BT-Drucksache 18/556

Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen

Vom 19. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/556
18. Wahlperiode 19.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke,
Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Thomas Nord, Martina
Renner, Michael Schlecht, Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Keine Schwarzfahrerin, kein kleiner Betrüger kann durch Selbstanzeige einen
gesetzlich zugesicherten Anspruch auf Straffreiheit geltend machen. Eine Son-
derstellung wird lediglich dem Steuerbetrug eingeräumt. Selbst wenn Eurobeträ-
ge in Millionenhöhe hinterzogen werden, gibt es bei Abgabe einer rechtzeitig
korrekt ausgeführten Selbstanzeige ein Recht auf faktische Straffreiheit. Auch die
aktuellen Enthüllungen von Steuerstraftäterinnen und -tätern zeigen, dass das
Rechtsinstitut der strafbefreienden Selbstanzeige überwiegend Reichen und Ver-
mögenden zur Entkriminalisierung dient. Die strafbefreiende Selbstanzeige stellt
damit ein Instrument zur rechtlichen Privilegierung bereits privilegierter Men-
schen dar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Möglichkeit zur Abgabe einer strafbe-
freienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung gemäß § 371 der Abgabenord-
nung und das Absehen von der Strafverfolgung in besonders schweren Fällen von
Steuerhinterziehung gemäß § 398a der Abgabenordnung abschafft sowie die
Voraussetzungen schafft, Bagatelldelikte künftig als Ordnungswidrigkeit zu be-
handeln.

Berlin, den 18. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Drucksache 18/556 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Steuerhinterziehung ist eine Straftat, die nach § 370 der Abgabenordnung (AO) mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
zehn Jahren bestraft wird. Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 7. Februar 2012 (1 StR 525/11)
entschieden, dass eine Bewährungsstrafe für Steuerkriminelle, die mehr als 1 Mio. Euro hinterzogen haben,
nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe in Betracht kommt.
Im Gegensatz zu anderen Straftatbeständen, wie z. B. Schwarzfahren oder Sachbeschädigung, besteht bei
Steuerhinterziehung die Möglichkeit, durch die Abgabe einer Selbstanzeige gemäß § 371 AO Straffreiheit
zu erlangen. Mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz von 2011 hat die damalige Koalition aus Union und
FDP die Möglichkeit zur Erlangung der Straffreiheit zunächst verschärft. So ist seitdem Straffreiheit nur
noch möglich, wenn alle Steuerverkürzungen offenbart werden. Zudem sieht der neu eingefügte § 371 Ab-
satz 2 Nummer 3 AO den Nichteintritt der Rechtsfolge Straffreiheit vor, wenn es sich um einen Fall von
schwerer Steuerhinterziehung handelt, d. h. ab einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil von über 50 000
Euro je Tat.
Wird ausschließlich auf § 371 Absatz 2 Nummer 3 AO abgestellt, so entsteht der Eindruck, dass schwere
Steuerhinterziehung in jedem Fall zu Bestrafung führen müsste. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, denn mit
dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz wurde zugleich ein Hintertürchen eingerichtet. Der Ausschluss von
der Rechtsfolge Straffreiheit gilt nur formal. Faktisch wird er durch den ebenfalls neu eingefügten
§ 398a AO unterlaufen, der ein Absehen von der Verfolgung derartig schwerer Fälle von Steuerhinterzie-
hung vorsieht, sofern die Selbstanzeige rechtzeitig im Sinne des § 371 Absatz 2 AO abgegeben wurde.
Keine Strafverfolgung tritt demnach ein, wenn die oder der Steuerkriminelle die hinterzogenen Steuern
inklusive Hinterziehungszinsen in Höhe von 6 Prozent pro Jahr nachträglich entrichtet. Zusätzlich ist gemäß
§ 398a Nummer 2 AO eine Geldleistung in Höhe von 5 Prozent auf die verkürzten Steuern zu erbringen.
Für Steuerkriminelle besteht damit weiterhin die Möglichkeit, sich auch bei schweren Tatbeständen von der
Strafe freizukaufen. Auch wenn de jure dann nur von der Strafverfolgung abgesehen wird, bedeutet dies de
facto, dass trotz § 371 Absatz 2 Nummer 3 AO Straffreiheit erreicht werden kann. Die Erlangung von fakti-
scher Straffreiheit bei schwerer Steuerhinterziehung wird damit noch mehr zu einer Frage der Wahl der
richtigen Steuerrechtsexpertin bzw. des richtigen Steuerexperten sowie zu einer der finanziellen Möglich-
keiten sich eine solche bzw. einen solchen zu leisten. Mit dem Anspruch eines Rechtsstaates ist eine solche
Willkür der Bestrafung nicht zu vereinbaren.
Die Institution der strafbefreienden Selbstanzeige dient auch als Korrekturmöglichkeit von nicht absichtlich
begangenen Fehl- oder Falschangaben. Dies betrifft insbesondere den Bereich der komplexen umsatzsteuer-
lichen Melde- und Erklärungspflichten. Leichtfertige Steuerverkürzung ist nicht gleichzusetzen mit bewuss-
ter Steuerhinterziehung. Die Nutzung der strafbefreienden Selbstanzeige als Korrekturmöglichkeit für
leichtfertige Steuerverkürzungen kann nicht deren Beibehaltung rechtfertigen. Stattdessen muss im Steuer-
recht stärker zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz differenziert werden. Es ist um Regelungen für Bagatell-
delikte sowie eine Überarbeitung der Unterscheidung zwischen Steuerstraftatbeständen und mit Bußgeld
geahndeten Ordnungswidrigkeiten zu ergänzen. Beispielsweise könnte die Abgabe einer verspäteten Um-
satzsteuervoranmeldung unterhalb einer bestimmten Umsatzhöhe als Ordnungswidrigkeit und erst oberhalb
davon als Steuerhinterziehung behandelt werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.