sie ihre Antwort?

22. Ist es zutreffend, dass Schülerinnen und Schüler, die ihre allgemeine Schul-
pflicht oder ihre Berufsschulpflicht erfüllen und dabei nach landesrechtli-
chen Regelungen bestimmte Praktika absolvieren müssen, diese ohne Be-
schäftigungserlaubnis der Ausländerbehörde aufnehmen dürfen?

23. Führt die in den Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit
zu § 15 Nummer 1 BeschV getroffene Feststellung, dass immatrikulierte Stu-
dierende, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, und Schülerinnen und Schü-
ler, deren Pflichtpraktikum in den schulischen Bildungsgang integriert ist,
keine Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer sind, dazu, dass Asylsuchende
und geduldete Flüchtlinge diese Praktika ohne Beschäftigungserlaubnis der
Ausländerbehörde aufnehmen dürfen?

24. Ist die Nichtbeschäftigungsfiktion in § 30 Nummer 2 BeschV, nach der ver-
pflichtende Praktika während einer schulischen Ausbildung oder eines Stu-
diums sowie Praktika im Rahmen eines von der EU finanziell geförderten
Programms nicht als Beschäftigung gelten, für Asylsuchende und geduldete
Flüchtlinge anwendbar mit der Folge, dass diese Praktika ohne Beschäfti-
gungserlaubnis der Ausländerbehörde aufgenommen werden dürfen?

25. Gilt das nur für Praktika, die bis zu 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von
zwölf Monaten ausgeübt werden?

26. Welche von der EU finanziell geförderten Programme – insbesondere wel-
che durch den ESF-finanziell geförderten Programme – bieten solche Prak-
tika im Rahmen ihrer jeweiligen Maßnahmen an?

27. Müssen für die Annahme eines Orientierungspraktikums i.S.d. § 22 Ab-
satz 1 Satz 2 Nummer 2 des Mindestlohngesetzes, für das eine Beschäfti-
gungserlaubnis ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erteilt wird
(§ 32 Absatz 2 Nummer 1 BeschV), bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein,
und wenn ja, welche?

28. Dienen Praktika im Rahmen von der EU finanziell geförderter Programme
immer auch der Orientierung für eine Berufsausbildung und sind sie daher
mindestlohnfrei?

29. Auch wenn grundsätzlich bei ausbildungsvorbereitenden und ausbildungsbe-
gleitenden Praktika i.S. d. § 22 Absatz 1 Seite 2 Nummer 2, Nummer 3
MiLoG nach §§ 26, 17 des Berufsbildungsgesetzes ein Anspruch auf eine
angemessene Vergütung besteht, kann dieser Anspruch ausscheiden, wenn
es sich um kurzfristige Praktika von unter einem Monat oder um öffentlich
geförderte Praktika handelt?

Berlin, den 7. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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