BT-Drucksache 18/5406

Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5406
18. Wahlperiode 01.07.2015
Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Kerstin Kassner, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas
Lutze, Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der
Sicherheit im Eisenbahnverkehr

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Längsneigung von Gleisen in Bahnhöfen hat in Zeiten moderner Züge, die sehr
leicht in Bewegung zu setzen sind, eine immer stärkere Bedeutung für die Sicherheit
des Bahnverkehrs. Durch technisches oder menschliches Versagen kann es dazu
kommen, dass stehende Züge im Bahnhof nicht wie eigentlich vorgeschrieben ge-
bremst sind und sich daher selbständig in Bewegung setzen. Kommt es während des
Fahrgastwechsels zu solchen Ereignissen, so kann dies zu schweren Verletzungen
bis hin zum Tode führen. Kann der Zug nicht rechtzeitig zum Stehen gebracht wer-
den, sind auch Zusammenstöße mit anderen Zügen und somit sehr schwere Unfälle
möglich.

Daher sollten Bahnhöfe im Normalfall völlig eben gebaut werden, um ein selbstän-
diges Wegrollen von Zügen dadurch prinzipiell zu verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

§ 7 Absatz 2 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO) wie folgt zu ändern:

„Die Längsneigung von Bahnhofsgleisen, ausgenommen Rangiergleise und solche
Bahnhofsgleise, in denen die Güterzüge durch Schwerkraft aufgelöst oder gebildet
werden, soll bei Neubauten im Regelfall 0,5 v. T. nicht überschreiten. Sie darf ein
Höchstmaß von 2,5 v.T. in keinem Falle überschreiten.“

Berlin, den 30. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 18/5406 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Die Längsneigung von Bahnhofsgleisen hat erhebliche Konsequenzen für die Sicherheit des Bahnbetriebs. Bei
modernen Zügen wird dieser Aspekt immer wichtiger, da der Losbrechwiderstand, also die benötigte Kraft,
damit sich ein Zug selbständig in Bewegung setzt, immer geringer wird. Der Hauptgrund für diesen vermin-
derten Widerstand ist die Verwendung von modernen Rollenachslagern anstelle der früher verwendeten Gleit-
achslager. Das bedeutet, dass das Risiko für das Wegrollen auch bei geringen Neigungen bei modernen Zügen
immer höher wird. Dies wird durch die hohe Zahl an Wegrollvorgängen im Kölner Hauptbahnhof mit bis zu
6,8 Promille Längsneigung, also deutlich über dem bislang geltenden Grenzwert, illustriert.

Bislang lautet § 7 Absatz 2 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO) in der gültigen Fassung (zuletzt am
25. Juli 2012 geändert): „Die Längsneigung von Bahnhofsgleisen, ausgenommen Rangiergleise und solche
Bahnhofsgleise, in denen die Güterzüge durch Schwerkraft aufgelöst oder gebildet werden, soll bei Neubauten
2,5 v.T. nicht überschreiten.“ Mit dieser Formulierung ist eine höhere Neigung der Gleise in Bahnhöfen in
Ausnahmefällen möglich.

Zwar müssen im Bahnhof stehende Züge im Normalfall gebremst sein, aber es kann durch menschliches oder
technisches Versagen zu solchen Wegrollvorgängen kommen. Die weitgehend horizontale Lage von Bahn-
hofsgleisen ist daher als passive Sicherheitsmaßnahme seit vielen Jahrzehnten bewährt. Ein Ersatz durch eine
aktive Sicherheitsmaßnahme wie das Anlegen der Bremsen ist nicht gleichwertig, sondern birgt immer zusätz-
liche Risiken, da es zu menschlichem oder technischem Versagen kommen kann.

Daraus ergibt sich, dass die bisher geltende Vorschrift der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung deutlich zu
schwach ist und die zulässige Längsneigung verringert werden muss. Die EBO wird somit an die veränderten
technischen Gegebenheiten angepasst. Nur in Ausnahmefällen sollte eine Längsneigung über 0,5 Promille zu-
lässig sein. Außerdem muss die bisher geltende Grenze von 2,5 Promille Längsneigung für alle neu gebauten
Bahnhöfe als absolute Obergrenze ohne Einschränkungen gelten, weil jede noch höhere Neigung in einem
Bahnhof erhebliche Risiken birgt.

Mit der hier vorgeschlagenen Änderung würde die Regelung im Wesentlichen wieder auf die bis 1965 geltende
alte Formulierung der EBO zurückgeführt, in der es hieß, dass die Längsneigung 2,5 Promille nicht überschrei-
ten darf. Erst später wurde diese „Muss“-Bestimmung in eine „Soll“-Bestimmung umformuliert. Die Begrün-
dung für diese abschwächende Änderung war damals wie folgt: „Diese bindende Vorschrift wurde durch eine
„Soll“-Vorschrift ersetzt, weil es Fälle gibt, in denen eine stärkere Neigung angewendet werden muss, z. B. bei
der Verlängerung von Bahnhofsgleisen in angrenzende Neigungen der freien Strecke.“ Diese Begründung hält
der Bahnexperte und ehemalige Bundesbahndirektor Sven Andersen jedoch für nicht stichhaltig: „Wenn es nur
um diesen Sachverhalt gehen würde, hätte man diesen Paragraphen anders abfassen können und auch müssen.“
Er macht auch ferner konkrete Formulierungsvorschläge, wie man das mögliche Problem der Verlängerung
von Bahnhofsgleisen etwa mit der Vorgabe, dass 80 Prozent der Bahnsteiglänge horizontal angelegt sein müs-
sen, sehr viel besser lösen könnte. (Dip.-Ing. Sven Andersen, BDir a. D.: Gutachten über die Beurteilung der
überhöhten Gleisneigung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 unter Berücksichtigung der Anforderungen aus
der EBO und dem bisherigen Verfahrensablauf, 4.10.2014)

Abweichungen von den Regeln der EBO in Ausnahmefällen bleiben auch nach der hier vorgeschlagenen For-
mulierung möglich, dafür gilt aber dann in jedem Falle § 2 Absatz 2 EBO: „Von den anerkannten Regeln der
Technik darf abgewichen werden, wenn mindestens die gleiche Sicherheit wie bei Beachtung dieser Regeln
nachgewiesen ist.“

Aus den oben beschriebenen Gründen hat beispielsweise China, das das weltweit größte Bahn-Hochgeschwin-
digkeitsnetz betreibt, eine Vorschrift erlassen, der zufolge alle Bahnhöfe im Hochgeschwindigkeitsverkehr im
Normalfall keinerlei Gleisneigung aufweisen dürfen: „Die Bahnsteiggleise in Bahnhöfen sind in absolut hori-
zontaler Lage anzulegen. Nur in wenigen schwierigen Fällen darf die Bahnsteiggleisneigung Bahnsteiggleise
schräg angelegt sein, dabei jedoch eine Neigung von 1 ‰ nicht überschreiten. Unter einigen extrem schwieri-
gen Bedingungen kann auch dieser Wert überschritten werden, eine Bahnsteiggleisneigung von 2,5 ‰ darf
aber nie überschritten werden.“ (korrigiert zitiert nach Dip.-Ing. Sven Andersen, BDir a.D.: Gutachten über die
Beurteilung der überhöhten Gleisneigung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 unter Berücksichtigung der An-
forderungen aus der EBO und dem bisherigen Verfahrensablauf, 4.10.2014). Selbst in der sehr bergigen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5406
Schweiz werden Bahnhöfe in aller Regel so angelegt, dass die Gleise im Bahnhofsbereich völlig horizontal
liegen und Steigungen auf die Zu- und Ablaufstrecken verlagert werden.

Für den im Bau befindlichen Tiefbahnhof „Stuttgart 21“, der eine bislang in keinem großen Bahnhof realisierte
Längsneigung von 15,1 Promille und somit eine mehr als sechsfache Überschreitung des Grenzwerts aufweisen
soll, ist laut einem Gutachten von Sven Andersen „alle 4,5 bis 5,5 Jahre mit einem gravierenden Schadensein-
tritt zu rechnen.“ Daraus schlussfolgert er: „Auf das wichtige Kriterium horizontale Bahnsteiggleise bzw.
Bahnsteige zur Vermeidung des unvermittelten Wegrollens haltender Züge kann wie überall in der Welt auch
in Stuttgart nicht verzichtet werden. Anderenfalls ist die Plangenehmigung aufgrund des fehlenden Nachweises
gleicher Sicherheit nicht zu erteilen bzw. aufzuheben.“ Eine Risikoabschätzung sowie der Nachweis gleicher
Sicherheit seien in diesem Falle laut Andersen nicht zufriedenstellend durchgeführt worden (Dip.-Ing. Sven
Andersen, BDir a. D.: Gutachten über die Beurteilung der überhöhten Gleisneigung beim Bahnhofsprojekt
Stuttgart 21 unter Berücksichtigung der Anforderungen aus der EBO und dem bisherigen Verfahrensablauf,
4.10.2014). Solche Ausnahmegenehmigungen würden mit der hier vorgeschlagenen Änderung der EBO zu-
künftig unmöglich gemacht.
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