BT-Drucksache 18/588

Kooperationsverbot abschaffen - Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz verankern

Vom 19. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/588
18. Wahlperiode 19.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Cornelia Möhring, Harald Petzold, Dr. Petra
Sitte, Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Kooperationsverbot abschaffen – Gemeinschaftsaufgabe Bildung
im Grundgesetz verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung gilt seit
der von der großen Koalition verabschiedeten Föderalismusreform von 2006 und
wurde auf Druck der unionsregierten Länder Bayern, Hessen und Baden-
Württemberg ins Grundgesetz aufgenommen. Seitdem hat sich die Situation bei
der Finanzierung der Bildungsaufgaben durch Bund, Länder und Kommunen
nicht verbessert. Im Gegenteil: Angesichts von Krise und Schuldenbremse ist die
Finanzierung guter Bildung in den Ländern und Kommunen deutlich schwieriger
geworden. Die schlechte Ausgangslage bei der Finanzierung öffentlicher Bildung
wird durch wachsende öffentliche Armut verstärkt. Gute Bildung ist ein gesamt-
gesellschaftliches Anliegen und muss auch so finanziert werden. Der Aufgabe,
Bildungsfinanzierung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kom-
munen zu begreifen, fehlt derzeit die geeignete Grundlage.
Spätestens mit dem Bildungsgipfel 2008 in Dresden haben alle im Bundestag
vertretenen Parteien anerkannt, dass das Bildungssystem unterfinanziert ist. Die
Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten erklärten das Thema damals einmü-
tig zur Chefsache. Mit der Ausrufung der Bildungsrepublik sollte eine Steigerung
der Bildungsausgaben auf 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einherge-
hen. Wie dringend diese Stärkung der Bildungsfinanzierung ist, wird durch den
internationalen Vergleich deutlich [vgl. Kaphegyi, Piltz & Troost (2013), Bil-
dungsfinanzierung im föderalen Magerstaat, Sozialismus, Heft 5]. Für das Jahr
2010 (neuere Daten liegen noch nicht vor) wendete Deutschland bei Berücksich-
tigung sowohl der öffentlichen als auch der privaten Ausgaben nur 5,3 Prozent
seines BIP für Bildung auf (alle Bildungsbereiche zusammengenommen). Das ist
genau 1 Prozentpunkt weniger als der OECD-Durchschnitt (6,3 Prozent) und
damit 2,6 Prozent niedriger als beim Spitzenreiter Dänemark, das 7,9 Prozent des
BIP in Bildung investiert [vgl. Klemm (2013), Fünf Jahre nach dem Bildungsgip-
fel – eine Bilanz, DGB]. Dabei tragen die Bundesländer, Gemeinden und Zweck-
verbände den mit Abstand größten Anteil der Bildungsfinanzierung, nämlich 83,5
Mrd. Euro (vorl. Ist 2011 bei Betrachtung der Grundmittel der öffentlichen Haus-
halte ohne Versorgungsausgaben, vgl. Bildungsfinanzbericht Destatis). Das ent-
spricht 3,2 Prozent des BIP. Demgegenüber trägt der Bund lediglich 5,9 Mrd.

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Euro, was 0,2 Prozent des BIP entspricht. Umso erschreckender ist daher die
Tatsache, dass seit dem Bildungsgipfel nicht viel passiert ist. Ein wichtiger Bau-
stein in der Architektur dieses Versagens ist im föderalen Staatsaufbau Deutsch-
lands zu suchen: Die Bundesländer verfügen seit der Föderalismusreform über
(fast) alle Kompetenzen im Bildungssystem, gleichzeitig können sie ohne Zu-
stimmung der Bundesebene keine wesentlichen zusätzlichen Steuereinnahmen
generieren. Nach den Berechnungen von Piltz (2011, Bildungsfinanzierung im
21. Jahrhundert, GEW) besteht ein zusätzlicher jährlicher Finanzbedarf von rund
56,8 Mrd. Euro sowie ein einmaliger Investitionsbedarf von ca. 45,3 Mrd. Euro,
der durch die öffentlichen Haushalte finanziert werden müsste. Diese Berechnun-
gen beruhen auf der Annahme, dass sich die Finanzierung des Bildungssystems
an den Bedürfnissen der am Bildungsprozess beteiligten Menschen orientiert –
also vor allem an den Lehrenden und Lernenden. Zentrale Maßnahmen eines
solchen Konzepts sind insbesondere die Verbesserung der Betreuungs- und Un-
terrichtsverhältnisse in allen Bereichen des Bildungssystems (eine Schule für alle,
geringere Klassengrößen, Inklusion, flächendeckende schulpsychologische und
schulpädagogische Betreuung), der Ausbau von Ganztagsangeboten im Elemen-
tarbereich und in den allgemeinbildenden Schulen sowie die starke Verringerung
der privat zu erbringenden Finanzierungsanteile im Bildungssystem. Diese Maß-
nahmen sind dringend notwendig, denn nach wie vor steht das deutsche Bil-
dungssystem für eine im internationalen Vergleich hohe soziale Selektivität in
der Kritik (vgl. Kaphegyi, Piltz & Troost, 2013).
In der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages wollen CDU/CSU und SPD
lediglich 6 Mrd. Euro zusätzlich für Bildung und Forschung aufwenden. Das ist
gemessen an den oben aufgeführten benötigten Investitionen im internationalen
Vergleich unzureichend und deckt bei Weitem nicht den tatsächlichen Bedarf.
Diese Unterfinanzierung des Bildungswesens hat weiterhin fatale Auswirkungen:
Der prozentuale Anteil der Schüler/-innen, die nicht einmal den Hauptschulab-
schluss erreichen, ist in der Bundesrepublik mit 5,9 Prozent viel zu hoch. Ein
Blick auf die Bundesländer offenbart zudem eine Besorgnis erregende Situation
vieler finanzschwacher und ostdeutscher Bundesländer. So liegt in Mecklenburg-
Vorpommern die Quote der Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss
bei 11,9 Prozent, in Sachsen-Anhalt bei 11,3 Prozent, in Berlin bei 9 Prozent und
in Brandenburg bei 8,4 Prozent.
Nach wie vor sind über zwei Millionen junge Erwachsene im Alter von 20 bis 34
ohne Ausbildung verblieben [vgl. Anbuhl (2012), Generation abgehängt – Was
verbirgt sich hinter den mehr als 2,2 Millionen jungen Menschen ohne Berufsab-
schluss?, DGB]. Angesichts der Tatsache, dass sich im Jahr 2012 noch 267 000
junge Erwachsene in solchen Maßnahmen des Übergangsbereichs zwischen
Schule und Ausbildung befanden, die nicht auf einen Berufsabschluss abzielen,
ist das Erreichen des auf dem Dresdener Bildungsgipfel vereinbarten Ziels einer
Halbierung auf 8,5 Prozent bis 2015 ausgeschlossen (vgl. Klemm, 2013). Für den
Hochschulbereich zieht das Kooperationsverbot ebenfalls negative Konsequen-
zen nach sich. Der freie Zugang vom Bachelor in den Master kann aufgrund
mangelnder Studienplätze und fehlender Koordinierung nicht gewährleistet wer-
den. Prekäre Beschäftigung ist in der Wissenschaft an der Tagesordnung. Hinzu
kommt ein erheblicher Sanierungs- und Ausbaubedarf an den Gebäuden und
Einrichtungen, der nach der Abschaffung der Bundesaufgabe Hochschulbau nicht
mehr aufgefangen wird. Es bedarf also einer auf Dauer angelegten Mitfinanzie-
rung der Hochschulen durch den Bund, die in der Fläche erfolgt. Denn nur ein
ausfinanziertes Bildungssystem, das Menschen aus allen Bevölkerungsschichten
mobilisiert und soziale Barrieren abbaut, ist ein exzellentes Bildungssystem.
Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes fällt in Deutschland der ge-
samte Bereich der Verwaltung, Organisation und Gesetzgebung von Bildung in
den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. Mit der Föderalismusreform II

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wurde der Wettbewerbsföderalismus verschärft, indem die finanzschwachen
Länder weiter abgehängt werden und das Bildungssystem insgesamt leidet. Wäh-
rend der Bund im Wesentlichen einzelne Projekte und sogenannte Leuchttürme
fördert, bleibt die grundständige Bildung in der Breite auf der Strecke. Die re-
gelmäßigen Bildungsstudien – wie zuletzt PISA 2012 – belegen die Missstände,
die sich besonders in der massiven Abhängigkeit des Bildungszuganges und Bil-
dungserfolges von der sozialen Lage der Betroffenen zeigen. Bund und Länder
sehen sich durch diese Misere gezwungen, über Umwege doch noch mit Bundes-
geldern auszuhelfen. So werden über Bauprogramme Gelder in Schulen gelenkt,
wie etwa beim Konjunkturpaket II oder Programm Stark III, mit dem durch EU-
Fördermittel Schulen und Kindertagesstätten in Sachsen-Anhalt energetisch sa-
niert werden. Diese Investitionen können aber kaum mit bildungspolitischen
Zielsetzungen verbunden werden. Unzählige Programme zur Förderung von Be-
nachteiligten werden im Rahmen der Sozialpolitik aufgelegt, so etwa das Bil-
dungs- und Teilhabepaket oder Programme zum Übergang von der Schule in die
Berufsausbildung. Eine solche Reparaturpolitik, die zu spät einsetzt, erweist sich
als unfähig, eine zielführende Steuerung von Bildungsprozessen auf der Basis
einer soliden Grundfinanzierung der Bildungsinfrastruktur vor Ort zu sichern und
die gemeinsame Finanzierung wichtiger länderübergreifender Bildungsaufgaben
wie beispielsweise Inklusion, Sicherung der Vergleichbarkeit der Schulabschlüs-
se und echte Chancengleichheit in der Bildung zu gewährleisten. Auch eine kon-
sistente Entwicklung im Hochschulbereich, die den Herausforderungen etwa im
Bereich Studium und Lehre entspricht, ist auf dieser Grundlage nicht möglich.
Das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung steht den
aktuellen Anforderungen an die Entwicklung eines leistungsfähigen und sozial
gerechten Bildungssystems in gemeinsamer Verantwortung von Bund, Ländern
und Kommunen entgegen. Gleiche Bildungsteilhabe für alle Menschen und die
Sicherung einer hohen Qualität der unterschiedlichen Bildungsbereiche sind Auf-
gaben der gesamten Gesellschaft und der öffentlichen Daseinsvorsorge. Im Inte-
resse einer notwendigen neuen Kooperationskultur ist eine Grundgesetzänderung
erforderlich, die Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern ver-
ankert. Ziel muss es sein, eine alleinige Finanzierung des Bundes oder gemein-
same Finanzierungen des Bundes und der Länder in den Bereichen von Bildung,
Wissenschaft und Forschung zu ermöglichen.
Dieses Erfordernis teilt im Grundsatz auch der Bundesrat, der mit seiner Ent-
schließung „Gute Bildung und gute Wissenschaft für Deutschland“ (Bundesrats-
drucksache 556/13) feststellt:
„Der Bundesrat hält es mit Blick auf die genannten Herausforderungen, ange-
sichts der bisher beschriebenen Handlungsnotwendigkeiten und in Anerkennung
der Erfahrungen der Auswirkungen der Föderalismusreform II für angemessen, in
der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages mit dem Bund zügig Ge-
spräche über eine Erhöhung der Umsatzsteuerbeteiligung der Länder sowie eine
Änderung des Grundgesetzes zu führen. Ziel sind nachhaltige und dauerhafte
Verbesserungen im Wissenschafts- und Bildungsbereich. Dazu gehört auch die
Erhöhung der Bundesbeteiligung an einer angemessenen Finanzausstattung aller
Bildungsbereiche. Dabei kann der Blick nicht auf die Herausforderungen im
Wissenschaftssystem begrenzt bleiben.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzule-
gen, durch den das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der
Bildung aufgehoben wird und stattdessen eine umfassende Gemeinschafts-
aufgabe Bildung im Artikel 91b im Grundgesetz verankert wird. Darüber
hinaus soll das Kooperationsverbot in Artikel 104b Grundgesetz, d. h. die
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Beschränkung der Bundesförderung auf Bereiche, in denen der Bund Gesetz-
gebungskompetenz besitzt, aufgehoben werden,

2. im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Bildung und auf der Grundlage der
Erfahrungen aus der Bildungsberichterstattung als kooperatives Gremium ei-
nen Bildungsrat zu berufen, in dem neben Vertreterinnen und Vertretern von
Bund, Ländern und Kommunen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
sowie wichtige gesellschaftliche Akteure, wie etwa die Sozialpartner, vertre-
ten sind und der regelmäßige Empfehlungen für die inhaltliche und struktu-
relle Ausgestaltung des Bildungssystems gibt.

Berlin, den 18. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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